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Szene IX

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Die Wachen am Louvre zu kontrollieren war eine einfache Angelegenheit, die der Leutnant der Musketiere in der Regel schnell und ohne Umstände erledigte, um die Soldaten nicht länger als nötig von ihrer Pflicht - oder ihrem Zeitvertreib - abzuhalten. Wer selbst drei Jahre lang erst als Gardist, dann als Musketier regelmäßig zum Wachdienst eingeteilt worden war, vergaß nicht so bald, wie eintönig diese Aufgabe sein konnte und überprüfte die Posten nicht zu oft.

Die Gardisten und Musketiere des Königs bewachten gemeinsam Innenhof, Vorplatz und die Eingänge des Palastes, zwar in den Kompanien voneinander getrennt, aber durchaus auch miteinander zu einem Plausch neigend, was niemanden störte, solange die Wachen nicht völlig ihre Aufgabe aus den Augen verloren. Sobald jedoch ein Vorgesetzter in der Nähe war, endeten die Gespräche abrupt und es schien, als wäre nichts in der Welt wichtiger, denn misstrauische Blicke über die ruhigen Straßen und Plätze schweifen zu lassen. Überzeugt werden konnte so sicherlich nur jemand, der nicht selbst wusste, was Wachdienst bedeutete - doch auch jeder Fähnrich, Leutnant oder Hauptmann ließ sich gerne täuschen und so ging alles Tag für Tag seinen reibungslosen Gang.

D'Artagnan war heute zwei Stunden zu früh am Louvre, um die Runde am Palast zu beginnen. Wegen einer Ausrede hatte es den Leutnant schon jetzt hierher verschlagen; noch dazu musste d'Artagnan einen bestimmten Gardisten suchen, dem der Musketier von allen Einwohnern Paris' am wenigsten begegnen wollte - Nur, je eher Moissac gefunden war, desto schneller war die Nachricht des Essarts' ausgerichtet, die wachhabenden Musketiere kontrolliert und d'Artagnan wieder gegangen.

Die Gardisten des Königs hielten am Westflügel Wache. Oder vielmehr: Sie 'repräsentierten'. Ja, 'repräsentieren' wäre wahrscheinlich das angemessenere Wort für die gleichmäßige Verteilung der Uniformen entlang des Palastes gewesen. Nichts anderes tat auch Moissac, er allerdings im Gegensatz zu seinen Kameraden so pflichtbewusst und aufmerksam, ohne je zu murren oder ein Anzeichen von Langeweile zu zeigen, dass sich die übrigen Gardisten seiner Einheit über diesen Diensteifer nur wundern konnten. Vielleicht war dies einer der Gründe, weshalb der junge Mann von den anderen Soldaten zwar nicht direkt gemieden, aber im Stillen belächelt wurde; Moissac war einfach kein unterhaltsamer Gesprächspartner. Auch heute versah er seinen Dienst allein, doch dies schien ihn nicht weiter zu stören. Der nächste Wachposten, zwei erfahrene Gardisten, die an einem Seiteneingang eingeteilt waren und dabei von Zeit zu Zeit kurze Anekdoten austauschten, war gut fünfzig Schritte entfernt.

Eine Zeit lang hatte sich Moissac gewundert, warum er der Einzige zu sein schien, der seiner Aufgabe mit Ernst nachging, der Einzige, der während des Dienstes seine Aufmerksamkeit nicht durch andere Dinge ablenken ließ. Laut gefragt hatte er nie, stattdessen erinnerte er sich an seine eigenen Pflichten und verhielt sich selbst sehr vorbildlich. Böse Zungen behaupteten, er täte dies nur aus dem einen Grund, nämlich durch sein Verhalten bei den richtigen Leuten den richtigen Eindruck zu hinterlassen. Er sei nichts anderes als ein kleiner Emporkömmling, der immer auf seinen Vorteil aus wäre. Das war ein Irrtum.

Sicher, der Rang eines Fähnrichs, Leutnants oder gar Hauptmanns war für Moissac ein erstrebenswertes Ziel und er war nicht allzu kritisch bei der Wahl seiner Freunde, wenn sie ihm eines Tages zur erhofften Beförderung verhelfen konnten. Nach ganz oben zu kommen, das war möglich mit Geschick, Tatkraft und ein bisschen Hilfe, davon war Moissac überzeugt. Eine andere Möglichkeit sah er nicht für sich. Der junge Mann konnte bislang keine großen Waffen- oder besondere Heldentaten vorweisen. Als Moissac durch Fürsprache eines entfernten Verwandten endlich der Garde des Königs beitreten konnte, war der Krieg mit England um La Rochelle schon so gut wie beendet gewesen. Es fehlte Moissac nicht an Mut oder Waffentalent. Es fehlte allein die Gelegenheit.

