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Szene VII

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'Obwohl die Zeit drängt, besteht kein Grund zur Sorge. Die Vorbereitungen werden weniger als einen Monat in Anspruch nehmen. – Weitere Verzögerung ausgeschlossen!'

Tréville las den letzten Satz nun zum bestimmt fünften Mal und seine anfängliche Ungläubigkeit wandelte sich mehr und mehr in Zorn. Er knüllte das Papier in der Faust zusammen, zögerte und faltete es dann wieder auseinander. Die Botschaft blieb eindeutig.

Im Arbeitszimmer des Hauptmanns war es sehr still, nur die Wanduhr tickte leise und im Kamin knackte ab und an ein Holzscheit. Obwohl es erst Mittag war und sich die Bittsteller, Soldaten und Laufburschen jetzt eigentlich gegenseitig die Klinke in die Hand geben sollten, hatte Trévilles Diener Gaston im Vorzimmer den Befehle erhalten, niemanden zum Hauptmann vordringen zu lassen. Seinem Adjutanten, Monsieur de Duvoir, hatte Tréville andere Aufgaben zugewiesen, um nicht mit irgendwelchen Belanglosigkeiten belästigt zu werden. Manchmal waren die lautstarken Proteste einiger Besucher zu hören, doch niemand wagte es, die Anweisung zu ignorieren und so schien das Arbeitszimmer ungewohnt einsam. Tréville saß hinter seinem Schreibtisch, auf dem sich, wie immer, Stapel von Papieren türmten und betrachtete grimmig den Zettel, auf den in krakeliger Handschrift zwei Zeilen niedergeschrieben waren.

Es ließ sich also nicht mehr ändern. Die Entscheidung war gefallen und der Hauptmann der Musketiere wurde damit zum Abwarten gezwungen. Alle Anstrengungen der letzten Wochen, vielleicht doch noch eine Wende herbeizuführen, waren vergebens gewesen und dieser Zettel, den Tréville zwischen einigen Berichten versteckt gefunden hatte, bestätigte seine Befürchtungen. Keine Verzögerungen mehr. Das hieß auch, keine neuen Ausflüchte und vor allem: Keine Zeit.

Tréville stand auf und trat an den Kamin, in dem trotz des lauen Oktobertages ein Feuer entfacht worden war. Er beobachtete einen Moment lang das Spiel der Flammen, dann hielt er eine Ecke des Zettels in die Feuerstelle. Das Papier brannte sofort und das Feuer fraß sich unaufhaltsam durch das Schriftstück. Der Hauptmann warf es schließlich in den Kamin und wartete, bis es gänzlich zu Asche zerfallen war. Nachdem Tréville noch kurz mit dem Schürhaken in der Glut gestochert hatte, war er überzeugt davon, dass niemand mehr auch nur ahnen würde, dass es diese Nachricht gegeben hatte. Der Hauptmann hatte die Botschaft verstanden. Er wandte sich vom Kamin ab und trat ans Fenster.

Die Rue du Vieux-Colombier war eine sehr belebte Straße und auch heute gab es keinen Augenblick, an dem sich nicht ein Passant, der es eiliger als die anderen hatte, durch die Menge schob oder kleine Gruppen zusammenstanden und sich unterhielten. Kutschen holperten vorbei, Bettler streckten ihre Hände aus. Natürlich herrschte auch ein ständiges Kommen und Gehen am Tor zum Hôtel de Tréville und die Musketiere schienen sich abzuwechseln, um am Eingang stets eine ansehnliche Zahl zu bilden. Der Hauptmann schmunzelte, als er an diese Kindsköpfe dachte, die dennoch zu den besten Soldaten und Edelmännern des Königreichs zählten - und die unbedingt treu waren. Seine Majestät konnte sich keine besseren Gefolgsleute in einer Kompanie vereint wünschen. Ebenso wenig konnte es ihr Hauptmann.

