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9 In der Höhle des Löwen

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Talivan hielt die Zügel locker in der Hand. Mir gefiel, wie er seinen Hengst ritt, ohne Zwang. Das Pferd schritt weit aus, wußte, der Weg führte nach Hause. Oder sollte ich mich darin täuschen? Führte uns der Weg woanders hin? Was hatte Talivan mit mir vor? Wollte er mich zu seiner Dirne erklären? Daß er den anderen Besitzansprüche geltend gemacht hatte, soviel hatte ich wohl aus der Gebärde und dem Tonfall verstanden, glaubte ich zumindest. Was er genau plante, blieb im Dunkel. Zu unseren beiden Seiten erschienen die beiden anderen Reiter, Gavannion und Comgal, wenn ich es richtig verstanden hatte. Der Junge, wahrscheinlich der Knappe, ritt anscheinend hinter uns her, wie die anderen Männer. Ich wagte keinen Seitenblick, versuchte meine Gedanken zu zerstreuen. Der unaufdringlich aufsteigende männliche Schweißgeruch meines Begleiters störte mich allerdings dabei. Ich ertappte mich, wie ich den Geruch einsog. Comgal, der uns zur Linken ritt, sprach einige Worte, bei denen sich der Körper Talivans verspannte, sodaß ich seine stahlharten, starken Muskeln überdeutlich wahrnahm. Ich war mir sicher, daß die Worte von einer Frau namens Helene handelten. Warum zum Teufel verstand ich nichts!?

Gavannion mischte sich ein, er ließ eine abfällig klingende Bemerkung fallen. Meinte er mich? Mir wurde schwindelig. So viele Eindrücke, so viel Geschehen! Die Hand schmerzte zunehmend, und die Angst, die ich für kurze Zeit zur Seite geschoben hatte, schnürte mir erneut die Kehle zu. Kam nun der krönende Schluß meiner Reise? Oder begann der Alptraum jetzt richtig? Von den Ereignissen überwältigt, schloß ich die Augen. Eine schwarze Welle erfaßte mich. Ich war einer Ohnmacht nahe, doch ich richtete meine Aufmerksamkeit auf meinen Herzschlag und gewann wieder die Oberhand.

Talivan spürte, wie ihr Körper für einen Augenblick schwer wurde, als würde sie ohnmächtig, doch sie fing sich wieder. Sie war die sonderbarste Frau, die er je gesehen hatte und die begehrenswerteste. Nur durch jenen dünnen Stoff verhüllt, hatte er jeden Umriß ihres Körpers deutlich wahrgenommen. Sie entsprach nicht den gängigen Schönheitsbildern, ungeachtet dessen gefiel sie ihm umso mehr. Ihre Haut war sonnengebräunt, so wie seine. Arbeitete sie doch auf den Feldern? Er mußte hinter ihr Geheimnis kommen, sonst fand er keine Ruhe mehr.

Eine Verräterin war sie nicht und eine Zauberin schon gar nicht. Obwohl ihm das Einfangen weniger brutal lieber gewesen wäre, war er doch froh, sie gefunden zu haben. Es stimmte schon, ungewöhnliches umhüllte sie. Noch während sie durchs Tor ritten, erblickte Talivan die wartenden Menschen, welche neugierig die Frau begutachten wollten. Bei der Treppe sprang er von Lluagor ab und half ihr hinunter. Oben am Eingang entdeckte er Morcant, Brighid den Arm stützend. Das passende Paar! Ihm war jedoch klar, daß weder Brighid für Morcant noch Morcant ernsthaft für Brighid empfänglich war. Brighid suchte Macht und Ansehen, egal, ob der Mann ihren äußerlichen Vorstellungen entsprach oder nicht. Ländereien besaß sie bereits. Falls Morcant eine Ehefrau suchte, lag sein Schwerpunkt ähnlich, allerdings mit deutlicher Betonung auf Macht und reichen Ländereien. Weder an Reichtum noch an Ansehen konnte Morcant es mit ihm aufnehmen. Doch ihm bedeutete das alles gar nichts, das war der Widersinn. Dabei schürte Morcant seinen Neid auf ihn immer wieder. Eines besaß allerdings Morcant, was ihm nicht mehr vergönnt war: das gute Aussehen, abgesehen von einem spöttischen Zug um die Mundwinkel, der mit den Jahren immer stärker wurde.