Eine Weile ärgerte sich Moissac über die verpasste Chance, doch dann besann er sich auf das, was er besser konnte, als sich aus übertriebener Tapferkeit vor eine feuernde Kanone zu werfen: Nützliche Freundschaften zu schließen. So zeichnete sich der ehrgeizige Josèphe de Moissac besonders durch sein Gespür für die zahlreichen Verflechtungen von Patronage und Vetternwirtschaft seiner Zeit aus, wozu nicht zuletzt auch eine gewisse Gerissenheit und Bedachtsamkeit von Nöten war, um sich nicht zu verlaufen. Er war klug, das musste man ihm lassen. Vielleicht gab es da nur eine gewisse, jugendliche Naivität, der Moissac noch entwachsen musste. Bisher hatte sie es jedenfalls nicht verhindert, dass er tatsächlich einen bestimmten Eindruck vermittelte. Man hielt ihn schlichtweg für harmlos, übereifrig, manchmal recht aufdringlich und geschwätzig. Er hatte vielleicht nicht das Zeug zum Helden, aber niemand sprach ihm ernstlich ab, ein guter Soldat zu sein. Moissac konnte mit Waffen umgehen, er verhielt sich kameradschaftlich und ergeben, pflichtbewusst und respektierte die Autoritäten - Wie zum Beispiel in diesem Augenblick, als er sich auf den Wink des Leutnants der Musketiere hin ein paar Schritte von seinem Posten entfernte.

D'Artagnan musste sich sehr beherrschen, um nicht ungeduldig mit einem Fuß zu wippen, während Moissac mit seinem üblichen, strahlenden Lächeln im knabenhaften Gesicht näher schlenderte. Der Gardist hätte auch schneller gehen können und dabei weitaus zielstrebiger gewirkt. So aber schien es, als wolle Moissac besonders gelassen auftreten und es kümmerte ihn wohl reichlich wenig, dass es der Leutnant eilig hatte. Mit ein paar entschlossenen Schritten verkürzte d'Artagnan die Distanz zwischen sich und Moissac, schnitt dem jungen Gardisten mit einer knappen Geste das Wort ab, noch bevor dieser überhaupt den Mund geöffnet hatte, und teilt ihm mit: „Hauptmann des Essarts erwartet Euch nach dem Wachdienst in seinem Arbeitszimmer.“

An dem erstarrten Lächeln im Gesicht seines Gegenübers erkannte d'Artagnan schnell, vielleicht zu barsch mit Moissac gewesen zu sein. Statt nun auf dem Absatz kehrtzumachen, wie es der Leutnant eigentlich vorgehabt hatte, räusperte er sich und fügte hinzu: „Essarts war sehr daran gelegen, dass Euch diese Nachricht rasch erreicht.“

Dieser Satz, halb Lüge, halb Entschuldigung, schien Moissac seine Fassung wiedergewinnen zu lassen. „Ah, es handelt sich wohl um eine wichtige Angelegenheit.“

D'Artagnan, eben noch mit einem nagenden Gewissen belastet, bedauerte es sofort, nicht der ersten Rührung gefolgt und gleich nach dem Ausrichten der Nachricht wieder gegangen zu sein. Doch Moissac ließ dem Musketier nun keine Gelegenheit mehr, zu entkommen, denn er fuhr in verschwörerischem Tonfall fort: „Wichtig genug, um Euch senden.“

„Wichtig genug, um jemanden, der ohnehin auf dem Weg hierher war und den der Hauptmann zufällig traf, zu senden.“ Diese Ausrede hatte schon im Hauptquartier der Musketiere lästige Folgen für d'Artagnan mit sich gebracht und auch vor Moissac bewährte sie sich nicht, der nun anmerkte: „Ich verstehe. Immer im Dienst, nicht wahr? Wie auch gestern Abend.“

D'Artagnan maß Moissac mit einem abschätzenden Blick, doch aus der offenen Miene des Gardisten sprach keine Arglist oder der Wunsch, den Streit vom 'Tannenzapfen' hier fortzuführen. Also antwortete der Musketier schlicht: „Ja.“ und hielt das Gespräch damit für beendet. Moissac hingegen schien, ganz gegen seine pflichterfüllte Gewohnheit, noch plaudern zu wollen. „Meine Wache dauert noch zwei Stunden. Ich werde sofort aufbrechen müssen, sobald meine Ablösung eintrifft. Nebenbei, ich ahne schon, worüber der Hauptmann mit mir sprechen möchte.“