Tréville wusste, dass sich die Männer ebenfalls einige Gedanken über die vergangenen Wochen gemacht hatten. Sie sorgten sich ob der Veränderung, die ihren Hauptmann ergriffen zu haben schien und fragten sich, was seinen Charakter so erschüttert haben mochte. Allen voran sein Leutnant, der doch am wenigsten erfahren durfte, was vor sich ging und den Tréville gestern, hoffentlich erfolgreich, vertrieben hatte. Die Musketiere konnten nicht ahnen, wie viel sich tatsächlich noch ändern würde. Vielleicht alles. Vielleicht nichts. Wenn auch nur eine Kleinigkeit nach diesen 'Vorbereitungen', wie es auf dem Zettel geheißen hatte, fehlschlug, trat der erste Fall ein - und die Wahrscheinlichkeit dafür war nicht gering. Genauso unsicher aber war die Zukunft nach einem Erfolg. Sich zurückziehen und abwarten?

„Eine Pistole für Eure Gedanken.“

Tréville drehte sich überrascht vom Fenster weg, der Tür seines Arbeitszimmers zu, vor der kein anderer als Hauptmann des Essarts stand und den Gascogner nun mit einem freundlichen Nicken und einem entschuldigen Lächeln begrüßte. „Verzeiht, dass ich hier so einfach eindringe.“ fuhr des Essarts fort, während er näher trat. „Aber als ich auf dem Weg zum Louvre zufällig in die Rue du Vieux-Colombier einbog, kam ich auch an diesem Hôtel vorbei und wollte die Zeit nutzen, Euch einen guten Tag zu sagen.“

„Ich hatte Anweisung gegeben, mich nicht zu stören.“ erwiderte Tréville schroff. „Wie seid Ihr-“

„Gebt Gaston keine Schuld.“ beschwichtige des Essarts. „Ich habe mich einer kleinen List bedient, um Euren Diener zu überreden, mich hineinzulassen. Er bewältigt seine Aufgabe ansonsten ausgezeichnet. Nicht einmal von einem Schweizer Gardisten, der doppelt so breit war wie er, hat er sich einschüchtern lassen.“

Tréville wischte mit einer ungeduldigen Handbewegung die letzte Bemerkung beiseite. „Eine List, also?“

„Aber ja, werter Schwager: Familienangelegenheiten.“ Der Hauptmann der Gardisten trat neben Tréville ans Fenster, ohne sich von dessen finsterem Gesichtsausdruck weiter beeindrucken zu lassen. Des Essarts blickte hinunter auf die Straße wie sein Schwager zuvor und musterte die vorbeieilenden Menschen. „Wie gesagt:“ sprach er weiter, ohne den Blick von der Rue du Vieux-Colombier zu nehmen. „Ich biete Euch eine Pistole, wenn Ihr mir Eure Gedanken verratet.“

Tréville maß den anderen Offizier abschätzend. „Ihr meint es tatsächlich ernst, nicht wahr?“ Ein spöttisches Lächeln zuckte unvermittelt um seine Mundwinkel. „Eine Pistole ist sicher ein guter Preis, um zu erfahren, dass sich die Mode zu schnell verändert, als das alle sie mitmachen könnten.“

Des Essarts schien einen Moment verblüfft, dann jedoch lachte er auf. „Ich verstehe. Ja, das Gleiche denke ich auch manchmal, wenn ich aus dem Fenster meines Arbeitszimmers schaue. Von hier aus wirkt es allerdings noch ein wenig beeindruckender.“ Wieder warf er einen Blick hinaus und deutete auf einen jungen Mann, der an die Mauer des Nachbarhauses gelehnt stand und scheinbar unbeteiligt döste. „Nehmt diesen Herrn dort unten zum Beispiel. Von der Kleidung her zu urteilen, haben wir es hier mit irgendeinem Provinzler zu tun. Aber wirken diese Stiefel, diese Hose und das Wams nicht zu ungetragen und sauber? Sein gelassenes Verhalten nicht zu vertraut mit Paris? Vielleicht bin ich es, dem die neueste Mode entgangen ist.“

Tréville wusste, worauf sein Schwager hinauswollte, aber er ließ sich nicht auf den scherzenden Tonfall ein. Des Essarts war nicht einfach zufällig zu ihm gekommen und der Gascogner wünschte, der Hauptmann der Gardisten würde es endlich auf den Punkt bringen. „Ich meine, dass Ihr nicht bloß gekommen seid, um Euch mit mir über Kleiderfragen zu unterhalten.“ antwortete Tréville unwirsch und verließ seinen Platz am Fenster, um sich wieder hinter seinen Schreibtisch zu setzen.

