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Montag, 10. Mai 1915, Folkestone
Schlechtes Wetter

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Kurz nach 20 Uhr waren Joe Campbell und Bernhard Engel, alias Pascal Legros, am Samstagabend in Folkestone eingetroffen. Die Sussex hatte nicht mehr auf den verspäteten Zug gewartet. Der Zug war nicht voll gewesen. In diesen Zeiten nicht wirklich verwunderlich. Wer reist schon in Krisenzeiten wie diesen auf das Festland? Das Militär wird über Dover versorgt. Dover–Calais ist die kürzeste und schnellste Verbindung über den Ärmelkanal. Die zivile Schifffahrt ist daher nach Folkestone ausgewichen, obwohl die Passage etwas länger dauert. Immerhin gibt es einen regelmäßigen Fährdienst, der momentan allerdings lediglich von der SS Sussex aufrecht gehalten wird. Nun sitzen sie aufgrund schlechten Wetters auf dem Kanal seit einem Tag hier in Folkestone fest. Eigentlich geht das Schiff täglich um 19 Uhr und ist dann um drei Uhr in der Nacht in Dieppe. Scheinbar konnte der Dampfer allerdings gestern Morgen in Frankreich bei den vorherrschenden Wetterbedingungen nicht auslaufen und musste in der Nacht zur Insel zurückkehren. Ausnahmsweise soll er dann heute bereits am Vormittag die Passage zurück nach Frankreich antreten.

Auf dem Bahnhof in London St. Pancras hatte Bernhard Engel am frühen Samstagabend den Professor angesprochen. Beide warteten auf den verspäteten LB&SCR-Zug mit dem sie schließlich nach Folkestone weitergereist waren. Engel verwickelte Campbell in ein unverfängliches Gespräch, und der Professor war einer Plauderei nicht abgeneigt. Er gab sich als Monsieur Pascal Legros aus und erzählte, dass auch er mit der Lusitania von New York gekommen wäre. Er schriebe für den Le Figaro und hätte in New York Recherchen über die Bereitschaft der USA, England und Frankreich im Krieg gegen das deutsche Kaiserreich zu unterstützen, betrieben. Er gab, wie so oft bei solchen Einsätzen, den patriotischen Franzosen. Sein Französisch ist fast akzentfrei und bei einem Ausländer dürfte es ohnehin keinerlei Verdacht wecken. Nun wäre er auf der Heimreise nach Paris, erzählte er. Joe Campbell schien ihm die Geschichte abzukaufen. Jedenfalls hat er bis jetzt ein ganz gutes Gefühl. Es scheint ihnen auch niemand gefolgt zu sein. Bislang konnte er keinen Verdächtigen ausmachen. Normalerweise gingen die Briten bei Observationen nicht gerade feinfühlig vor. Schon etliche Male in seiner Londoner Zeit hat er britische Spione entdeckt und erfolgreich abgeschüttelt.

Vorgestern Abend war er zusammen mit dem Professor im Bouverie Hotel in Folkestone abgestiegen, nachdem das Schiff ohne sie ablegte. Am gestrigen Sonntag machten sie nach einem gemeinsamen Frühstück einen Spaziergang zum Hafen. Unter dem Vorwand, noch etwas für die Zeitung schreiben zu wollen, zog er sich dann gegen Mittag auf sein Zimmer zurück. Den ganzen Nachmittag verbrachte er schließlich damit, über das Büro in London etwas über den Verbleib von Heinrich, Karl und Paul herauszufinden. Doch seine Sekretärin konnte ihm nicht weiterhelfen, obwohl er zweimal mit ihr von der Hotel-Lobby aus telefonierte. Berlin wusste ebenfalls nichts.

