Читать книгу Keltenzauber - Manuela Tietsch - Страница 10
6 Fremd
ОглавлениеDer Lärm hinter ihnen erstarb. Dauernd sah Gavin über die Schulter, ob ihnen jemand folgte. Es war keiner zu sehen und so fielen sie in eine langsamere Gangart zurück. Gavin hörte den röchelnden Atem seines Bruders. Sicherlich ging es ihm viel schlechter, als er zeigte. Schließlich hielt er an.
Calum und Eithne drehten sich fragend zu ihm um. Gavin bemerkte mit Entsetzen das kalkweiße Gesicht Dougals und den riesigen roten Fleck auf seinem Hemdsärmel. Er hätte sich ohrfeigen können. Allerdings war er sicher, daß Dougal alles dazu beigetragen hatte, damit sie seine Verletzung vergaßen.
„Wir müssen die Wunde reinigen!“ sagte er im Befehlston, aus Angst Dougal würde sich weigern.
„Aye. Dann tu es!“
„Und du mußt ein paar Kräuter schlucken.“ Während Gavin das sagte, zog er vorsichtig Dougals Hemd zur Seite über dessen Schulter. Er sah Calum fragend an.
Der schüttelte den Kopf.
„Hock dich an die Wand“, befahl Gavin mit Nachdruck.
Ich rutschte an der Wand nach unten und lehnte mich schwer dagegen. Ich schloss kurz die Augen, wartete ungeduldig und sah wieder Gavin an. „Nun mach schon.“
Gavin überlegte nicht lange, zog den Saum seines großen Tuches ein wenig hoch und reinigte meine Wunde mit seinem Urin.
„Verdammt, das brennt wie Feuer!“ presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Gavin nickte und drehte sich zu Eithne um. „Reiß ein Stück von deinem Unterkleid ab, wir brauchen Verbandszeug!“
Sie nickte, hob den Saum ihres Kleides an. Calum zog sein Messer und schnitt ein Stück Leinen heraus. Er reichte es Gavin.
Vorsichtig legte Gavin es zwischen Hemd und Wunde. Dann sah er mich sorgenvoll an, während er eine Handvoll Kräuter aus seinem Sporran holte und mir diese in den Mund schob. „Wir stützen dich!“ Er schob seinen Arm unter meine linke Achsel. Obwohl er versuchte so behutsam wie nur möglich zu sein, stöhnte ich unwillkürlich auf. Calum tat es Gavin auf der rechten Seite nach.
„Ehrlich gesagt weiß ich nicht was wir tun sollen, oder wohin wir uns wenden wollen?!“ sagte Gavin müde. Er wollte nicht weiter nachdenken.
„Vielleicht finden wir in dieser Richtung ein freies Feld oder einen Wald, in dem wir unterkommen können?“ Calums Stimme klang müde und hoffnungslos, selbst in seinen eigenen Ohren. Ihn quälte die Angst womöglich niemals auf ein Feld zu gelangen! Andererseits spürte er in sich eine Wut wachsen, die ihm Kraft verlieh. Sie schleppten sich und Dougal weiter, während dessen Körper schwerer wurde und er von Schritt zu Schritt weniger mithalf.
„Der Weg wird dunkler. Ich sehe lange nicht mehr so viele Menschen wie zuvor.“ Calum hoffte das Beste.
„Dann könnten wir auf dem richtigen Weg sein?!“ Gavin hatte schon seit einer Weile festgestellt, daß die Beleuchtung spärlicher wurde und ihnen weniger Menschen begegneten. Die Gebäude waren klotzig und groß. Was ihm zunehmend Kummer bereitete, war das heftige Schneetreiben, das stetig zunahm und der Zustand Dougals, der sich mehr und mehr gehen ließ und abschwächte. Er stützte sich schwer auf sie.
„Laßt mich los“, sagte Dougal unvermittelt, als hätte er die Gedanken Gavins erraten. „Ich kann nicht weiter. Ihr seid ohne mich mehr als doppelt so schnell. Wenn ihr schließlich einen Unterschlupf gefunden habt, holt ihr mich nach.“
Gavin schnalzte abwertend mit der Zunge. „Ein guter Einfall. Und wenn wir wiederkommen bist du bereits erfroren oder steckst in einer der schwarzen Truhen!“ Er schüttelte den Kopf. „So könnten wir uns den Weg sogar sparen!“ Gavin war sauer. „Du kommst sofort mit oder wir gehen nicht weiter!“ Er duldete keinen Widerspruch und hoffte sein Bruder begriff das.
