Читать книгу Nachhaltiges Unternehmertum - Marc Dreßler - Страница 15
2.2Nachfrage – Weineinkauf und Weinkonsum
ОглавлениеDer deutsche Weinkonsum zeigt sich seit Jahren mit einem summierten jährlichen Volumen von über zwei Milliarden Litern Wein stabil, während in anderen traditionellen Weinländern die Konsummenge aufgrund eines nachlassenden Pro-Kopf-Verbrauchs drastisch sinkt.
Abb. 9: Deutscher Weinkonsum im Vergleich zu den führenden Konsumländern (auf Basis DWI)
Die deutschen Weinkonsumenten geben mehr als 13 Milliarden Euro für ihren Weinkonsum aus. Obwohl Deutschland als Biernation bekannt ist – die Berühmtheit des Oktoberfests in München untermauert diese internationale Wahrnehmung – und die Deutschen mehr Bier als Wein konsumieren, belegt Deutschland international Platz vier beim kumulierten Weinkonsum, hinter USA, Frankreich, Italien. Im Schaumweinmarkt (z.B. Sekt und Champagner) ist Deutschland die Nation mit dem weltweit höchsten Konsum, auch wenn Sekt, wie alle anderen alkoholischen Getränke außer Wein, rücklaufendem Konsum unterliegen. Konsumstatistiken und Konsumentenbefragungen bescheinigen übereinstimmend, dass Bier am häufigsten und oftmals als Alltagsgetränk konsumiert wird, gefolgt von Wein mit einer deutlich geringeren Trinkfrequenz, während Sekt vornehmlich anlassbezogenen getrunken wird.
Das Alter der Konsumenten beeinflusst das Konsumverhalten, schon weil alkoholische Getränke erst mit Eintritt einer Altersgrenze verfügbar werden. Beim Trinkalter folgt Wein dem Bierkonsum, was durch höheren Preis aber auch im Produkt begründet ist. Häufig wird Bier als bekömmlicher (Wein und Säure) und einfacher (Flaschenkonsum) wahrgenommen. Regionale Konsumunterschiede von Wein sind für Deutschland charakteristisch. Dabei ist nicht nur Weinbauregion versus Nichtweinbauregion entscheidend, sondern Nord versus Süd, Ost versus West, Stadt versus Land. Neben lokaler und regionaler Weinkultur hat auch die Kaufkraft Einfluss.
Abb. 10: Regionale Ausgaben pro Kopf für Wein (ohne Gastronomie) (in Anlehnung an Milbradt 2015, Illustration Jörg Block)
Es wird zwischen dem Eigenverbrauch (Hauskonsum) und dem Außerhaus-Konsum unterschieden. Außerhaus-Konsum umfasst die Gastronomie und auch den Verzehr bei Veranstaltungen und Festen. In einer Mengenbetrachtung dominiert der Eigenverbrauch, da mehr als 80% des Weinkonsums entweder beim Winzer (Weingut oder Genossenschaft) oder im Handel gekauft wird. Zunehmende Versorgung im Internet (E-Commerce) erfolgt durch einen Direktkauf im Webshop des Winzers und indirekt durch Inanspruchnahme von Online-Angeboten des Lebensmitteleinzel- oder Fachhandels sowie Online-Verkaufsplattformen. Betrachtet man die Ausgaben der Konsumenten, gewinnt der Außerhaus-Konsum im Vergleich zur Absatzbetrachtung, da der hierbei vereinnahmte Weinpreis neben den Gewinnansprüchen aller Beteiligten die Serviceleistungen und die notwendige Infrastruktur beinhaltet.
Der Weinkonsum entwickelt sich in Intensität und Produktwahl über das Lebensalter der Konsumenten. Mit steigendem Einkommen und mehr auf Genuss ausgerichteten Lebens- und Essgewohnheiten ‒ ausgeprägter mit ansteigendem Alter ‒ werden hochwertigere Weinprodukte konsumiert. Der Erwerb von Wein aber auch die Produktentscheidungen innerhalb der Kategorie Wein hängen angesichts der gespreizten Weinpreise vom verfügbaren Einkommen ab. Zudem haben die Lebenswelten und Werte einen starken Einfluss auf das Konsumverhalten, was religiös bedingter Verzicht auf Alkohol veranschaulicht. Zu Weinkonsum in Deutschland geben beispielsweise die an Sinus-Milieus angelehnte Typologien Auskunft.
