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Szene IV

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Die Schenke 'Zum Tannenzapfen' war auch heute wieder gut besucht. Der ausgezeichnete Ruf der Wirtsstube war nicht nur in der Kompanie der Musketiere bekannt, auch die Gardisten des Königs unter Hauptmann des Essarts und sogar vereinzelte Kardinalisten kehrten nach Dienstschluss ein. Der 'Tannenzapfen' bot das übliche Bild seiner Zeit: Die Küche ging beinahe nahtlos in den Schankraum über, in dem zahlreiche Holztische und -bänke aufgestellt waren. Die Luft war schwer von Kochdünsten und Schweiß, die Atmosphäre alkoholgetränkt und laut, lustig und stets nur einen Wimpernschlag von der nächsten Schlägerei entfernt. Im oberen Stockwerk gab es Gästezimmer für Parisreisende und auch sonst bot die Schenke alles erwartbare: Gutes Essen, guten Wein, gute Frauen und als Souvenir die Krätze oder andere unangenehme Krankheiten. Trotzdem galt der 'Tannenzapfen' im Vergleich als sauber und gepflegt. Der Wirt achtete auf Ordnung in seinem Haus und hielt die Polizeistunde meist ein. Von Raufereien hörte man selten und es konnte anschreiben, wer gerade knapp bei Sold war. An manchen Abenden hatten auch Athos, Porthos, Aramis und d'Artagnan von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und ihre Schulden stets gewissenhaft zurückgezahlt.

Als die drei Musketiere nun eintraten, sahen sie gleich, dass es schwer für sie werden würde, noch einen Tisch zu ergattern.

„Sehr viele Gäste heute Abend.“ stellte Porthos mürrisch fest. Er hielt Ausschau und da er seine Begleiter um fast einen Kopf überragte, kam er recht schnell zu dem Schluss, dass alle Tische besetzt waren und auch alle Bänke, Holzbretter, die der Wirt aufgebockt hatte, belegt.

„Gibt es wirklich keine freien Plätze mehr für uns?“ versicherte sich Aramis bei dem Hünen, der nur bedauernd den Kopf schüttelte. Fragend sahen sie beide zu Athos, als plötzlich eine Stimme aus dem Schankraum über den fröhlichen Lärm der Zecher hinweg in ihre Richtung rief: „Messieurs!“

Wenn sie ihn nicht besser gekannt hätten, dann hätten Aramis und Porthos schwören können, in der sonst so gelassenen Miene ihres Freundes einigen Unmut aufblitzen zu sehen. Der Grund dafür war eine Gestalt, die sich jetzt durch das Gedränge im Schankraum zwängte, zielstrebig auf die Musketiere zu. Nicht nur Athos hatte sie erkannt. Auch Aramis raunte: „Noch können wir gehen und ihn nicht bemerkt haben.“ Dabei versuchte er, Porthos am Ellenbogen in Richtung des Ausgangs zu schieben. Allerdings versperrten ihnen andere, neu eintreffende Gäste an der Tür den Weg. Sehr viel näher schallte es weider und ließ keinen Zweifel daran, wer gemeint war: „Messieurs Musketiere! Athos, Porthos und Aramis!“ Ein junger Mann in der Uniform der Gardisten des Königs hielt auf die Freunde zu, die sich widerstrebend umwandten. Endlich an seinem Ziel angekommen, verneigte sich der Gardist höflich und mit einem strahlenden Lächeln im knabenhaften Gesicht. Etwas verhaltener grüßte ihn Aramis zurück. „Bonsoir, Monsieur de Moissac. Welch Zufall.“

