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Kapitel 4
ОглавлениеDu kannst nicht verhindern, dass ein Vogelschwarm über deinen Kopf hinwegfliegt. Aber du kannst verhindern, dass er in deinen Haaren nistet.
- Martin Luther
Jakob lachte so laut, dass Lisa ihr Handy kurz vom Ohr weghalten musste.
»So lustig war es dann auch wieder nicht«, mokierte sie sich, doch eher zum Schein.
»Doch, war es.« Natürlich liebte Lisa ihren besten Freund. Jakob stand für Fürsorglichkeit, Loyalität und den Glauben an das Gute im Menschen, der manchmal nur haarscharf an Naivität vorbei schrammte. Ihre Fotowand war voll mit Bildern von ihnen. Auf keinem gelang ihm ein ernster Gesichtsausdruck. Dank ihm war sie sogar schon aus einem Museum für moderne Kunst geflogen, aber das war eine ganz andere Geschichte.
»Hey, müsstest du als mein geheimer Seelenpartner nicht mehr hinter mir stehen?« Lisa ging von der Küche in ihr Wohnzimmer und warf sich auf ihr geliebtes senffarbenes Sofa. Zwar hatte ihr Jakob schon oft zu verstehen gegeben, dass die Farbe einen tätlichen Angriff auf seinen Geschmackssinn darstellte, doch liebte sie den Charme der Siebziger, der von dem Ungetüm ausging. Außerdem war es bequem.
»Ich wäre ja auch wirklich gern hinter dir gewesen. Mit Popcorn und 'nem Liegestuhl.« Dann kicherte er wieder. »Und Pizza.«
»Ja, dreh das Messer nur noch mal um. Warum waren wir noch mal befreundet?«
»Wegen meines sonnigen Gemütes?«
Lisa beschränkte sich auf ein Schnaufen und ließ ihre Beine über die Armlehne hängen. Aus dieser Perspektive hatte sie einen guten Blick auf die pastellgrüne Decke. Ein wunderschöner Ton, frühlingshaft und frisch.
Jakob flüsterte ein paar Worte zu einer Person im Hintergrund, dann wurde er wieder ernster. »So unterhaltsam deine kleinen Episoden auch sind, warum redest du mit den Kerlen nicht einfach?«
»Du meinst, wie mit dem ersten Typen, der mich wochenlang verfolgt hat. Oder der Zweite, der mir nach meiner freundlichen Absage mit Zahnpasta neunundzwanzig Mal 'Bitch' auf mein Auto geschrieben hat?«
»Sie waren nicht alle furchtbar. Toni, der Österreicher, war doch ganz nett.«
Dem musste Lisa leider zustimmen. Einige der Männer, die sie in unregelmäßigen Abständen kontaktiert hatten, waren tatsächlich in Ordnung gewesen. Aber der Funke war nie übergesprungen. Was bei besagtem Toni tatsächlich schade gewesen war. Der Akzent hatte ziemlich süß geklungen. Aber man wusste halt nie, wer gerade im Vorgarten stand und ihre Erfahrungen hatten sie unterm Strich misstrauisch gemacht. »Erinnerst du dich denn nicht an meinen letzten Versuch, den Kerl mit dem Teddy?«
»Der war richtig witzig.« Jakob fing wieder an zu lachen.
»Der hatte ein zwei Meter großes Kuscheltier vor das Zugangstor meiner Dienststelle gestellt, der einen 'Willst-du-mit-mir-gehen?' Zettel trug und nach Hundepipi roch!«
Von Jakob kam nur noch ein hysterisches Glucksen. Lisa blickte entnervt aus dem Küchenfenster und sah eine einsame Gestalt am Ende der Straße auftauchen.
»Ich werde jetzt auflegen. Mit dir kann man sich eh nicht mehr unterhalten.« Damit beendete sie das Gespräch und damit auch seinen Lachanfall. Sie sah wieder nach draußen und musterte den Mann, der aufrecht wie ein Zinnsoldat in ihre Sackgasse einbog.
Gregor war wirklich pünktlich, wie jeden zweiten Dienstag im Monat. Verlässlich wie ein Uhrwerk. Der Polizist ging an den Vorgärten vorbei und musterte alles mit aufmerksamen Blicken. Auf ihrer Höhe blieb er stehen. Sie winkte ihm zu und er erwiderte den Gruß.