Dougal nickte schwach. „Aye, wie du meinst.“
Gavin hatte aufgehört die Zeit zu schätzen die inzwischen vergangen war, doch schließlich schien sich ihre Hoffnung zu erfüllen, denn sie erreichten eine freie Fläche, welche allerdings von vielen schwarzgrauen Linien durchzogen wurde, auf denen die seltsamen Wagen entlangfuhren. Dennoch, sie waren zufrieden diesem Abgrund aus Lichtern, Menschen und unheimlichen, fremden Dingen entkommen zu sein. Sie brauchten lediglich einen Unterschlupf für die kalte Nacht zu finden, um Dougal besser verpflegen zu können und am nächsten Morgen würden sie sich auf den Heimweg machen. Der dicht fallende Schnee behinderte die freie Sicht zwar, doch glaubte Gavin weiter rechts einen dunklen Schatten auszumachen, der zu einer Baumgruppe gehören könnte. Er lenkte Calum und Dougal dorthin und vergewisserte sich, daß Eithne ihnen folgte. Dummes Ding! Sie brachte sich dauernd in Schwierigkeiten! Wenigstens war sie bei ihnen und nicht gefangen bei den MacBochras. Er wandte sich wieder dem grauschwarzen Pfad zu, auf dem sie entlangliefen. Anscheinend wurde das ganze Land von diesen Wegen durchzogen. Er stimmte einen heilsamen Gesang an. Konnte nicht schaden wenn sie abgelenkt wurden und ihre Körper durch die Stimme stärkten.
Nach einer weiteren anstrengenden Wanderung erreichten wir schließlich die Baumgruppe und entdeckten von dort aus unweit eine Ansammlung großer viereckiger Gebäude, von denen ebenfalls ein starkes Licht herüberdrang. Eine zweite Siedlung mit Menschenmassen? War da nicht etwas? Eine Bewegung? Ein Tier? Oder ein MacBochra?
„Wollen wir dorthin?“ fragte Calum wenig begeistert. Er steckte seine freie Hand ablehnend in seinen Gürtel.
„Wozu?“ Gavin schüttelte den Kopf. „Wird doch nur wieder das selbe sein wie zuvor.“
Ich stöhnte. „Vielleicht sollten wir es uns doch einmal ansehen, wir können jederzeit zurückkehren.“
Gavin tauschte unsichere Blicke mit Calum und Eithne, ehe er mich wieder ansah. „Schaffst du es bis dahin?“
Ich nickte verbissen. Irgendwie hatte ich das Gefühl der heilige Stein in mir würde mir Kraft verleihen, wenn ich bereit war zu kämpfen. „Und bis ans Ende der Welt, wenn es nötig ist.“
Mutig näherten wir uns dem großen Gebäude, um das herum die seltsamen Gefährte abgestellt warteten. Alle paar Augenblicke, nachdem Leute voll beladen mit knisternden Beuteln einstiegen, leuchtete eins der Menschenträger auf und entfernte sich auf dem grauen Pfad, und wieder andere kamen auf den Platz um anzuhalten und Menschen herauszulassen, die dann geschäftig in das große, hell erleuchtete Gebäude eilten.
Beherzt folgten wir einigen Leuten. Eine stickige, stinkige Luft empfing uns, nahm uns jede Lust am Atmen. Wagemutig gingen wir weiter, obwohl sich die befremdlichen durchsichtigen Tore wie von Zauberhand öffneten sobald ein Mensch davor stand.
„Sollen wir wirklich da hinein gehen?“ fragte Eithne entsetzt.
„Ich will wissen was die hier treiben!“ Ich sah störrisch in das Innere des Gebäudes, das von Unmengen durchsichtiger Wände unterteilt schien und offensichtlich von vielen Menschen bevölkert wurde. In meinem Inneren wuchs die Neugier so stark und schnell, daß ich neue Kraft bekam. Als hätte mir jemand einen Zaubertrank gegeben.
„Und wenn das hier der Ort ist, an dem sie Menschen in Zwerge verwandeln?“ Calum wäre viel lieber sofort umgekehrt, obwohl er sich dafür schämte. War er nicht ein Kämpfer? Hier war alles so ungeheuerlich! Wenn es um einen Kampf Mann gegen Mann ging, hatte er keine Angst, doch hier ereigneten sich unheimliche Dinge und denen konnte er nicht mit Scharfsinn oder einem starken Arm entgegentreten.
Eithne ließ ihre ganze aufgestaute Luft abwertend pfeifend heraus. „Wie sollen wir mehr über diese Leute erfahren, wenn wir nicht einmal den Mut aufbringen uns umzusehen?“ Sie sah Calum herausfordernd an, ehe sie zu Dougal und Gavin schaute.