Moissac schien der unterkühlte Ton gar nicht aufzufallen, noch weniger konnte er den jungen Mann aufhalten. Überschwänglich nahm er reihum die Hände der Musketiere und schüttelte sie ausdauernd, wobei er munter drauflos plapperte: „Bonsoir, bonsoir Messieurs! Es freut mich, Euch anzutreffen! Nach einem anstrengendem Tag im Dienst für den König kehren die Musketiere im 'Tannenzapfen' ein, nicht wahr?“ Ein Zwinkern folgte, als wäre Moissac Teil einer verschworenen Gemeinschaft. Keiner der Freunde wusste darauf höflich zu antworten und es war ihnen anzusehen, dass sie nun lieber einige Meilen weit entfernt gewesen wären. An den nahen Tischen wandten sich schon Köpfe in ihre Richtung, was Moissac jedoch nicht zu stören schien. Im Gegenteil schien er die Aufmerksamkeit zu genießen und präsentierte sich gern in Gesellschaft der Musketiere. Neben seiner faltenlos gebügelten Uniform, dem perfekt liegenden Kragen und den glänzenden Stiefeln konnte man sich schon ein wenig schäbig fühlen, wenn einen solche Äußerlichkeiten beeindruckten. Schon redete er weiter: „Heute Abend ist besonders viel Betrieb. Ich bin froh, noch einen Platz bekommen zu haben. Dabei war ich schon früh hier und habe auf meine Kameraden gewartet. Wir halten uns gegenseitig einen Tisch frei, wenn einer früher Dienstschluss hat.“

„Wir werden uns nach einem anderen Gasthaus umsehen.“ erwiderte Aramis zurückhaltend, seinen beiden Begleitern allerdings sehr bestimmende Blicke zuwerfend. Doch genau auf diese Worte schien Moissac gewartet zu haben. Es platzte förmlich aus ihm heraus: „Meinen Tisch teile ich nur mit zwei Kameraden, es sind noch einige Stühle unbesetzt. Es wäre uns eine Ehre, wenn ihr euch zu uns gesellen würdet.“

Porthos schüttelte den Kopf und machte einen halben Schritt zur Tür hin. Doch trotz dieser eindeutigen Geste, rührte sich Athos nicht von der Stelle. Im Gegenteil nickte er nun in Moissacs Richtung und dessen unverkennbare Freude entschuldigte in diesem Moment Athos' scheinbar übertriebene Höflichkeit. Moissac führte die Musketiere sofort quer durch den Schankraum zu einem Tisch, an dem in der Tat zwei weitere Gardisten saßen.

Mochte es auch kein vernünftiges Argument geben, um das Angebot abzulehnen, so lag Aramis doch eine stumme Frage an Athos auf den Lippen. Der ältere Musketier verstand den unausgesprochenen Vorwurf und flüsterte, nur für seine beiden Freunde hörbar: „Wenn wir ein anderes Gasthaus aufsuchen, wird d'Artagnan uns nicht finden.“

„Falls wir heute überhaupt noch zusammengefunden hätten.“ zischte Aramis zurück und neben ihm brummte Porthos: „D'Artagnan hätte es ganz sicher verstanden.“

Athos, auch wenn er seine Entscheidung nicht für falsch hielt, musste dem Hünen recht geben. Wahrscheinlich wäre d'Artagnan der erste gewesen, der auf dem Absatz kehrtgemacht hätte, sobald er Moissac erkannte. Jetzt war es allerdings zu spät dafür und die Freunde erreichten den Tisch, an dem die beiden anderen Gardisten ihr eigenes Gespräch unterbrachen, um die Musketiere abschätzend zu mustern. Moissac stellte mit unverkennbaren Stolz auf seine flüchtige Bekanntschaft mit den Musketieren die Freunde vor. „De Saint-Marc und de Villeneuve, dies sind die Herren Athos, Porthos und Aramis.“

