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3 Wo sind wir

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Vorsichtig öffnete ich die Augen. Ich zitterte wie Espenlaub und das lag nicht nur an der Kälte. Ich sah nichts, erst allmählich lichtete sich der Nebel vor meinen Augen und ich schaute auf das graue schmutzige Mauerwerk eines mächtigen Gebäudes.

Schwerfällig drehte ich mich zu den anderen um. Sie lagen noch genauso wie die Männer der MacBochras sie hingelegt hatten, und doch wurde ich das Gefühl nicht los, schon seit Stunden hier zu liegen. Mit Entsetzen nahm ich wahr, daß ununterbrochen Schneeflocken auf uns niederfielen. Ein Schauer lief durch meinen Körper und ließ mich frösteln. Ich verdrängte meine Schmerzen und streichelte Eithne im Gesicht, bis sie erwachte. Ich wandte mich Calum und Gavin zu. Gavin lag noch schwer auf meinen Beinen. Eithne sah sich mit großen Augen um.

Ich kam mir vor wie ein alter Mann, als ich meinen Oberkörper ächzend aufrichtete. Meine schmerzende Seite nahm mir die Luft zum Atmen. Ich legte meine gefesselten Hände um Gavins Gesicht, strich den Schnee mit den Daumen von Augen und Wangen und schüttelte seinen Kopf sachte hin und her. Warum wachte er nicht endlich auf? Die Schneeflocken fielen inzwischen dichter und es würde nicht lange dauern, bis die kalte weiße Schicht alles bedeckte; wie ein Mantel, der uns begrub, wenn wir nur lange genug liegen blieben, ging es mir bitter durch den Kopf.

Calum bewegte sich, richtete seinen Oberkörper auf und fragte: „Wo sind wir?“

Ich zuckte entmutigt die Schultern. „Keine Ahnung!“

Als sich zwischen meinen Handflächen Gavins Gesicht regte, starrte ich ihn flehentlich an.

Calum rutschte näher.

„Gavin! Wach auf!“ Ich schüttelte ihn. „Gavin!“ Ich wurde lauter und ärgerte mich über den mutlosen Unterton in meiner Stimme. Am liebsten hätte ich laut losgeheult, so elend fühlte ich mich.

„Gavin!“ Mein Bruder hatte kein Recht uns alleine zu lassen. Kein Recht sich zu entziehen, um uns in unserer Not im Stich zu lassen. Schließlich flatterten seine Augenlider und öffneten sich. Noch wie benebelt sah er uns an.

Ich merkte erst jetzt wie lange ich schon die Luft angehalten hatte und atmete endlich erleichtert aus. Wir hatten ihn wieder.

Calum griff mit starren Fingern nach seinem Messer, das rechts neben Dougal auf der Erde lag. Nacheinander zerschnitt er die Fesseln seiner Geschwister, dann reichte er sein Messer Dougal, damit er ihn befreite. Calum grinste froh, die Handlung weckte seinen Lebensmut. Er schaute Eithne an. Aye, sie waren Zwillinge! Mußte sie deshalb dauernd tun, was sie nicht sollte? Sie wäre ein besserer Kerl geworden als ein Mädchen. Calum seufzte und drückte sie an sich. Sie sträubte sich, es war ihm egal.

Gestärkt, wenngleich noch wankend, als hätte ich zuviel vom Wasser des Lebens getrunken, erhob ich mich, um die Gegend genauer in Augenschein zu nehmen. Ich stand, um Luft ringend, von Calum gestützt und haßte es in meiner körperlichen Freiheit und Tätigkeit eingeschränkt zu sein. Wahrscheinlich war mindestens eine Rippe angebrochen. Ich sammelte meinen Dolch und mein Schwert auf.

Den Kopf in den Nacken gelegt, betrachtete ich das schmutziggraue Gebäude vor uns, während der Schnee auf mein Gesicht niedertanzte und mich zwinkern ließ. Woher kam der Dreck? Ein Turm, so hoch wie ein Felsen, allerdings nicht einmal halb so breit wie ein Brooch, beherrschte das Bild. Hohe, schmale Lichteinwürfe, die nach oben hin spitz zuliefen, ließen mich zweifeln, ob es sich tatsächlich um einen Wohnraum handelte. Wie riesig mußten die Menschen sein, wenn sie nur an die unterste Kante der Lichteinwürfe reichen wollten.