„So?“ Es war sicher nicht leicht, das offensichtliche Desinteresse in diesem Wort zu überhören, Moissac gelang dieses Kunststück dennoch mit Bravour. „Ja, ja. Es handelt sich wahrscheinlich um den kleinen Gefallen, um den ich bat.“ Wenn der Gardist gehofft hatte bei d'Artagnan Eindruck dadurch schinden zu können, dass des Essarts seinem jungen Untergeben einen Gefallen erweisen wollte, so irrte er sich. Vielmehr suchte der Leutnant gerade fieberhaft nach einer passenden Antwort, um weiteren Ausführungen zu entgehen und sich verabschieden zu können. Allerdings dauerte das Schweigen wohl einen Augenblick zu lange, was Moissac als Aufforderung nahm, mehr zu erzählen. „Seht Ihr, ich habe eine Cousine, drüben in Saint-Denis. Das arme Kind hat kein sehr großes Auskommen und hofft, hier in Paris eine Stelle als Gesellschafterin zu finden. Ich habe ihr Hilfe versprochen. Ich erklärte dem Hauptmann ihre Situation und es scheint, als hätte er tatsächlich eine Familie gefunden, die meine Verwandte aufnehmen will.“

D'Artagnan hörte nur mit halben Ohr zu und suchte die Umgebung unauffällig nach einem ersichtlichen Grund zu verschwinden ab. Bis auf die beiden Gardisten weiter hinten war aber nicht zu entdecken. D'Artagnan nickte geistesabwesend, als Moissac nicht mehr weitersprach und meinte: „Das ist... interessant.“

„Ja, eine gute Gelegenheit.“ D'Artagnans Blick heftete sich wieder auf Moissac, als dieser allzu vertraulich eine Hand auf den Arm des Musketiers legte und fortfuhr: „Wenn es dem Hauptmann gelungen ist eine freie Stelle für eine junge Dame zu finden, so ist es sicher auch ein zweites Mal möglich.“

D'Artagnan trat einen Schritt zurück und damit weg von Moissac, dessen Nähe mit seiner einfachen Geste sehr unangenehm geworden war. „Danke, aber ich glaube nicht, dass ich eine junge Frau kenne, die Gesellschafterin werden möchte.“

„Tatsächlich nicht?“ Wieder zeigte sich auf dem Gesicht des jungen Soldaten nur dieses offenherzige, leicht naive Lächeln, das scheinbar keine Hintergedanken oder Doppeldeutigkeiten barg. „Vielleicht wollt Ihr das Angebot zu einem anderen Zeitpunkt annehmen. Ich denke an meine Freunde.“

Mit Mühe unterdrückte d'Artagnan ein Seufzen. Wie man es auch drehte und wendete: Moissac wollte nützlich sein und um jeden Preis die Sympathie des Musketierleutnants gewinnen. Doch seine ganze Art war d'Artagnan einfach zuwider. „Hört einmal.“ begann d'Artagnan behutsam, als wäre Moissac ein besonders begriffsstutziges Kind. „Ich weiß Eure Freundlichkeit zu schätzen.“ Der Gardist hörte ruhig zu und das Lächeln schwand nicht von seinen Lippen. Es wirkte glaubhaft ehrlich. Ihn umgab eine gewisse Unschuld, die es schwer machte, ihm allein eigennützige Absichten zu unterstellen. D'Artagnan blinzelte verwirrt. „Aber ich denke, ich sollte auch etwas für Euch tun.“ beendete der Musketier den begonnenen Satz und hätte sich gleich darauf am liebsten auf die Zunge gebissen.

Moissac seinerseits schien begeistert, aber gab sich bescheiden. „Eine Hand wäscht die andere, meint Ihr? Nein, nein, ich biete Euch lediglich einen kleinen Freundschaftsdienst an, Ihr müsst deswegen nichts für mich leisten.“

„Gibt es denn etwas, das ich für Euch erledigen könnte, sagen wir, rein theoretisch?“ Es war nicht mehr als eine Höflichkeitsfloskel. Alles andere hätte d'Artagnan vor sich selbst nicht rechtfertigen können, ohne sich vielleicht doch eingestehen zu müssen, dass Moissac den Leutnant, auf welche Weise auch immer, überlistet hatte.

