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2.3Angebot ‒ Betriebliche Wertschöpfung der Weinwirtschaft

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Weinproduktion ist Teil der landwirtschaftlichen Wertschöpfung. Die Wirtschaftsnationen charakterisierende Transformation von einer Primär- (landwirtschaftliche Produktion) in eine Tertiärgesellschaft (Service- oder Dienstleistungsunternehmen) hat zwar die wirtschaftliche Bedeutung als Anteil der Landwirtschaft am Bruttosozialprodukt gemindert, aber auch für Industriestaaten ist Landwirtschaft (z.B. Frankreich mit mehr als 50% der Flächenbeanspruchung durch Agrarproduktion) oder einzelne Produktionszweige (z.B. Deutschlands Exporte von Schweinefleisch) wichtig. Der Landwirtschaft kommt eine wichtige Rolle bei der Sicherung der Elementarbedürfnisse (Hunger), der Gesundheit der Bevölkerung aber auch der Zukunft des Planeten (Nachhaltigkeit) zu.


Abb. 12: Anteile an den Gesamtemissionen in der EU (in Anlehnung an Agrar-Atlas 2019)

Für die EU untermauern die der Landwirtschaft jährlich zugewiesenen Mittel von 60 Milliarden Euro dessen Bedeutung. Die Landwirtschaft ist enorm gefordert, denn Produktivitätssteigerungen, Marktmacht des Handels, Digitalisierung, Biodiversität, Nachhaltigkeit und Klimawandel stellen nur beispielhafte zu berücksichtigende Kräfte dar. Da die Landwirtschaft eine Nutzung von natürlichen Ressourcen (z.B. Land, Wasser) bedingt und durch die Produktion (z.B. Treibstoff für Ausbringung von Pflanzenschutz) verbraucht, kommt ihr eine gewichtige Stellung im Rahmen von Nachhaltigkeitszielen zu. Es zeigt sich aber auch ein Zielkonflikt aus landwirtschaftlicher Produktion und Belastung der Umwelt, wie beispielhaft die CO2-Verursachung. Fast 10% der EU-weiten CO2-Emissionen werden auf die Landwirtschaft zurückgeführt.

Eine Studie der Unternehmensberatung BCG quantifiziert die externen Nachhaltigkeitskosten der Landwirtschaft: „Die deutsche Landwirtschaft hat einen Anteil von rund 0,7 Prozent an der deutschen Bruttowertschöpfung. Dem stehen mindestens 7 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland gegenüber. Zusätzliche negative Externalitäten, zum Beispiel aus Luftschadstoffemissionen sowie für Wasser und Boden, verursachen externe Kosten von mindestens 40 Milliarden Euro. Berücksichtigt man darüber hinaus den Verlust von Biodiversität – das heißt insbesondere die Vielfalt der Arten, Gene und Lebensräume – und den damit einhergehenden Verlust von Ökosystemleistungen, erhöhen sich die externen Kosten der Landwirtschaft nach vorsichtigen Schätzungen um weitere 50 Milliarden Euro. In Summe verursacht die deutsche Landwirtschaft externe Kosten von mindestens 90 Milliarden Euro pro Jahr. Daneben fallen jährlich zusätzliche staatliche Ausgaben von rund 10 Milliarden Euro an.“ (BCG 2019)

Weinbau ist integrierter Bestandteil der Agrarpolitik in der EU. Er wird über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Länder geregelt und orchestriert. Dabei ist Wein trotz der Zugehörigkeit zu alkoholischen und somit suchtgefährdenden Produktgattungen eine Branche, die in der Gesellschaft und in der EU-(Agrar)-Politik weitgehende Unterstützung erfährt. Die Weinbranche kann auf unterschiedliche Fördermittel in beträchtlichem Ausmaß zugreifen. Auch wenn die Umsetzung der Programme bei den Mitgliedsländern und über die Länder konkretisiert wird, profitieren besonders die großen Weinbaunationen von den Förderprogrammen.


Abb. 13: Zahlungen der EU für den Weinbau 2014 – 2018 (in Anlehnung an Agrar-Atlas 2019)

Wein ist stellvertretend für andere Branchen (z.B. Lebensmittel-, Auto- oder Unterhaltungsindustrie) ein Beispiel, wie unsere Gesellschaft zunehmend vor der Herausforderung steht, unsere Lebens- und Genusskultur und unsere Wirtschaftsstrukturen mit unserer Gesundheit und den Lebensbedingungen auf unserem Planeten in Einklang zu bringen. Um Wein genießen zu können, muss dieser angebaut, produziert und vermarktet werden. Aus betrieblicher Sicht resultieren somit die Wertschöpfungsstufen Anbau, Produktion und Vermarktung. In jeder Wertschöpfungsstufe wird Wert generiert, sie sind voneinander abhängig und jeweils wird die Umwelt beeinträchtigt.

Wertschöpfung liegt vor, wenn ein Betrieb eine wertsteigernde Transformation realisiert. Das Ergebnis des Transformationsprozesses muss entsprechend wertiger sein als die Summe der in der Transformation verarbeiteten Güter und Leistungen. Die Berechnung der Wertschöpfung betrachtet somit die abgesetzte Leistung abzüglich aller Vorleistungen und eingesetzten Güter. Die Schritte im Transformationsprozess, die zeitlich aufeinanderfolgend die betriebliche Wertschöpfung gewährleisten, werden als Wertschöpfungsstufen bezeichnet. Mit der Wertschöpfungstiefe wird gemessen, wie hoch der Anteil eines Unternehmens an der Produktion ist.

