Читать книгу Partnerschaftliche Rollenteilung - ein Erfolgsmodell - Margret Bürgisser - Страница 14
HILDEGARD UND ADRIAN KAUFMANN
Оглавление»Beziehungspflege ist das Zentrale in unserem Leben«
Mein Gespräch mit den Kaufmanns findet nicht in ihrer Wohnung statt, sondern in der Praxis von Adrian Kaufmann, der beim Bahnhof Zug als Psychotherapeut tätig ist. Er und seine Frau Hildegard haben über Mittag zum Arbeitslunch geladen. Die beiden sind eben sechzig geworden, wirken aber viel jünger und außerordentlich vital. Sonnengebräunt auch, denn sie sind eben von einem Aufenthalt bei ihrem Sohn in Südfrankreich zurückgekommen.
Berufliche Entwicklungen Adrian hat in den letzten fünfzehn Jahren sukzessive seine Praxis auf- und ausgebaut. Er ist jetzt so gut ausgelastet, dass er keine neuen Patienten mehr annehmen kann. Seine Arbeit gefällt ihm nach wie vor, und er kann sich gut vorstellen, übers offizielle Rentenalter hinaus tätig zu bleiben. »Grundsätzlich sehe ich es als Option, bis siebzig weiterzuarbeiten.«
Hildegard ist in einem Pensum zwischen 62 und 70 Prozent als Sekundarlehrerin tätig, daneben auch als Supervisorin und Coach. Sie unterrichtet Sprachen und Lebenskunde. Seit Langem ist sie auch Klassenlehrerin, was sie immer mehr beansprucht. Selbst mit einem Teilzeitpensum stößt sie in dieser Funktion manchmal an ihre Belastungsgrenzen. Trotzdem hat sie nach wie vor das Bedürfnis, mitzuwirken. »Ich bin nicht jemand, der nur am Spielfeldrand steht und zuschaut. Mir ist es wichtig, die Arbeit mitzugestalten. Es ist aber der letzte Klassenzug, den ich als Klassenlehrerin betreuen werde. Ich bin kontinuierlich daran, mich von dieser Rolle zu verabschieden.« Andere Aufgaben wird sie aber beibehalten. »Ich könnte mir vorstellen, die Supervisions- und Beratungsarbeit bis siebzig weiterzuführen – wenn ich so fit bleibe, wie ich mich fühle, oder wenn es noch realisierbar bleibt.«
Weiterbildung als Grundlage beruflicher Entwicklung 2007 bis 2010 hat Hildegard Kaufmann noch die Ausbildung zur Supervisorin und Coachin absolviert. »Durch diese Ausbildung wurden mir meine Fähigkeiten, die ich in der Schule zu wenig ausleben kann, bestätigt.« Soweit dies neben ihrer Erwerbstätigkeit möglich ist, arbeitet nun auch sie in einer eigenen Praxis. Auch für Adrian ist Weiterbildung ein Thema. »Ich absolviere laufend Weiterbildungen, die das, was ich bereits an Grundlagen besitze, ergänzen.« Vieles lernt er auch »on the job«. »Meine Arbeit ist sehr vielseitig und in sich eine laufende Weiterbildung. Mit jedem persönlichen Kontakt, den ich aufbauen und begleiten kann, lerne ich weiter dazu. Das ist für mich das Schöne an dieser Arbeit.«
Karriere gemacht? Betrachten die beiden ihren beruflichen Werdegang als »Karriere«? Adrian hat diesbezüglich eine eigene Definition. »Wenn ich die Gemeinschaftspraxis als meinen Arbeitsbereich betrachte, kann ich Karriere so definieren, dass ich gefragt bin. Ich bin eigentlich immer ausgebucht. Mehr kann man sich in einem solchen Feld gar nicht wünschen.« Hildegard hingegen verneint, Karriere gemacht zu haben: »Das war für mich nie erstrebenswert.«