Dougal drückte sich den Ellenbogen in die Seite und hielt sich leicht schief, um seiner Schmerzen besser Herr zu sein. In seinen Augen loderte ein wildes Feuer, welches sich nicht unterkriegen lassen wollte. Er nickte, Eithnes Worte unterstützend.
Calum nickte verzagt, Dougal war der ältere, er fügte sich.
Langsam bewegten wir uns voran, ständig die Leute im Auge behaltend und die Schwerthand einsatzbereit am Griff. Durch das Menschengewühl gelangten wir an eine metallene Pforte, die sich ebenfalls von alleine öffnete, sobald wir nahe genug heran waren, um hindurch zu gehen. Wir sahen uns an, um dem Schrecklichen zu trotzen. Mutig gingen wir hindurch. Schließlich waren wir zu dritt und wenn ich Eithnes Schwertarm mitzählte sogar zu viert.
Auch hier beachteten uns die Menschen nicht. Sie schoben Karren aus Metallgeflechten vor sich her, hielten hier und hielten dort, langten in riesige Gefache, in denen bunte Gegenstände standen und füllten ihre eigenartigen Wagen. Sie sprachen nicht einmal untereinander. Ich gewann den Eindruck, daß sie sehr in Eile waren.
Wir besahen uns die Fächer genauer. Eithne traute sich eine Schachtel in die Hand zu nehmen, sah sich ängstlich um, ob jemand einen Einwand erhob und begutachtete das Ding. Niemand störte sich an ihrer Handlung. Wir traten dicht an sie heran, um uns das Ding ebenfalls anzusehen. Eithne hob es an die Nase um daran zu Riechen. Von außen war nicht zu erkennen um was es sich handelte, doch selbst das riechen half nicht weiter. Die Schachtel war mehr als eigenartig. Solch ein Zeug hatte ich niemals zuvor gesehen. Und sie war, wie so vieles hier, durchsichtig. Drinnen befanden sich kleine, etwa daumendicke, rosa Teile, die keinen Anhaltspunkt boten, was sie enthielten oder darstellten. Calum nahm Eithne die Schachtel vorsichtig aus der Hand, er suchte eine Öffnung, doch sie schien wie durch Zauber versiegelt. Ärgerlich stellte er sie zurück.
Wir liefen weiter durch die vielen Gänge und kamen aus dem Staunen nicht heraus. Eine so große Vielfalt an bunten Farben und Gestalten hatten wir in unserem ganzen Leben nicht gesehen. In einem Lagerfach entdeckte ich Abbilder von seltsamen Frauen, mit viel zu langen Beinen, großen Brüsten, einer besonders schmalen Körpermitte und unnatürlich dickem Blondhaar. Gab es tatsächlich Frauen die solch einer Puppe als Vorbild gedient hatten? Sie war eingepackt in einem ätzenden knalligen rosa Etwas.
Von der Decke des Gebäudes hingen riesige eiförmige bunte Beutel. Calum drückte mit einem Finger so tief hinein, bis es einen lauten Knall gab. Das Ding platzte und es fehlte die winzigste Spur eines Inhaltes. Erschrocken sahen wir uns um. Niemand schaute zu uns herüber oder störte sich an dem Knall.
Wie benommen folgten wir mal dem einen Menschen und dann wieder einem anderen und ließen uns von den erschreckenden Eindrücken berieseln. Von irgendwo her waren Musikanten zu hören, die auf mir unbekannten Instrumenten spielten und merkwürdig sangen und das ganze so laut, daß es in der riesigen Halle zu hören war. Ich wunderte mich, wie es die Leute schafften das Tageslicht in die Räume zu holen, obwohl doch draußen finstere Nacht herrschte. Die Luft machte mir zu schaffen und die Eindrücke, die ich nicht zu bewältigen wußte.
„Ich habe den Eindruck die Leute holen sich hier Nahrung und...“, ich deutete auf einige Metallständer, die mit seltsam geschnittenen Gewändern behängt waren. „...Kleidung!“
Gavin schluckte. „Aber ich verstehe nicht, wieso sich das alles hier befindet.“ Er starrte eine Frau an, die ebenfalls einen Wagen vor sich herschob, in dem sich allerdings nicht nur seltsame Schachteln und Gegenstände befanden sondern auch ein kleines Kind von etwa einem Jahr.
