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Kapitel 10
ОглавлениеFreundschaft fließt aus vielen Quellen, am reinsten aus dem Respekt.
- Daniel Defoe
Gregor hatte ein System. Er teilte sich seinen Streifenbereich ein, teilweise lagebedingt nach Schwerpunkten, teilweise aufgrund willkürlicher Überlegungen. Natürlich brachten aktuelle Einsätze dieses System ab und an durcheinander, aber nicht so häufig, wie man vermuten würde. Immerhin war er für Kontakte zuständig und jagte keine Straftäter mehr.
Montags beispielsweise patrouillierte er durch die öffentlichen Parkanlagen und genoss die Natur, sprach mit Enten fütternden Leuten auf Parkbänken und versuchte, die Menschen in Bezug auf Müll und Hundekot zu sensibilisieren.
Mittwochs und freitags standen Schulwegkontrollen, Kindergartenbesuche und Fahrradtraining für Schüler auf seinem Programm. Donnerstags beriet er in Sicherheitsfragen und an Dienstagen war er flexibel, je nachdem was gerade anstand.
Zögernd blickte er zwischen Lisas Haus und dem ihrer Nachbarin hin und her. Marianne hieß sie. Schöner Name. Er klang weich und trotzdem vollmundig. Sollte er wirklich bei ihr klingeln?
Vielleicht war sie nur freundlich gewesen und nicht interessiert?
Vielleicht war ihr nur langweilig gewesen?
Vielleicht war er auch zu alt für so etwas? Er raufte sich die Haare.
Vielleicht sollte er jemanden fragen, der sich mit so etwas auskannte? Doch wen? Lisa war selbst allein und andere enge Kontakte hatte er nicht mehr.
Vielleicht sollte er sich lieber ein Haustier zu legen. Die verwirrten ihn nicht und wären treue Begleiter.
Gregor versuchte, sich von dem Haus mit den Windspielen abzuwenden, doch seine Beine weigerten sich.
So blieb er starr auf dem Gehweg stehen. Vielleicht hätte er ein Geschenk mitbringen sollen? Er fing an zu schwitzen.
»Gregor?« ertönte es hinter ihm. Halb enttäuscht und halb erleichtert erkannte er Lisas Stimme. Sie stand mit einem vollen Müllbeutel in ihrer Hand hinter ihm. »Was machst du hier?«
»Ich, ähm, patrouilliere.«
»Aha. Das sehe ich. Aber heute ist Freitag.«
Gregor nickte bloß. Schweigend musterten sie sich. Lisa schaute ihn an, dann das Haus ihrer Nachbarin, dem er sich zugewandt hatte. Was Lisa an ihm bemerkte, wusste er nicht. Ihm fiel aber auf, dass sie sehr müde und fahrig wirkte. Er verdrängte kurz seine Probleme und konzentrierte sich auf sie. Vielleicht hatte sie schlecht geschlafen. Ihre Haut wirkte fahl, fast käsig. Dunkle Ringe zeichneten sich unter ihren Augen ab. Hoffentlich wurde sie nicht krank.
Lisa seufzte. »Komm rein, ich mache uns Kaffee.«
»Wolltest du nicht irgendwo hin?« Er deutete auf die Autoschlüssel in ihrer Hand.
»Nur zum Einkaufen, nichts Eiliges.« Sie nickte ihm auffordernd zu. Auf dem Weg ins Haus schmiss sie den Müllbeutel in ihre Tonne. Gregor folgte ihr.
Kurze Zeit später saß er mit einer dampfenden Tasse Kaffee an ihrem Küchentisch.
»Harte Nacht gehabt?«, fragte er.
Lisa zuckte nur mit den Achseln und rieb sich die Schulter, als ob ihr etwas weh tun würde.