Das alles war für Brighid allerdings nicht von Bedeutung. Talivan wußte, ihr Augenmerk auf ihn beruhte einzig auf der Tatsache, daß er ein gern gesehener Gast beim König war. Den Namen Talivan nahm am Hofe jeder ernst. Daß diese Begünstigung ihn allerdings seine körperliche Unversehrtheit gekostet hatte, einschließlich der Fähigkeit, einmal Kinder zeugen zu können, brannte jedoch heiß in seiner Brust. Oft genug bemerkte er die angewiderten Blicke, die ihm die Damen, und selbst Brighid, zuwarfen, wenn sie sich von ihm unbeobachtet fühlten.

Er sah trotzdem Eifersucht in Brighids Augen, als er mit E-Helene die Stufen heraufstieg. Talivan wunderte sich darüber, denn sie brauchte gewiß nicht eifersüchtig zu sein. Sie war eine außergewöhnlich schöne Frau und brachte sogar eine gute Mitgift in die Ehe, allerdings war sie schon Mitte zwanzig.

E-Helene ließ sich nur widerstrebend in die Halle führen, doch er setzte seinen Weg unbeirrt fort. Verwundert bemerkte er, wie sie sich umsah, wie jemand, dem dies alles fremd war. Das jedoch erschien ihm unmöglich bei ihrer Bekleidung und den gepflegten Händen. Er schob sie weiter an Brighid und Morcant vorbei in die Burghalle hinein. Brighid schien sie mit Blicken aufzufressen, während Morcant sein wie üblich gleichgültiges, überhebliches Gesicht zeigte.

Krächzend flog Raban auf Talivans Schulter. Der Vogel begrüßte ihn freundlich, knabberte an seinem Ohr. Zärtlich gurgelnde Geräusche drangen aus seiner Kehle, ehe er seinen Blick plötzlich auf E-Helene heftete. Mit einem unerwarteten Satz sprang er auf ihre Schulter. Talivan bemerkte, daß sie zusammenzuckte. Raban wühlte mit seinem Schnabel in ihrem Haar herum. Vorsichtig hob E-Helene die unverletzte Hand und berührte den Raben an der Brust. Raban hielt einen Augenblick inne. Ein genüßliches Gurgeln kam aus des Vogels Kehle, welches sie mit einem weichen Lächeln anerkannte. Talivan konnte es nicht fassen. Noch nie saß dieser Vogel auf einer anderen Schulter als auf seiner. Wagte ihn jemand ungefragt anzufassen, hackte er oder flog schimpfend fort. Talivan tauschte einen Blick mit Gavannion. War das ein Zeichen? Es bestärkte ihn in dem Glauben, das Richtige getan zu haben, als er sich E-Helenes annahm.

