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Kapitel 1

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Ich frage mich manchmal, ob Männer und Frauen wirklich zueinander passen. Vielleicht sollten sie einfach nebeneinander wohnen und sich nur ab und zu besuchen.

- Katharine Hepburn


Paul Darrer lümmelte in seinem Großvatersessel und brütete vor sich hin. Ihm war bewusst, dass er mit vierunddreißig Jahren ein Alter erreicht hatte, in dem man weder brüten noch lümmeln sollte, aber er konnte wie immer schlecht aus seiner Haut.

Sein Magen knurrte und erinnerte ihn daran, dass es fast Zeit zum Abendessen war. Er fand den Gedanken allerdings reizlos, sich alleine in seine Küche zu setzen. Vielleicht konnte er seine beste Freundin Daria überreden, auf einen Besuch vorbeizukommen? Am besten auch dazu, etwas zum Essen mitzubringen. Er griff nach seinem Handy, um sie per WhatsApp zu belästigen.

Hey Dar, heute Abend schon etwas vor?

Darias Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Du kannst dir auch einfach selbst was bestellen, wenn du Hunger hast. Ich empfehle chinesisch.

Paul musste grinsen. Sie kannte ihn zu gut. Hatte ich gestern. Außerdem esse ich nicht gern allein.

Prompt tauchte ihre Erwiderung auf. Hat nicht eine deiner letzten Eroberungen Zeit für dich? Ein mitleidiger Smiley erschien. Heute geht nicht, sry. Ich hab ein echtes Date. Du erinnerst dich? Das ist etwas, bei dem sich zwei Menschen treffen, um zu schauen, ob sie vielleicht zusammenpassen.

Jetzt wo sie es sagte, fiel es ihm auch wieder ein. Ah ja. Stimmt. Wie läuft es? Zukunftspläne?

Darauf schickte sie ihm das Bild eines lächelnden Kackhaufens, der viel Platz für Interpretationen ließ. Er bewunderte Darias Hartnäckigkeit, mit der sie auf der Suche nach der Liebe ihres Lebens war. Jedoch würde er es begrüßen, wenn dieser Part nicht so viel Zeit einnehmen würde. Ein fester Freund bedeutete automatisch weniger Zeit für das gemeinsame Fechten und nun ja, auch für ihn. Während er darüber nachdachte, fühlte er sich schlecht. Auch wenn er Daria nur ungern teilte, wünschte er ihr Glück.

Paul spielte mit dem Gedanken, eines seiner Geschwister anzurufen, als ein Poltern im Flur die Ankunft von Moses ankündigte. Kurz darauf wurde die Tür aufgedrückt und ein imposanter schwarz-weißer Kater betrat den Raum. Er ging ein paar Schritte auf ihn zu und streckte sich dabei ausgiebig. Mit einem Satz hüpfte er auf Pauls Schoß und machte es sich bequem. Damit war klar, dass er seine weiteren Essenspläne verschieben konnte, um den samtigen Rücken seines Freundes zu kraulen.

Als Paul voriges Jahr in sein kleines Domizil am Stadtrand von Hannover gezogen war, hatte er den Kater quasi übernommen. Oder das Tier ihn, das kam ganz auf die Perspektive an. Seit dem ersten Abend belegte Moses nun sein Bett und auch den Rest des Hauses. Ehrlicherweise genoss es Paul, einen vierbeinigen Mitbewohner zu haben. Da er aus einer großen Familie stammte, liebte er die Ruhe, die sein Heim ihm bot. Trotzdem störte ihn die Einsamkeit und Moses war ein perfekter Kompromiss.

Der Kauf der zweistöckigen Doppelhaushälfte war eine der besten Entscheidungen seines Lebens. In wenigen Laufminuten Entfernung schlängelte sich der Mittellandkanal durch sein Viertel. Die Infrastruktur war beeindruckend, dennoch bot die kleine Sackgasse, an deren Wendehammer Pauls Domizil stand, eine idyllische Komponente. Als ob er auf dem Land wohnen würde, nur ohne Hähne und mit guter Anbindung zum Nachtleben.