Vorgeschichte der partnerschaftlichen Rollenteilung Warum hat sich das Paar seinerzeit für die partnerschaftliche Rollenteilung entschieden? »Für mich stand die Beziehung im Zentrum«, erklärt Adrian. »Beziehungen erfüllen das Leben. Ich habe deshalb bewusst auf vieles verzichtet, was ich als weniger wichtig empfunden habe.« Im Zentrum von Hildegards Interesse »standen die Kinderbetreuung und das Leben mit den Kindern«. Sie war in einer Familie mit traditioneller Rollenteilung aufgewachsen. Selbst so zu leben, war für sie eine »Horrorvorstellung«: »Ich hatte lange gearbeitet und wollte das auch weiterhin tun. Ich wusste auch, dass Adrian diese Praxis aufbauen möchte und dass er das Talent dazu besaß, sich als Psychotherapeut durchzusetzen.«
Hausarbeitsteilung Seit die Kinder ausgeflogen sind, lebt das Paar wieder zu zweit. Da Adrian 100 Prozent arbeitet, kann er nicht mehr so viel wie früher zum Haushalt beitragen. »Aber ich erledige den Einkauf, mache die Wäsche, bügle und staubsauge. Ich bereite das Mittagessen zu – das sind meine Jobs. Die Zubereitung des Nachtessens haben wir etwa 50:50 aufgeteilt.« Hildegard anerkennt, dass ihr Mann sehr viel macht und dass sie sich im Haushalt gut ergänzen. »Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie wir die Sachen ohne viele Absprachen erledigen können. Er beginnt, und ich mache weiter, oder umgekehrt. Es ist ein Hand-in-Hand-Arbeiten.« Nach wie vor hat Hildegard einen Wunsch. »Ich hätte sehr gerne eine Putzfrau.«
Die Kinder stehen auf eigenen Beinen Die Kinder der Kaufmanns sind vor einigen Jahren zu Hause ausgezogen und längst selbstständig. Nuria (30) hat Psychologie studiert, den Master gemacht und auch doktoriert. Aktuell arbeitet sie in der psychiatrischen Klinik Kilchberg. Sie ist mit einem Informatiker verheiratet und wünscht sich bald eine Familie. Illias (28) hat dieselbe Berufswahl getroffen wie seine Schwester und ebenfalls einen Master erworben. Er arbeitet aktuell als Psychologe an einer Institution für Suchtkranke in Montpellier. »Bei Ilias habe ich nie damit gerechnet, dass er irgendwann im Ausland leben wird«, erzählt die Mutter. »Das war ein weiterer Schritt des Loslassens.« Ihr Sohn ist mit einer Französin liiert und hat mit ihr den PACS[6] vereinbart, eine Art Heirat, die aber weniger verbindlich ist als eine Ehe.
Was den Eltern an ihren Kindern besonders auffällt, ist deren hohe Sozialkompetenz. »Sie zeigen viel Fürsorglichkeit«, erzählt die Mutter. »Nuria ist wie eine Insel in Zürich. Alle übernachten immer wieder bei ihr. Ich weiß manchmal fast nicht, wie sie neben dem hohen Arbeitspensum und der Weiterbildung noch ihren Freundeskreis pflegen kann.« Auch die Kinder und ihre Partner haben im Übrigen eine partnerschaftliche Rollenauffassung. »Es ist bei den Jungen selbstverständlich, dass man die Aufgaben teilt. Das haben sie auch schon früher in ihren Wohngemeinschaften erlebt.«
Dass die Kinder sich entschieden haben, Psychologen zu werden, war ihr freier Entscheid. Vater Adrian hat seinen Kindern von dieser Berufswahl eher abgeraten. »Die Arbeitsbedingungen von Psychotherapeuten im Schweizer Gesundheitswesen sind alles andere als rosig«, hält er fest. »Sie können sich keine goldene Nase damit verdienen, sondern es ist immer noch ein idealistischer Job.« Doch letztlich bestätigte sich das Sprichwort: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