„Nein, das bin ich nicht.“ Des Essarts wandte der Straße den Rücken zu und lehnte sich bequem gegen die Fensterbank. „Allerdings müsst Ihr zugeben, dass der Kardinal seine Spione schon geschickter getarnt hat. Oder soll dieser junge Mann dort unten Euch nur von den übrigen Agenten in Eurem Haus ablenken? Es wundert mich sehr, dass Ihr dem so gelassen begegnen könnt. Ich bin nicht der Einzige, der sich fragt, was den Hauptmann der Musketiere in letzter Zeit wirklich beschäftigt.“

Mort de tous les diables! Ihr verschwendet meine Zeit! Werdet deutlicher oder-“ Bevor er den Satz zu Ende führen konnte, wurde die Tür zum Arbeitszimmer aufgestoßen und die Person, die gerade im Begriff war einzutreten, schimpfte hinter sich gewandt: „Gaston, beruhige dich! Mordieux, der Hauptmann wird dir schon nicht den Kopf abreißen!“ Die Tür wurde mit Nachdruck zugezogen und der Neunankömmling trat mit langen Schritten in den Raum und vor den Schreibtisch. Tréville war zu seinem eigenen, heimlichen Erstaunen, nur milde überrascht von dem dreisten Auftritt. Gefährlich ruhig sagte er: „Gaston werde ich nicht den Kopf abreißen, vielleicht aber meinem Leutnant, wenn er nicht eine gute Erklärung für sein Auftreten vorzuweisen hat.“

D'Artagnan, entschlossener Miene, gab sich nicht sehr beeindruckt und zog aus der Manteltasche ein gefaltetes Papier. „Die Wachliste. Ihr schient großen Wert darauf zu legen, dass sie Euch so schnell wie möglich vorgelegt wird.“

Tréville nahm das Schreiben entgegen und legte es ungelesen zur Seite. Doch war dies wohl noch nicht Zeichen genug für d'Artagnan, sich schnellst möglich wieder zu entfernen. Stur hielt der Leutnant dem Blick seines Vorgesetzten stand, bis Tréville mit äußerster Ruhe fragte: „Führt Euch noch ein weiteres Anliegen zu mir?“

Von dem scheinbar freundlichen Ton aus dem Konzept gebracht, zog eine leichte Spur von Verlegenheit über d'Artagnans Gesicht. „Es gibt in der Tat noch etwas, was ich mit Euch zu besprechen hätte.“

„Zur Kenntnis genommen.“ Tréville winkte seinem Leutnant das Arbeitszimmer jetzt schleunigst wieder zu verlassen. Doch d'Artagnan starrte ihn nur völlig entgeistert an und rührte sich kein Stück. In Tréville brodelte neuer Zorn. Er hatte nicht die Geduld, sich neben seinem Schwager, der noch immer am Fenster stand und die Szene schweigend beobachtete, jetzt auch noch mit renitenten Gascognern auseinander zu setzen und bellte schroff: „Verstanden?“

D'Artagnan hatte verstanden, offensichtlich. Doch im Gegensatz zum gestrigen Abend, als der Leutnant nur mit einer steinernen Miene wie eine undurchdringliche Maske vor dem Schreibtisch gestanden und darauf gewartet hatte, dass der Sturm vorüberzog, war aus d'Artagnans Blick nun eindeutig Unmut über die erneute Zurechtweisung abzulesen. Tréville seufzte lautlos. Wieso hatte er es sich auch so einfach ausgemalt, ausgerechnet diesen Leutnant, mit dem Hang dazu in jede nur erdenkliche Intrige arglos hineinzustolpern und alles auf den Kopf zu stellen, für eine gewisse Zeit von sich und seinen persönlichen Angelegenheiten fernzuhalten?

