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Szene XI

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Bertrand wurde das Gefühl nicht los, dass man sich heimlich über ihn amüsierte. Während sich Monsieur d'Orfeuille geradezu köstlich mit Madame d'Artagnan zu unterhalten schien und immer wieder neue Themen fand, die bis hin zu ihrem langweiligen Abschluss ausgeschöpft wurden, sehnte sich der Gastgeber nach einem baldigen Ende dieses Besuchs. Allerdings ignorierte man diesen Wunsch geflissentlich, obwohl Bertrand immer wieder einen Blick zur großen Standuhr im Salon warf, was ihm jetzt erneut einen unauffällig strafenden Blick von Françoise eintrug, während sie weiterhin mit ihrem Gast plauderte. „Sagt, Monsieur, langweilt Ihr Euch nach so langer Zeit in Paris nicht in unserer ruhigen Provinz, wo es an geselliger Abwechslung und Unterhaltung doch sehr mangelt?“

„Ah, Madame.“ erwiderte d'Orfeuille mit einem Lächeln, das einmal mehr seine großen, weißen Zähne enthüllte. „Es kommt nicht auf die Menge der Vergnügungen und Besuche an. Ich kenne keinen Salon einer großen Dame in Paris, den ich dem Euren vorziehen würde.“

D'Orfeuille war kein unsympathischer Mann, man hätte ihn sogar als ausgesprochen charismatisch beschreiben können, gut aussehend, reich und in jeder Runde gerne gesehen. Die Damen mussten ihn gleich zweifach schätzen, einmal als wünschenswerten Schwiegersohn, zum anderen als charmanten Edelmann. Jeder sollte ihn mit offenen Armen empfangen und besonders natürlich sein unmittelbarer Nachbar. Nur, hier auf Castelmore wirkte d'Orfeuilles weltmännisches Gehabe zu groß, seine Erzählungen zu übertrieben und er selbst zu schillernd. Er hatte etwas linkisches an sich, einen unangenehmen Wesenszug. So hatte sich der Erbe der Familie Orfeuille immer gegeben, schon vor seiner Reise nach Paris. Bertrand wusste, weshalb er diesen Mann nicht mit offenen Armen empfangen konnte. D'Orfeuilles letzter Besuch auf Castelmore lag über drei Jahre zurück, man hatte sich im Streit getrennt und seither war es nur noch selten zu einer Begegnung zwischen den Nachbarn gekommen.

„Nun übertreibt Ihr aber, Monsieur.“ tadelte Françoise in sanftem Tonfall. „Als ich Euch zuletzt zu Besuch in diesem Salon empfangen durfte, schwärmtet Ihr davon, einmal die Hauptstadt zu sehen. Sicherlich hat das Leben dort Eindrücke hinterlassen, die wir hier kaum bieten können. Ich denke nur an die großen Bankette und Feste.“

Mit einer eleganten Handbewegung wischte sich d'Orfeuille eine goldblonde Locke aus der Stirn und winkte mit der gleichen Geste die letzte Bemerkung beiseite. „Das mag sein und doch geht nichts über das liebe Heim hinaus. Ich muss sagen, auch wir in der Gascogne verstehen es zu feiern und unsere Gäste aufs trefflichste zu bewirten.“