Dann stapfte er auf ihre Haustür zu und rieb sich die Hände. »Guten Morgen, Gregor!« Nachdem sie ihm die Tür geöffnet hatte, nahm sie ihn kurz in den Arm. Seine Augen leuchteten und er klopfte ihr ungeschickt auf die Schulter.
Gregor und sie waren fünf Jahre lang feste Streifenpartner gewesen. Lisa hatte früh gemerkt, dass ihr Herz nicht am täglich wechselnden Dienst in der Stadt hing, dafür umso mehr an dem stillen Kollegen, der ihr immer den Rücken stärkte. Der Glanz der Straße war schnell verblasst. Immer häufiger hatten sie es mit Diebesbanden, Drogendealern und Fällen häuslicher Gewalt zu tun bekommen. Die Tätigkeit war wichtig, keine Frage, aber sie verschaffte ihr keinen Kick. Meistens hatte sich Lisa wie Don Quichotte gefühlt, der gegen Windmühlen ankämpfte. Die Diebe und Dealer kehrten nach kurzer Zeit wieder auf die Straßen zurück, und die misshandelten Partner ließen ihre Peiniger wieder in die gemeinsame Wohnung. Ein frustrierender Zustand.
Gregors Blick ruhte auf ihrer Fliegerkombi, die auf dem Wäscheständer im Wohnzimmer hing. Ein feines Lächeln lag auf seinen Lippen.
Lisa erwiderte es. »Ich bin dir immer noch so dankbar, dass du mich damals überredet hast.«
»Was meinst du?«, fragte er nach. Ob er es wirklich nicht wusste?
Lisa räusperte sich. »Damals, als du nach meinen Plänen gefragt hast, wenn du mal in Pension gehen wirst.«
Seine Augen funkelten. »Du warst einfach zu Höherem bestimmt.«
Witzig. Lisa goss ihnen Kaffee ein und setzte sich zu ihrem früheren Partner an den Tisch. »Als ob du hättest wissen können, dass ich das Auswahlverfahren bestehe.«
»Wenn nicht du, wer dann?«, erwiderte er schlicht. Gregor war vorhersehbar. Er trank seinen Kaffee jedes Mal auf die gleiche Weise. Immer die gleiche Eissorte, immer den gleichen gepflegten Kurzhaarschnitt und von seinem Bekleidungsstil wollte sie gar nicht anfangen. Die Tage, an denen er sich nicht für den Dienst kleiden konnte, stellten wahrscheinlich immer eine Herausforderung dar. Einmal hatte Lisa ihn durch Zufall in der Stadt gesehen, die dunklen Haare vom Wind zerzaust und aufgrund seiner Kombination aus legeren Jeans und T-Shirt zunächst überhaupt nicht erkannt. Gregor tat grundsätzlich nie etwas Überraschendes. Woher also nahm er diese absolute Festigkeit in seinem Glauben zu ihr? »Abgesehen davon, wenn du nicht gegangen wärst, hätte ich es nicht über mich gebracht um eine Versetzung in den Tagesdienst zu bitten.«
»Also wolltest du mich loswerden?« Mit hochgezogener Augenbraue musterte sie ihren Kollegen.
Gregor verschluckte sich an seinem Kaffee und hustete. »Natürlich nicht!«
Es gelang ihr nicht länger, ein Lachen zu verstecken. Er war vorhersehbar und absolut verlässlich. Außerdem ließ er sich sehr gut necken.
Im Umgang mit Menschen war er eine Geheimwaffe. Direkt nach ihrem Wechsel zur Staffel hatte er eine offene Stelle als Kontaktbeamter erhalten. Jeder schien sich ihm anvertrauen zu wollen, und er war ein wahnsinnig guter Zuhörer. Seit Lisa im Sommer in die Doppelhaushälfte ihrer Großmutter gezogen war, trafen sie sich alle zwei Wochen auf einen Kaffee bei ihr und plauderten. Eine schöne Routine. Der ältere Kollege war für sie das, was einer Vaterfigur am nächsten kam.