Die beiden Gardisten nickten knapp und es war ihnen anzusehen, dass sie im Gegensatz zu ihrem Kameraden keinen gehobenen Wert auf die Gesellschaft der Musketiere legten oder sonderlich beeindruckt waren. Die Freunde störten sich nicht weiter daran. Wenn Saint-Marc und Villeneuve sich nicht so aufdringlich gaben wie Moissac, konnte es ihnen nur recht sein. Sie ließen sich auf ihren Stühlen nieder und Moissac winkte einer Magd, die trotz der zahlreichen Gäste auch bald zu ihrem Tisch kam und die Wünsche der Musketiere entgegennahm. Zwar war die Gesellschaft nicht die angenehmste, aber ein Abendessen aus der guten Küche des 'Tannenzapfens' ließen sich die Freunde deswegen nicht nehmen. Saint-Marc und Villeneuve widmeten sich bald wieder ihren eigenen Angelegenheiten, nur Moissac konnte nicht schweigen und versuchte ein Gespräch am Tisch in Gang zu bringen. Er hatte nicht viel Erfolg damit, da sich die anderen Männer entweder mit ihrem Wein oder ihrem Essen beschäftigten. Irgendwann allerdings stellte Moissac eine Frage, auf die die Musketiere schon die ganze Zeit gewartet hatten und es wunderte sie fast, dass der junge Mann nicht früher schon darauf zu sprechen gekommen war. „...und aus diesem Grund hoffe ich, bald Fähnrich in meiner Kompanie werden zu können. Aber sagt, wo ist eigentlich d'Artagnan? Ihr müsst wissen, Saint-Marc, Villeneuve, die Unzertrennlichen sind in der Regel zu viert anzutreffen. Es ist doch hoffentlich alles in Ordnung?“

Von allen Musketieren, die Moissac das Vergnügen hatte zu kennen, war wohl ausgerechnet der Leutnant derjenige, auf den er es am meisten abgesehen hatte. Das mochte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass er und d'Artagnan für einige Monate gemeinsam in der Garde Seiner Majestät gedient hatten. Moissac war kurz vor dem Feldzug nach La Rochelle der Kompanie beigetreten, mit ehrgeizigen Plänen für seine weitere Karriere. Er hatte die baldige Versetzung des praktisch gleichaltrigen Gascogners zu den Musketieren miterlebt und das schien ihn beeindruckt haben. Als d'Artagnan dann auch noch überraschend zum Leutnant ernannt worden war, musste Moissac endgültig den Entschluss gefasst haben, dass ihm eine Freundschaft mit seinem einstigen Kameraden nur zum Vorteil gereichen konnte. Wenn Athos, Porthos und Aramis - von denen sich Moissac durch ein gutes Verhältnis zu ihnen, da sie die besten Freunde d'Artagnans waren, ebenso hoffnungsvolle Aussichten für seine Zukunft versprach - den jungen Gardisten schon sehr lästig fanden, dann war die Aussicht, das eigentliche Interesse Moissacs zu sein, noch weit weniger erbaulich.

Bevor einer der Musketiere antworten konnte, mischte sich Saint-Marc ein. Der Gardist hatte halb den Weinbecher zum Mund gehoben. Eine alte Pockennarbe auf seiner Wange geriet in Bewegung, als er wie beiläufig meinte: „D'Artagnan ist der Leutnant der Musketiere. Es wundert mich nicht, dass er nicht anwesend ist.“

„Was wollt Ihr damit sagen?“ erwiderte Aramis schärfer, als er es beabsichtigt hatte und war damit schon halb auf den lauernden Tonfall des Gardisten hereingefallen. Saint-Marc trank ungerührt, dann zuckte er mit den Schultern. „Gehört es nicht zu den Aufgaben eines Leutnants, seinen Hauptmann zu vertreten?“

„Ja.“ fügte jetzt Villeneuve ebenso harmlos hinzu. Er hatte ein spitzes Gesicht und dazu passend den dünnen Schnurrbart einer Ratte. „Ist das nicht eine wesentliche Pflicht dieses Postens? Besonders zu solchen Zeiten.“

