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Vorwort – Bekenntnisse einer Domina
ОглавлениеIch habe immer nur für meine Arbeit gelebt.
Ich hatte nie ein solides Leben.
Wenn ich gefragt werde, warum ich Prostituierte wurde, sage ich spontan: Aus Überzeugung. Denn das ist der Beruf, den ich immer ausüben wollte. Bei genauerer Betrachtung ist das nur die halbe Wahrheit. Denn dass ich diesen Weg einschlug, na ja, es ergab sich eben, als ich noch sehr jung war. Meine Motivation?
Ich wollte Geld verdienen und ergriff die in meinen Augen erstbeste Chance, die sich bot. Ich wurde von niemandem gezwungen. Später als Domina in der Herbertstraße zu arbeiten, auch das war meine – freie – Entscheidung, etwas, das ich wollte. Denn was ich tue, das tue ich aus freien Stücken und ohne Zwang. Kein Mensch, erst recht kein Mann und kein Zuhälter, zwingt mich zu irgendetwas. Allenfalls, auch das muss gesagt sein, das Leben ließ mir nicht immer eine freie Wahl. Vielleicht lag mir die Prostitution aber einfach in den Genen. Vielleicht blieb etwas von meiner Mutter bei mir hängen. Eine Mutter, von der ich so gut wie nichts weiß, außer dass auch sie eine Prostituierte war.
Was ich ganz sicher weiß: Das Leben hat mich dahingebracht, wo ich heute stehe. Ein Leben, das nicht immer leicht war. Auch weil ich zu oft an die Falschen geraten bin, an Menschen, die es nicht gut mit mir meinten. Ehrliche Menschen kennenzulernen, das fällt mir bis heute schwer. Leider ist das so. Das mag an meiner Kindheit liegen, die eigentlich keine war. Sie endete, als ich zwölf war und meine ersten Erfahrungen auf dem Strich machte, damals noch in Bremen.
Manchmal frage ich mich, hätte ich eigentlich etwas ganz anderes in meinem Leben machen können? Hätte ich „etwas aus meinem Leben machen können“, wie es so schön heißt? Gab es jemals die Chance für mich, andere Wege einzuschlagen und wenn ja, wäre ich überhaupt bereit gewesen, sie zu gehen? Die ehrliche Antwort: Ich weiß es nicht.
Und jetzt? Jetzt bin ich 57 Jahre alt und verdiene seit mehr als 30 Jahren mein Geld als Domina in der legendären Herbertstraße, den wenigen Metern Pflasterstein nahe der Hamburger Reeperbahn. Eine Gasse, gesäumt von Fenstern, in denen Frauen hinter Glas sitzen und den Freiern ihre Dienste anbieten.
Ich bin eine von ihnen. Die Dienstälteste.
Wer so lange hier arbeitet wie ich, dem ist nichts mehr fremd – keine Phantasie, keine Lust, keine Perversion. Es gibt nichts, was es nicht gibt – sagt man so leicht dahin. Ich habe dieses Nichts, das es nicht gibt, am eigenen Leib erlebt, das Schöne und das Hässliche, ich habe es gefühlt, gespürt, gerochen, geschmeckt.
Wie die Herbertstraße mein Zuhause wurde und warum sie mich nie wieder losließ, davon werde ich erzählen. Ich werde tief und ungeschönt blicken lassen – in den Berufsalltag einer Domina und in mein Privatleben. Mein Job ist hart, voller Skurrilität und Abgründe, aber oft auch begleitet von Humor und Menschlichkeit. Im normalen Leben begegnet mir, der Prostituierten, so etwas eher selten. Das hier ist meine ganz persönliche Geschichte. Aber ich erzähle sie nicht nur für mich, sondern auch stellvertretend für die vielen Frauen im Rotlichtmilieu, die nicht gehört und gesehen werden, obwohl sie es dringend verdient hätten.