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Kapitel 9

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Man muss alle Menschen ein ganz klein wenig besser behandeln, als sie es verdienen; so entwaffnet man sie am leichtesten.

- Dorothea Schlegel


Der nächste Tag brach trüb und dunkel heran, keine Spur eines goldenen Oktobers. Wie erwartet bereute Lisa so einiges. Schon während des Aufstehens hatte sie eine geistige Liste angefertigt. Ganz nach vorne hatte es die angebotene Mitfahrgelegenheit geschafft. Je mehr sie auf dieser Erinnerung herum kaute, desto verzweifelter schien ihr Vorschlag zu wirken. Verzweifelt und willig, als ob sie ihn hätte abschleppen wollen. Anbiedernd. Wie absurd.

Interessanterweise bereute sie die drei Cocktails erst, als sie sich gewohnheitsmäßig in der Dusche die Beine rasierte. Nach dem ersten Bein und drei blutenden Schnitten, die ihr Badezimmer wie das Schlachtfeld eines Triebtäters wirken ließen, brach sie ab. Es würde ja heute auch niemand ihre Beine sehen. Zumindest, wenn es nach ihr ginge.

Lisa klebte gerade das letzte Pflaster auf ihre Verletzungen, als es draußen hupte. Mist. Das würde bedeuten, dass als Frühstück eine Banane herhalten musste. Eilig schlüpfte sie in Jeans, Shirt und ihre Lieblingssweatshirt Jacke.

Nach einem kritischen Blick aus dem Fenster entschied sie sich für ihren hellbraunen Wintermantel. Diesmal packte sie auch ihre Handschuhe ein.

Vor der Tür wurde Lisa von ihrem Kollegen Sascha erwartet. Lächelnd lief sie durch den Wind auf sein Auto zu. Kennengelernt hatten sie sich beim Testverfahren in Hamburg und es tatsächlich beide zur Staffel geschafft. Beim gemeinsamen Lernen für die Prüfung zum Hubschrauberpiloten war zwischen ihnen eine Freundschaft entstanden. Während Sascha nach ihrer Rückkehr vom Lehrgang der Dienstgruppe E zugeteilt worden war, versah Lisa ihre Arbeit in der A-Schicht. Ab und zu, wenn es ihre unterschiedlichen Arbeitsrhythmen zuließen, trafen sie sich auf ein Bier, einen Kaffee oder zum Joggen. Lisa mochte ihn und fand ihn mit seinem blonden Surferhaar und den sturmgrauen Augen auch attraktiv, aber zwischen Lernen und Kino hatten sie sich beide für die Freundschaft entschieden.

»Morgen.« Sascha trommelte ein Musikstück auf das Lenkrad. Egal, wo er gerade war, die Musik begleitete ihn. Entweder aus Radio, Kopfhörern oder wie in diesem Moment, einfach in seinem Kopf.

»Hey. Danke, dass du daran gedacht hast, mich abzuholen.« Lisa ließ sich auf den Beifahrersitz seines blauen Audis sinken.

Sascha beendete sein Stück und fuhr los. »Kein Ding, aber ich hätte eigentlich erwartet, dass erst nach der heutigen Veranstaltung mit Verlusten zu rechnen ist.« Er warf ihr einen prüfenden Seitenblick zu. »Mann, du siehst aus wie der Tod. Ein Date?«

»Deine Offenheit ist so herzerwärmend«, murrte Lisa und warf einen Blick in den Spiegel hinter der Sonnenblende. Leider hatte er recht. In ihrer Handtasche fand sie einen Lippenstift und Lidschatten. »Mädelsabend«, fügte sie hinzu und machte sich an die Reparatur.

Nachdem eine rote Ampel ihm gestattete, sie ausführlicher zu mustern, kommentierte er das Ergebnis. »Jetzt siehst du aus wie eine tote Puppe.«

»Chuck oder Annabelle?«

»Macht das einen Unterschied?«

Seufzend griff Lisa nach einem Feuchttuch und beseitigte ihren kurzen Ausflug ins Showgeschäft.

Sie trafen sich auf einem Parkplatz außerhalb von Hannover. Etwa die Hälfte der Kollegen war schon da. Lisa und Sascha grüßten die Wartenden und trabten weiter zu Lisas Chef, Johann von Paula, der sich gerade angeregt unterhielt.

Lisa versuchte keine Miene zu verziehen, als sie in seinem Gesprächspartner Christian Eberl erkannte. Der Abteilungsleiter der Dienstgruppe B konnte sie nicht besonders gut leiden und das beruhte absolut auf Gegenseitigkeit.

Johann wiederum strahlte die ihm eigene Herzlichkeit aus. »Lisa, Sascha. Schön, dass ihr da seid. Ein wundervoller Morgen, um zu boßeln, nicht wahr?« Er rieb sich die Hände und sah sich prüfend um. »Ein paar fehlen wohl noch, aber es ist ja auch noch nicht neun.«

Genau, die perfekte Uhrzeit, um mit seinen Kollegen einen Sozialtag zu verbringen. Von der Altherren-Variante von Straßengolf, die auf sie wartete, wollte sie gar nicht erst anfangen. Nur halt ohne Golfschläger. Lisa bezweifelte ernsthaft, dass es einen Menschen unter Fünfzig gab, der Boßeln etwas abgewinnen konnte. Aus Zuneigung zu Johann unterließ sie es, eine Grimasse zu schneiden.

