Читать книгу Partnerschaftliche Rollenteilung - ein Erfolgsmodell - Margret Bürgisser - Страница 12

RITA SCHOLL BORN UND JÜRG BORN

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»Manchmal machen sie Witze darüber, dass bei uns alles ein wenig speziell war«

Rita Scholl Born (57) und Jürg Born (57) wohnen in einem Einfamilien- und Reihenhausquartier am Rande von Münsingen. Ihr Zuhause ist stilvoll eingerichtet, die Räume sind hell und großzügig. Im Garten zieht eine Holzskulptur meinen Blick auf sich – wie ich später erfahre, hat Jürg sie mit der Motorsäge gestaltet. Im Übrigen ist hier ein romantisches Paradies: Quer übers Gartenende zieht sich eine üppige Glyzinie, und neben der Balkontüre blüht, einem Schwarm Schmetterlinge gleich, eine riesige violett-bläuliche Clematis.

Berufliche Entwicklungen Rita hat nach wie vor ihre 50-Prozent-Stelle bei der Berner Gesundheit und arbeitet dort als Therapeutin im Bereich Sucht. Seit etwa zehn Jahren arbeitet sie – auf freiberuflicher Basis – auch in einer psychotherapeutischen Praxisgemeinschaft. Sie bietet dort Einzel- und Paartherapien an. Seit sieben Jahren leitet sie zudem Kurse und Fortbildungen im Bereich »Stressbewältigung durch Achtsamkeit«. »Es ist immer ein wenig schwierig, all diese Tätigkeiten unter einen Hut zu bringen«, gesteht Rita. »Über das ganze Jahr verteilt arbeite ich zwischen 70 und 80 Prozent.«

Jürg arbeitet seit Längerem auf selbstständiger Basis. Auch sein Pensum beträgt, übers Jahr gesehen, 70 bis 80 Prozent. Zwei Drittel seiner Arbeitszeit entfallen auf die Bereiche Supervision, Coaching, Teamentwicklung. »Bei der Teamentwicklung reicht das Spektrum von Kita-Teams bis hin zum Strafmaßnahmenvollzug. Das restliche Drittel besteht aus der Erwachsenenbildung, wo ich an verschiedenen Instituten Ausbildner für Erwachsene ausbilde.«

Viel erreicht Beide sind sehr zufrieden mit dem im Beruf Erreichten. Mit einem 50-Prozent-Pensum sei man ausgeschlossen vom üblichen Karrieremachen, meint Jürg. »Wenn ich jedoch reflektiere, was ich alles machen konnte, finde ich es optimal. Ich arbeite weniger Stunden als der durchschnittliche Schweizer und verdiene mehr als der Durchschnitt. Insgesamt fühle mich privilegiert.«

Für Rita bedeutet Karriere nicht nur beruflichen Aufstieg und das Erlangen höherer Positionen. »Ich definiere Karriere dadurch, dass ich jenen Tätigkeiten nachgehen kann, die ich gern mache, in denen ich anständig bezahlt werde und in denen viel Selbstbestimmung liegt.«

Berufliche Zukunft Beide gehen auf die Sechzig zu – ein Anlass, das Rentenalter zu reflektieren. Jürg fixiert sich nicht darauf, mit 65 in Pension zu gehen. »Ab 65 kann ich mir gut vorstellen, weiterhin einzelne Mandate zu betreuen, sicher mit reduziertem Pensum.« Rita denkt daran, ihre Anstellung spätestens mit der Pensionierung aufzulösen. »Ich arbeite in diesem 50-Prozent-Pensum unter guten Bedingungen – es ist nicht so, dass ich leiden würde. Trotzdem möchte ich künftig mehr Zeit in meine anderen Aktivitäten investieren. Ich werde so lange selbstständig weiterarbeiten, wie ich Lust dazu habe und es mir Freude bereitet.«