Ein Räuspern beendete das unangenehme Schweigen, das sich zwischen Hauptmann und Leutnant ausgebreitet hatte. D'Artagnan fuhr überrascht herum. Des Essarts am Fenster war offenbar nicht bemerkt worden und Tréville fragte sich, ob der Leutnant durch sein Anliegen, das so dringend besprochen werden musste, derart abgelenkt gewesen war. „Hauptmann des Essarts!“ rief d'Artagnan und salutierte verspätet. „Verzeiht, ich hatte Euch nicht gesehen.“

Essarts winkte freundlich ab und trat ebenfalls an den Schreibtisch heran. „Steht bequem, Leutnant. Im Gegensatz zur feinen Gesellschaft am Hof, die immer einen Dolch im Gewand trägt, erwarte ich nicht von Euch, dass Ihr Augen im Hinterkopf habt.“

„Dennoch habe ich Euer Gespräch unterbrochen.“ beharrte d'Artagnan, sichtlich erleichtert wenigstens einen verständigen Hauptmann im Arbeitszimmer anzutreffen und nicht barsch zurechtgewiesen zu werden. „Ich muss noch die Wachen am Louvre kontrollieren.“

„Natürlich.“ nickte Essarts knapp. „Das trifft sich gut, denn Ihr könnt mir dabei gleich einen Gefallen erweisen.“

Aus den Augenwinkeln fing d'Artagnan einen finsteren Blick Trévilles auf und fragte umso hilfsbereiter: „Um was handelt es sich?“

„Findet unter den Posten der Gardisten den jungen Moissac und richtet ihm aus, dass ich ihn nach seiner Wache in meinem Arbeitszimmer erwarte.“

„Moissac, nach der Wache.“ bestätigte der Leutnant pflichtbewusst, grüßte und verließ eiligen Schrittes den Raum. Kurz drang das Stimmengewirr aus dem Vorzimmer ins Kabinett, dann fiel die Tür ins Schloss und sperrte alle anderen Besucher ein weiteres Mal aus.

„Das kam einer Flucht gleich.“ meinte Essarts scheinbar nachdenklich, ehe er sich wieder ganz seinem Schwager zuwandte. „Und ich kann Euren Leutnant verstehen.“

„Könnt Ihr das?“ erwiderte Tréville lauernd und verkniff sich die Frage, wie das Unmögliche daran bewerkstelligt werden sollte. Es war offensichtlich, dass des Essarts sich mit seiner Bemerkung nur wieder ihrem ursprünglichen Thema, ihrem Streit, nähern wollte.

„Er ist ein treuer Charakter, Ihr solltet das zu schätzen wissen.“

„Verflucht noch eins!“ fuhr Tréville auf. „Ihr kommt, um guten Tag zu sagen und macht mir Vorhaltungen darüber, wie ich meine Kompanie führe. Das Ganze verdeckt Ihr mit dem Wort Familienangelegenheiten. Sagt endlich, weshalb Ihr wirklich gekommen seid!“

„Aus demselben Grund, den vermutlich auch Euer Leutnant gehabt hat, als er sich zu seinem übel gelaunten Vorgesetzten in dieses Arbeitszimmer begeben hat: Um mit ihm zu reden.“ Des Essarts stützte sich auf den Schreibtisch und sagte eindringlich: „Ihr habt den Mann auf der Straße gesehen. Ihr wisst von den Gerüchten, die in Paris die Runde machen. Ihr schließt Euch in diesem Raum ein, obwohl Taten von Euch erwartet werden. Ich könnte noch mehr aufzählen, aber Ihr wisst verteufelt gut, wovon ich spreche. Ich bin nicht hier, um Euch nach den Gründen zu fragen. Ich verlange, dass Ihr dies beendet!“

Des Essarts wartete keine Antwort ab, sondern schritt zur Tür. Dort wandte er sich noch einmal zu seinem Schwager um, dem es offenbar nur mit einiger Mühe gelang sich zu beherrschen. „Ich hoffe, wenn schon nicht um Euch und Eure Karriere, so sorgt Ihr Euch doch wenigstens um das Wohlergehen und den Ruf der Menschen, die Euch vertrauen. Ich gebe Euch den guten Rat, dieses Vertrauen nicht zu missbrauchen.“

Mordpakt: Richelieu

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