Nun war ich in der Höhle des Löwen. Ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Kurzzeitig packte mich die Angst, der Vogel könnte mich doch hacken. Warum sollte er? Im Wald tat er es schon nicht. Ich mußte über die gurgelnden Laute, die aus seiner Kehle drangen, lächeln. Ebenso unerwartet wie er kam, sprang er wieder zurück auf die Schulter Talivans. Ich widmete mich weiter der Halle, auf deren Boden ausgestreute Binsen lagen und Kräuter ihren Duft verteilten. Die Halle schien mir recht groß, Talivan mußte ziemlich angesehen sein, und an Reichtum mangelte es ihm kaum. Gleich zwei große Feuerstellen erwärmten den Raum. Auf Böcke gelegte Bretter dienten als Tafeln, die u-förmig in der Mitte des Raumes standen. Einige Leute saßen bereits beim Essen, die anderen, die uns auf den Stufen erwartet hatten, setzten sich hinzu. Der Mann, der mir den Pfeil durch meine Hand gejagt hatte, ging unangenehm grinsend an mir vorbei. Er führte die wunderschöne Frau am Arm, in der ich die heranstürmende Reiterin wiedererkannte. Ich versuchte weiter auf die Umgebung zu achten. Die Halle wirkte, trotz des Lichtes, das durch die schmalen Fenster fiel, doch recht dunkel. An den Wänden hingen Kandelaber und Fackeln. Einige Fenster waren mit Stoffen oder Pergamenten abgehangen, nur wenige davon waren aufgerollt, um Licht hereinzulassen. Selbst in meiner kühnsten Erfindungsgabe hätte ich dieses lebendige Bild der Vergangenheit nicht entstehen lassen können. Die Mägde, Knechte und im Dienst stehenden Edelknaben liefen wie Wiesel umher, um die adligen Herrschaften zu bedienen. Am Ende der Halle, mir gegenüber, schälten sich gerade einige Leute aus dem Stroh, in dem sie wohl die Nacht verbracht hatten. Ich mutmaßte, daß es sich um die Musiker handelte, denn neben ihnen, an der Wand, standen eine Harfe und zwei Trommeln und in einem offenen Korb lagen Flöten. Neugierig sog ich alles mit meinen Blicken auf, doch unerbittlich drängte mich eine starke Hand weiter durch die Halle, auf eine Treppe zu. Sie mußte zu den anderen Stockwerken führen, oder zu irgendwelchen Kammern. Oder auf Umwegen zum Keller und den Verließen, schoß es mir durch den Kopf! Ein stechender Schmerz durchzog meine Hand. Durch die außergewöhnlichen Eindrücke hatte ich sie eine Zeitlang vergessen, dafür wurde ich ihrer jetzt umso bewußter.

Wir stiegen die Treppe hinauf in einen dunklen Gang hinein, der nur spärlich von wenigen Fackeln erleuchtet wurde. Nach kurzer Zeit erreichten wir eine massive Holztür, die von breiten Metallbändern gehalten wurde. Sollte sich dahinter mein Gefängnis befinden? Griff und Verschluß wirkten denkbar bruchsicher, viel zu sicher. Ich erwartete einen dunklen, kalten, karg eingerichteten Raum. Talivan öffnete die Tür. Zögernd ging ich, geschoben von ihm, in die Kammer und sah, daß ich nur in einem Punkt recht hatte: einzig eine Fackel beleuchtete den Raum, doch er war weder äußerst kalt noch karg eingerichtet. Ein großes Holzbett, das teilweise von dicken Vorhängen verdeckt wurde, hatte seinen Platz mir schräg rechts gegenüber an der Wand. Zwei Holztruhen befanden sich unter jeweils einem Fenster.

Jäh lief mir beim genaueren Betrachten ein Schauer über den Rücken. Eine dieser Truhen hatte ich vor wenigen Tagen gezeichnet. Wie war das möglich? Hatte ich an diesem Tag schon eine Ahnung von meinem Erlebnis? Meine Beine drohten wegzuknicken. Was geschah hier bloß mit mir? Um mich abzulenken, blickte ich mich weiter im Raum um. Ringsherum hingen Wandbehänge. Auch hier bedeckte den Boden eine Schicht Binsen und Kräuter. Im Kamin schwelten die Überreste eines Feuers, ein Schemel stand davor, ein weiterer vor einem verhangenem Fenster. Auf dem Boden vor dem Kamin lag ein dicker, wollener Teppich. Sollte dies in Zukunft - nein,... ich mußte innerlich über den Widersinn meiner Worte lachen - in der Vergangenheit, mein neues Zuhause sein? Mein Blick wanderte gegen meinen Willen wieder zurück zur Truhe, dann wieder zum Bett. Kuschelig warme Decken lagen verwühlt vom Schläfer darauf verteilt. Talivan schob mich zielstrebig darauf zu. Ein ungutes Gefühl kroch mir den Rücken hinauf. Wollte er mich jetzt vergewaltigen? Oder erwartete er, daß ich ihm zu Willen war? Womöglich glaubte er, daß ich ein käufliches Mädchen war? Ich befand mich auf jeden Fall in seiner Kammer.