Lisa und Sascha begrüßten die beiden älteren Kollegen höflich mit Handschlag. Es gefiel ihr nicht unbedingt, jedem die Hand zu geben, aber wenn man mit Wölfen laufen wollte, musste man nun mal auch mit ihnen heulen. Christian nickte nur kurz und entfernte sich. Unhöflicher Fatzke.

»Christians Schoßhündchen fehlt noch. Das wird bestimmt Ärger geben«, flüsterte ihr Sascha ins Ohr.

Johann blickte Christian hinterher und schüttelte leicht den Kopf. »Er ist ein wirklich guter Pilot, aber charakterlich...«

Sascha versuchte auszuhelfen. »... ist er eine Ratte?«

Lisa versteckte ein Lächeln. »Mit der emotionalen Tiefe eines Furunkels?«

»Nice«, murmelte Sascha.

Johann lachte und hob abwehrend seine Hände. »Ihr Zwei! Ein bisschen mehr Respekt vor Alter und Erfahrung.«

»Alter ist keine Leistung«, murrte Sascha, nickte ihnen zu und ging zu ein paar Nachzüglern.

Lisas Blick ging über die Menge. Je mehr Kollegen am Treffpunkt erschienen, desto dichtere Wolken zeigten sich am Himmel. Es versprach ein durchwachsener Tag zu werden. »Vor den meisten haben wir Respekt. Übrigens, ich möchte aufgrund meiner eigenen Erfahrungen vom letzten Jahr gern in dein Team.«

»Erwacht da der Ehrgeiz? Ich dachte, du hasst Boßeln?«, wunderte sich Johann.

»Nun, man wirft eine Kugel einen Weg entlang. Ist jetzt nicht unbedingt mein Jahreshighlight, aber das Gewinnerteam war eine halbe Stunde schneller am Ziel. Das zählt.«

Johann schüttelte den Kopf. »Junge Dame, im Hinblick auf Traditionen bist du eine Enttäuschung.«

»Glücklicherweise bist du selbst kein großer Fan von Traditionen, allgemein gesehen.«

»Stimmt«, räumte Johann ein. »Außer bei Boßeln und Grünkohl, da hört der Spaß auf.«

»Darum bin ich hier, nur für den Spaß.« Es gab Schlimmeres. Besuche beim Frauenarzt zum Beispiel.

»Gute Einstellung. Das wird schon noch was mit dir. So, dann schau ich mal, ob schon etwas zur Gruppeneinteilung bekannt ist.«

Lisa blickte ihm hinterher. Obwohl er schon über fünfzig Jahre alt war, hatte Johann mehr Energie als die meisten Menschen, die sie kannte. Sein Gang, seine Haltung, selbst die Art, wie er sprach, zeugten von Dynamik und Stärke. Beneidenswert.

»Hey, ist es das Licht oder bist du tatsächlich noch blasser als vorhin?« Sascha hatte sich ihr von der Seite genähert und betrachtete sie kritisch.

»Der Chef hat den Grünkohl erwähnt.«

Sascha verzog das Gesicht. »Ah ja. Das Mittagessen. Wie schön.« Dann deutete er auf Christian. »Ich dachte nur, vielleicht hast du gemerkt, dass dein besonderer Freund angekommen ist.«

Ihr Blick folgte seiner Aufforderung und fiel auf Phillip, Christians Schoßhündchen. Drei Jahre älter als sie und Pilot in Christians Schicht. Nach ihrem Wechsel zur Staffel hatte er sie zunächst immer wieder aufdringlich angeflirtet, was wohl mehr an seiner Einstellung zu Frauen allgemein als an ihrem Aussehen lag. Sie kannte diesen Typ. Was sich nicht bei drei auf die Bäume geflüchtet hatte, galt als Freiwild, egal ob Sympathie vorhanden war oder nicht. In ihrem Fall definitiv nicht. Phillip hatte etwas von einer schleimigen Kröte.

Vielleicht lag es an ihrer Ablehnung oder der Abneigung, die sein Chef Frauen gegenüber empfand, aber seit den allerersten Tagen versuchte er ständig, ihr Steine in den Weg zu legen.

Objektiv betrachtet sah er mit seinen kurzen dunklen Haaren und den symmetrischen Gesichtszügen bestimmt gut aus, aber Lisa fand diese Mischung aus Anbiederei und Selbstverliebtheit, die er zur Schau stellte, sehr armselig.

»Boßeln, Grünkohl und die ganze Familie vereint. Kann es noch schlimmer werden?«, raunte Lisa Sascha zu.

Da sahen sie beide, wie Johann sich ihnen näherte. »Die Gruppeneinteilung steht. Sascha, du bist bei Christian, Max und Werner. Lisa, du bei Lars, Konni und Phillip.« Damit rauschte er weiter.

Sascha boxte Lisa gegen den Arm. »Schön, dass du gefragt hast.«

Mit Herz und Degen

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