Moissac erwies sich als großzügig. „Auch theoretisch gibt es nichts, was ich derzeit von Euch verlangen könnte.“

„Gut.“ Erleichtert atmete d'Artagnan auf und wusste gleichzeitig, dass Moissac bereits ein große Gefallen getan war: Der Musketier war nun ein Schuldner und irgendwann würde der Gläubiger kommen, um die Schulden einzutreiben. Bis dahin konnte allerdings noch viel geschehen und d'Artagnan beschloss, im Augenblick keinen weiteren Gedanken daran zu verschwenden. „So gerne ich mich noch weiter mit Euch unterhalten würde, der Dienst ruft.“

Moissac neigte verständnisvoll den Kopf und d'Artagnan ließ ihm keine Zeit für lange Abschiedsworte. Mit einem knappen Nicken grüßte der Musketier und ging. Zornig über sich selbst und ebenso wütend auf Moissac, kehrte d'Artagnan dem Louvre den Rücken zu - ohne die wachhabenden Musketiere kontrolliert zu haben, wie ein einzelner Mann am Rande des Vorplatzes bemerkte.

*~*~*~*~*

Ohne sonderlich auf die Umgebung zu achten, stapfte d'Artagnan die Straßen von Paris hinunter, noch immer mit sich selbst hadernd. Nicht nur, dass das Vertrauen der Freunde, mit Monsieur de Tréville zu reden, enttäuscht worden war und d'Artagnan stattdessen erneut den Ärger des Hauptmanns auf sich gezogen hatte. Nein, darüber hinaus schuldete der Leutnant nun auch noch Moissac, der aufdringlicher denn je wurde, einen Gefallen welcher Art auch immer. Dieser Dienstag hatte bislang nicht viel Gutes bereitgehalten - und der Tag war noch lange nicht vorbei. Vielleicht war es angeraten jetzt nach Hause zu gehen, sich krank zu melden und vor Morgen das Bett nicht mehr zu verlassen. Ob es Tréville aufgefallen wäre, wenn sein lästiger Leutnant heute einfach nicht mehr zum Dienst erschien? Wahrscheinlich nicht. Allerdings würden sich die übrigen Aufgaben - die Soldabrechnung oder die Wachliste, um nur zwei Beispiele zu nennen - nicht von allein erledigen. Wenn der Berichtstapel auf dem Tisch des Hauptmanns wuchs, der Stapel, um den sich der zweite Offizier bislang gekümmert hatte, dann musste d'Artagnans Abwesenheit wohl auffallen. Bis dahin konnten ein paar Tage vergehen, vielleicht sogar eine ganze Woche. Mit einem guten Pferd konnte man in dieser Zeit immerhin bis- Halt!

Dieser Gedanke führte nun doch zu weit, ermahnte sich d'Artagnan und blieb stehen. Die Füße hatten den Leutnant in keine sehr belebte Gegend getragen, in eine namenlose Gasse mit krummen Häusern und schlammigem Straßengrund, fernab der beliebten Plätze und Alleen. Eine Straße für die einfachen Bürger und Tagelöhner von Paris, für die Kinder von Marktweibern und Handwerksgesellen. D'Artagnan versuchte sich zu orientieren, aber sogar der Geruch war hier anders. Es wehte kein modriger Wind von der Seine herüber, stattdessen roch es nach Markt und Handwerk. Nach Brot, Äpfeln und Feuerstätten, nach Pferdemist, Stroh und Unrat. Es roch nach Dorf und d'Artagnan gestand sich ein, nie zuvor hier gewesen zu sein.

„Verlaufen?“

D'Artagnan fuhr herum, eine Hand bereits am Griff des Degens. Die Klinge blieb allerdings in ihrer Scheide, als der Musketier erkannte, wer ihn da vom Halbdunkel eines Hauseingangs heraus angesprochen hatte. „Seit wann folgt Ihr mir?“ Die Worte hätten leicht drohend klingen sollen, doch selbst in d'Artagnans eigenen Ohren schwang in ihnen nur ein Hauch von Ungeduld mit. Das schien auch dem Mann im Schatten aufzufallen und amüsiert antwortete er: „Ich, Euch folgen? Monsieur, ich fürchte Ihr überschätzt Euch und Eure Wichtigkeit.“

