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2.1Wein ‒ Historie und Produkt

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Antike Funde belegen eine lange Historie von Wein, denn schon im 6. Jahrtausend vor Christus wurde in Vorderasien Weinbau betrieben. Als europäische Ursprungsländer des Weines gelten Georgien sowie das heutige Armenien. In Deutschland ist Wein mit Fundstücken der Kelten an der Mosel schon 500 vor Christus nachgewiesen, durch die Römer wurden der Anbau und der Konsum in der Folge ausgedehnt. Wein war in der Römischen Kaiserzeit (bis 375 n. Chr.) das lukrativste Gut römischen Handels in Germanien. Germanen haben ebenso Wein kultiviert. Im ältesten erhaltenen germanischen Gesetzestext (Lex Salica ca. 500 n. Chr.) wurde Raub von Rebstöcken als Straftat festgeschrieben. In der Folge wurde Weinkultur maßgeblich durch Kirche und christliche Orden gefördert. Insbesondere der im Burgund initiierte Zisterzienserorden brachte über Klostergründungen Weinbaukompetenz nach Deutschland. Aber auch die weltliche Seite ‒ Karl der Große wird als ein Motivator für den Weinbau in Deutschland genannt ‒ hat den Weinbau vorangetrieben. Im Mittelalter erreichte die mengenmäßige Weinproduktion einen Höhepunkt. Wein profitierte von teilweise zugesprochener gesundheitsfördernder Wirkung, aber auch da Wasser wegen Verunreinigungen Ursache von Krankheiten sein konnte. Für Klöster war Wein ein wirtschaftliches Handelsgut, das maßgeblich zum finanziellen Erfolg beitrug. Klösterliche Erkenntnisse haben die qualitative Weinproduktion gefördert und sind heute noch erkennbar, beispielsweise am Qualitätsbegriff „Kabinett“, der auf die Lagerkammer für die besten Weine der Mönche hinweist. Die Weinkultur hat aber auch Tiefpunkte durchlebt. Neben Weltkriegen, Wirtschaftskrisen oder weinindustriespezifischen Unzulänglichkeiten (z.B. Glykol-Skandal) hat der Weinbau unter vernichtenden Krankheiten gelitten (insbesondere Reblaus). Dennoch konnte sich Wein über Jahrhunderte als kultivierte Genussform von Alkohol etablieren und vielfältige Weinevents sind als gesellige Zusammenkünfte Ausdruck auch moderner Weinfreuden.

Wein ist ein Getränk und entsteht aus alkoholischer Vergärung des Fruchtzuckers von Früchten. Im Folgenden wird von Wein aus Trauben, den Beeren der Vitis Vinifera, ausgegangen, was auch den Großteil der weltweiten Weinproduktion ausmacht. Obstweine (z.B. Kirsche) sind Produkte mit oftmals regionaler Nachfrage. Eine Ausnahme bilden die Weine aus alkoholischer Vergärung von Äpfeln, die sicherlich für die Mainregion und Frankfurt typisch (Äppelwoi oder Äppler) sind, sich aber auch als Cider oder Cidre verbreiteter Beliebtheit (z.B. französische Bretagne) erfreuen.

Von geschätzten mehr als 20.000 verschiedenen Rebsorten sind ca. 15% für die Weinproduktion zugelassen. Als Produktgattung ist die Weinbranche der Nahrungs- und Genussmittelindustrie zugehörig, in der Kategorie der alkoholischen Getränke. Aus dem Naturprodukt Traube wird über chemische und physikalische Prozesse und beeinflussende Verarbeitungsschritte ein Produkt Wein mit einem hohen emotionalen Nutzen für die Konsumenten erzeugt, was sich in einer sehr breiten Spannweite von Weinpreisen von unter zwei aber auch über 10.000 Euro für eine Flasche zeigt. Wein ist ein Erfahrungsprodukt, da erst durch den Konsum der Weingeschmack erlebt werden kann, zumal die Weinproduktion vom jeweiligen Erntejahr beeinflusst wird. Hochpreisige Weine haben sich auch als Anlageform etabliert (LivEx ist eine Börse, an der global Prestigeweine gehandelt werden). Weingüter bieten sich ebenso als Investitionsobjekt an. Damit spannt Wein einen Bogen von der Agrarindustrie, über Konsumgüter, zu Investitionsobjekten bis hin zu Luxusartikeln.