Athos legte Aramis eine Hand auf den Arm, bevor sein Freund hitzig etwas antworten konnte. Porthos, der drauf und dran war von seinem Stuhl aufzuspringen, hielt er mit einem schnellen Blick im Zaum. Er selbst musterte die beiden Gardisten kühl. „Ich bin mir nicht sicher, worauf ihr hinauswollt. Allerdings meine ich mich zu erinnern, dass auch Hauptmann des Essarts einen Leutnant zur Seite hätte, dem ihr Respekt schuldet.“

Moissac, der nicht recht zu verstehen schien was vor sich ging, blickte von einem Gesicht zum anderen und meinte unsicher: „Im Augenblick ist unsere Kompanie zwar ohne Leutnant, aber ich denke, gäbe es einen, so wären seine Pflichten vielfältiger Natur.“

Saint-Marc lehnte sich überlegen lächelnd zurück und überließ es Villeneuve, zu antworten. „Solange diese Pflichten auch erfüllt werden.“

Aramis war von Natur aus ein eher sanftes Gemüt, ein Feingeist. Doch nun ließ er sich nicht länger von Athos beschwichtigen, sondern fuhr die Gardisten an: „Ihr solltet Euch deutlicher ausdrücken, Eure Worte könnten sonst zu einem unschönen Missverständnis führen!“

Saint-Marc winkte unbeeindruckt ab. „Ein solches Missverständnis möchten wir natürlich vermeiden. Ihr habt es wohl noch nicht gehört?“

„Was gehört?“ fragte Moissac völlig arglos dazwischen.

„Nun, mein Freund. Es geht das Gerücht, dass die maroden Staatskassen nicht mehr alle Kompanien tragen können. Der König lässt nicht umsonst zu, dass so unerfahrene, junge Männer den Posten eines Leutnants einnehmen.“

Villeneuves Barthaar zitterte vor Vergnügen, als er hinzufügte: „Die Hauptleute müssen lernen, sich mit der zweiten Wahl zufriedenzugeben. In manchen Einheiten ist das schon seit einigen Jahren der Fall.“

Selbst Athos wurde blass vor Zorn und seine Hand ruhte gefährlich auf dem Griff seines Degens.

„Was, bitte, ist seit einigen Jahren der Fall?“ Die Köpfe aller Männer am Tisch ruckten herum, als plötzlich eine neue Stimme, scheinbar vergnügt und doch sehr scharf, sprach. „Ah, ich hörte nur das Wort 'Kompanie' und es ist meine verflucht neugierige Art, bei manchen Begriffen aufzuhorchen.“

An den Tisch trat ein weiterer Mann, bei dem es sich unverkennbar um keinen einfachen Soldaten handelte. Er stand entspannt, doch seine ganze Haltung strahlte Autorität aus. Er schien gewöhnlich Befehle zu erteilen, die stante pede ausgeführt wurden. Seine markanten Gesichtszüge entbehrten nicht einer gewissen Attraktivität, die von den Damen sicher als aufregend empfunden wurde. Bei seiner Rede hatte er kaum die Stimme heben müssen, um sich Gehör zu verschaffen, ihm war sofort alle Aufmerksamkeit sicher.

Moissac sprang beinahe von seinem Stuhl auf und rief überrscht: „Monsieur des Essarts, Hauptmann...!“

Der Hauptmann der Gardisten des Königs ging über den Gruß seines jungen Untergebenen hinweg, Saint-Marc und Villeneuve traf allerdings ein stählernen Blick. Des Essarts schien die letzten Gesprächsfetzen durchaus aufgefangen zu haben und auch die Musketiere machten keinen Mucks. Seine Stimme bekam etwas schneidendes, keinen Widerspruch duldendes, als er nachfragte: „Was also ist seit einigen Jahren in Frankreichs Kompanien der Fall und entzieht sich vollkommen meiner Kenntnis, während meine Soldaten erstaunlich gut Bescheid zu wissen scheinen?“