Bevor ich weiter nachdenken konnte, drückte er mich auf das Bett hinunter. Ich war schon wieder im Begriff aufzustehen, wie eine Sprungfeder, als sich die Tür öffnete und eine Frau mittleren Alters eintrat. Sie trug ihre graubraunen Haare zu einem dicken Zopf geflochten. Ihr Gehabe schien mir entschieden, war sie seine Mutter? Nein, wohl nicht, denn sie trat ihm gegenüber trotz allem eher ehrerbietig auf. Sie wechselten einige Worte, während ihr Blick mich zu durchbohren schien. Entschlossen trat sie schließlich zu mir, griff nach dem Umhang, den ich fest zusammenhielt und öffnete ihn mit sanfter Gewalt. Ohne weiter zu hadern, schnappte sie sich daraufhin meine verletzte Hand.

„Bei allen guten Geistern! Wer hat denn dieses Glanzstück vollbracht? Nein, sagt es mir lieber nicht, ich will es gar nicht wissen!“ Während sie sprach, griff Sodelb nach dem behelfsmäßigen Verband. Urteilssicher begutachtete sie die Wunde und brummelte mißbilligend vor sich hin.

„Der Meisterschütze war Morcant!“ Talivan, der hinter Sodelb stand, trat ein paar Schritte zur Seite, um besser sehen zu können.

„Spricht sie nicht?“

„Bisher hat sie nur ihren Namen gesagt, glaube ich.“

„So? Und wie ist der?“

„E-Helene!“

„Und weiter?“

Talivan zuckte die Schultern wie ein ertappter Schuljunge.

Sodelb warf ihm einen wissenden Blick zu. „Ich kann nicht genug sehen, schafft mir mehr Licht heran!“

Talivan entzündete eine weitere Fackel und steckte sie in die dafür vorgesehene Halterung in der Wand. Sodelb beugte sich tiefer über die Hand.

„Wo bleibt denn Adna schon wieder? Eines Tages wird sie unterwegs einschlafen und eine Treppe hinunterstürzen!“ Ungeduldig blickte Sodelb zur Tür.

Talivan mußte über sie schmunzeln. Er kannte diese Frau seit seiner Geburt und war ihr dankbar, daß sie und ihr Mann ihm auf seine Burg gefolgt waren, besonders da sie eigens zu diesem Zweck sogar seine Eltern verlassen hatten. Er hätte sonst gar nicht gewußt, wie er mit dieser riesigen Burg, dem unnötigen Geschenk von Artus, zurechtgekommen wäre. Sodelb tat zwar immer ungnädig, konnte jedoch keiner Fliege ein Leid zufügen. Sie legte E-Helenes Hand auf deren Schoß ab, tätschelte ihr die Schulter und ging zielstrebig und schimpfend hinaus.

„Um alles muß ich mich selber kümmern,“ grummelte sie, ehe sie sich noch einmal zu ihm umwandte. „Wünscht Ihr ein Bad für die Dame?“

Daran hatte er nicht gedacht. Er nickte. „Das könnte Ihr gut tun, denke ich.“

Sodelb nickte. „Ich lasse es richten.“

Ich kuschelte mich wieder tiefer in den Umhang hinein. Er war so schön warm, und ich genoß es, endlich nicht mehr zittern zu müssen, jedenfalls nicht vor Kälte. Was hatte die beiden wohl zu bereden gehabt? Langsam fühlte ich meinen steifen Körper wieder weicher werden. Ein Bad in warmen Wasser, das würde mir gut tun. Doch wie sollte ich ihnen das klar machen? Und wie konnte ich diesen Aufwand für mich in Anspruch nehmen? Talivan stand immer noch am Fußende des Bettes. Ich spürte überdeutlich seinen Blick auf mir ruhen. Kurz schaute ich auf, um mich zu vergewissern: sein Blick war beunruhigend, anders als im Wald. Er schaute fragend, anklagend und entschuldigend zugleich. Seine Augen wirkten noch viel dunkler als vorhin, funkelten wie lebendig gewordene, glühende Kohlen. Er blickte unverwandt auf mich herunter und machte mich damit fahrig. Ich blickte schüchtern zur Seite.