Abb. 6: Börse von Premiumweinen (Liv-Ex)

Ein als Qualitätswein deklarierter Wein wird in Deutschland amtlich auf Fehlerfreiheit geprüft. Im Anschluss an eine analytische Prüfung der Inhaltsstoffe durch ein amtlich anerkanntes Weinlabor, ob den gesetzlichen Vorgaben entsprochen wird, werden die Weine einer sensorischen Prüfung (Farbe, Geruch, Geschmack) unterzogen. Die Weine sollen den Angaben auf dem Etikett entsprechen und typisch sein, was durch eine zugeteilte amtliche Prüfungsnummer (A.P.Nr. auf dem Etikett) dokumentiert wird. Jedes weinbaubetreibende Bundesland hat hierfür eine zuständige Prüfungsbehörde. Da die Vegetation über den Jahresverlauf (Wärme, Niederschlag …) die Reifeentwicklung und somit die Weine prägt, können auch für Jahrgänge Qualitätsaussagen getroffen werden.

Unter den berühmtesten Weinjahren der Geschichte gilt 1811 als herausragend. Johann Wolfgang von Goethe schwärmte vom «Eilfer». Sein Loblied findet sich abgewandelt in Felix Mendelssohn Bartholdys Türkisches Schenkenlied op. 50/1 „Setze mir nicht, du Grobian, den Krug so derb vor die Nase! Wer Wein bringt, sehe mich freundlich an, sonst trübt sich der Elfer im Glase!“ (Kometenwein in Wikipedia)

Auch wenn die Qualitätsbeurteilung eine subjektive ist, werden Weine nach Güteklassen kategorisiert. Die Gütebestimmung orientiert sich auch in Deutschland zunehmend am Terroir. Dieser aus Frankreich entlehnte Begriff der Agrarwirtschaft umschreibt ein komplexes Zusammenspiel aus den Wein bestimmenden, lokalen Faktoren: Mikroklima, Boden, Geologie, Hydrologie, Sonneneinstrahlung, Rebsorte und Gelände. Der zur Bestimmung von Traubengüte herangezogene Zuckergehalt (Reifegrad und Lesezeitpunkt), welcher die klassische Qualifizierung der Prädikatsweine (z.B. Kabinett, Auslese) bestimmt, soll in den Hintergrund treten. Neben der Nennung kleiner geographischer Einheiten, den Einzellagen, erlangen „Große Gewächse“ und „Erste Gewächse“ in Anlehnung an die Klassifizierung aus dem Burgund (Grand Cru und Premier Cru) mit anspruchsvollen Qualitätsvorgaben und hierfür ausgewählten Parzellen eine zunehmende Bedeutung.


Abb. 7: Klassifizierungen von Wein in Deutschland

Auch in Kenntnis der Grundsystematik einer qualitätsorientierten Klassifizierung von Wein ist die Qualitätsbeurteilung komplex und bleibt letztendlich eine individuelle Entscheidung, denn Geschmack und Geschmacksempfindung unterliegen persönlicher, vielschichtiger Wahrnehmung.

Geschmack beschreibt den Sinneseindruck bei der Nahrungsaufnahme, ein komplexes Zusammenspiel von Geruchs- und Geschmackssinn (Sensorik), auch durch Temperatur, -empfinden und Optik beeinflusst. Vornehmlich werden Aromen vom Geruchssinn wahrgenommen. Eine gestörte Geruchswahrnehmung (z.B. Schnupfen) beeinträchtigt die geschmackliche Wahrnehmung. Die Sensibilität für die Wahrnehmung von Geschmacksreizen ist bei Menschen unterschiedlich ausgeprägt, auch genetisch bedingt (Normal-, Super- und Nicht-Schmecker, was auch anhand der Geschmacksknospen auf der Zunge bestimmt wird). Die Geschmackswahrnehmung nimmt im Alter ab. Süß, sauer, salzig, bitter und umami bilden die Geschmacksrichtungen, die Geschmacksempfindung und -bewertung werden durch Sozialisation und persönliche Entwicklung beeinflusst. Die angeborene Geschmacksaversion gegen Bitterstoffe wird nicht beibehalten, wie der Konsum von Kaffee oder Bier beweist. Die lustbeeinflussende (hedonistische) Bewertung von Geschmack und somit Präferenzen werden durch individuelle Erfahrungen geprägt. Geschmack, Genuss und Küche sind dabei zusammenhängende, kulturbedingte Phänomene, was besonders die Geschmacksempfindung von Wein bestimmt.

Weine bieten eine schier unendliche Vielfalt an Aromen. Die Aromenvielfalt wird unter anderem durch die Rebsorte, deren Klone, Terroir, Jahrgang, Anbaubedingungen, Zustand der Weinbeeren (z.B. Edelfäule), die Bedingungen der Weinlese und die Verarbeitung bestimmt. Qualität wird nicht nur durch die geschmackliche Beurteilung festgelegt, Typizität und Lagerfähigkeit des Weins sind beispielsweise weitere Determinanten. In der Folge haben sich Weine und Weinstile entwickelt, die Basis für eine Qualitäts- und letztendlich auch die Preisbestimmung sind.