Zögerlich begannen wir das Gebäude zu umrunden und es dauerte nicht lange, bis wir ein großes Tor erreicht hatten. Ein ohrenbetäubender Ton ließ mich zusammenfahren und innehalten. Bestürzt sah ich in die Höhe, von wo der Ton zu kommen schien. Der Klang ließ die Luft erzittern und sogar den Boden erbeben.

Calum verzog sein Gesicht vor Schmerzen. Wahrscheinlich dröhnte sein Kopf noch von den Schlägen der MacBochras.

Eithne legte ihm tröstend ihre Hand auf die Schulter. Sie sehnte sich nach ihrer Mutter. Sie war sich im Klaren darüber, daß sie dieses Mal den Bogen überspannt hatte. Trotzdem, es war aufregend. Neugierig sog sie alles auf und konnte ihre Wißbegier, die nicht einmal vor ihrer Angst halt machte, nicht bremsen.

Ich zählte mit; nach dem vierten Ton hörte der Lärm auf. Allmählich entspannte ich mich. Ich bemühte mich das Unbehagen abzuschütteln, das mich seit unserem Erwachen nicht mehr verlassen wollte. Nach einem weiteren Rundblick erschauerte ich jedoch. Das große Gebäude war von weiteren, viel mächtigeren umgeben. In helles Licht getaucht, als würde die Sonne darauf scheinen. Als hätten die Bewohner die Sonne darin eingefangen. Über den Wegen zwischen den erleuchteten Gebäuden hingen lange Seile mit Sternen und Kränzen aus Nadelbaumästen, an denen wiederum ebenfalls helle und bunte Lichter leuchteten. An allen Ecken standen kleine Nadelbäume, die mit merkwürdigen Lichtern und bunten Gegenständen behängt waren. Ich wagte eines dieser Lichter zu berühren. Kein Feuer brannte mich!? Ich zog die Hand dennoch schnell zurück. Auf dem Weg tummelten sich Massen von Menschen, in offensichtlicher, gehetzter Betriebsamkeit.

Während wir betäubt von den Eindrücken vor dem Tor standen und darüber nachdachten, wohin uns Gemmán geschickt hatte, öffnete sich das große Tor und Menschen in dunklen, eigenartigen Gewändern traten heraus. Zielstrebig und sich unterhaltend, gingen die Leute in Gruppen an uns vorbei, als wären wir gar nicht vorhanden. Ich verstand nicht ein einziges Wort von dem was sie sagten. Wir drängten uns enger zusammen und fühlten uns alle gleich elend. Es dauerte nicht lange, trotzdem erschien es mir wie eine Ewigkeit, bis sich die vielen Menschen in alle Richtungen zerstreuten und das Tor mit einem lauten Krachen wieder schloss.

Ich sah in die erstarrten Gesichter von Eithne, Calum und Gavin, deren Hautfarbe inzwischen große Ähnlichkeit mit dem Schnee hatte. In ihren Augen las ich das gleiche Entsetzen und dieselben Fragen, die mich bewegten. Eithne schaute betreten auf den Boden. Sie wagte nicht mir in die Augen zu sehen. Sollte ich ihr die Meinung sagen? Ich entschied mich dagegen. Es würde nichts mehr ändern. Entschlossen sagte ich:

„Wir folgen denen da!“ und zeigte auf zwei junge Männer, die sich aus unserem Blickfeld fort bewegten, hinein in das schrecklich unübersichtliche Getümmel aus Menschen, Licht und Lärm. Calum und Gavin nickten, Eithne sah mich zweifelnd an.

Es fiel mir nicht leicht, mich dem strammen Schritt der anderen anzupassen, der sonst auch mir zu eigen war. Meine Seite schmerzte zu stark. Vermutlich umso mehr, weil ich mich so trostlos und verraten fühlte. Eithne folgte dicht auf.

Glücklicherweise holten wir die Männer schnell ein, die inzwischen auf einem großen Platz angelangt waren, auf dem eigenartig geformte, wagengroße, bunte Karren mit schwarzen Rädern standen. Ich sah, daß die Menschen diese Karren durch Klappen öffneten und sich hineinsetzten. Lediglich ihre Köpfe waren zu sehen, da die seltsamen Wagen nur zur Hälfte offen zu sein schienen. Überall leuchteten Lichter auf, die wie Augen aus den Karren herausstarrten. Ein seltsames Brummen ertönte und die Luft füllte sich mit einem widerlich stinkenden, grauen Nebel. Ich mußte husten, kämpfte dagegen an, weil meine Seite schmerzte. Die Menschen schlossen die Klappen laut krachend wieder und wurden von den eigenartigen, schmucklosen Dingern geschluckt. Starr sahen wir dem Schauspiel zu, während ein Wagenkasten nach dem anderen laut brummend in einer langen Reihe vom Platz entschwand. Konnten das wirklich Wagen sein? Wo waren die Menschen, Pferde oder Ochsen, die sie zogen?