Sinus-Milieus beschreiben die vom Sinus-Institut auf Basis der Lebensauffassung und Lebensweise sich als homogen charakterisierende Gruppierungen in einer Gesellschaft. Die Milieu-Einteilung betrachtet die soziale Lage (Unter-, Mittel-, Oberschicht) und die Werteorientierung (Tradition versus Moderne).
Abb. 11: Konsumenten-Cluster bei Weinkonsumenten auf Basis von Sinus-Milieus (in Anlehnung an Schipperges 2013)
Traditionsorientierte Menschen mit einem gehobenen Einkommensniveau kaufen etablierte Markenprodukte und greifen oftmals auf regionale Hersteller oder bekannte internationale Weingüter zurück. Die im Rahmen der Milieus als „Moderne“ deklarierten Konsumenten begeistern sich für neue Anbieter, internationale Herkünfte und sind modischen Produkten gegenüber aufgeschlossen (z.B. freche Weinprodukte von unbekannten Anbietern).
Dass Lebensstil Basis für Produktkreationen sein kann, zeigt das Praxisbeispiel „Apothic Red“. Der Wein wurde vom Weinkonzern Gallo kreiert und soll junge Personen mit weniger Weinaffinität ansprechen ‒ Wein statt Bier zum Grillen! Dabei wird auf Wertigkeit, Dynamik, Kraft und Mystik gesetzt, wobei der Wein auch wegen eines höheren Restzuckergehalts bei Weinanfängern Trinkfreude erweckt.
Lebensstil-orientierte Segmentierungen können in der Zielgruppendefinition und - ansprache genutzt werden. Schon anhand der Adresse und demografischer Informationen werden Lebensstilzuordnungen ermöglicht. Auch das häufig zur Segmentierung genutzte Einkaufsverhalten lässt sich mit Lebensstil-Aussagen kombinieren. Discounter werden von einkommensschwächeren oder preissensitiven Haushalten genutzt. Die Einkaufsstätte (Wein-)Fachhandel hingegen spricht für hedonistische Lebensweise. Gesellschaftliche Veränderung und Wertewandel verändert die Gruppengrößen. Das Segment „Klassische Weinkenner“ vereinte vor 30 Jahren circa ein Fünftel der deutschen Weinkonsumenten, heute macht das Segment 3% aus. Dieser Wertewandel zeigt sich auch in den Entscheidungsfaktoren und deren Relevanz beim Einkauf. Deutschland gilt als preissensibles Land. Weineinkauf wird durch persönliche, aber auch situative Einkaufsfaktoren bestimmt. Wenn eine Flasche Wein verschenkt werden soll, sind andere Faktoren ausschlaggebend als beim Kauf von Wein als Essensbegleiter zum Eigenbedarf. Ob beim Winzer vor dem Kauf mit unterstützenden Worten des Weinguts probiert wird oder ein Regalkauf im Rahmen des wöchentlichen Haushaltseinkaufs gegeben ist macht einen Unterschied. Die vielen Studien zur Analyse des Weineinkaufsverhaltens warten mit unterschiedlichster Relevanz der Faktoren und teilweise widersprüchlichen Aussagen auf. Sie können mit zwei Aussagen auf einen Nenner gebracht werden. Weinkauf ist komplex und es wirken viele Faktoren (Farbe, Rebsorte, Herkunft, Preis, Geschmack, Marke, Etikett, Flasche, Verschluss …). Insbesondere die Gewohnheit und der Preis helfen den Konsumenten, eine Auswahl bei der Reichhaltigkeit des Angebots zu treffen.
Der Wertewandel verändert das Einkaufsverhalten der Konsumenten. Aus Zeitmangel werden die Einkaufsaktivitäten reduziert. Neugier bestimmt besonders beim Wein die Produktwahl. Bequemlichkeit und die Nutzung von Online-Infrastruktur erhöht die Transparenz und erleichtert den Einkaufsprozess. Nachhaltigkeit und Vertrauen sind Werte, die im Einkaufsverhalten an Einfluss gewinnen. Für die Anbieter bedingen diese Veränderungen ein strategisches Handeln und eine Nachhaltigkeitsorientierung. Neue Kunden müssen gewonnen und gepflegt werden, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern.