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Kapitel 6

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Ihr habt einen Sinn für Korruption und einen Hang zum Betrug, ich bewundere solche Gaben.

- Cardinal Richelieu


In der Nacht zog ein weiteres Gewitter über die Siedlung, und durch das laute Donnern schreckte Lisa immer wieder hoch. Der volle Mond leuchtete hell durch ihre Vorhänge herein. Vielleicht sollte sie sich einen aus diesem lichtundurchlässigen Stoff zulegen, auch wenn ihr der Gedanke an einen völlig lichtlosen Raum nicht behagte. Erst beim Frühstück merkte sie, dass sie vergessen hatte, Milch zu kaufen und das Müsli mit Orangensaft keine gute Voraussetzung war, ‘der beste Tag Ihres Lebens zu werden’. Gute Voraussetzungen, um einen Überraschungsbesuch bei Oma Trude in Angriff zu nehmen. Ihr Leben würde ohne die lästigen Besuche um ein Vielfaches einfacher werden und vielleicht würde sich Oma ja dieses Mal erweichen lassen, mit diesem Blödsinn aufzuhören. Die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt.

Lisa wählte ein cappuccinofarbenes Wollkleid und gab sich ausnahmsweise einmal Mühe mit ihrer Frisur. Gerade, als sie den Motor ihres Renaults starten wollte, klingelte das Handy. Für Sarah aktivierte sie ihre die Freisprecheinrichtung und parkte aus.

»Hey, Schatzi!«, tönte es aus dem Lautsprecher.

»Hey, Hase. Was gibt’s?«

»Ich wollte dich nur daran erinnern, dass ich für morgen Abend einen Tisch im Sausalitos reserviert habe. Mädelsabend!«

Lisa lachte und bog ab. »Super, ich freu mich. 17 Uhr, Cocktailhour?«

»Natürlich. Jakob kommt auch, kann aber nicht lange bleiben, weil er am nächsten Tag eine Lieferung in die Galerie bekommt.«

Schnaubend blieb Lisa an einer roten Ampel stehen. »Der soll sich nicht so anstellen, immerhin habe ich am nächsten Tag auch Dienst.«

»Musst du da nicht nüchtern sein?«

»Grundsätzlich ja, aber wir haben unseren Tag zur Pflege der Gemeinschaft. Das heißt: Ausflug. Außerdem habe ich nicht vor, mich sinnlos zu betrinken.«

Sarah kicherte. »Natürlich, wir betrinken uns stets sinnvoll.«

»Natürlich. Und wie läuft es bei dir?« Lisa warf einen Blick auf die Uhr und wechselte auf die Überholspur. 09:45 Uhr. »Müsstest du nicht unterrichten?« Abrupt bremste sie ab, als das Auto vor ihr den Fahrstreifen wechselte.

»Die Küken waren heute so aufgeputscht. Wahrscheinlich wegen dem Gewitter oder dem Vollmond. Oder Beides. Keine Ahnung. Ich habe ihnen einen Arbeitsauftrag gegeben und sie in die Bibliothek geschickt.« Lisa nickte. Der Vollmond könnte auch erklären, warum die Leute um sie herum so mies Auto fuhren.

»Mensch, Sarah, das sind keine Küken. Das ist der polizeiliche Nachwuchs.«

»Noch nicht. Noch lange nicht. Solange sie keinen Tag auf der Straße waren, sind sie nur Küken. Und bei dir?«

»Ich fahre jetzt zu Oma Trude. Stell dir vor, gestern kam schon wieder ein Mann zu mir nach Hause. Keine Ahnung, wo sie die immer herholt.«

»Vielleicht eine Kontaktanzeige?«

»Darüber macht man keine Witze!« Lisa wich erneut einem Fahrkünstler aus, der sie schnitt. »Du Steckdosenbefruchter - lern Autofahren!«, brüllte sie.

»Alles klar, Schatz. Den kannte ich noch nicht. Ist das anatomisch überhaupt möglich?« Sarah lachte. »Ich wünsch dir auf jeden Fall viel Glück bei Oma Trude – wie ich sie kenne, wirst du es brauchen!«

Mit einem Schnauben verabschiedete sich Lisa genau in dem Moment, als sie den Parkplatz vor der Seniorenresidenz Birkenheim erreichte. Sie fand eine Parklücke, stieg aus und musterte das altehrwürdige Ziegelsteingebäude mit einem flauen Gefühl im Magen. Auch wenn es eine gewisse Ruhe ausstrahlte, war es trotzdem kein Zuhause. Vor dem Sommer hatte noch alles gepasst. Ihr Bruder Niklas und Lisa hatten Oma Trude regelmäßig besucht, sie abwechselnd zum Friseur oder in die Stadt gefahren und mit ihr eingekauft. Niklas hatte sogar den Rasen gemäht, ein Vergnügen, das nun Lisa zustand. Doch an einem Sonntag im April hatte Oma Trude beide zu sich bestellt, um ihnen von dem Altersheim - nein, der Seniorenresidenz - zu erzählen. Lisa betrat das Birkenheim durch den Haupteingang und wandte sich gleich nach links, dem Treppenhaus zu.

Oma Trude hatte alle Argumente weggewischt. Sich von ihrer Familie pflegen zu lassen, sei keine Option. Jetzt könne sie noch die Vorteile nutzen. Ausflüge, Bingonachmittage, Friseurbesuche. Außerdem wollte ihre Canastarunde geschlossen das Birkenheim aufsuchen und ihre Großmutter würde den Anfang machen. Damit war das Thema für ihre Großmutter erledigt. Ihre Füße hallten auf dem Linoleumboden, als sie die Stufen hinaufeilte. Ein älterer Herr kam ihr entgegen und blinzelte fröhlich. Ja, das Birkenheim war großartig, vielen Dank auch.

In den folgenden Wochen hatte Oma Trude ihre Finanzen geregelt, um zu verhindern, dass es nach ihrem Tod zu Unklarheiten in Bezug auf ihre Wünsche käme. Den Bärenanteil ihres Erbes erhielten Niklas und Lisa, was allen anderen Beteiligten klar gewesen war. Nur ihr nicht. Immerhin hatte Trude die beiden aufgezogen. Doch auch für Onkel Peter und seine Kinder blieb genug übrig, sodass die Verteilung friedlich vonstattenging. Im zweiten Stock betrat Lisa den Flur zum betreuten Wohnen.

Lisa hatte keine Ahnung davon gehabt, wie wohlhabend ihre geschäftstüchtige Großmutter eigentlich gewesen war. Unterm Strich hatte Lisa dann das kleine Haus ihrer Oma bekommen und Niklas konnte sich endlich seine Träume vom Sabbatjahr erfüllen und 'richtig reisen', was immer das auch bedeuten sollte. Sein Job als Journalist im Sozialpolitik- und Gesundheitsressort der örtlichen Tageszeitung hatte ihm so viel Lebensfreude gestohlen und die freie Zeit tat ihm gut, auch wenn er ihr fehlte.

Das Eckzimmer ihrer Großmutter lag ganz hinten im Gang. An den Wänden hingen zahlreiche Bilder bekannter Künstler. Auf ihr Klopfen antwortete niemand. Natürlich hatte Oma Trude das schönste Zimmer bekommen. Sie legte es nicht einmal darauf an, aber die Menschen tickten einfach so, es war ganz natürlich. Als sie Schritte hörte, drehte sie sich um und blickte in die warmen braunen Augen von Omas Lieblingsschwester Sabine. »Sie ist im gelben Salon. Heute ist Bingo-Treffen.« Lisa dankte ihr und wanderte weiter durch die breiten Flure. Nischen lockten immer wieder mit gemütlichen Sitzecken oder alten Möbeln.

Die Tür zum gelben Salon stand offen und Lisa warf einen Blick hinein. Zwischen den älteren Herrschaften herrschte ein reges Treiben - ständig wechselten sie die Tische und schauten sich die Karten ihrer Mitspieler an. Wobei das keine Spielkarten zu sein schienen, die Form war anders.

»44 vergeben!«, ertönte eine energische Stimme und Lisa schaute zu der weißhaarigen Sprecherin, die sie jedoch nicht kannte. Einige der Zuhörer murrten unzufrieden und wuselten weiter durch den Raum.

An einem Tisch entdeckte sie Oma Trude, die hektisch mit einem älteren Mann diskutierte. Das silberne Haar lag in Dauerwellen geordnet um ihren Kopf herum, nur eine einzelne weiße Strähne fiel ihr in die Stirn. Obwohl ihre Großmutter recht klein war, strahlte ihre Präsenz etwas Energisches aus. Komisch, dass ihr jemand widersprach. Der Mann neben ihrer Großmutter schüttelte den Kopf und sagte etwas, worauf Oma Trude ihn böse anstarrte. Wahrscheinlich sollte sie jetzt entweder ihre Oma, oder eher noch den zerknirscht aussehenden Herren retten. Lisa trat ein. »12 vergeben!«, verkündete die weißhaarige Frau in der Mitte des Raumes und löste einige Pfiffe aus. Die Senioren im Raum schienen jede Menge Spaß zu haben.