»Wir hatten gestern den Tag zur Pflege der Gemeinschaft.« Lisas Miene wirkte verdrossen. »Boßeln und Grünkohl essen.«
»Klingt gut.«
»Vielleicht für Menschen in deinem Alter. Meine Altersgruppe erträgt so was eigentlich nur angetrunken.«
Gregor lachte. »Was ist mit deinem Arm?«
»Muskelkater. Ich hatte diesen Depp von Kollegen in meiner Gruppe und fühlte mich provoziert.«
Alarmiert richtete er sich auf. »Was hat er gemacht?«
»Geatmet.«
»Oh.«
»Aber auf eine unangenehme Art und ich lasse bestimmt nicht zu, dass so eine Flachplinse besser wirft als ich.«
»Und, hast du gewonnen?«
»Nur an Erfahrung.« Aus heiterem Himmel wechselte sie das Thema. »Also, was läuft da zwischen dir und der Kramer?«
Überrumpelt verschüttete Gregor seinen Kaffee. »Wie meinst du das?«
»War nicht zu übersehen, so wie du zu ihrem Haus gestarrt hast.«
»Nun, ich bin mir nicht sicher.« Gregor untersuchte seinen Daumennagel. Das Gespräch wurde ihm unangenehm.
»Wie meinst du das?« Lisa wiederholte seine Worte, dann schaute sie auf ihre Kaffeetasse. Gregor sah, wie sie den Duft inhalierte. Dadurch gab sie ihm den Raum und den Abstand, den er brauchte. Es gab nicht viele Menschen, die so angenehm waren wie Lisa.
»Na, ich weiß nicht.« Er machte eine Pause und gab sich Mühe, ihr eine verständliche Erklärung zu liefern. »Ich meine, sie scheint nett zu sein.«
»Nett?« Lisa grinste. »Mann, du und die Kramer?«
Gregor beschränkte sich auf ein Schulterzucken und Lisa verzog den Mund, wie sie es immer tat, wenn sie über etwas nachdachte.
»Du solltest für sie kochen«, erklärte sie nach einer kurzen Denkpause.
»Was?«
»Glaub mir, ein Bissen von deinen Kohlrouladen und sie ist dir verfallen.«
Die Idee war gar nicht schlecht. Beim Kochen entspannte er sich, fühlte sich sicher.
»Hey, hörst du mir noch zu?« Schmunzelnd schüttelte Lisa seinen Arm.
»Entschuldige. Ich war abgelenkt. Was hast du gesagt?« Gregor rieb sich den Nacken.
»Nicht so wichtig.« Lisa dirigierte ihn zur Tür und reichte ihm seinen Mantel. »Na los! Schnapp sie dir, Tiger!«
Gregor zögerte, dann legte er Lisa für einen Moment die Hand auf die Schulter. Auch wenn er wusste, dass Lisa es verstand, wollte er keine Grenze überschreiten. »Danke«, murmelte er. Ihre Hand drückte seine und mit einem Nicken schloss sie die Tür hinter ihm.
Langsam ging Gregor auf Mariannes Haus zu und fand sich schließlich genau an der Stelle wieder, an der Lisa ihn eingesammelt hatte.
Unschlüssig blickte er auf seine altmodische Herrenuhr und wandte sich dann wieder seinem geplagten Daumennagel zu.
Gedanklich spielte Gregor verschiedene Möglichkeiten durch. Sollte er vielleicht doch noch schnell ein Präsent besorgen?
Vielleicht Blumen? Machte man das heute überhaupt noch? Er widerstand dem Drang, zu Lisa zurückzukehren und sie zu fragen.
Dann ertönte hinter ihm ein Räuspern. »Hallo, Herr Greifenberg.« Seine Nackenhaare richteten sich auf. Diese wundervolle Stimme erinnerte ihn an ein warmes Sommergewitter. Prickelnd und berauschend.
Ertappt blickte er sich um. »Hallo, Frau Kramer.«
»Kann ich Ihnen helfen? Wollten Sie zu mir?« Ihre großen blauen Augen blickten ihn auffordernd an. Sie reichte ihm gerade einmal bis zur Schulter, trotz des gelben Filzhutes auf ihrem Kopf. Dieser passte aufgrund seiner Farbenfreude überhaupt nicht zur Jahreszeit, dafür aber umso besser zu ihr. Wie ein polierter Sonnenstrahl wirkte sie und er lächelte. »Essen«, murmelte er.
»Wie bitte?«
»Oh, ähm. Ich wollte Sie fragen, ob Sie mit mir essen wollen würden. Ob Sie sich das vorstellen könnten. Ich würde gerne für Sie kochen.« Beim letzten Wort stockte seine Stimme. Ansonsten war es besser gelaufen, als er gedacht hatte. Zumindest hatte er es nun ausgesprochen und nicht genuschelt.
Frau Kramer - Marianne, wie er sich geistig verbesserte - antwortete nicht, sondern blinzelte ihn nur an. Enttäuschung stieg in ihm auf.