„Und jetzt?“ Calum sah mich fragend an.

Gavin schüttelte den Kopf. „Wir haben sie verloren.“

„Das ist der schlimmste Platz auf Erden.“ Eithne schauderte.

Calum nickte. Leise, aus Angst dadurch böse Geister zu erwecken, fragte er: „Was sind das für seltsame Wagen?“

„Ich habe nie davon gehört“, erwiderte Gavin.

Ich nickte. „Nicht einmal Breidhgar habe ich davon erzählen hören und wenn einer von Wagen wüßte, die ohne Zugkraft fuhren, dann er!“ Schließlich war er als Barde schon durch die halbe Welt gereist.

Mit einem Mal schien es noch kälter zu werden, fröstelnd rieb ich mir die Oberarme.

„Verdammt, was gäb’ ich für mein dickes wollenes großes Tuch und ein wollenes Hemd!“ Verdrossen sah ich mich nach allen Seiten um und entschied „Wir gehen weiter!“

„Wir müssen auf ein freies Feld, von da finden wir wahrscheinlich wieder zurück!“ Gavin klang wenig hoffnungsvoll, obwohl er sich mühte, uns, und am meisten wohl sich selber, Mut zuzusprechen.

„Woher sollen wir wissen, in welche Richtung wir laufen müssen? Wer sagt, daß wir uns nördlich halten müssen, um das Hochland zu erreichen? Und wie können wir unter diesem ganzen Licht erkennen wo Norden ist?“ Calum ließ seine Augen ängstlich suchend umherwandern. „Vielleicht sind wir bereits viel zu weit nördlich?“ Er zuckte zusammen, als hätte er einen Schlag abbekommen. Eithne legte ihm entschlossen die Hand auf die Schulter.

Ich wußte keine Worte die ihn hätten trösten können, denn im Inneren erging es mir nicht besser. Betroffen sah ich Gavin an und wußte er empfand den selben Kummer. Nur mit Willenskraft widerstand ich der Versuchung laut loszuschreien. Wir mußten einen kühlen Kopf bewahren, das Beste aus unserer aussichtslosen Lage machen. Ich sah Eithne an, warum war sie bloß so störrisch? Wenigstens sie könnte sicher zu Hause bei unseren Eltern sitzen.

Mutig tat ich den ersten Schritt in die uns unbekannte, fremde Welt. Ich dankte allen guten Geistern, daß sie mich nicht alleine auf den Weg geschickt hatten, und war mir wohl bewußt, wie eigennützig das von mir war.

Wir folgten dem harten, schwarzen Weg und immer mehr dieser seltsamen bunten Wagen mit Menschen darin sausten mit hoher Geschwindigkeit an uns vorbei. Es war unheimlich. Ich würde freiwillig niemals in ein solches Ding einsteigen. Es mußte ein mächtiger Zauber in ihnen stecken. Mit gemischten Gefühlen folgten unsere Blicke jedem dieser Gefährte. Ein riesiger Wagen, mit mindestens zwanzig Menschen darin, sauste in so hoher Geschwindigkeit an uns vorbei, daß der widerliche, graue Schneematsch bis an unsere Knie hochspritzte und unsere Beine naß und kalt werden ließ. Wütend hob Calum die Faust und schimpfte leise hinter dem Gefährt her.

Mein ganzer Körper schmerzte. Das Unbehagen über die zunehmenden Menschenmassen, die seltsamen Gebäude um uns herum und die eigenartigen Gefährte, jagten mir Angst ein. Niemand kümmerte sich um uns, obwohl einige Leute offensichtlich über uns lachten. Keiner sprach uns an, fragte nach wer wir waren oder woher wir kamen!