Talivan konnte nicht aufhören. Er wußte, daß er sie beunruhigte, doch sein Blick wurde unerklärlicherweise angezogen. Er kam nicht hinter ihr Geheimnis. Sie wirkte einerseits so selbstbewußt, wie er keine andere kannte, gleichzeitig jedoch vermittelte sie ihm den Eindruck von schüchterner Unwissenheit. Er fühlte sich unwohl bei der Vorstellung, daß sie Männern wie Rioc und Mruad in die Hände hätte fallen können. Es war recht, daß er sie eingefangen hatte. Raban saß leise krächzend oben auf einer Säule des Bettes, wie ein alter Mann, der in seinen Bart brabbelte, und als wüßte er genauestens über Talivans Gedanken Bescheid. Was ließ denn diese Frau in seinen Augen so ungewöhnlich erscheinen? Es konnte doch nicht nur an ihrem roten Untergewand liegen. Sie wurde zusehends unruhiger unter seinem Blick, er konnte ihn jedoch nicht abwenden. Sie sollte sich besser an den Kamin setzen, damit ihre Haare trockneten, doch wie ihr das klarmachen, ohne daß sie schon wieder ängstlich hochschreckte, so wie eben, als er sie auf das Bett hinuntergedrückt hatte. Ihre Gedanken waren für ihn greifbar gewesen. Kannte sie denn keine ritterliche Ehre? Im selben Augenblick fielen ihm wieder Rioc und Mruad ein. Wo war denn deren Ehre? E-Helene wagte ab und an einen Blick zu ihm, den sie jedoch sofort wieder senkte, wenn sie merkte, daß er sie immer noch anstarrte. Wie gerne hätte er sie berührt.

Die Tür sprang auf. Sodelb, gefolgt von Adna, trat ein. Sie trug eine Schüssel, Leinenverbände und heilende Kräuter. Adna hatte ein Auftragebrett mit Essen in den Händen. Ihre Augen suchten ängstlich den Raum nach E-Helene ab. Sodelb warf Talivan einen strengen, fragenden Blick zu. Ihre Stirn war in tiefe Falten gelegt. Schuldbewußt trat Talivan zur Seite, an den Kamin. Er kniete sich nieder, um das Feuer wieder neu zu entfachen.

„Ihr habt sicherlich anderes zu tun, als hier zu stehen und das arme Mädchen mit euren Blicken zu verunsichern!“

Talivan schaute stur in den Kamin, er war ihr keine Rechenschaft schuldig.

„Adna kann sich um das Feuer kümmern, während ich die Wunde versorge!“ sagte Sodelb bestimmend.

Besiegt legte Talivan den Schürhaken zur Seite, stand auf und ging, nach einem letzten Blick auf E-Helene, hinaus. Raban flog laut schimpfend hinterher. Die Tür fiel ins Schloß.

Die junge Frau, der ich bereits am Brunnen begegnet war, kniete sich vor den Kamin hin, um das Feuer weiter anzufachen. Ich bemerkte, wie unsicher sie mir gegenüber war, denn sie traute sich kaum, in meine Richtung zu schauen. Die ältere Frau kam auf mich zu. Ich ahnte, was folgen würde und war gar nicht begeistert von der Vorstellung. Das kümmerte sie jedoch wenig, sie nahm meine Hand und ging ans Werk. Ich biß die Zähne zusammen, doch solche Schmerzen war ich nicht gewöhnt. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich lenkte meine Aufmerksamkeit auf die Frau am Kamin und das Feuer, das inzwischen schon wieder munter flackerte und wagte keinen weiteren Blick auf die Wunde in meiner Hand. Den Schmerz anzunehmen, war gar nicht so mühelos wie ich mir das vorstellte. Irgendwie gelang es mir jedoch, die Behandlung zu überstehen.