Als sie etwa die Mitte des Raums erreicht hatte, verstummten die Älteren nacheinander und starrten sie an. Ihr Nacken prickelte.

Oma Trude schaute schuldbewusst aus, als sie schnell ihre Unterlagen einsammelte und Lisa entgegeneilte. So wie damals, als sie diese Überraschungsparty ausgerichtet und Lisa angelogen hatte. »Lieschen, mein Liebling. Wie schön, dich zu sehen. Und so unerwartet.« Lisas Haare stellten sich auf. Irgendwas war da im Busch. Sie guckte einem Herrn, der neben ihr saß, über die Schulter und beobachtete, wie er gerade ein paar Fotos unter seinen Block schob. Währenddessen hatte Oma Trude sie erreicht und bugsierte sie Richtung Tür.

»Oma, hör mal. Was ist das hier?«

»Ach nichts, Liebes, nur ein Zeitvertreib.« In Lisas Kopf drehten sich die Rädchen und als sie die Tür erreichten, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Auf den Fotos waren junge Menschen gewesen. Frauen. Männer. Wie sie.

»Moment mal, spielt ihr so eine Art Enkelbingo? Bekommst du hier die komischen Typen her, die immer bei mir an der Tür läuten?«

Rigoros zog Oma Trude die Tür hinter ihnen zu. »Na, Liebes, wer wird denn gleich kreischen?«

Dann hakte sie sich bei Lisa unter und führte die Widerspenstige zu ihrem Wohnbereich. »Oma, jetzt antworte mir!«

»Liebes, ich werde uns jetzt erst einmal einen schönen Tee kochen. Du wirkst angeschlagen. Hast du schlecht geschlafen?«

»Oma, ernsthaft. Schickst du mir Männer vorbei, die dir hier jemand als Hauptgewinn verkauft?« Ihre Großmutter schloss ihre Tür auf und schob sie energisch hinein. Lisa ließ sich auf das kleine Sofa fallen und fügte hinzu. »Das sind alles Blindgänger. Also, gestern hast du mir einen Rocker vorbeigeschickt. Mit Motorrad und allem. Ich dachte, du hasst Motorräder?«

Oma schnaubte ganz undamenhaft. »Tu ich auch, aber verzweifelte Zeiten erfordern verzweifelte Maßnahmen.«

»Hier ist nichts verzweifelt!« Lisa wusste nicht, ob sie lachen oder schreien sollte.

Ihre Oma warf ihr einen ihrer perfektionierten Blicke-aus-Stahl zu. »Wenn du dich doch nur bereit erklären würdest, auch mal einen der jungen Männer zu treffen ...«

»Der war nicht jung, der war fast fünfzig!«

»Wirklich? Da hat Johannes offenbar etwas mehr beschönigt als erwartet. Nun ja, wenn du mehr Männer aktiv treffen würdest, bliebe auch mehr für dich über als der Ausschuss, mit dem wir nun vorliebnehmen müssen.«

»Müssen wir?« Lisa konnte es nicht fassen. Gerade ihre Oma Trude wusste doch, dass sie einfach nicht für Beziehungen geschaffen war. Immer wieder hatte sie ihr die Gründe erklärt, warum es keinen Mann in ihrem Leben gab. Warum sie keinen brauchte, um glücklich zu sein. Beziehungen hatten vielleicht zu Zeiten ihrer Großmutter funktioniert, aber heute doch nicht mehr. Alles, was ihr wichtig war, Vertrauen, Höflichkeit, Humor, fand man ganz sicher nicht mehr bei Männern, die die Dauer ihrer Treue anhand der BH-Größe definierten.

»Liebes, du wirst nicht jünger. Ich werde nicht jünger. Und ich möchte einfach meine bezaubernden Urenkelchen kennenlernen, bevor es zu spät ist.«

Lisas Wut verpuffte ganz und sie nahm die alte Dame in den Arm. »Oma, du wirst bestimmt hundert Jahre alt. Wir haben noch so viel Zeit.«

Oma Trude drückte sie fest. Dann löste sie sich, um Tee zu kochen.

Lisa schüttelte nur den Kopf. »Ich dachte, ihr dürft hier keine elektronischen Geräte auf dem Zimmer haben.«

»Daran kann ich mich nicht erinnern.« Ihre Großmutter legte den Hebel um und kehrte zurück, um zwei Teetassen auf den Tisch zu stellen. Schweigend warteten sie, bis das Wasser anfing zu kochen.

Mit Herz und Degen

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