Читать книгу Zeitfunk - Lusitania never happened - Marc Renz - Страница 15

Montag, 10. Mai 1915, Dieppe
Desaster am Hafen

Оглавление

Die Überfahrt verlief unspektakulär. Die Sussex legte pünktlich um zehn Uhr am Vormittag in Folkestone ab. Siebeneinhalb Stunden ging es Richtung Süden durch den noch recht aufgewühlten Ärmelkanal. In den letzten zwei Tagen lag ein für die Jahreszeit ungewöhnlich heftiges Sturmtief über der Nordsee. Unterwegs sahen sie einige kleinere Kriegsschiffe und ein paar wenige Fischerboote. Immer wieder änderte der Dampfer seinen Kurs. Wahrscheinlich gibt es auf dem Kanal Minenfelder.

Kurz nach halb sechs gehen Bernhard Engel und Joe Campbell von Bord der SS Sussex. Sie sind in Frankreich! Seit zehn Tagen ist Joe nun unterwegs und noch immer nicht ganz am Ziel. Einerseits ist er erleichtert, die gefährlichen Schiffspassagen ohne größere Zwischenfälle hinter sich gebracht zu haben, andererseits steht er jetzt auf dem Boden jenes Landes, in dem gerade ein Krieg ausgefochten wird. Noch dazu ein Krieg, wie er zuvor noch nie dagewesen ist, was den Einsatz von Mensch und Material angeht. Und mittendrin er, Josef Campbell, mit Informationen und einem Gerät im Gepäck, die es in sich haben. Es war ihm doch tatsächlich geglückt, neben all den wichtigen Papieren auch den Funkempfänger mit nach Europa zu bringen. Weiß der Himmel, wie es ihm gelungen war, den Rektor und seinen Kollegen John von der Notwendigkeit zu überzeugen.

Zum Bahnhof in Dieppe sind es etwa 500 Meter. Eine Strecke, die mit zwei schweren Koffern nicht gerade angenehm ist, aber doch zu Fuß bewältigt werden kann. Allein der Empfänger wiegt schon knappe 20 Pfund!

In Friedenszeiten, so erfährt er von Legros, stünden normalerweise Pferdedroschken und Taxis bereit. Heute sieht er allerdings nichts dergleichen. Überall wimmelt es von Militär. Man sieht französische und britische Uniformen. Der Regen, der sie nun bereits seit Liverpool begleitet, hat zum Glück nachgelassen. Hier in Frankreich nieselt es.

Etwas hier am Hafen allerdings scheint Monsieur Legros zu verwirren. Seit sie wieder festen Boden unter den Füßen haben, hat Joe den Eindruck, dass sich sein Reisebegleiter verändert hat. Er ist sehr ruhig geworden und scheint jemanden zu suchen. Ist es die Heimatluft? Wird er hier von jemandem erwartet? Etwas merkwürdig ist es schon. Hätte er so was nicht erzählt, gesprächig wie er normalerweise ist?

Bernhard Engel lässt seinen Blick zuerst über die Pier, dann über den Kai und die Hafenanlagen schweifen. Lutz ist nirgendwo zu sehen, auch kein Taxi. Klar, sie hatten vorgestern das Schiff verpasst, aber das ist nichts Ungewöhnliches. Dass sie die nächstmögliche Verbindung nehmen würden, ist doch selbstverständlich. Franz Lutz ist Profi genug, um darauf routiniert zu reagieren.

»Monsieur Legros, lassen Sie uns zu Fuß zum Bahnhof gehen«, meint der Professor zu ihm, »es scheint hier heute keine Droschken zu geben. Ich freue mich schon auf ein Abendessen in Paris – die englische Schiffsküche hat mir nicht so sehr gemundet.«

»Ja, lassen Sie uns zu Fuß gehen, in so einer Pferdekutsche schaukelt es ohnehin nur, davon habe ich jetzt genug«, erwidert Engel und setzt ein gekonntes Lächeln auf.