Meine Hand lag sauber verbunden und mit frischen Salben versorgt auf meinen Knien. Dennoch pochte es bis hinauf in meinen Arm. Ich staunte, was so ein kleiner Pfeil doch für Unheil anrichten konnte. Die Frau holte indes ein paar Kleidungsstücke aus ihrem Korb. Mißtrauisch begutachtete ich diese. Die Wolle war grob und ungefärbt, von einem braunen Schaf. Das war bestimmt nicht die Kleidung einer feinen Dame. Sie breitete die Sachen auf dem Bett aus, als es klopfte. Ein kurzes Wort, und die Tür sprang auf. Zwei Knechte trugen eine große Holzwanne herein und mehrere Mädchen und Jungen mit Eimern dampfenden Wassers in den Händen folgten. Die Wanne wurde vor dem Kamin abgestellt und das Wasser eingefüllt. Hatten diese Leute hier den sechsten Sinn? Wie konnten sie wissen, daß ich nichts lieber wollte, als in einem warmen Bad zu entspannen und meinem Körper Pflege zukommen zu lassen? Die Knechte, Jungen und Mädchen verließen den Raum, ich hoffte nicht umsonst Freude auf das Bad zu empfinden, vielleicht war es gar nicht für mich bestimmt? Die Frau nickte mir aufmunternd zu. Sollte ich tatsächlich? Das warme Wasser lockte mich, obwohl mir die Wanne zu klein schien. Ich könnte höchstens darin sitzen. Aber ich ließ mich nicht zweimal auffordern. Die Frau lächelte. Das erstemal, seitdem sie in der Kammer war. Etwas zögernd zog ich den warmen Umhang aus. Ich war nicht gewohnt mit Beobachtern zu baden und so warf ich der jungen Frau einen schiefen Blick zu. Die ältere Frau schien zu verstehen, was ich wollte, auch wenn sie nicht begreifen konnte, warum und schickte die junge Frau mit drei Worten und einer Geste hinaus, ehe sie ihre Ärmel aufkrempelte und zu mir trat. Mir blieb keine Wahl, denn meine Hand schmerzte, und sicherlich würde ich ohne Hilfe Schwierigkeiten haben in die Wanne zu steigen. Sorgsam darauf bedacht, daß sie meinen Rucksack nicht in die Hände bekam, legte ich ihn neben mich aufs Bett. Vorsichtig versuchte ich, mein Kleid über den Kopf zu ziehen, doch meine Hand schmerzte heftig, als ich sie zu Hilfe nehmen wollte. Während ich blind, da mir das Kleid über den Augen lag, weiterfummelte, fühlte ich plötzlich helfende Hände. Im Nu lag meine nasses Kleid vor dem Kamin auf dem Boden. Ich blickte in die freundlichen Augen der Frau. Allerdings entdeckte ich neben der Freundlichkeit auch Erstaunen, als sie sich meinen Slip und das Top besah. Sie holte tief Luft, ehe sie danach griff, um es mir auszuziehen. Ihre Augen weilten strafend auf dem Slip. Darauf konnte sie lange warten, den würde sie nicht in die Hände bekommen. Ich zog ihn aus und legte ihn zu meinem Rucksack. Was hatte ich für eine Wahl? Ich ließ mir von ihr in die Wanne helfen und genoß den Augenblick, da mein ausgekühlter Körper mit dem warmen Naß in Berührung kam. In der Wanne stand ein kleiner Hocker, auf den ich mich setzte. Die Augen geschlossen, lehnte ich mich an die Holzwand. Das tat so gut!