Sein Blick blieb nachsichtig. »Du bist jetzt da, wo du hingehörst. Auch wenn mir unsere gemeinsamen Dienste immer noch fehlen.«
Das traf es ziemlich auf den Punkt. Nachdem Lisa beim Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Hamburg ausgewählt und im Anschluss die fast zweijährige Ausbildung zur Hubschrauberpilotin absolviert hatte, war ihr Alltag um ein Vielfaches interessanter geworden, allerdings konnte niemand wirklich Gregor ersetzen. Der Tag, an dem sie ihr Zertifikat in den Händen gehalten hatte, war der glücklichste Tag ihres Lebens gewesen. Dicht gefolgt von der schlimmsten Woche, in der ihr Ex, von Sarah liebevoll Mr. Arsch genannt, ihr mitgeteilt hatte, dass die Beziehung mit ihr ein Fehler gewesen wäre. Ein Fehler, weil er sich nicht selbst entfalten konnte. Oder wohl eher, weil ihr Erfolg seinen bei weitem überstrahlte. Lisa schüttelte den Kopf und verdrängte alle Erinnerungen an Mr. Arsch aus ihrem Kopf.
»Was hast du die letzte Woche so getrieben?«
Gregor trank einen Schluck, bevor er antwortete. »Nichts Aufregendes. Ich habe ein neues Kochbuch ausprobiert. Oh, und ich habe jetzt einen Büchereiausweis.«
Er klang zufrieden. Fast glücklich. Und irgendwie einsam. »Sehr gut. Schon was Interessantes ausgeliehen?« Manche Menschen, wie sie selber, kamen alleine gut zurecht. Andere brauchten jemanden, um den sie sich kümmern konnten. Vielleicht traf er ja auf eine nette Bibliothekarin?
Wobei es bestimmt besser wäre, klein anzufangen. Beziehungs-Babyschritte oder so. »Was ist eigentlich aus deinen Überlegungen geworden, dir wieder einen Hund zuzulegen?«
Gregor zuckte mit den Schultern und schaute aus dem Küchenfenster hinaus. »Meine Wohnung ist zu klein.«
»Aber du hattest doch diese Hündin erwähnt, die aus dem Tierheim. Wie hieß sie noch mal?«
»Trixie. Ein aufgewecktes Mischlingsmädchen. Ich glaube, da stecken Spitz und Labrador drin.« Sein Lächeln wirkte echt, wenn auch ein bisschen traurig. »Ich gehe am Wochenende oft mit ihr Gassi. Aber sie zu mir zu holen, wäre einfach nicht fair. Immerhin wäre sie ja immer allein, wenn ich arbeiten bin.«
Auch wenn es schade war, hatte er damit recht. Und Gregor war einfach zu verantwortungsbewusst, um nur an sich zu denken. Sie wechselte das Thema. Nachdem sie vom neuesten Besucher ihrer Großmutter berichtet hatte, drückte er verständnisvoll ihre Hand.
»Beim nächsten Mal bringe ich dir eine Kostprobe mit. Das wird dich aufheitern, bestimmt.« Gregor griff nach seiner Mütze und drückte ihren Arm. »Ich muss los. Sehen wir uns nächste Woche?«
»Natürlich.« Als ob er danach fragen müsste.
Als er ihren Vorgarten passierte, sah sich Gregor um und schüttelte den Kopf. Ihr Großvater war ein passionierter Gärtner gewesen, der jede freie Minute damit verbracht hatte, zu düngen, zu ernten oder sonstige anstehende Arbeiten im Grünen durchzuführen. Demgegenüber waren Lisas Fähigkeiten überschaubar. Die letzten sechs Jahre nach Opas Tod hatte Oma Trude sich auf das Nötigste beschränkt und Lisa einen recht pflegeleichten Garten übergeben. Vier Monate nach ihrem Einzug sah der Grünbereich vor ihrem Eingang jedoch nahezu verwahrlost aus. Sie hatte einfach keinen grünen Daumen. Selbst ihr Nachbar kam besser zurecht und der war eigentlich nie daheim.
Bevor sie die Tür schloss, lief Darrer an Gregor vorbei, als ob ihre Gedanken ihn heraufbeschworen hätten. Die enge Sportbekleidung betonte seine athletische Figur. Er schien ihre Aufmerksamkeit zu spüren und grinste spöttisch zu ihr hinüber. Schweißtropfen liefen seine Schläfen herunter.
Sie ließ sich kurz ablenken und wartete zu lange. Sein Grinsen verfolgte sie, als sie es schließlich doch schaffte, die Tür zu schließen.