Sein Blick wanderte durch den Raum, seine Bibliothek, wie er ihn liebevoll nannte. In rustikalen Holzregalen, natürlich maßgefertigt, sammelten sich Bücher bis zur Decke. Romane, Biografien, Comics - er war nicht wählerisch, solange es sich um gute Werke handelte. Neben seinem Sessel sorgte eine antike Stehlampe für angenehmes Leselicht. An der Wand hingen einige seiner liebsten Fotografien.

Eine Landschaftsaufnahme, die er vor ein paar Jahren in den Dolomiten geschossen hatte. Daneben erstrahlte in verschieden blauen und grünen Tönen eine Nordlichtfotografie aus dem Thingvellir Nationalpark in Island. Sein Favorit war die Schattenaufnahme, wie er sie insgeheim nannte. Darauf zu sehen war der Umriss seiner schaukelnden Cousine Nele, die er an einem Hochsommertag auf dem Spielplatz im Hannoveraner Maschpark aufgenommen hatte.

Vorsichtig, um den dösenden Kater nicht zu stören, griff Paul nach einem Thriller, der auf dem Beistelltisch lag. Obwohl Daria ihn gerne deswegen aufzog, bevorzugte er echtes Papier, wenn er las. Moses gönnte ihm einen kurzen Ausflug in das winterliche London, doch als es richtig spannend wurde, rollte sich sein Mitbewohner auf den Rücken und köderte Paul mit der Präsentation seines weichen Bauches. Als gut dressierter Mensch legte Paul das Buch zur Seite und widmete sich den Bedürfnissen seines Freundes. Inmitten des weißen Fells schimmerte ein schwarzer Punkt, etwa auf Höhe des Herzens, und auf eine Weise, die Paul weder erklären konnte, noch wollte, fühlte er sich stets dazu verlockt, diesen Fleck zu streicheln. Die Erfahrung hatte ihn gelernt, dass es ein Fehler wäre.

»Du kannst deinen Köder wieder einziehen, du Gauner«, murrte Paul und kraulte Moses am Kinn. Heute stand ihm nicht der Sinn danach, Krallen aus seinem Handrücken zu ziehen.

Der Kater beendete seine Kuscheleinheit und kletterte auf das Fensterbrett, um mit einer Pfote gegen die Scheibe zu stupsen. Mit einem Lächeln folgte Paul dem Befehl zum Öffnen des Fensters. Moses hüpfte hinaus auf das Dach des angrenzenden Carports. Gerade als Paul das Fenster wieder schließen wollte, blieb sein Blick an etwas hängen.


Die Pizza in Lisas Hand dampfte, als sie in ihre kleine Straße einbog. Mit einer Hand suchte sie in ihrer Jackentasche nach dem Haustürschlüssel, stoppte aber, noch bevor sie ihn finden konnte. Hinter Lisas silbernen Renault parkte ein Volvo, dessen grüner Lack reichlich rostig wirkte. Sie stoppte. Wer war das? Vorsichtig beugte sie sich vor. Ein blasser Mann klingelte an ihrer Haustür. Offenbar hatte er dies schon öfters vergeblich versucht, denn nun klopfte er vehement an.

»Hallo, Frau Ritter? Mein Name ist Viktor - ihre Großmutter schickt mich!« Verdammt. Lisa ging zurück und prallte gegen die Mülltonne ihres Nachbarn, die neben dem Carport stand. Der blasse Mann drehte sich in ihre Richtung. Ob er sie gehört hatte? Verdammt, verdammt.

Seit Oma Trude vor ein paar Monaten beschlossen hatte, in eine Seniorenresidenz zu ziehen, versuchte ihre Großmutter alles, um Lisa an den Mann zu bringen. Mehrmals im Monat schauten ein paar merkwürdige Gestalten vorbei, die sie zum Essen einladen, besuchen oder ausführen wollten. Lisa konnte ihr einfach nicht begreiflich machen, dass ihr Beziehungsstatus nicht an fehlenden Möglichkeiten, sondern ihrer inneren Haltung lag. Ein Mann passte nicht in ihr Leben. Falls sich das jemals ändern sollte, würde ihre Großmutter es auch als erste erfahren.