Saint-Marc und Villeneuve wagten es nicht, zu antworten. Der Hauptmann wartete noch einen Augenblick länger und als er überzeugt schien, dass seine Untergebenen lange genug geschmort hatten, sagte er: „Wir werden uns darüber morgen früh ausführlicher unterhalten, nachdem die Herren ihren Wachdienst beendet haben. In meinem Arbeitszimmer, pünktlich!“

Villeneuve schien protestieren zu wollen, doch als ihn der Blick seines Vorgesetzten traf, machte er den Mund sofort wieder zu. Essarts trug eine schwer zu deutende Miene. Ihn schien mehr als nur Villeneuves und Saint-Marcs Unverschämtheit verärgert zu haben. „Geht!“

Saint-Marc schien etwas blasser um die Nasenspitze zu werden, seine Pockennarbe zeichnte sich noch deutlicher ab. Villeneuve und er standen eilig auf und trollten sich. Sie vermieden es im Vorbeigehen, den Musketieren finstere Blicke in Gegenwart ihres Hauptmanns zuzuwerfen. Auf einen der frei gewordenen Stühle ließ sich nun überraschend des Essarts nieder und maß die anderen Männer mit einem abschätzenden Blick. „Villeneuve und Saint-Marc mögen zwei Unruhestifter sein, doch ich hoffe sehr, ihr habt euch nicht provozieren lassen?“

Athos neigte respektvoll den Kopf. „Nein, Monsieur le capitaine.“ Aramis und Porthos nickte bestätigend. Von des Essarts schien damit die letzte Anspannung abzufallen und er lehnte sich bequem zurück. „Sehr gut. Andernfalls hätte ich diesen Vorfall meinem Schwager melden müssen. Doch ich glaube, ein Streit zwischen Gardisten und Musketieren ist das Letzte, wovon Tréville im Augenblick erfahren möchte. Zumal es sich nicht einmal um die Männer des Kardinals gehandelt hat.“

Selbst der vorhin noch so eingeschüchterte Moissac lachte bei dieser Bemerkung auf und die Angelegenheit schien damit erledigt. Des Essarts wandte sich dem jungen Gardisten zu, der sofort wieder verstummte. „Ihr seid vernünftig geblieben, lobenswert. Im Übrigen bin ich nicht zufällig in diese Schenke gekommen.“

„Hauptmann?“

„Ihr seid mehrere Male an mich herangetreten mit der Bitte um einen geringen Gefallen. Er wird Euch gewährt.“

Moissac starrte sprachlos, dann jedoch hellte ein erfreutes Lächeln seine Miene auf. „Ihr meint, Ihr habt tatsächlich für meine Base eine Stelle als Gesellschafterin gefunden?“

„Beinahe. Wir werden ebenfalls morgen darüber reden. Jetzt solltet Ihr Eure Kameraden einholen und beruhigen, bevor sie weitere Dummheiten begehen. Ich will mich nicht in der Position wiederfinden sie aus dem Arrest holen zu müssen. Obgleich sie ein paar Tage bei Wasser und Brot verdient hätten.“

Moissac nickte eifrig, verabschiedete sich und schob sich ein weiteres mal durch den überfüllten Schankraum zum Ausgang des 'Tannenzapfens'. Die drei Musketiere sahen sich nun allein mit dem Hauptmann der Gardisten und es war Athos, der behutsam fragte: „Gilt Eure Sorge tatsächlich nur Saint-Marc und Villeneuve?“

Des Essarts lächelte dünn und verneinte. „Ihr habt mich durchschaut, wie nicht anders zu erwarten. Natürlich würde ich nicht Moissac endlich geben, was er verlangt, nur damit ich ungestört mit dreien der besten Musketiere meines Schwagers reden könnte.“ Unbewusst rückten die Männer zusammen und Aramis stellte nüchtern fest: „Es ist mittlerweile wohl ein offenes Geheimnis, dass mit- der Kompanie der Musketiere etwas nicht stimmt.“

„Ja. Es gehen die unterschiedlichsten Gerüchte, doch niemand weiß, was wirklich geschieht. Auch ich nicht.“

