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Szene I

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Es war gegen Abend an einem Montag im Oktober des Jahres 1629, als ein lauter und sehr zorniger Ausruf aus dem Kabinett des Hauptmanns der königlichen Musketiere sowohl die Soldaten als auch jeden Besucher zusammenfahren und die Köpfe wenden ließ. Der Lärm musste noch bis hinunter auf die Rue du Vieux-Colombier zu hören gewesen sein und vielleicht glaubte manch ein Passant, die Hugenotten wären eingefallen und wollten jetzt aus dem Hôtel de Tréville ein zweites La Rochelle machen.

Paris war dieser Tage ein Schiff, das schwer von den Wogen politischer Intrigen und kriegerischer Auseinandersetzungen geschüttelt wurde. Der Krieg gegen England um La Rochelle war gerade erst beendet und das Gnadenedikt von Alès duldete die Protestanten zwar weiter im Land, doch war ihnen jedwede Selbstbestimmung genommen. Kardinal Richelieu hatte die absolutistische Macht der Krone gefestigt und keiner seiner Gegner wagte auch nur ein Murren hinter vorgehaltener Hand. Paris verharrte im Zustand zwischen trügerischer Ruhe und dem Unmut, der unter der Oberfläche brodelte. Manch einer wünschte sich gar ein Ende von Richelieus Herrschaft über die Krone herbei und umso wachsamer hielten die Spione und Agenten des Ersten Ministers nach Verrätern Ausschau. Die Bürger aber ignorierten all das mit jener stoischen Arroganz der Großstädter, mit der sie auch schon andere Krisen überstanden hatten und nie untergegangen waren.

Mit ähnlicher Gelassenheit setzte darum nur einen Wimpernschlag später wieder das gewohnte, geschäftige Treiben ein, das über den wütenden Ausruf aus dem Arbeitszimmer kurz ins Stocken geraten war. Das Hôtel de Tréville war eines der prächtigsten Stadthäuser und zugleich das Hauptquartier der Musketiere. Ein beeindruckendes Anwesen mit Innenhof und Stallungen, ein Haushalt mit zahlreichen Lakaien, Mägden, Stallburschen, Dienstboten und dazu noch eine ganze Kompanie verdienter Soldaten, Raufbolde, Waffenbrüder; ein großer Trubel herrschte hier jeden Tag, der Besucher ebenso entzücken wie einschüchtern konnte. Im Vorzimmer führte man jetzt die unterbrochenen Gespräche fort, prahlte mit Heldentaten, spottete dem Kardinal und erzählte sich scherzhaft Anekdoten von Liebesglück und Herzeleid, von wahren Haudegen und unglückseligen Pechvögeln.

Anders verhielt es sich jedoch im Kabinett des Hauptmanns. „Nein!“ rief Monsieur de Tréville erneut und warf ein eng beschriebenes Papier vor sich auf den Schreibtisch. Er war in abscheulicher Laune und selbst sein Schnurrbart schien sich vor Zorn zu sträuben. Trévilles Männer verehrten ihn und sangen sein Loblied in höchsten Tönen; aber sie zitterten auch wie die Schüler vor ihrem Lehrer, wenn ihnen ein Tadel drohte. Trévilles Unmut galt jetzt seinem jungen Leutnant, einer hageren, beinahe zierlichen Gestalt, der noch jede Spur von Flaum im Gesicht abging. „Nein, nein! Das ist ein grober Unfug! Seht her!“ Tréville deutete auf verschiedene Namen, die auf dem Papier fein säuberlich untereinander zu einer Liste angeordnet waren. „Wenn Ihr die Wachen so einteilt, wird die Ablösung am Louvre in einem heillosen Durcheinander enden!“ Er griff nach einer Schreibfeder und unterstrich dick einen Namen. „Euch ist offenbar nicht aufgefallen, dass, laut dieser Einteilung, Monsieur de Fournier gleich zweifach Wachdienst halten muss?“

Der Leutnant verzog keine Miene und schien beschlossen zu haben, den Sturm vorüberziehen zu lassen. Trotz seiner auffälligen Jugend blitzte einiger Verstand in seinen Augen und hinzu gesellte sich eine Lebenserfahrung, wie sie erst manch älterer Haudegen gewonnen hatte. Die Beförderung zum Leutnant lag erst wenige Wochen zurück und war mit dem Krieg um La Rochelle teuer verdient worden. Richelieu selbst hatte ihn ausgezeichnet, statt ihm den Kopf abschneiden zu lassen, wie es auch hätte kommen können. Trotz allen Mutes, aller Kühnheit, jetzt starrte der Leutnant einen Punkt knapp an Trévilles linkem Ohr vorbei an und hielt wohlweislich den Mund.

Umso lauter wurde der Hauptmann. „Das bedeutet, Ihr straft diesen Musketier grundlos mit doppeltem Wachdienst ab. Andere dagegen sind freigestellt!“ Drei weitere Namen wurden unterstrichen. „Teilt Ihr die Wachen nach persönlicher Zuneigung ein oder seid Ihr schlicht überfordert mit dieser Aufgabe?“ Tréville hob eine Hand und schnitt seinem Leutnant, der sich nach diesen harten Vorwürfen nun doch zu einer Erklärung entschlossen zu haben schien, das Wort ab. „Was jetzt, frage ich Euch?“ Tréville fasste den anderen Offizier, der ihm eigentlich die Arbeit hätte erleichtern sollen, indem er anstelle des Hauptmanns die Wachablösung regelte, scharf ins Auge. Sein Leutnant zeigte sich verblüffend unfähig, einen reibungslos ablaufenden Dienstplan zu erstellen und Trévilles Geduld war heute zu oft strapaziert worden, als das er diesen groben Schnitzer ohne ein Wort des Tadels zu verlieren einfach übergehen konnte.

Nach allzu langem Schweigen folgte endlich eine Antwort zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Man könnte-“

„Man?“ Der Hauptmann schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und rief: „Ganz gewiss nicht „man“! Nein, sondern Ihr! Ihr, und nur Ihr allein, werdet diese Liste neu aufsetzen! Es gibt noch mehr zu bemängeln.“ Wieder kratzte der Federkiel über das Papier, unterstrich hier, markierte dort, änderte Zeiten und Namen um, bis beinahe nichts mehr vom Original übrig war. Die Feder raste geradezu über das Blatt und fand jede noch so kleine Unregelmäßigkeit. Tréville ließ nicht ein gutes Haar an der Aufstellung. „Das hier muss auch anders geregelt werden. Ventredieu! Wie konnten diese Fehler zustande kommen? Schlimmer noch, wie konnten sie Euch entgehen?“

Schließlich legte Tréville die Feder beiseite und schob das Papier seinem Leutnant zu, der mit unbewegter Miene abgewartet hatte und die Liste zögerlich entgegennahm. Von neuem aufgebracht, schloss der Hauptmann seine Strafpredigt mit unmissverständlicher Deutlichkeit: „Ihr werdet Euch in Zukunft angemessen auf Eure Aufgaben konzentrieren, d'Artagnan! Die Befehle des Königs haben Vorrang vor Eurem Privatvergnügen. Ihr seid mehr als ein einfacher Musketier. Erfüllt also Eure Pflicht!“

Noch immer war dem Leutnant nicht anzumerken, wie ihm nach dieser Schelte zumute sein mochte. Aber es brauchte kaum mehr den ungeduldigen, herrischen Wink Trévilles, um den jungen Offizier jetzt aus dem Kabinett flüchten zu lassen.

Mordpakt: Richelieu

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