Das Mahl war schon lange beendet und von der zuvor so prächtigen Gans waren nicht mehr als ein paar kümmerliche Knochen übrig geblieben, die traurig zwischen den Resten von Saucen, Obst und Gemüse auf den Tellern lagen. Zwei Mägde waren damit beschäftigt, die Tafel abzuräumen und Schüssel um Schüssel zurück in die Küche zu tragen. Die Herrschaften hatten sich unterdessen in den Salon zurückgezogen, um ihr Gespräch dort fortzusetzen - oder weiterhin zu grübeln. Bertrand ging die frühere Bemerkung d'Orfeuilles nicht aus dem Kopf und auch wenn Madame d'Artagnan ihrem Gatten nachdrücklich zu verstehen gegeben hatte, dieses Thema ruhen zu lassen, kreisten seine Gedanken weiterhin um diesen Leutnant der Musketiere, der seinen Namen trug. Weder seinem Gast noch seiner Frau schien aufzufallen, was Bertrand beschäftigte. Sie redeten munter weiter, d'Orfeuille wortgewandt und selbstsicher über sein Leben in der fernen Hauptstadt, während Françoise ab und an eine Frage einwarf, geduldig zuhörte und sich nicht anmerken ließ, ob sie der Brotpreis oder die Hofintrigen wirklich interessierten.

„Es gibt jeden Tag aufs neue unglaubliche Geschichten zu erzählen und das einfache Volk ist geschwätzig.“ meinte der Gast eben. „Die wenigstens dieser Gerüchte entsprechen den Tatsachen und glaubt man ihnen doch, so sollte es beinahe alle paar Augenblicke eine neue Verschwörung gegen die hochgestellten Persönlichkeiten am Hof geben. Mörderische Intrigen sind es, die sich da abspielen sollen.“

„Würde es tatsächlich jemand wagen, sich gegen die Mächtigen zu stellen?“

„Wenn es die Mächtigen selbst sind?“ zuckte d’Orfeuille wie beiläufig mit den Schultern. Wahrscheinlich mussten solche, selbst verschwörerisch gemeinten Worte beeindrucken und gebannt lauschte Madame d'Artagnan den Erzählungen ihres Gastes, während Bertrand gleichgültig daneben saß und sich Wein nachschenkte. Unter anderen Umständen hätte er die Gesellschaft vielleicht genießen können. Castelmore schien jetzt einfach zu groß und zu still, wenn Bertrand durch die Flure ging, dabei manchmal im Gang mit den Familienportraits stehen blieb und sie schwermütig betrachtete. D'Orfeuilles Anwesenheit war eine Abwechslung zum üblichen Alltag, dem es zu oft an einem herzlichen Lachen oder auch einem lauthals geführten Streit zu mangeln schien. Doch während Madame d'Artagnan diesen Besuch höflich willkommen hieß, konnte Bertrand dem Gespräch nicht recht folgen, das sich mal um die große Stadt, mal um den Hof und dann wieder um die Sehnsucht nach der Gascogne drehte - oder um alles auf einmal. Ob alle Kinder so begeistert erzählten, ob alle so erwachsen waren, wenn sie schließlich nach Hause zurückkehrten?

„Man wird es kaum für möglich halten“, schwärmte d'Orfeuille weiter, „aber die Stadt scheint jeden Tag ein wenig anders auszusehen. Damit meine ich nun nicht den Schmutz auf den Straßen. Oh nein, einfach alles ist einer steten Wandlung unterworfen. Wo sich heute noch eine Prunkallee durch die Häuser windet, kann morgen einer leere Gasse sein und genauso verhält es sich auch mit dem Menschen. Es ist interessant, sie zu beobachten.“

„Das klingt sehr philosophisch.“ lächelte Françoise nachsichtig über diese Bemerkung.

„Wenn Ihr einmal nach Paris zurückkehrt, werdet Ihr die Stadt nicht wiedererkennen.“ murmelte Bertrand ungehört und hing dann wieder seinen eigenen Gedanken nach. Wann war er selbst zuletzt in der Hauptstadt gewesen? Es musste viele Jahre her sein, zumindest erinnerte er sich in diesem Zusammenhang weniger an interessante, dafür aber an unhöfliche und laute Menschen. Ohne einen guten Freund an seiner Seite hätte es Bertrand sicher nicht zwei Tage in der Stadt ausgehalten. Vielleicht stimmte die Behauptung, dass jeder anständige Franzose wenigstens einmal die Hauptstadt besucht haben sollte. Doch dort zu wohnen, erforderte mehr als gesunden Patriotismus. Dazu war auch eine gehörige Portion Abenteuerlust von Nöten, die Bertrand vor langer Zeit schon abgelegt hatte, um bei seiner Familie in der Gascogne zu sein. Jetzt war wieder ein d'Artagnan in Paris - oder genauer: Jemand, dieses Namens.