Porthos schüttelte ungläubig den Kopf. „Aber Ihr seid Familie!“

„Das bin ich und in der Regel erzählt mir meine Schwester davon, wenn sie etwas bedrückt. Aber nicht einmal sie scheint nun zu wissen, woher das auffällige Verhalten ihres Mannes rührt.“ Des Essarts schmunzelte, aber es schien mehr verbittert als amüsiert. „Ganz sicher wurden weder ihm noch mir gedroht, dass unsere Kompanien die Staatskassen zu stark belasten würden. Es muss einen anderen Grund geben.“

„Ihr glaubt, wir wüssten es?“ fragte Aramis.

„Ihr seid Teil des Korps und euer Hauptmann lobt euch in den höchsten Tönen, wenn wir von euch sprechen. Nichts weiter als ein kleiner Konkurrenzkampf unter uns Offizieren, wer die hervorragendsten Soldaten zu seinen Untergebenen zählt. Wie auch immer es darum steht, aber ich greife inzwischen nach jedem Strohhalm. Zu viel Gerede schadet. In diesem Fall nicht nur einem guten, meinem besten Freund und seiner Kompanie, sondern auch meiner Familie. Das muss aufhören!“

Die Musketiere wechselten bedrückte Blicke und schließlich gestand Aramis: „Nein, wir sind ebenso ahnungslos. Etwas hat sich über die letzten Wochen verändert, aber wir wissen weder was noch warum.“

„Was ist mit d'Artagnan?“

Nicht nur Athos und Porthos merkten auf. Auch Aramis runzelte die Stirn und schien es seltsam zu finden, dass nach Saint-Marc und Villeneuve jetzt auch ihr Hauptmann gezielt auf d'Artagnan zu sprechen kam. Wenn auch mit anderen Absichten. „Was meint Ihr?“

„Wenn ich sage, mein Schwager lobt seine besten Männer in höchsten Tönen, dann fällt auch regelmäßig d'Artagnans Name. Der Leutnant steht von allen Musketieren seinem Hauptmann am nächsten. Wenn also jemand eine noch so leise Ahnung haben könnte...“

„Uns hat er auf jeden Fall noch nichts erzählt.“ erwiderte Aramis verschnupft. Athos hatte den Wortwechsel bis da stumm verfolgt und wunderte sich über die doch reichlich unterkühlte Antwort des Freundes, die nicht zur Frage zu passen schien. Des Essarts' Überlegung war nicht abwegig, aber auch Porthos schaute merkwürdig peinlich berührt drein. Als dem Hünen Athos' blanke Miene auffiel, raunte er nur für ihn hörbar: „D'Artagnan soll dem Hauptmann näher stehen als seine eigene Frau?“

Athos hustete, als hätte er sich am Wein verschluckt und Porthos beeilte sich zu versichern: „Das wird Essarts bestimmt nicht gemeint haben, nicht wahr?“

Athos bemühte sich gar nicht erst darum, diesen absurden Gedankengang verstehen zu wollen und wandte sich direkt an des Essarts. „Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte, Hauptmann?“

„Sprecht.“

„Vielleicht solltet Ihr unter vier Augen mit Herrn de Tréville sprechen.“

„Denkt Ihr, das habe ich nicht bereits versucht?“ Essarts klang mehr belustigt als beleidigt und Athos erklärte seine Überlegung hinter dem Vorschlag näher. „Es ist richtig, dass derzeit der Leutnant unseren Hauptmann noch am häufigsten zu Gesicht bekommt. Deshalb werden wir d'Artagnan bitten mit Monsieur de Tréville zu sprechen. Aber das allein wird nicht viel nutzen, wenn Ihr es nicht auch erneut versucht. Vielleicht ist es notwendig, dass jemand außerhalb der Familie Monsieur de Tréville darauf aufmerksam macht, dass in Paris schon Gerüchte über ihn umgehen. Aber es braucht jemanden von gleichem Rang und Status, der d'Artagnan unterstützt.“