Wertschöpfung und ihre Stufen sind industriespezifisch. Bei der Schmuckindustrie werden vornehmlich hochwertige Edelmetalle (z.B. Gold, Platin) teilweise in künstlerischer Handarbeit und vielleicht nach Kundenwunsch verarbeitet und es werden oftmals Kunstwerke gefertigt. Die Wertschöpfung in der pharmazeutischen Industrie erfolgt durch aufwändige Forschung von Wirkstoffen, wobei die Produktion von Pharmaka oftmals geringe Güterwerte durch industrielle Großanlagen verarbeitet und an spezifische Abnehmer (z.B. Ärzte, Apotheken, Krankenhäuser) liefert. Auch innerhalb einer Branche werden die Wertschöpfungsstufen nicht einheitlich wahrgenommen. Mit dem Begriff der Wertschöpfungstiefe wird charakterisiert, dass ein Unternehmen festlegen muss, welche Schritte betriebsintern wahrgenommen werden sollen und welche durch Partner oder Zulieferer zu erbringen sind.

Die Wertschöpfung bei der Weinproduktion ist ebenso wie die Vermarktung und der Konsum global äußerst facettenreich. Frankreich ist quantitativ und qualitativ eines der bedeutendsten Weinbaugebiete der Erde und Wein macht in der französischen volkswirtschaftlichen Wertschöpfung einen weit höheren Anteil aus als vergleichsweise in Deutschland. Weine und weinbauliche Standards orientieren sich bis heute an französischen Vorbildern, insbesondere aus Bordeaux, dem Burgund und der Champagne. Paris ist Sitz der Internationalen Organisation für Rebe und Wein (OIV). Französische Rebsorten wie Chardonnay, Merlot oder Cabernet Sauvignon geltend als Klassiker. Die USA hat zur Zeit der Prohibition den Weinbau untersagt. Mittlerweile sind viele Weine aus Kalifornien international gefragte Produkte und dynamisches Wachstum an Weinerzeugern und von Wein in anderen Regionen der USA (Oregon, Washington) spricht für eine zunehmende Rolle dieser Industrie. Das „Judgement of Paris“, eine vom Weinhändler Steven Spurrier am 24. Mai 1976 organisierte Weinprobe in der französischen Hauptstadt, ging als Zäsur in die Annalen ein. Die hierfür berufene Jury hat bei einer Blindverkostung von Weinen die kalifornischen zur Überraschung der Weinwelt als Sieger vor den französischen Weinen gekürt. Diese Beurteilung wurde als revolutionär für die Branche wahrgenommen und als Indiz gedeutet, dass Weinproduktion auch in nachziehenden Regionen beste Weinqualitäten erlaubt. Weitere Weinbauregionen der sogenannten „Neue Welt Weinbauregionen“ (Alte Welt = Europa) warten ebenso mit unterschiedlichen Charakteristika auf, wobei diese Länder vornehmlich im internationalen Handel eine Perspektive gefunden haben. Neuseeland hat in der letzten Dekade seinen exportierten Warenwert beim Wein nahezu verdoppelt. Australien kann zwar auf einen heimischen Absatzmarkt zählen, der Export ist aber enorm wichtig. Dabei wirken Währungsschwankungen und Zölle fördernd oder behindernd, was ein aktueller Handelsstreit mit einem Einbruch des chinesischen Weinimports untermauert. China, ein Land mit schon frühzeitigem Weinbau aber einer Dominanz von Reisweinprodukten, weist ein enormes Wachstum an bestockter Rebfläche aus und hat sich bei der Weinbaukapazität in den letzten Jahren unter die vier führenden Weinbaunationen katapultiert. Die Produktivität und der weinbauliche Ertrag halten mit der Kapazitätsausweitung noch nicht Schritt, die Qualität wurde bei Rückgriff auf weinbauliche Kompetenz der alten Weinwelt hingegen gesteigert. Südamerikanische Weinproduktion profitiert ebenso vom weltweiten Weinhandel bei Fassweinen aber auch bei Flaschenweinen. Dies trifft auch auf Südafrika zu, wo sich der Weintourismus dynamisch entwickelt hat. Die Produktionsstruktur in der neuen Welt weicht stark von der alten Welt ab, wie sehr große Weingüter in Chile oder Argentinien veranschaulichen. Nordamerika belegt, dass mit dem Produktionswachstum sich auch voluminöse Weinkonsummärkte entwickeln.

Pressemeldung: Australien reicht Beschwerde bei der Welthandelsorganisation ein. Australische Winzer haben in den vier Monaten von Dezember bis März Wein im Wert von umgerechnet neun Millionen US-Dollar nach China geliefert. Für das Jahr zuvor weist die Statistik gut 240 Millionen Dollar aus. Experten sind überzeugt, dass die hohen Zölle die entscheidende Ursache dafür sind. (Reuters 2021)

In Deutschland ist der wirtschaftliche Beitrag der Weinindustrie aufgrund der erfolgreichen Entwicklung zu einer Industrienation mit global gefragten Produkten und resultierender industrieller Dominanz (z.B. Automobil, Chemie, Maschinenbau) überschaubar, aber die gesellschaftliche und naturprägende Verankerung übersteigt den rein monetär bewertbaren Wirtschaftsbeitrag.

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