Finanzielle Absicherung fürs Alter Die Kinder von Rita und Jürg sind in Ausbildung und generieren dadurch hohe Fixkosten. »Wir haben gemerkt«, sagt Rita, »dass mein 50-Prozent-Pensum die einzige fixe Stelle ist, die wir haben.« Darum ist dieses Einkommen nach wie vor wichtig, auch für die Alterssicherung. »Wir konnten etwas erwirtschaften«, berichtet Jürg, »aber im Vergleich zu heute werden wir im Alter gewisse Einsparungen vornehmen müssen – wir werden nicht im Luxus leben. Gerade wegen der Altersvorsorge habe ich das Gefühl, dass ich später noch Mandate betreuen werde.«

Hausarbeitsteilung »Seit die Kinder weg sind«, berichtet Rita, »kommt die Putzfrau nur noch einmal alle zwei Wochen. Es fällt in jedem Bereich deutlich weniger Arbeit an. Ich empfinde die Arbeitsteilung zwischen mir und Jürg nicht als konfliktreich.« Jürg ergänzt, die Hausarbeitsteilung habe sich im Zeitverlauf total eingependelt. »Es gibt Dinge, die ich regelmäßig mache, und Dinge, die Rita häufiger macht. Obwohl ich auch koche, bügle und einkaufe, ist für mich klar, dass Rita innerhalb des Hauses mehr leistet als ich.«

Rita putzt, wenn ihr danach zumute ist. »Wenn ich zu Hause bin, denke ich mir manchmal, dass ich den ganzen Tag mit dem Kopf gearbeitet habe und es für mich nicht stressig ist, noch kurz mit dem Staubsauger durchs Haus zu gehen.«

Entwicklung der Kinder Tochter Lea hat das Gymnasium absolviert und anschließend in Freiburg ihr Studium in Medien- und Kommunikationswissenschaft begonnen. Im letzten Jahr hat sie ihren Bachelor abgeschlossen und macht seit einem halben Jahr ein Praktikum bei der Event-Agentur Good News in Zürich. Zwischenzeitlich war sie längere Zeit im Ausland. Diese Aufenthalte dienten jeweils dem Erlernen von Sprachen. Lea wohnt in einer Wohngemeinschaft in Bern.

Tim hat ebenfalls das Gymnasium absolviert und studiert in Bern Sozialwissenschaften. Sein Plan ist es, im Sommer mit dem Bachelor abzuschließen. Die Prüfungen dazu hat er bereits absolviert, er muss aber noch eine Arbeit schreiben. Momentan ist Tim für einen Monat in Peru.

Wie der Vater berichtet, prüfen beide Kinder die Möglichkeit eines Master-Studiums. »Seit Kurzem ist es für beide eine Option. Tim muss zwischendurch noch seinen Zivildienst absolvieren. Es ist möglich, dass beide nächsten Sommer mit ihrem Master-Studium beginnen werden.« Die Mutter ergänzt: »Lea möchte Teilzeit studieren und nebenher arbeiten. Sie sagt, dass sie durch das Arbeiten merkt, weshalb sie studiert.«

Tim und Lea tragen beide dazu bei, ihr Studium zu finanzieren. »Beide wollten in eine Wohngemeinschaft«, erinnert sich Rita. »Wir haben zu ihnen gesagt, dass sie so viel Geld von uns erhalten, wie sie zu Hause kosten würden. Ich war der Ansicht, dass man von hier aus nach Bern pendeln könnte. Aber den Kindern war es wichtig, zu Hause auszuziehen, und sie wussten, dass sie dafür einen Job brauchten.« Solche Gelegenheiten haben sie auch gefunden. Dreimal in der Woche arbeitet Tim für den »Berner Landboten« und macht Kundendienst oder nimmt Inserate entgegen. Und Lea hat über Jahre hinweg im Service gearbeitet.