„Ach, mit der Philosophie halte ich es nicht so.“ gab d'Orfeuille verträumt zurück. „Sie ist doch eine sehr unsichere Sache und jeder kluge Kopf wird die Erkenntnisse seines Vorgängers widerlegen wollen. Meine Welt sind mehr die Zahlen und Fakten. Aus diesem Grund muss ich sehr genau beobachten.“

Françoise runzelte leicht die Stirn. „Ob ihr einem Menschen trauen könnt, oder nicht?“

„Natürlich, niemand schließt ein Geschäft mit einem Heuchler ab. Noch schlimmer sind da allerdings die Idealisten, die Furchtlosen oder die Verzweifelten. Sie alle haben gemeinsam, dass sie die Risiken gerne unterschätzen und die Situation nicht ausreichend bewerten können. Nehmt ein Beispiel:“

Allen Menschen konnte ein Fehler unterlaufen. Selbst der umsichtigste Zeitgenosse sah sich manchmal in einer Lage wieder, die er so niemals erwartet hätte. Bertrand zweifelte nicht daran, dass vor jeder Entscheidung gute Gründe standen, auch, wenn diese nicht immer offensichtlich oder verständlich schienen. Jean d'Orfeuille für seinen Teil hatte nach dem Tod seines Vaters beschlossen, die bis dahin eher flüchtigen Bekanntschaften mit seinen Nachbarn zu vertiefen und besonders Schloss Castelmore hatte er oft besucht. Dies war d'Orfeuilles Entscheidung gewesen und Bertrand hatte sie akzeptiert. Doch anscheinend war... die Situation nicht ausreichend bewertet worden.

„Ein Karren, beladen mit - nun, sagen wir Eisenerz - muss, um zum Hüttenwerk zu gelangen, zunächst über eine vom Regen und vielen Fuhrwerken aufgeweichte Straße fahren. Was könnte geschehen?“

„Ich nehme an, der Karren könnte stecken bleiben.“ gab Madame d'Artagnan ohne Zögern zurück.

Von einem Tag auf den anderen hatte sich erneut alles geändert. Bertrand fand sich plötzlich in einer Meinungsverschiedenheit mit dem jungen d'Orfeuille wieder und hätte ihn für immer seiner Tür verwiesen, wenn nicht Françoise schlichtend eingriffen hätte. Trotzdem hatte Bertrand dem jungen Mann nicht gänzlich verzeihen können und sein höflicher Besuch heute konnte nicht die Ereignisse der Vergangenheit ungeschehen machen. Doch diesen Gedanken aus der Erinnerung zu rufen und ihn hin und her zu wälzen, war nur müßig. Wer, zum Teufel, war dieser Leutnant?!

„Das wäre ein Risiko.“ nickte der Gast. „Der weitere Weg führt einen Abhang hinunter, über eine Landstraße, deren Schlaglöcher schon lange nicht mehr mit Steinen aufgefüllt wurden.“

„Möglicherweise wird der Fuhrmann die Kontrolle über den Karren verlieren, er könnte schleudern und umfallen.“ antwortete Françoise brav.