Nach einem Moment des Zögerns stimmte des Essarts zu. „Nun gut. Selbst, wenn wir dadurch nichts erreichen sollten, den Versuch muss es wert sein. Ich bin sicher, auch die Sturheit meines Schwagers kann gebrochen werden. Zu seinem eigenen Wohl.“ Des Essarts erhob sich. „Ich wünsche uns allen viel Erfolg. Hoffen wir das Beste.“ Er grüßte die Musketiere knapp und verließ den 'Tannenzapfen'. Im Gegensatz zu Moissac musste sich der Hauptmann nirgendwo durchdrängeln, denn die meisten Gäste wichen respektvoll zur Seite.

„Das war, nun, eigenartig?“ meinte Aramis ein wenig ratlos, als die Freunde jetzt allein am Tisch zurückblieben. „Ist es um den Ruf der Kompanie schon so schlecht bestellt, dass sich andere Offiziere einmischen müssen?“

Athos schenkte sich großzügig Wein nach. „Eine Familienangelegenheit. Freund und Schwager.“

Aramis wog zweifelnd den Kopf, aber Porthos schien recht zufrieden mit der Lage und meinte: „Immerhin hat Essarts uns von diesen unverschämten Gardisten befreit.“

„Er ist ebenso in Sorge wie wir.“ fügte Athos hinzu, aber Aramis lächelte spöttisch. „In Sorge um den guten Ruf seiner Familie, ja. Wer wäre das nicht?“

„Aramis, seit wann seht Ihr in den Menschen immer zuerst die schlechten Seiten?“

„Und Ihr, Athos, seit wann seht Ihr immer zuerst die Guten?“

„Ich sehe vor allem“, mischte sich Porthos ein, „dass wir ein Versprechen gegeben haben, an das wir uns nun halten müssen.“

„Ihr habt recht.“ Aramis blickte zu den Fenstern. Die Abenddämmerung war schon lange vorbei, draußen erhellten nur noch die Laternen der Nachtwächter die Straßen. „Wie spät mag es ein?“

„Zu spät. D'Artagnan wird nicht mehr kommen.“ erwiderte Athos.

„Wollt Ihr ihm noch heute Abend Euren Auftrag erteilen?“

„Je früher desto besser, Aramis. Ich teile die Meinung des Essarts', dass von allen Musketieren d'Artagnan im Augenblick noch am ehesten ein Gespräch mit dem Hauptmann führen kann.“

Aramis musterte eine Weile stumm den Freund mit einem schwer zu deutenden Ausdruck im Gesicht. Schließlich schien er ein Zwiegespräch mit sich selbst beendet zu haben. „Nun, wenn das so ist, schlage ich vor, dass ich gehe und es ihm sage. Zum einen habe ich meine Mahlzeit bereits beendet.“ meinte er mit einem Seitenblick auf die erst halb geleerten Teller von Athos und Porthos und seinem eigenen, auf dem ohnehin nur eine Fastenmahlzeit zu finden gewesen war. „Zum anderen wollte ich ohnehin jetzt gehen.“

Athos hob eine Augenbraue, sagte aber nichts dazu. Wahrscheinlich wartete noch eine einsame Dame auf den Zuspruch des verhinderten Priesters. Porthos klopfte ihm auf die Schulter. „Ihr solltet d'Artagnan etwas mitbringen. Zwischen dieser Liste und dem Weg nach Hause war bestimmt keine Zeit für eine ordentliche Mahlzeit.“

„Das hatte ich vor, ja.“ schmunzelte Aramis wissend und verabschiedete sich von den Freunden. Er bahnte sich einen Weg zur Küche, ließ sich dort von der Wirtsfrau eine Mahlzeit einpacken und trat schließlich aus dem Gasthaus ins nächtliche Paris.

Mordpakt: Richelieu

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