Lisa legte eine Hand an ihre Wange und stieß gegen einen von Konrads Ästen. Der robuste Benjamini war die einzige Pflanze, die sie zu lieben schien. Vor sieben Jahren hatte sie Konrad von den Vorgängern der Wohngemeinschaft übernommen, in die sie in ihrem letzten Studienjahr an der Polizeiakademie gezogen war. Der Benjamini hatte nur noch drei Blätter besessen und wurde bis zum letzten Tag ausschließlich mit Bier versorgt. Seine traurige Gestalt hatte ihr Herz erweicht. Zwischen Lernen und Vorbereitung hatte sie ihn gegossen und geliebt. Er war auch die erste Grünpflanze, die sich tatsächlich von ihr aufpäppeln ließ. Ihr Opa hatte ihr erklärt, dass Konrad wahrscheinlich seine Seele an die Pflanzenhölle verkauft hatte. Für Lisa funktionierte diese Erklärung so gut wie jede andere. Sie liebte Konrad und er liebte sie. Mittlerweile hatte er die Decke erreicht und sie tätschelte zufrieden seine grünen Blätter, als sie an ihm vorbei Richtung Küche wanderte.
Gleich nachdem sich Gregor von Lisa verabschiedet hatte, begann er seine Route für den laufenden Tag zu planen. Kritisch betrachtete er den düsteren Himmel. Keine Frage, der Winter nahte. Vielleicht sollte er sich mit den örtlichen Schulen abstimmen und Schulwegsicherungen betreiben.
Andererseits sollte sich auch jemand einen Überblick über die aktuellen Obdachlosenzahlen verschaffen, jetzt wo es so kalt wurde.
Während er das Für und Wider seiner Ideen abwog, wurde er durch eine leise weibliche Stimme aus seinen Überlegungen gerissen. Sie klang wie warmer Honig, hatte eine versteckte rauchige Note und viel Tiefe. Er achtete auf solche Details, eine Stimme war ein sehr direkter Hinweis auf eine Persönlichkeit.
»Hallo, entschuldigen Sie!« Gregor drehte sich um und starrte die kleine Frau vor ihm überrascht an. Sie wirkte etwas jünger als er, vielleicht Mitte Fünfzig. Blonde mittellange Haare, zierlich, alles in allem etwas unscheinbar. Bis auf die Augen und diese wundervolle Stimme. Er versank förmlich in den mitternachtsblauen Iriden, die ihn neugierig musterten.
»Ich wollte nur 'Danke' sagen. Oder vielmehr 'Dankeschön'«, fügte die Frau hinzu und lächelte. Nein, unscheinbar war sie nicht. Ihr Lächeln erhellte den trüben Tag.
Unbeholfen fuhr sich Gregor mit der Hand durch die grau melierten Haare. »Ich verstehe nicht ganz?«
»Verzeihen Sie, ich bin so ungeschickt. Immer mit der Tür ins Haus, pflegt mein Sohn zu sagen.« Wieder dieses perlende Lachen. »Ich wollte mich bedanken. Nun, da Sie regelmäßig hier in der Gegend patrouillieren, fühle ich mich viel sicherer.«
Gregor räusperte sich, doch keine schlaue Erwiderung wartete in seiner Kehle. Sein Talent war eindeutig das Hören.
Nachdenklich musterte die Frau ihn. »Sie sind kein Mann vieler Worte, nicht wahr?«
Gregor dachte darüber nach, dann nickte er.
»Das macht nichts. Ich rede genug für zwei, heißt es.« Ihr Kopf drehte sich und sie nickte in Richtung ihres kleinen Häuschens. »Ich sollte dann mal wieder reingehen. Es war schön, Sie kennengelernt zu haben.« Aufmerksam schaute sie auf sein Namensschild. »Herr Greifenberg.«
Als sie sich zum Gehen wandte, riss sich Gregor zusammen. »Gleichfalls, Frau...?« Seine eigene Stimme klang rau, als ob er sie lange nicht benutzt hätte.
Soviel zu Lisas Meinung, er könnte so gut mit Menschen umgehen. Menschen vielleicht, aber hübsche Frauen standen auf einem ganz anderen Blatt. Sie drehte sich wieder zu ihm um. »Kramer. Marianne Kramer.« Ihr Lächeln strahlte so hell wie ein Frühlingsmorgen und verschlug ihm die restliche Sprache.
Gregor beobachtete, wie sie den liebevoll angelegten Vorgarten passierte und sich auf dem Weg zur Haustür die Wangen hielt. An ihrem Vordach baumelte ein einsames Windspiel, das ihren Rückweg mit leisen Tönen untermalte. An der Tür angekommen drehte sie sich erneut um, und Gregor fasste sich mit zwei Fingern grüßend an die Mütze. Fröhlich winkte sie zurück und verschwand im Haus.