Plötzlich spürte ich einen warmen Waschlappen auf der Haut. Erschrocken öffnete ich die Lider und blickte die Frau an, die sich daran machte meinen Körper zu waschen. Anscheinend war sie es gewohnt! Einen Augenblick lang versteiften sich meine Muskeln, doch wozu? Ich ließ mich gehen und genoß die Zuwendung und Wertschätzung.

Als das Wasser unangenehm kühl wurde, stieg ich aus der Wanne. Die Frau hielt mir ein Leinentuch hin, welches mir furchtbar kratzig erschien. Wie schade, daß es noch kein Frottee gab. Ich wickelte mich wohl oder übel in das Tuch, während sie zur Tür ging, sie öffnete und etwas in den Gang rief. Keine zwei Augenblicke später erschien die junge Frau wieder in der Kammer, gefolgt von den Knechten und Wasserträgern, welche die Wanne leerten und alles wieder hinaustrugen. Die Tür fiel zurück ins Schloss, während die Frau aus dem Stapel vom Bett das braune Kleid aus grober Wolle herauszog. Zwangsläufig ließ ich mir beim Abtrocknen und anschließendem Ankleiden helfen, denn ich hatte keine Ahnung, wie ich‘s hätte alleine anstellen sollen. Als ich zwischendurch einen Blick auf die junge Frau am Kamin warf, bemerkte ich ihre noch immer ängstlich blickenden Augen, die sie auf mich gerichtet hielt. Das Kleid kratzte schrecklich auf meiner Haut, ich hatte wirklich schon Angenehmeres getragen.

Nachdem ich es endlich anhatte, zog sie ein weiteres aus dem Bündel hervor. Anscheinend hatten sie das allerletzte aus der Altkleidersammlung herausgefischt, was zu finden war. Das Kleid, an der Seite zum Schnüren, aus einem Leinenstoff gewebt, war viel zu lang. Einzig der warme Braunton gefiel mir. Trotzdem, ich würde keinen Schritt damit laufen können, ohne zu stolpern. Fragend hob ich den Saum an, blickte zu ihr hin und versuchte ihr zu zeigen, was offensichtlich war. Anstatt es mir allerdings wieder auszuziehen, was ich erwartete, zeigte sie mir, wie ich den Stoff halten mußte, damit ich nicht über den Saum stolperte. Ha, ha,... Mir war gar nicht zum Lachen zumute! Ich stöhnte. Hoffentlich blieb mir das Laufen in diesem Kleid erspart. Sicherlich war mein eigenes bald trocken, und ich konnte wieder wechseln. Warm wurde mir allerdings, das mußte ich gerechterweise zugeben.

Die Frau gab der Jüngeren die Schüssel und den Korb, und nach einem kurzen Wortwechsel verließ die Jüngere den Raum, offensichtlich froh, meinem Bannkreis zu entkommen. Das Auftragebrett mit dem Essen, dessen Duft schon die ganze Zeit meine Nase und Geschmacksnerven kitzelte, zog meine Blicke auf sich. Sie stellte es unaufgefordert neben mich auf das Bett. Während ich mich den Speisen widmete, räumte sie in der Kammer herum, wohl eher um sich zu beschäftigen, als daß es nötig gewesen wäre. Mein Magen knurrte laut, während sich der Speichel in meinem Mund sammelte. Ich entdeckte getrocknete Weintrauben, Äpfel und Birnen, welche ich allerdings gedanklich verschmähte, doch ich wollte nicht ungerecht sein, schließlich hatten diese Früchte mir geholfen zu überleben. Mit wachsender Begeisterung sog ich den Duft von dunklem Brot ein, warm und frisch. Eine Pastete stand am Rand in einer Schale, wahrscheinlich aus Pilzen, doch ich traute mich nicht, sie zu kosten. Eine weitere Schüssel, mit Hirsepudding und Beeren darauf, lockte mich an. Verstreut auf dem Auftragebrett lagen Nüsse. Der Krug enthielt einen duftenden Kräuteraufguß. Ich saß eine Weile vor den Köstlichkeiten und traute mich nicht anzufangen, dabei hatte ich inzwischen richtig Hunger auf all die gut riechende Nahrung.