Wir liefen ohne zu zögern in das helle Kerngebiet, um welches die Gebäude gebaut waren. Unmittelbar in die Massen von Menschen hinein. Ich wunderte mich. Ich konnte nicht begreifen, wie wenig die Leute uns wahrnahmen, sie mußten doch bemerken, daß Fremde unter ihnen weilten! Ich hatte das Gefühl, daß diese Menschen sich nicht einmal untereinander kannten. Weder grüßten sie sich, noch beachteten sie die anderen mehr als uns, die Fremden. Was war das nur für ein seltsamer Ort, an den uns Gemmán geschickt hatte. Kannte er ihn? Hatte er gewußt wohin er uns brachte? Oder entsprang der schreckliche Zauber nur unserer Einbildung? Hatte Gemmán uns Kräuter eingegeben damit wir unter Wahnvorstellungen litten? Lagen wir in Wahrheit noch auf dem Altarstein des Steinkreises und träumten, während unser Vater und unsere Leute um uns herum standen und nicht eingreifen konnten? Mein Herz lag schwer in meiner Brust. Womöglich kämpften unser Vater und die anderen mit den MacBochras und wir lagen untätig daneben. Unfähig eine Bewegung zu machen oder eingreifen zu können?

Der Marsch strengte mich an. Nur gut, daß der Schnee nicht mehr so heftig fiel. Doch so lange wir liefen, und so weit wir den Wegen folgten, es wurde nur schrecklicher. Lauter und unheimlicher. Nichts deutete auf einen Ausweg oder ein freies Feld hin. Inzwischen gestand ich mir ein; wir hatten uns verirrt.

Drei Männer in grellroten Gewändern, die einen weißen, pelzigen Besatz an den Säumen hatten, gingen mit starren Gesichtszügen an uns vorbei. Auf den Köpfen trugen sie rote Mützen, denen der Wikinger ähnlich. Ich konnte erkennen, daß ihre langen weißen Haare und Bärte gar nicht echt waren. Was waren das nun wieder für Gestalten? Sie sahen so ganz anders aus, als die Menschen bisher.

Ich hielt Calum und Gavin am Arm zurück. Ich brauchte dringend eine Rast. Wir standen vor einer durchsichtigen Wand, hinter der sich ebenfalls die Menschenmassen tummelten. Gezwungen innezuhalten, beobachtete ich das Treiben im Inneren des Gebäudes. Niemand wunderte sich darüber, daß wir in den Wohnraum der Leute starrten. Einige Männer und Frauen in schwarzer, enganliegender Kleidung, schienen anderen Menschen Dinge zu zeigen, sie herumzuführen.

Da standen kleine silberne, schwarze und bunte Truhen, auf welchen die Leute herumdrückten, oder Klappen öffneten um silberne Scheiben hinein zu legen. Die anderen Menschen, die sich offensichtlich herumführen ließen, setzten sich eigenartige schwarze Hüte auf den Kopf, so daß ihre Ohren vollkommen davon bedeckt waren. Daraufhin bewegten sich einige auf der Stelle, als tanzten sie. Meine Gefühle vollführten ebenfalls einen wilden Tanz, in einer Mischung aus Angst und Neugierde, während ich das Treiben beobachtete.

Mir fiel eine Frau auf. Sie stand ebenfalls an einer dieser kleinen Truhen, in der Hand zwei silberne Scheiben und über den Ohren einen dieser seltsamen Hüte. Sie bewegte sich nicht in der selben Weise wie die anderen, sondern sah eher andächtig, nachdenklich ins Leere. Ihre kastanienroten Locken hingen ihr Gesicht umrahmend bis weit über die Schultern. Ich mußte bei ihrer Erscheinung an eine Füchsin denken. Sie trug ein wadenlanges Kleid aus einem rostroten Stoff und einen dunklen, den Farben der MacBochras ähnlichen, Umhang mit Ärmeln. Ihre Kleidung erinnerte mich trotz des ungewohnten Schnittes schmerzhaft an meine Heimat.

Unerwartet wandte sie mir ihr Gesicht zu und sah mich geradewegs an. Ihre hellbraunen, glänzenden Augen trafen mich in meinem Innersten. Wäre ich nicht sowieso in dieser schlechten Verfassung und Lage, hätte mich spätestens jetzt der Blitzschlag getroffen. Sie schaute mich geradewegs an, folglich nahm sie mich wahr! Sie war bisher die erste in dieser eigenartigen Welt, die uns bemerkte.

Gavin räusperte sich neben mir. Ich wandte mich ihm kurz zu. Auch er starrte auf die Frau hinter der durchsichtigen Wand.

Keltenzauber

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