„Warum seid Ihr dann hier, Rochefort?“

Der Stallmeister Seiner Eminenz trat auf die Straße und deutete mit einer Hand nach oben, auf ein altes, vom Rost fast zur Unleserlichkeit zerfressenes Schild, das an einer Eisenstange über dem Hauseingang befestigt war. „Wurst. Es gibt nirgendwo in der Stadt einen besseren Metzger, bei dem man noch dazu sicher sein kann, auch wirklich Fleisch verkauft zu bekommen.“ In der anderen Hand hielt Rochefort ein fest verschnürtes Päckchen, dessen Inhalt in der Sonne leicht verderben konnte. „Nun bin ich an der Reihe eine Frage zu stellen.“

D'Artagnan verspürte wenig Lust zu einer Unterhaltung mit dem ehemaligen Erzfeind, doch Rochefort schien die Wahrheit gesagt zu haben. Zumindest was den Metzger betraf. Außerdem wusste er anscheinend genau, wo er sich befand und ob es dem Musketier nun gefiel oder nicht: Rochefort kannte auch den Weg zurück auf die Hauptstraße. „Fragt!“

„Warum seid Ihr hier, d'Artagnan?“

Der Leutnant zögerte. Vor nicht allzu langer Zeit wäre jede Begegnung mit Rochefort zu einer Verabredung zum Duell geworden. Nachdem der Kardinal ihnen Freundschaft befohlen hatte, herrschte zwischen den einstigen Kontrahenten eine brüchige Waffenruhe, die nicht an wachsamen Misstrauen fehlen ließ. Doch für den Moment hatte d'Artagnan andere Sorgen als einen ganz zufällig durch die gleiche Gasse spazierenden Rochefort und darum bekam der Stallmeister zu hören: „Wurst?“

Rochefort lächelte dünn. „So? Dann will ich Euch nicht weiter bei Euren Einkäufen aufhalten. Adieu.“

Der Graf kam drei Schritte weit, als ihn ein „Wartet!“ noch einmal aufhielt. Sein Lächeln wuchs in die Breite, ohne je seine Augen zu erreichen und es verschwand, bevor er sich umwandte. „Ja?“

D'Artagnan war durchschaut. Doch Stolz konnte manchmal sehr hinderlich sein und auch jetzt wollte er der Vernunft nicht recht weichen. „Nein, nichts. Adieu.“

Rochefort hob nur nachdenklich die Hand zum Kinn, während er nun seinerseits den Leutnant zurückhielt, als der sich schon in die entgegengesetzte Richtung wenden wollte. „Ich würde diesen Weg hier vorschlagen. Es ist eine Abkürzung.“

„Seid Ihr sicher?“ D'Artagnan ging dankbar auf das Spiel ein und blickte zweifelnd an Rochefort vorbei die Gasse hinunter, die sich irgendwo im pariser Straßengewirr verlor.

„Vollkommen sicher.“ Rochefort ging, wissend, dass ihm d'Artagnan folgen würde, und meinte: „Ich begleite Euch ein Stück, ich muss selbst in die Nähe der Rue des Fossoyeurs.“

„Woher wollt Ihr wissen, dass ich auf dem Weg nach Hause war?“ fragte d'Artagnan argwöhnisch und schloss zum Stallmeister auf. „Mein Dienst ist noch nicht beendet.“

„Ich weiß. Ihr seid beinahe jeden Tag der Erste, der das Hauptquartier betritt und der Letzte, der es verlässt.“ Es klang, als würde Rochefort aus einem Bericht zitieren. Wahrscheinlich war es auch so, die Agenten schliefen nie. „Nennt es eine Eingebung, dass ich dachte, Ihr wolltet heute nicht mehr in die Rue du Vieux-Colombier zurückkehren, da Ihr Euch auf einer Straße weit vom Hôtel de Tréville entfernt befindet.“ Aus den Augenwinkel beobachtete der Stallmeister die kaum merkliche Veränderung im Gesicht seines Begleiters - und war sehr zufrieden. Menschenkenntnis hin oder her: Auch ein Kardinal Richelieu konnte sich irren und wenn es sich dabei nur um eine solche Kleinigkeit handelte wie einen Leutnant, der so eben bemüht war, seinen Verdruss hinter einer ausdruckslosen Maske zu verbergen und zurückgab: „Ihr seid ziemlich gut über meinen Dienstplan informiert, Monsieur. Wollt Ihr immer noch leugnen, mir gefolgt zu sein?“