»Heißt das 'Nein'?«, fragte er dennoch.
Marianne blinzelte erneut, schüttelte den Kopf und antwortete: »Nein, also ja.« Sie schien verwirrt und er bemerkte erst jetzt die schwer wirkende Einkaufstasche, die sie trug. »Entschuldigung.« Er rieb über seinen Daumen, »Ich habe erst jetzt Ihre Tasche gesehen. Wenn Sie möchten, trage ich die Einkäufe für Sie und Sie denken solange über meine Einladung nach.«
Auf ihren vollen Lippen bildete sich ein zartes Lächeln, erst in den Mundwinkel, bis es schließlich ihre Augen erreichte. »Danke, Herr Greifenberg.« Sie reichte ihm ihren Stoffbeutel. »Das wäre nett.«
Mit der einen Hand ergriff er die Tasche und berührte dabei kurz ihre Hand. Sein Daumen fuhr über Mariannes Finger, dann umfasste er die Henkel der Tasche. Es prickelte. Den anderen Arm bot er ihr an.
Sie nahm ihn an und hakte sich unter, als ob diese Verbindung zwischen ihnen etwas ganz Natürliches sei.
Auf dem Weg durch den Vorgarten stieg ihm ihr Duft in die Nase. Etwas Würziges vielleicht - Zimt und Orange, mit einer blumigen Note, die er zwar kannte, aber gerade nicht identifizieren konnte. Es war berauschend. Sie löste sich erst vor der Eingangstür von ihm.
Gregor wartete geduldig, während sie in ihrer Jackentasche nach dem Schlüssel fischte.
Während sie aufschloss, starrte Gregor auf ihre Hände. »Ich war mir nicht sicher, hätte ich Blumen mitbringen sollen?«
Marianne drehte sich zu ihm um und etwas Warmes leuchtete in ihren Augen auf. »Nein, noch nicht.« Dann lachte sie, ein Geräusch, das wie ein Echo in seinem Inneren widerhallte. »Ich meine, ich freue mich schon über Blumen, aber ...« Sie brach ab und sah ihn ernst an. Sein Mund war plötzlich trocken.
»Danke für die Einladung, Herr Greifenberg. Ich nehme sehr gerne an, aber bei einer ersten Verabredung würde ich gerne mit Ihnen essen gehen. Damit wir uns besser kennenlernen können, ohne dass jemand in der Küche stehen muss. Vielleicht altdeutsch oder italienisch. Mögen Sie die italienische Küche?«
Gregor nickte. »Ja, aber ...«
Mit einer leichten Berührung unterbrach sie ihn. »Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Greifenberg. Ich gehe stark davon aus, dass Sie noch für mich kochen werden und ich werde es lieben, so wie ich Sie einschätze. Aber für den Anfang fände ich etwas Klassischeres besser.«
Gregor fühlte eine Wärme in sich aufsteigen und nickte zustimmend. »Klassisch wäre schön.«
Sie strahlte förmlich. »Fein. Ja. Und besser, um sich zu unterhalten, denke ich.« Sie öffnete die Tür und schnappte sich etwas, das auf einem Tischchen neben dem Eingang lag.
Schweigend beobachtete Gregor, wie sie mit einer eleganten und altmodischen Handschrift eine Telefonnummer auf einen pastellgrünen Zettel schrieb.
»Hier haben Sie meine Nummer. Sie können mich gerne die Tage anrufen. Ich ...« Sie stoppte kurz ab. »Ich würde mich freuen.« Noch eine kurze Pause, dann sprach sie schon weiter. »Wie heißen Sie eigentlich? Also mit Vornamen?«
Er lächelte. »Gregor.«
»Fein, Gregor.« So wie sie ihn aussprach, klang sein Name wie etwas Besonderes. »Mein Name ist Marianne.«
Gregor erwähnte sicherheitshalber nicht, dass er sowohl ihren Namen als auch ihre Telefonnummer längst herausgefunden hatte.
Marianne nahm ihm ihre Einkaufstasche ab und betrat die Wohnung. Kurz bevor sie die Tür schließen konnte, fiel ihm noch etwas ein. »Marianne?«
Die Tür stoppte und sie sah ihn an. »Ja Gregor?«
»Welche Blumen mögen Sie?«
Sie lachte. »Lilien.«