„Sehr richtig, Madame! Aber diese zweite Gefahr ist noch nicht alles. Das Hüttenwerk liegt hinter einem kleinen Wäldchen und an diesem führt kein Weg vorbei, der Karren muss wohl oder übel in die dicht gedrängten Bäume eintauchen, ohne zu wissen, was darinnen wartet.“

„Räuber?“

D'Orfeuille senkte die Stimme zu einem Flüstern. „Vielleicht? Der Begleitschutz ist unentschlossen: Soll er für eine handvoll Münzen sein Leben riskieren? Verlässt er feige den Transport, sodass der Karren schutzlos auf sich allein gestellt ist?“

D'Orfeuille hatte für ein Jahr die Gascogne verlassen und war wohlhabend zurückgekehrt. Er begrüßte seinen Nachbarn überschwänglich und herzlich. Er konnte es sich leisten, denn in Paris hatte er als Weinhändler sein Glück gemacht. Der ohnehin schon selbstbewusste junge Mann, der in die Hauptstadt auszog, war stolz geworden und unterschied sich auf einmal sehr deutlich von den Provinzlern in seiner Heimat. Bertrand fragte sich, ob die Stadt jeden Menschen so nachhaltig verändern konnte.

Françoise hob verwundert eine Hand zum Haar und tastete nach einer widerspenstigen Strähne, die ihr aus dem Zopf über die Stirn gefallen war. Sie strich sich die Locke gedankenverloren hinters Ohr, eine Geste, die meist eine größere Wirkung auf ihren Gegenüber als jedes Wort haben konnte. Auch d'Orfeuille lernte das gerade. „Aber Monsieur! Eisenerz, nicht mehr als einige Steinklumpen also, sollten tatsächlich kostbarer sein als das Leben des Fuhrmanns und seiner Eskorte?“

„Aus Eisenerz lassen sich jedoch Dinge herstellen, die anderer Leute Leben retten können.“ gab d'Orfeuille nach einem kurzen Moment der Überlegung zu bedenken. „Wie sollen Soldaten das Volk verteidigen, wenn sie keine Waffen zur Verfügung haben?“

Bertrand konnte seiner Frau ansehen, dass sie mit dieser Antwort nicht zufrieden war. Im Stillen musste er Françoise zustimmen. Durch Waffen wurde nur mehr Blut vergossen und das Argument konnte schwächer nicht sein. Trotzdem schwieg Madame d'Artagnan und wartete, worauf ihr Gast eigentlich hinauswollte. D'Orfeuille fuhr auch gleich fort: „Dies sollen nur drei Dinge sein, die dem Karren auf seinem Weg widerfahren könnten. Jetzt nehmen wir an, wir wollten mit Eisenerz spekulieren. Würdet Ihr eben jenen Transport unterstützen, der nicht unerheblichen Risiken ausgesetzt ist, bevor er sein Ziel erreicht?“

„Sicher nicht.“

„Seht Ihr?“ D'Orfeuille lächelte triumphierend. „Aber was ist nun mit dem Idealisten, dem Furchtlosen, dem Verzweifelten? Nun, der Idealist wird glauben, dass alles gut gehen wird, weil er dem Können des Fuhrmanns vertraut. Der Furchtlose wird auf die Tapferkeit der Eskorte setzen und dem Verzweifelten bleibt gar keine andere Wahl, als dieses Geschäft abzuschließen. Bei einem Heuchler kann man sich zumindest sicher sein, dass er sehr wohl von den Risiken weiß und sie für seine Zwecke ausnutzen wird. Die Anderen jedoch sind so sehr überzeugt, dass sie diese Gefahren schlicht übersehen, nicht Ernst nehmen oder ohnehin schon aufgegeben haben.“

Übersehen, nicht Ernst genommen und aufgegeben - keine Aufzählung wäre treffender gewesen, pflichtete Bertrand bedrückt zu. Trotzdem gab es immer wieder einige wenige Mutige, die bereit waren, ein Risiko einzugehen, sich dem Fremden zu stellen und ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang zu wagen, wenn sie eine noch weitaus unangenehmere Alternative dazu zwang.

Bertrand wünschte in diesem Augenblick nur, dass alle Geschichten über solche Helden schließlich ein gutes Ende fanden.

Mordpakt: Richelieu

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