Ich blickte unglücklich zu der Frau auf, die mich allem Anschein nach schon eine Zeitlang beobachtete. Ein Lächeln umzog ihre Lippen, als sie mir ermunternd zunickte. Ich beschloß, nicht länger zu warten. Was mir in der letzten Zeit am meisten fehlte, war das Brot und so begann ich damit. Die Scheiben waren dick geschnitten, es duftete köstlich. Das war kein gefärbtes Schein- Vollkornbrot, und nicht einmal die Brote aus dem Bioladen hielten diesem hier stand. Ich biß herzhaft hinein, kaute genüßlich, Biß für Biß. Nach dem Brot stürzte ich mich mit wachsendem Heißhunger auf den Pudding mit den Beeren. Er schmeckte ebenfalls köstlich. An den Holzlöffel mußte ich mich erst einmal gewöhnen, ich war jedoch sicher, daß dieses Essen mit einem anderen Löffel nur halb so gut geschmeckt hätte. Den krönenden Schluß bildete ein Becher Tee. Ich konnte die einzelnen Kräuter zwar nicht herausriechen, er schmeckte jedoch ausgezeichnet. Gesättigt und gewärmt lehnte ich mich zurück, an eine der Bettsäulen. Die Frau hatte geduldig gewartet, bis ich fertig war, ehe sie das Auftragebrett in die Hände nahm. Sie wollte gehen! Plötzlich überfiel mich erneut Kopflosigkeit. Wohin ging sie? War ich gefangen? Kam er gleich zurück? Ich wußte nicht genau, wovor ich Angst hatte, aber verleugnen ließ sie sich nicht! Sicher, der Raum war gemütlich und warm, trotzdem blickte ich mich suchend um.

Wo konnte ich hingehen, wenn ich mußte? Als hätte sie meine Gedanken gelesen, bat sie mich aufzustehen und ihr zu folgen. Meinen Kleidersaum haltend, ging ich ihr hinterher in den kalten Gang. Am anderen Ende zeigte sie mir eine Tür. Ich öffnete vorsichtig und entdeckte eine Art Plumpsklo, außerhalb der Mauer. Ein Anbau, der durch ein Loch die Häuflein nach unten fallen ließ. Ich schaute durch die Ritzen der breit auseinander liegenden Bretter in die Tiefe. Mir wurde schwindelig. Das war also ein Abort! Eine äußerst zugige Angelegenheit! Mißtrauisch trat ich in den kleinen Raum und schloß die Tür hinter mir. Mit einem schrecklichen Gefühl im Bauch stellte ich mich mehr über das luftige Ding, als daß ich mich setzte. Ich traute diesen Brettern nicht. Neben mir entdeckte ich einen mit trockenem Laub gefüllten Holzeimer, vermutete, daß dies zum Abwischen war und bediente mich mit einem eigenartigen Gefühl.

Auf dem Rückweg merkte ich, wie kalt meine Füße inzwischen geworden waren. Die Frau schloß hinter mir die Tür, sie drehte keinen Schlüssel um. Ich könnte also, wenn ich wollte, hinausgehen! Wie weit würde ich kommen, und wohin wollte ich denn? Ich überlegte nicht weiter. Eine seltsame Schwere überfiel mich. Das Bett sah so verlockend aus. Ich legte mich hin. Nur die Augen eine Zeitlang schließen. Zur Ruhe kommen. Die Decken waren noch immer durcheinander gewühlt. Ich streckte mich, genoß die Berührung mit dem weichen Wollplüsch und drehte mich zur Seite, um in den Kamin schauen zu können. Der angenehme Geruch eines bestimmten Mannes stieg in meine Nase. Ich schloß die Lider und sah dunkle Augen, sinnliche Lippen und warme, starke Hände, die mich berührten. Nach wenigen Augenblicken hatte mich der Schlaf zu sich hinübergeholt.

Die Artuslinde

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