Beziehung zwischen Eltern und Kindern Hildegard und Adrian pflegen zu ihren Kindern eine dynamische, vertrauensvolle Beziehung. »Beruflich höre ich von Eltern, die keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben, oder von Eltern, die sehr belastete Beziehungen haben«, erzählt Adrian. »Bei uns ist es jeweils eine Freude, wenn wir zusammenkommen. Es ist ein Geschenk.« Hildegard ergänzt: »Es interessiert sie auch, was wir machen, und sie lassen uns auch an ihrem Leben teilhaben. Das überrascht mich immer wieder.« Trotz dieser tiefen Zuneigung fordern die Kinder ihre Eltern auch heraus. »Sie halten uns den Spiegel vor und sind sehr streng mit uns. Wenn sie etwas ärgert, konfrontieren sie uns direkt und schonungslos damit.«
Zufriedenheit mit dem Rollenmodell Mit dem egalitären Familienmodell sind Hildegard und Adrian Kaufmann rückblickend sehr zufrieden. In früheren Jahren mussten sie sich finanziell ziemlich einschränken, doch durch die gute Entwicklung ihrer Kinder und die nach wie vor lebendige Paarbeziehung fühlen sie sich heute für diesen Verzicht rundum entlohnt. »Ich würde es nicht anders machen«, bilanziert Adrian. Hildegard ergänzt: »Wenn man gegenseitig an der Kinderbetreuung und der Arbeit des anderen teilnimmt, entsteht viel mehr Verständnis für das, was der andere macht. Beziehungspflege ist das Zentrale in unserem Leben.« – »Ja«, ergänzt Adrian, »und Beziehungen sind nicht einfach gegeben, sondern man muss auch immer daran arbeiten. Ich bin der Ansicht, dass wir unser Ziel erreicht haben. (Zu ihr) Ich freue mich, mit dir zusammen alt zu werden.« Hildegard schenkt ihm dafür ein strahlendes Lächeln.
Nutzung der Freizeit Hildegard und Adrian freuen sich, künftig mehr Zeit zu haben für ihre Beziehung, jene zu den Kindern, ihren großen Freundeskreis und ihre Hobbys. »Wir unternehmen im Alltag viel zusammen«, erzählt Adrian. »Wir haben den Gesang, und wir haben das Projekt, gemeinsam Spanisch zu lernen, gestartet. Ich fahre auch noch Motorrad.« Hildegard ergänzt. »Für zwei Jahre gingen wir abends Tango tanzen. Wir gehen auch öfter als früher ins Kino, ins Theater oder ins Konzert. Wir machen teurere Ferien und reisen weiter weg. Das hätten wir früher aus finanziellen Gründen nicht gemacht.«
Engagement für die (Groß-)Eltern In den letzten Jahren sind auch die eigenen Eltern in den Fokus gerückt. »Mein Vater ist 89 Jahre und meine Mutter 87 Jahre alt«, erzählt Hildegard. »Ich unternehme zusammen mit meiner Mutter Ausflüge – sogenannte Mutter-Tochter-Tage. Durch diese Ausflüge erhalte ich mehr Freiraum und lebe diesen auch sehr bewusst, weil das meine Mutter sehr genießt.« Adrian begleitet seine Mutter nun bereits seit sechzehn Jahren. »Seitdem mein Vater verstorben ist, besuche ich sie monatlich; und seit sie pflegebedürftig ist, habe ich alles Administrative für sie übernommen.«
Schwächen und Stärken des egalitären Modells Adrian sieht die Schwächen des egalitären Modells vor allem im finanziellen Bereich. »Man muss gut schauen, dass es längerfristig funktioniert. Im jugendlichen Idealismus gewichtet man das vielleicht etwas weniger, aber das Alter muss ja doch abgesichert werden.« Dass Adrian in der Anfangsphase seiner beruflichen Selbstständigkeit nicht viel in die Altersvorsorge investieren konnte, »hat jetzt zur Konsequenz, (zu ihr) dass du bis 65 arbeiten musst, weil wir damals mit unserem Modell Einbußen gehabt haben«.