„Es ist nicht nötig, Euch zu folgen. Man hört das ein oder andere.“

D'Artagnan schnaubte missmutig. „Interessant. Das sagt man mir in letzter Zeit oft. Ich wüsste nur zu gerne, was man da hört. Wartet, lasst mich raten:“ Der Musketierleutnant verfiel in einen strammen Schritt und fuhr beinahe fröhlich fort: „Der König, beeinflusst durch die Politik seines Ersten Ministers, hat die Notwendigkeit erkannt, dass zur Entlastung der durch den Krieg um La Rochelle außerordentlich strapazierten Staatskassen Einsparungen bei der Armee vorgenommen werden müssen. Dazu zählt auch seine Leibgarde, die ohne Zweifel nur dem Ansehen Seiner Majestät dient und in den Straßen von Paris durch ihre Streitlust schon zu oft Ärger verursacht hat. Der Hauptmann eben jener Eliteeinheit ist von diesen Plänen alles andere als begeistert, doch weiß nichts anderes zu unternehmen, als sich in seinem Arbeitszimmer einzuschließen, wo er ein finsteres Vorhaben nach dem anderen gegen den Kardinal schmiedet.“

Rochefort hatte amüsiert zugehört. „Was ist mit Euch?“

„Mit mir? Natürlich, der verräterische Leutnant! Man sieht ihn in diesen Tag oft in Begleitung des Stallmeisters Seiner Eminenz. Hat Herr d'Artagnan das Leutnantspatent nicht dem Kardinal zu verdanken? Augenblick, auch seine Versetzung von der Garde des Königs zu den Musketieren ein Jahr zuvor geschah auf Anweisung Richelieus! Er hat Seiner Eminenz viel zu verdanken. So fügt sich alles zusammen: Hauptmann de Tréville misstraut ihm. Die Musketiere sind verwirrt und ratlos, die Kompanie: Ein heilloses Durcheinander.“ D'Artagnan mied den Blick des Stallmeisters, der aufmerksam zugehört hatte. „Habe ich etwas vergessen?“

„Ihr habt sehr anschaulich beschrieben, welche Gerüchte derzeit die Runde machen. Wie viel Wahres mögen sie wohl enthalten?“ Mittlerweile hatten sie eine gepflasterte Straße erreicht, die diese Bezeichnung auch verdiente. D'Artagnan bemerkte im Vorübergehen, dass es sich um die Rue Tiquetonne handelte. Sie waren nur noch drei Querstraßen vom Louvre und vom Palais Cardinal entfernt, wieder auf vertrautem Terrain. „Das wisst Ihr wahrscheinlich besser als ich, Rochefort.“

„Ich weiß, was ich wissen muss. Schenkt Ihr den Gerüchten denn Glauben?“

D'Artagnan blieb abrupt stehen. „Was wollt Ihr damit sagen?“

Rochefort erkannte einen günstigen Zeitpunkt, wenn er vor ihm lag und seine Miene spiegelte nichts anderes als großen Ernst wieder, als er wiederholte: „Schenkt Ihr den Gerüchten Glauben?“

Der Leutnant blinzelte verwirrt. „Natürlich nicht!“

„Wirklich nicht?“

„Ja!“ Was sollte diese Frage? Gerüchte blieben Gerüchte, selten enthielten sie auch nur einen Funken Wahrheit, wenn sie erst durch hunderte Münder gegangen waren. Das einzig Glaubhafte daran war noch die leere Staatskasse. Andererseits, irgendwie musste das Geld wieder beschafft werden und die Armee zu unterhalten war eine kostspielige Angelegenheit. Aber das betraf nicht auch die Kompanie der Musketiere! Oder? Monsieur de Tréville war über irgendetwas so besorgt, dass er sich auffällig zurückzog. Aber Pläne schmieden? Unsinn! Das hätte auch bedeutet, d'Artagnan selbst wäre bezahlt von Seiner Eminenz und dies war, hier gab es keinen Zweifel, tatsächlich eine Lüge. „Ja, wirklich nicht!“

Rochefort hob zustimmend eine Hand. „Ich habe es nicht anders erwartet. Es sind schließlich nur Gerüchte.“

„Wie gesagt, mein Dienst ist noch nicht beendet. Ich werde im Hauptquartier erwartet.“ räusperte sich d'Artagnan.

Der Stallmeister sah sich um als würde er erst jetzt bemerken, wo sie sich befanden. „Rue Tiquetonne. Ich muss Euch hier verlassen.“ Er grüßte den Leutnant und überquerte die Straße. Bevor er in einer anderen Seitengasse verschwand, wandte er sich noch einmal um. „Aber ich werde Euch im Augen behalten.“

Es klang nicht wie ein Scherz und d'Artagnan war auch nicht zum Lachen zumute.

Mordpakt: Richelieu

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