»Hallo?« Der unerwünschte Besucher trabte den Kiesweg entlang in ihre Richtung. Lisa blieb nicht mehr viel Zeit, um einer neuerlichen, vermutlich unangenehmen Begegnung aus dem Weg zu gehen. Männer, die auf eine Beziehungsvermittlung aus dem Seniorenheim angewiesen war, brachten einen ärgerlichen Hang zur Aufdringlichkeit mit. Lisa wischte sich die freie Hand an ihrer Hose ab. Wenn sie den Weg zurück ging, würde der Fremde sie sehen können. Mit einem stummen Seufzer schwang sich Lisa auf die Mülltonne und von dort aus weiter auf das flache Carportdach. Aus dem angrenzenden Zimmer ihres Nachbarn schien sanftes Licht und spendete mit der Straßenlaterne genug Beleuchtung.

Der Störenfried tauchte unter ihr auf und blickte sich suchend um. Glücklicherweise schaute kaum jemand nach oben, wenn er etwas suchte. Der Mann zuckte mit den Schultern, wühlte in seinen Taschen und zündete sich kurz darauf eine Zigarette an. Angewidert rümpfte Lisa die Nase und strich sich eine dunkelbraune Strähne aus dem Gesicht. Echt jetzt?

Von oben hatte Lisa einen guten Blick auf eine beginnende Glatze und die wenigen Haare, mit denen der Mann versuchte, seinen Makel zu kaschieren. Grundsätzlich war ihr eine vorhandene oder fehlende Haarpracht egal, nur war es einfach albern, wenn man zu so etwas Natürlichem nicht stehen konnte. Vielleicht hätte ihm ein Kurzhaarschnitt besser gestanden? Lisa schüttelte den Kopf und rief ihre Gedanken wieder zur Ordnung. Dieses Detail war gar nicht wichtig. Nichts könnte Lisa dazu bewegen, einen Mann zu treffen, der von ihrer Großmutter ausgewählt worden war. Bei dem Gedanken an eine Verabredung bildete sich ein fester Knoten in Lisas Bauch. Oder war es Hunger? Egal, es gab einfach Menschen, die nicht dafür bestimmt waren, ihr Leben zu teilen. Warum auch, wenn es viel schöner war, niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen?

Der Mann unter ihr pustete eine Rauchwolke in die kühle Herbstluft. Sie konnte sich nicht einmal vorstellen, wie die ihre Großmutter diese Verabredungen einfädelte. > Hallo, Sie da drüben an der Medikamentenausgabe. Sie scheinen im Alter meiner Enkelin zu sein. Möchten Sie die nicht einmal besuchen? < Gruselig.

Der Wind pustete ein paar Blätter über das Dach und Lisa erschauerte. Ihre schmale Jeans und der rosafarbene Kapuzenpullover waren zwar eine gute Wahl für einen Abstecher zur Pizzeria gewesen, aber gänzlich ungeeignet, um an einem feuchtkalten Abend auf dem Dach eines Carports herumzuliegen.

Missmutig schielte sie erst zu ihrer Pizza, die zwischen dem Laub allmählich abkühlte und dann wieder zu dem Raucher hinunter. Der ließ seine Zigarette fallen und trat sie aus. Als er sich anschickte, endlich zu seinem Auto zu gehen, klapperte hinter ihr das Fenster. Lisa erstarrte.

Der schwarz-weiße Nachbarskater schob sich in ihr Blickfeld und schnupperte an dem Pizzakarton. Von unten drang das Geräusch eines startenden Motors an ihr Ohr. Ansonsten blieb alles still. Der Volvo parkte aus und fuhr die Straße hinunter. Lisa zählte langsam bis fünf. Das Fenster hatte sich bislang nicht wieder geschlossen. Verdammt. Vorsichtig drehte sie sich um.

Mit Herz und Degen

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