Es ist nun mittlerweile Montagmorgen kurz vor acht Uhr. Seit gut zehn Minuten sitzt Engel im Frühstücksraum und hält sich an einer Tasse übel schmeckenden Ersatzkaffees und einer Tageszeitung fest. Kurz überfliegt er die Meldungen. Fast alles dreht sich um den Krieg in Frankreich und Belgien. In Großbritannien lassen sich wöchentlich 25.000 bis 30.000 junge Männer freiwillig in Rekrutierungslisten eintragen, erfährt er. Im britischen Unterhaus brachte der Schatzkanzler David Lloyd George das Haushaltsbudget 1915/16 ein. Es weist einen Fehlbetrag von 862 Mio. Pfund Sterling aus. Sollte der Krieg bis September beendet sein, würde sich der Fehlbetrag auf 516 Mio. Pfund verringern. Auch interessant, denkt er. So langsam geht der Krieg den Engländern ins Geld. Lange kann er wohl nicht mehr dauern, wenn das so ist. Gut so. Auf der Nordsee wurde, allerdings schon am 3. Mai, ein britisches U-Boot von einem deutschen Marineluftschiff mit Bomben angegriffen und versenkt! Bei Ypern, nördlich des französischen Arras auf belgischem Gebiet, in den Argonnen und auf den Maashöhen in Frankreich finden heftige Kämpfe statt. Die Deutschen und die Entente setzen schwere Artillerie ein, ist zu lesen.

»Bon jour, Monsieur Campbell«, begrüßt Engel den Professor, als dieser den Frühstücksraum betritt.

»Ah, Monsieur Legros, guten Morgen!«, erwidert Joe den Gruß. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

Engel ist bereits aufgestanden und bietet seinem Reisebegleiter den freien Platz an seinem Tisch auf der gegenüberliegenden Seite an. Er hat den Tisch gleich in der Nähe des Eingangs gewählt, um den Professor abzupassen. Die Sussex soll um zehn Uhr ablegen, und sie wollen gegen halb neun das Hotel verlassen, haben sie gestern Vormittag noch gemeinsam überlegt. Zum Frühstück sind sie zwar nicht wirklich verabredet, aber es ist irgendwie selbstverständlich, dass sie sich als Alleinreisende, wie bereits gestern, auch heute Morgen einen Frühstückstisch teilen. Das Hotel ist nicht ausgebucht. Lediglich ein älteres englisches Ehepaar und zwei französische Offiziere in Uniform sitzen im Frühstücksraum. Das Frühstück, bestehend aus Rührei, Butterbroten und Ersatzkaffee, schmeckt ihm zwar nicht sonderlich, aber angesichts des relativ günstigen Übernachtungspreises hat Engel auch nichts anderes erwartet.

»Sie lehren also Elektrotechnik, obwohl sie eigentlich Physiker sind, Herr Professor?«, erkundigt sich Engel.

»Ich habe mich spezialisiert«, erwidert Joe. »Elektrotechnik ist eine faszinierende, aber noch junge Wissenschaft. Wenn ich mich recht entsinne, haben die Deutschen 1883 an der Technischen Hochschule in Darmstadt zum ersten Mal einen derartigen Studiengang eingeführt. Kurze Zeit später folgten dann das University College in London und die University of Missouri. Wenn man überlegt, was aus dem relativ einfachen Zeigertelegrafen des Werner von Siemens in nur einem halben Jahrhundert geworden ist! Mittlerweile sind wir in der Lage, drahtlos miteinander zu sprechen! Die US Navy hat sogar einige Schiffe mit modernsten Sprechfunkgeräten ausgestattet! Ganz zu schweigen vom Seefunkdienst. Hunderte von Kilometern ist die Nachrichtentechnik heute in der Lage mit den modernen Marconi-Geräten zu überbrücken. Morsezeichen natürlich.«

»Wie langweilig ist da doch mein Beruf«, scherzt Engel. »Obwohl es manchmal spannend ist, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, was wir Journalisten so gerne tun. Aber erst mal freue ich mich so richtig auf Paris, meine Heimat! Wenn ich drei Wochen lang keine Chansons höre und kein Baguette zu essen bekomme, krieg ich Heimweh.«

Die beiden Männer lachen und unterhalten sich noch zwanglos. Zwanzig Minuten später stehen sie mit ihren Koffern vor dem Hotel und steigen in das Taxi, das der Portier ihnen gerufen hat.

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Zeitfunk - Lusitania never happened

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