»Auch unser Wohnungskauf«, fährt Adrian weiter, »war eine Gratwanderung, bis wir genügend Eigenkapital vorweisen konnten. Es entstanden dadurch Belastungen, die mich lange Zeit auch psychisch beschwerten. Das würde ich aus heutiger Sicht als Nachteil bezeichnen.«
Als Vorteil des partnerschaftlichen Rollenmodells erwähnt Adrian hingegen, »dass wir auch eine Vorbildfunktion für andere eingenommen haben. Freunde und Bekannte haben das mitbekommen und machen es uns nach – sie nehmen sogar Bezug auf unser Modell.«
Partnerschaftliche Rollenteilung und Kinderbetreuung Als die Kinder klein waren, wurden sie abwechselnd von ihren Eltern betreut, die damals je 50 bis 60 Prozent arbeiteten. Am Donnerstag übernahm eine Freundin das Hüten der Kinder. Das soziale Umfeld bot den Kindern zusätzliche Anregungen. »Wir haben eine Wohnsituation gesucht, in der die Kinder rausgehen und mit anderen Kindern zusammen sein konnten«, erklärt Adrian. Seine Frau denkt, dass sie die Kinder in der heutigen Zeit eventuell auch extern betreuen lassen würde. »Wir haben Morgen, Mittag und Abend als Familie verbracht. Diesbezüglich würde ich heute ein wenig loslassen. Ich denke, dass man sich auch Freiräume schaffen könnte.« – »Das ist die Meinung von Hildegard«, widerspricht Adrian. »Ich würde es nicht anders machen – ich würde es genau gleich machen. Eine Kinderkrippe würde ich nicht in Anspruch nehmen. Einen Mittagstisch könnte ich mir vorstellen.«
Teilzeitarbeit Hildegard war seinerzeit die einzige Frau und Mutter in ihrem Lehrerteam. »Ich war die einzige Frau, die schwanger wurde und weitergearbeitet hat.« Üblich war auf der Oberstufe, dass Frauen bei der Familiengründung ihren Beruf vorübergehend aufgaben. Inzwischen hat sich Teilzeitarbeit, wie Hildegard berichtet, auch in Sekundarschulen stark verbreitet. »Wir haben Mütter, die früher 100 Prozent gearbeitet und nun reduziert haben. Man schaut, dass man diese Frauen im Team behalten kann. Wenn die Frauen die Kapazität dazu haben, können sie ihr Pensum wieder erhöhen.«
Trotz Teilzeitpensum findet Hildegard ihre Arbeit sehr anspruchsvoll. »Der Aufwand hat sich vervielfacht, da man mit der Schulsozialarbeiterin und der Heilpädagogin Absprachen treffen muss. Das wird heute mit einer großen Selbstverständlichkeit über den Mittag abgehandelt.« Sie denkt, dass sie heute nicht mehr in der Lage wäre, mit kleinen Kindern die Funktion einer Klassenlehrerin auszuüben.
Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Relevanz des Modells Adrian denkt, dass die Voraussetzungen für die Wahl des egalitären Rollenmodells heute besser seien als früher. Gleichzeitig findet er, man müsste die gesellschaftlichen Bedingungen für junge Eltern verbessern. Der Konkurrenz- und Erfolgsdruck sei so groß, dass viele dadurch überfordert seien. Die Schweizer Politik müsste erheblich familienfreundlicher werden. Junge Eltern müssten aber auch ihre materiellen Ansprüche hinterfragen und sich auf die ›basic needs‹, das heißt die elementaren Bedürfnisse von Kindern besinnen. Diese sieht er nicht im Bereich von Luxus und Konsum, sondern bei Werten wie Zuneigung, Zeit und Geborgenheit.
Hildegard teilt die Einschätzung ihres Mannes. Sie denkt, »dass Kinderhaben eigentlich gar nicht so schwierig wäre, wenn man den ›basics‹ genug Raum geben würde: füreinander Zeit haben, zueinander schauen und für eine gewisse Zeit auch auf anderes verzichten«.
Gesellschaftliche Perspektiven Adrian ist ein überzeugter Befürworter des egalitären Rollenmodells. »Ich finde es das Modell der Zukunft. Auch wenn es mit dem starken Franken wieder eine Arbeitszeiterhöhung gegeben hat, wird sich die gesellschaftliche Entwicklung in Richtung von mehr Freizeit und mehr Freiraum entwickeln. Dort wird dieses Modell auch wieder mehr Platz haben. Ich glaube, dass es ein erfolgreiches Modell ist, das sehr viel Lebensqualität zu bieten hat.« Hildegard bestätigt dies und bedauert, »dass das Modell nicht gefördert und dass nicht mehr Werbung dafür gemacht wird. Es wären so viele schmerzhafte Erfahrungen gar nicht notwendig.« Das sieht auch Adrian so. »Es müsste nicht sein, dass so viele Familien mit ihrem Modell scheitern.«