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Freitag, 26. Februar 1915, Cambridge
Nachricht aus Paris

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Gerade war der Postbote da. Jeden Morgen wird in der Harvard University die Post an die Professoren von einem Mitarbeiter der internen Poststelle ausgetragen. Der Brief, den Joe in den Händen hält, ist adressiert an »Professor Dr. Josef Campbell, Harvard University, Massachusetts Hall, Cambridge, MA 02138, United States of America.« Eilenden Schrittes geht er an seinen Schreibtisch und öffnet den Briefumschlag.

Paris, 30. Januar 1915

Mein lieber Freund und Kollege, werter Herr Prof. Dr. Campbell,

mit Freuden erhielten meine Frau und ich Ihre Neujahrsgrüße in dieser schweren Zeit. Meiner Frau und mir geht es so weit gut. Wir leben hier in Paris mit allerhand Einschränkungen. Der Feind steht keine 100 Kilometer nordöstlich der Stadt und droht uns zu überrennen. Beten wir zu Gott, dass es nicht so weit kommen wird. Sicherlich erinnern Sie sich noch an die quirlige Innenstadt und die Straßen hier in Paris, an den Eifelturm, an den Louvre. Es ist sehr ruhig geworden mittlerweile. Private Automobile fahren kaum noch. Sie sind entweder vom Militär requiriert, oder aber das zur Fahrt benötigte Benzin ist nicht erhältlich, da auch dieses zuerst militärischen Zwecken zur Verfügung steht. Selbst die Straßen sind vom Kriege in Mitleidenschaft gezogen. Die Avenue de l'Allemagne heißt seit vergangenem Sommer Avenue Jean-Jaurés, die Rue de Berlin ist umbenannt in Rue de Liège. Das Grand Palais ist mittlerweile ein Militärhospital. Sie würden die Stadt nicht wiedererkennen. Die deutsche Artillerie beschießt regelmäßig die Vorstädte im Norden, und sogar deutsche Luftschiffe wurden schon über der Stadt gesichtet.

Mit großem Interesse habe ich über Ihre Forschungen gelesen. Ihre kürzlichen Entdeckungen sind, wie Sie selbst schreiben, vielversprechend und von unschätzbarem Wert. Dennoch sind sie sehr sensitiv, was deren öffentliche Verbreitung anbelangt. Ich habe mich bereits an den zuständigen Sekretär im Staatsministerium gewandt. Verständlicherweise werden nur noch Forschungsprojekte genehmigt, die unmittelbaren militärischen Nutzen versprechen. Der Sekretär sagte mir in einer ersten Stellungnahme sein Wohlwollen und das des Ministers bereits zu. In Anbetracht der aktuellen kriegsbedingten Lage in Paris ist in jeglicher Hinsicht Eile geboten. Wenn wir es bewerkstelligen, das Forschungsetat für mein laufendes Programm aufzustocken, steht Ihrem Ansinnen nichts im Wege, an der Université de Paris Ihren Forschungen weiter nachzugehen. Das hiesige Direktorat und auch ich wären geehrt, Sie als Gastprofessor in unserer Stadt begrüßen zu dürfen.

Mit Verlaub und auf ausdrücklichen Wunsch unseres Herrn Staatssekretärs soll die weitere Kommunikation in dieser Sache unter strengster Geheimhaltung stattfinden. Sie werden ersucht, in Briefen oder Telegrammen keine Einzelheiten bezüglich Art, Verwendung oder sonstiger Angaben über die Forschungen zu nennen. Sobald es mir möglich ist, werde ich Nachricht über den Entscheid der Dinge hier in Paris senden. Um den Postweg zu verkürzen, werde ich Ihnen künftig telegrafisch kabeln und erbitte Mitteilungen ebenso auf diesem Wege.

In schweren Zeiten ist es wichtig, dass man sich auf gute Freunde verlassen kann. Ihren Patriotismus für unser Land in allerbesten Ehren. Vive la France!

Hochachtungsvoll,

Dr. Jean-Yves Marchand

Professor der Physik

Université de Paris

Am Neujahrstag hatte er an seinen Freund, Jean-Yves Marchand, in Paris geschrieben. Nachdem ihm sein Experiment noch mehrere Male hintereinander gelang, war er sich schließlich sicher. Er hatte eine Sensation entdeckt. Tagelang hatte er überlegt, ob und wem er die Entdeckung mitteilen sollte, und war schließlich zum Entschluss gekommen, seinen langjährigen Freund, Dr. Marchand, ins Vertrauen zu ziehen.

Joe ist sich nach wie vor noch nicht ganz im Klaren darüber, welchen praktischen Nutzen diese Erfindung haben könnte, doch ist er sich sicher, dass diese den Kriegsverlauf in Europa beeinflussen kann – vorausgesetzt, es wird mit Nachdruck und den nötigen Mitteln daran gearbeitet, die Ergebnisse zielgerichtet weiterzuentwickeln. Was nicht alles könnte man mit einem derartigen Medium bewirken? Es dürfte nicht all zu spannend sein, Informationen aus der Vergangenheit zu empfangen. Prinzipiell sind diese zum Zeitpunkt des Empfangs ja bereits bekannt. Man stelle sich nun aber vor, es gelänge, Nachrichten von der Gegenwart in die Vergangenheit zu senden. Oder, anders herum gedacht, von der Zukunft in die Gegenwart! Die Entente von Engländern und Franzosen könnte ihren Feinden, den deutschen Truppen, zu jeder Zeit um ganze zweieinhalb Tage voraus sein! Truppenbewegungen und Angriffe ließen sich präzise planen. Vielleicht ließe sich damit der Krieg in Europa, der nun schon seit über einem halben Jahr dauert und viele Menschenleben fordert, zumindest verkürzen. Ein Ende scheint momentan nicht absehbar zu sein.

Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr hatte Joe neben der Verifizierung des neu entdeckten Effektes größtenteils auch damit zugebracht, den Empfänger wieder in seinen Originalzustand zurückzuversetzen. Er lötete den alten Kondensator wieder ein. Damit funktionierte die Verbindung nicht mehr ganz so stabil, dennoch empfing er die Signale aus der Vergangenheit. Sie waren von einem starken Rauschen überlagert. Das eigentlich Erstaunliche ist allerdings, dass der Signalempfang aus der 60-stündigen Vergangenheit nur in der Mitte des Raumes funktioniert! Am alten Platz, an den er den Tisch mit den Apparaturen mittlerweile auch wieder zurückgeschoben hat, funktioniert das Ganze nicht.

Noch ist ihm völlig rätselhaft, was es damit auf sich hat. Wäre es an jenem Abend nicht so bitterkalt gewesen, hätte er den Tisch nicht zum Ofen gezogen. Er hätte die Entdeckung vermutlich nie gemacht. Etliche große Entdeckungen und Erfindungen sind teilweise den seltsamsten Zufällen zu verdanken.

So ist es nun einmal. Zusammen mit John und seinen Studenten hat er seit Jahresbeginn auch die Funkverbindung stabil einrichten können. Mittlerweile haben sie die Gerätschaften noch etliche Male umgebaut und vermessen. Eine Fernsprechverbindung mit Johns Apartment herzustellen, ist mittlerweile zur Routine geworden. Den ausgebauten Kondensator übrigens, hat er bereits Mitte Januar in Sicherheit gebracht. Diesen will er unbedingt mit nach Paris nehmen. Er glaubt zwar nicht, dass die Entdeckung des Phänomens mit dem Kondensator zusammenhängt, aber irgendwie war dieser eben mit dabei, als es geschah. Vielleicht ist es einfach nur ein Stück weit Sentimentalität, denkt sich Joe Campbell.

Um für sein Abenteuer in Frankreich gewappnet zu sein, muss er sich nun umgehend daranmachen, sämtliche Baupläne und technischen Beschreibungen zu kopieren. Wohlweislich hat er den Bauzustand aller Geräte, einschließlich der Messgeräte, vom Dezember genauestens dokumentiert. Lange genug Zeit und Muse hatte er dafür in den Weihnachtsferien. Außerdem dürfte es Sinn machen, sämtliche Pläne des Raumes, der elektrischen Leitungen und aller Wasserrohre, die in der Nähe sind zu kopieren – besser noch, sie im Original mitzunehmen. Wer weiß, was es mit der Räumlichkeit auf sich hat. Womöglich wirken ja die Wasser- und Stromleitungen in irgendeiner unerklärlichen Weise als Antennen.

Vielleicht ist es auch nicht verkehrt, den Raum fotografieren zu lassen, solange er noch halbwegs in dem Zustand ist wie vor Weihnachten. Zur Hausverwaltung hat er gute Kontakte, und wie immer wird ihm auch etwas einfallen, warum er ganz dringend die Baupläne des Gebäudes benötigt. Wenn er sie erst einmal hat, wer weiß, vielleicht fällt ihm ja noch ein Detail auf, das für seine Entdeckung ausschlaggebend sein könnte. Also wird noch eine Menge Arbeit auf ihn zukommen in den nächsten Tagen und Wochen. Wenn Nachricht aus Paris kommt, muss es eventuell sehr schnell gehen. John hat übrigens keinerlei Verdacht geschöpft. Die weiteren Verbindungen mit der Vergangenheit hatte Joe auch nicht mehr protokolliert, um nicht in Erklärungsnöte zu geraten.

Bei seinem Rektor würde er um unbezahlten Urlaub anfragen. Auf unbestimmte Zeit. Die Bitte, als Freiwilliger in die Dienste der französischen Regierung zu treten, kann ihm sein Rektor in Zeiten wie diesen wohl kaum abschlagen – schließlich fühlt er sich als Sohn eines ausgewanderten Schotten und einer Französin irgendwie ein klein wenig als Europäer.

Zudem sind die Franzosen mittlerweile, was die Forschung an Radiowellen angeht, fast gleichauf mit den Vereinigten Staaten und Deutschland. Ein Wissensaustausch kann also auch für die Harvard University nur von Nutzen sein. Morgen früh wird er sich einen Termin beim Rektor holen und unverbindlich vorfühlen. Vielleicht ist es besser, die Universität langsam auf seinen Weggang vorzubereiten und nicht mit der Tür ins Haus zu fallen, wenn die Zusage aus Frankreich erst einmal da ist.

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Zeitfunk - Lusitania never happened

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