Abb. 8: Beispiele unterschiedlicher Weinprodukte (Webseiten der Anbieter)

Die Komplexität und Vielfalt des Produkts Wein erklärt, warum der Großteil der Konsumenten nicht in Anspruch nimmt, über ein ausgeprägtes Weinwissen zu verfügen und dies als Basis für ihre Kaufentscheidung zugrunde zu legen. Neben den Qualitätsabstufungen, die sich in der Weinbezeichnung und auf dem Etikett wiederfinden, wird die Produktwahrnehmung durch das gesamte äußere Erscheinungsbild beeinflusst. Verpackung (Flaschenform/-qualität, Gewicht, Bag-in-Box), Verschluss (Schraub, Kork oder Glas), sowie die optische und inhaltliche Gestaltung des Weinetiketts definieren das physische Weinprodukt. Darüber hinaus fließen beim Wein Markenausstrahlung, Einkaufserlebnis und zunehmend die Persönlichkeit des Winzers und das Storytelling in die Produktwahrnehmung mit ein. Der Konsument kann dabei unter mehr als 10.000 deutschen, und einem Vielfachen an internationalen Produkten und Marken auswählen. Der Weinkauf ist somit durch eine Vielzahl von Entscheidungsparametern beeinflusst, wobei das finale Beurteilungskriterium „schmeckt“ oder „schmeckt nicht“ sowie der Erinnerungswert des Produktes einen Wiederkauf maßgeblich finalisiert.

Ein Kommentar des Weinguts Heymann-Löwenstein unterstreicht die Subjektivität der Qualitätswahrnehmung beim Wein: „Die Auszeichnung von der renommierten Plattform wein.plus für unseren 2019er Jahrgang hat uns ganz besonders gefreut. Denn die Weine wurden in der Szene mit Kommentaren von „ungenießbar“ bis „absolut großartig“ selten so kontrovers diskutiert. Und nun die Ehrung als „Kollektion des Jahres“ mit Laubach und Roth Lay als beste trockene Weine der Mosel! Das stärkt das Vertrauen in unsere Weine, in unsere Lagen und in unsere Arbeit. Und lehrt uns wieder einmal, dass alles subjektiv ist, und dass Weine mit einem starken Charakter nun mal anecken. Wir sind dankbar für alle, die genau das bei unseren Weinen suchen, die sich auf unsere Weine einlassen und uns auf unserem Weg begleiten.“ (Kunden-Infobrief 2021)

In Ermangelung objektiver Beurteilungsfähigkeit der Weinkonsumenten haben sich ergänzende Qualitätsbeurteilungen ausgeprägt. Prämierungen von Weinen werden als Qualitätsindikatoren genutzt. Experten beeinflussen die Qualitätswahrnehmung und die Kaufentscheidung. In der gehobenen Gastronomie beraten Fachkräfte mit entsprechender Aus- oder Fortbildung (Sommelier) die Gäste bei essensbegleitender Weinauswahl. Häufig verantworten sie die Weinkarte, den Einkauf, die Lagerung und die Bestandsführung. Was sich in der Hotellerie und Gastronomie ursprünglich mit dem „Guide Michelin“, der eine Übersicht und Qualitätsbeurteilung des Angebots publiziert und über Testkäufe fortlaufend aktualisiert, etablieren konnte, gibt es mit unterschiedlichen Publikationen und Verlagen auch reichhaltig für die Weinwelt.

Naturgemäß nehmen Absatzmittler (z.B. Weinfachhandel) eine entscheidungsunterstützende Rolle wahr. Im Lebensmitteleinzelhandel dient Wein als zentrale Kategorie zur Verkaufsförderung (Point-of-Sale-Promotion), um Kunden zum Einkauf in der Einkaufsstätte zu motivieren. Eine erkennbare Premiumisierung des Angebots und der Verkaufsprozesse sind über begleitende Expertenbeurteilung des Weinsortiments oder (virtuell unterstützte) Beratungsprozesse ersichtlich.


Weinexperten als Orientierungshilfe für die Konsumenten: Der Discounter Lidl wirbt mit und motiviert für die Nutzung eines ausgewiesenen Master of Wine, um der Kundschaft Weinexpertise bzw. Hilfestellung bei der Weinauswahl zu stellen.

Beim Weinkauf im Internet, über Online-Portale, aber auch in den sozialen Netzwerken und bei Suchmaschinen, kommt zunehmend sowohl die subjektive Bewertung der Konsumenten als auch die Bewertung in professionellen oder Liebhaber-Weinblogs zum Tragen. Preis wirkt bei Wein als Qualitätsindikator. Mit höherem Preis geht eine gesteigerte Qualitätsvermutung einher. Dennoch zeigen sich die deutschen Konsumenten auch beim Wein preissensitiv. So nutzt der Einzelhandel Angebote und Preisreduktionen bei der Kategorie Wein als Anker in der Werbung.

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