„Glaubt ihr sie holen sich hier Kindersklaven?“ fragte Eithne leise. Sie traute sich kaum die Frau anzusehen, weil ihr der Gedanke so ungeheuerlich erschien
Keiner gab Eithne eine Antwort. Bedrückt schlichen wir weiter. Ich hatte längst den Überblick verloren, als wir zu einem runden Platz gelangten. Auf abgeschrägten Tischen lagen Obst und Gemüse in Hülle und Fülle. Uns lief das Wasser im Munde zusammen.
Calum stürzte sich auf den nächstbesten Stand mit leuchtend roten Früchten. „Seht doch nur zu dieser Jahreszeit!“ Er griff in eine der Schalen und nahm sich eine Handvoll, die er sofort gierig verschlang. „Hier!“ Er holte die Schale hervor und reichte sie uns. „Sie schmecken eigenartig, aber wir können sie essen.“ Er spuckte zwei Kerne auf den Boden.
Gavin schaufelte sich ebenfalls eine Handvoll in den Mund.
Ich war verunsichert und schaute mich um. „Glaubt ihr nicht, daß sie dafür einen Gegenwert erwarten werden?“
Calum schüttelte den Kopf. „Die Leute bedienen sich doch alle einfach so!“ Er langte nach einem dicken Apfel und biß hinein. Nachdem er jedoch zu ende gekaut hatte, spuckte er mit einem Mal das gekaute wieder aus. „Pfui! Widerwärtig!“ Unsanft beförderte er den Apfel wieder zu den anderen. Eithne schüttelte den Kopf.
Plötzlich kam uns mit festen Schritten eine Frau in einem weißen Gewand und mit wütenden Gesichtsausdruck entgegen. Sie fuchtelte mit den Armen hin und her.
„Ichhoffedochsehrwohl, daßsiedieWarenbezahlenwerden undihrenDreckwiederaufheben!“ Sie sah auf die ausgespuckte Nahrung auf dem Boden. Ihre aschblonden, mit roten und schwarzen Strähnen durchzogenen, dünnen Haare, die sich in winzigen Locken bis auf die Schultern kringelten wippten mit ihrem wütenden Herzschlag um die Wette.
„Ich wußte doch, daß sie eine Gegenleistung erwarten!“ Ich kramte in meinem Sporran und zog eine Münze hervor. Ich hielt sie ihr unter die Nase.
Die Frau wurde kalkweiß vor Ärger und schüttelte den Kopf. Während sie wegging nuschelte sie vor sich hin. „IchholediePolizei. Dakommensie ausirgendeinemLanddaherund bringenesnochnichteinmal fertigihrGeldzuwechseln. Unverschämtistdas.“
Ich verstand kein Wort, doch meine Münze wollte sie offensichtlich nicht.
„IchholedenMarktleiter. Siewerdenschonsehen waswirmitsolchenmachen. Solchewiesiewollenwir hier gar nicht!"
„Ich denke es ist Zeit, daß wir von hier verschwinden!“ sagte Gavin eindringlich.
Ich nickte.
Calum hingegen ging zurück an die Tische mit dem Obst. „Aber nicht ohne Essen mitzunehmen!“ In Windeseile packte er das Stück seines Tuches, das vor seinem Bauch hing, mit den durchsichtigen Schalen, ein paar Birnen und anderen unbekannten Früchten voll. „Wenn sie uns des Diebstahls bezichtigen, so sollen sie einen Grund haben!“ er lachte und eilte zu uns.
„Du bist nicht bei Trost!“ sagte Gavin. „Die Früchte im Magen hätten sie uns nicht nachweisen können, dagegen wirst du sicherlich mit dem vollen Tuch als Dieb überführt!“ Trotz seiner Worte war er stolz auf seinen Bruder, denn er war in ihrer Not schlau und mutig.
Wir beeilten uns zu den eigenartigen kleinen Gattern aus Metall zurückzufinden. Gavin und Calum ließen mich los, um kurzerhand hinüberzuspringen. Auf der anderen Seite empfingen sie mich wieder. Die Leute zollten den beiden tatsächlich kurz Aufmerksamkeit, wie ich befriedigt feststellte. Dafür spürte ich einen heftigen Schmerz in der Seite und in meiner Schulter. Ich fühlte mich wieder schwach und ausgelaugt. Die Kraft schwand, wie sie gekommen war.
Trotzdem, wir liefen weiter. Den Weg zurück, den wir gekommen waren. Nach kurzer Zeit standen wir wieder draußen in der eisigen Winterluft. Doch wir hielten uns nicht weiter auf, sondern eilten, so schnell es mir möglich war, zu der Baumgruppe zurück.