Beziehung zwischen Eltern und Kindern Die Beziehung zu den Kindern lebt nach Aussage der Mutter stark von spontanen Anlässen. »Es ist nicht so, dass wir fixe Treffen wie beispielsweise ein Abendessen jeden Sonntag oder ein fixes Telefonat in der Woche vereinbart hätten. Ich bin der Ansicht, dass die Kinder ihren Freiraum brauchen.« Dies ist kein Hindernis, zu beiden Kinder verbindliche, lebendige Beziehungen zu pflegen. »Es läuft sehr viel über den Austausch«, erklärt Rita, »über Anteilnahme an dem, was gerade aktuell ist.« Eltern und Kinder verbringen auch Skiferien zusammen oder unternehmen andere Aktivitäten. »Es gibt viele erlebnisorientierte Sachen wie einen Kinobesuch, Musicalbesuche oder ein Wochenende, verbunden mit Filmnächten, in Locarno.«

Auch Jürg erlebt die Beziehung zu seinen Kindern als tragfähig und bereichernd. »Vor zwei Jahren haben Tim und ich mit Golfspielen begonnen. Wir haben beide bei null angefangen und entwickeln uns nun zusammen weiter. Dadurch ergeben sich schöne Gelegenheiten, bei denen ich mit Tim über Gott und die Welt spreche.« Mit Lea hat Jürg weniger direkten, persönlichen Kontakt. »Seit sie in Zürich arbeitet, hat sie fast keine Zeit mehr. Wir telefonieren oder schreiben SMS, oder Lea schickt mir eine Mail, wenn sie ein administratives Problem lösen möchte.«

Kinder und Rollenteilung Die frühere Rollenteilung ist gemäß Rita kein großes Gesprächsthema zwischen Eltern und Kindern. »Manchmal machen sie Witze darüber, dass bei uns alles ein wenig speziell war. Sie witzeln zum Beispiel darüber, dass fast keine anderen Kinder mit diesem Rollenteilungsmodell aufgewachsen sind. Ich denke aber, dass sie es grundsätzlich gut finden, dass wir beide zu Hause gewesen und beide einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen sind.«

Spezielle Prägungen als Folge ihres Rollenmodells erkennt Rita am ehesten im Bereich der Sozialkompetenzen: »Beide Kinder haben die Fähigkeit, mit sehr unterschiedlichen Personen umzugehen und zusammenzuleben. In der Wohngemeinschaft von Lea hat es viele Wechsel gegeben«, was ihr nach Aussage der Mutter keinerlei Mühe bereitete. Auch beim Sohn gab es Wechsel innerhalb der Wohngemeinschaft. »Das hat Tim überhaupt nicht gestresst. Er hat gesagt, dass er einen neuen Wohngemeinschaftsmitbewohner finden wird und dass er mit verschiedenen Leuten zusammenleben kann.«

Verwendung der freien Zeit Die Kinder sind ausgezogen, wodurch freie Zeit entstanden ist. Einen Teil davon hat Rita in ihre Arbeit investiert, den anderen Teil nutzt sie, »um Sport zu treiben oder spontan am Abend auszugehen und mich mit Freundinnen zu treffen. Ich genieße auch die ruhige Zeit zu Hause.« Jürg übte neben seinem Beruf viele Jahre auch amtliche Tätigkeiten aus. Diese Engagements hat er etwas abgebaut. »In der jetzigen Phase habe ich das Gefühl, dass ich mehr Zeit mit Rita verbringe. Wir unternehmen heute viel mehr zusammen – manchmal geplant und manchmal spontan. Ich nehme mir auch mehr Zeit für mich.«

Zufriedenheit mit der Rollenteilung Wie zufrieden ist das Paar mit der von ihm praktizierten Rollenteilung? »Über den ganzen Zeitraum hinweggesehen«, meint Rita, »bin ich sehr zufrieden. Es gab aber Phasen, in denen wir sehr viel leisten mussten und wenig Luft zum Atmen blieb. Trotzdem habe ich immer gewusst, dass das Traditionelle für mich nicht gut gewesen wäre.« Die Konsequenzen des traditionellen Modells kennt Rita aus ihrer Praxis. »Es begegnen mir viele Frauen, die im Alter, wenn die Kinder erwachsen und nicht mehr zu Hause sind, in eine massive Krise stürzen. Sie haben keinen Lebensinhalt mehr und wissen nichts mit sich selbst anzufangen.«