Verdammt, wo ist Lutz? Immer wieder geht ihm diese Frage durch den Kopf. Kann denn nicht einmal etwas glatt gehen in dieser Geschichte? Seit Liverpool hält seine Pechsträhne nun schon an. Ganz abgesehen von den drei Kollegen, die, warum auch immer, die Lusitania nicht verlassen haben. Jedenfalls nicht, solange er den Luxusliner beobachten konnte. Wenige Minuten später erreichen sie den Bahnhofsplatz von Dieppe.

»Extrablatt – Leiche im Taxi – Extrablatt – Mann wurde aus nächster Nähe erschossen – Extrablatt!«, hören sie bereits von Weitem einen Zeitungsverkäufer.

Engel kauft sich eine Sonderausgabe der lokalen Wochenzeitung. Er traut seinen Augen nicht. Von der Titelseite blickt ihn sein Kollege – sein toter Kollege – Franz Lutz an. Kein Zweifel, der Mann auf dem Bild ist Franz Lutz. Entsetzt liest Engel die zugehörige Schlagzeile und den Artikel.

Chauffeur eines Taxis am Hafen in Dieppe auf abscheuliche Weise ermordet!

Am Sonntagmorgen gegen halb drei Uhr in der Nacht wurde ein unbekannter Mann in einem Taxi ermordet aufgefunden. Der Täter hat ihn heimtückisch in den Kopf geschossen und ausgeraubt.

Dieppe, 8. Mai 1915; Unbekannte haben in der Nacht von Samstag auf Sonntag einen Taxifahrer am Passagieranleger im Stadthafen von Dieppe in der Kopf geschossen und ausgeraubt. Bei dem Mann wurden keine Papiere oder Geld gefunden. Die Polizei geht daher von einem Raubmord aus. Die Identität des Mannes konnte noch nicht festgestellt werden, die örtliche Polizei steht vor einem Rätsel. Das Renault-Taxi wurde, so konnte mittlerweile ermittelt werden, am Samstagvormittag in Paris als gestohlen gemeldet. Passagiere der gerade aus England kommenden SS Sussex haben die Leiche des Mannes im Taxi gefunden. Wer in der Nacht zum Sonntag im Hafengebiet etwas Merkwürdiges beobachtet hat oder sachdienliche Hinweise zur Identifizierung des Toten geben kann, möge sich bitte umgehend auf der Polizeistation in Dieppe melden. Die Behörden habe eine Belohnung auf die Ergreifung des Täters ausgesetzt.

Wer immer dahinterstecken mag, dass es sich um keinen Raubmord handelt, ist Engel klar. Franz Lutz wurde kaltblütig ausgeschaltet. Es ist lediglich die Frage, ob der britische Geheimdienst oder die Franzosen dahinterstecken oder womöglich beide. Eines ist sicher, irgendjemand ist der Sache auf die Spur gekommen und dieser jemand ist gefährlich. Engel muss abbrechen, sofort, wenn ihm sein Leben lieb ist. Den Professor würde er später auch noch in Paris aufspüren können, das dürfte kein größeres Problem sein. Ist er bereits enttarnt? Wird er womöglich verfolgt?

»Professor, sehen Sie sich das an!«, entrüstet er sich. »Jetzt tragen die Kriminellen den Krieg schon in solch friedliche Ecken wie Dieppe. Ich kenne diesen Mann. Ich sollte zur Polizeistation gehen und eine Aussage machen. Einen Zug nach Paris finde ich auch später noch.«

Etwas hastig verabschiedet er sich von Joe Campbell, wünscht ihm eine gute Weiterreise und geht eiligen Schrittes am Bahnhofsgebäude vorbei. Er verschwindet in Richtung Innenstadt.

Joe Campbell stellt sich am Schalter in die Reihe der Wartenden. Etwa zwanzig Minuten später besteigt er den Zug, der ihn an seinen neuen Wirkungskreis nach Paris bringen wird.

* * *

Zeitfunk - Lusitania never happened

Подняться наверх