Auch Jürg findet die egalitäre Rollenteilung ein gutes Modell. »Ich würde es wieder gleich machen. Ich habe das Gefühl, dass ich durch dieses Modell eine andere Beziehung zu meinen Kindern aufbauen konnte, als ich es mit einem 120-Prozent-Job hätte machen können. Das weiß ich sehr zu schätzen.« Doch auch er erinnert sich an belastende Zeiten. »Durch das Aufstocken der Arbeitszeit – bei mir mit meiner Selbstständigkeit und bei Rita mit ihren Zusätzen – hatte ich phasenweise das Gefühl, dass alles sehr, sehr dicht wurde.«

Rita betont, sie würde das Modell wieder wählen, den Mutterschaftsurlaub aber erheblich verlängern. »Diese ganze Phase mit Stillen, wenig Schlaf und Nebenher-Arbeiten würde ich nicht nochmals wiederholen.« Jürg kann den Wunsch seiner Frau nachvollziehen, äußert aber auch Vorbehalte. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich den gleichen Zugang zu den Kindern hätte, wenn Rita nach den Geburten ein volles Jahr zu Hause verbracht hätte. Man muss aufpassen, dass der Mann den Zugang zu den Kindern nicht verliert und umgekehrt. Im ersten Jahr passiert diesbezüglich sehr viel.«

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen Haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die Wahl des egalitären Rollenmodells im Zeitverlauf verbessert? Ja, denkt Rita Scholl Born, es seien zumindest mehr junge Männer mit kleinen Kindern unterwegs als früher. Gleichzeitig fällt ihr auf, dass sehr wenige Paare die partnerschaftliche Rollenteilung wählen. Im Beratungskontext begegnen ihr junge Frauen, »die vor ihrer Heirat aufgrund der Kinderfrage ›die Krise schieben‹. Sie haben von ihren Eltern nur die traditionelle Rollenteilung kennengelernt und kennen kein alternatives Modell. Das macht ihnen Angst.«

Jürg war phasenweise stark in der Väterszene tätig und in einem schweizerischen Gremium engagiert. Er bezweifelt, dass sich die gesellschaftlichen Umstände zum Vorteil des egalitären Modells gewandelt haben. »Ich bin mir nicht sicher, welche Berufsgruppen sich heute ein 50:50-Modell leisten können. Wenn man ein Eigentum besitzt, ein Auto und eine Krankenkasse hat und alle Bedürfnisse befriedigen will, die vorhanden sind, wird es eng.« Jürg bedauert, dass seitens der Unternehmen nur ein kleines Spektrum an Arbeitszeitmodellen angeboten wird. »Viele Männer möchten Teilzeit arbeiten. Untersuchungen zeigen aber, dass viele ihre Freizeit dazu nutzen möchten, um ihren Hobbys nachzugehen. Es gibt auch solche, die mehr Zeit mit den Kindern verbringen möchten, jedoch nicht zwingend in einem 50:50-Modell.«

Rita und Jürg haben ihre Kinder, als sie klein waren, weitgehend selbst betreut. Über familienergänzende Kinderbetreuung denken sie eher kritisch. »Ich habe jüngere Kolleginnen«, erzählt Rita, »die unter Kita-Stress leiden. Bevor sie morgens zur Arbeit kommen, müssen sie die Kinder zur Kita bringen, und am Abend müssen sie aus der Sitzung raus, um die Kinder rechtzeitig abzuholen. Entweder erledigt dies die Frau oder der Mann. Es braucht viel Aufwand, damit alles gut läuft.« Auch Jürg sieht durch seine berufliche Tätigkeit in viele Kitas hinein. »Es bräuchte noch mehr davon, und die Leute dort machen ihre Arbeit gut«, sagt er anerkennend, ergänzt dann aber: »Ich höre jedoch immer wieder vom Stress der Eltern. Das ist für die Kinder nicht förderlich.«

Partnerschaftliche Rollenteilung - ein Erfolgsmodell

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