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Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913
ОглавлениеDas Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913, das bis 1999 gültig blieb, bedeutete nicht nur die Nationalisierung und damit die Vereinheitlichung des Staatsangehörigkeitsrechts in den deutschen Bundesstaaten, sondern es war auch ein Sieg für den Alldeutschen Verband und die völkische Bewegung. Denn das neue Gesetz »verwirklichte das Ius-sanguinis-Prinzip in Reinform«. Mit ihm wurde die Abstammung zum Regelfall für die Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit – das ius soli, das die Staatsangehörigkeit im Fall der Geburt auf dem Staatsterritorium gewährt und das es als Rechtselement in einzelnen Bundesstaaten noch gegeben hatte, wurde dadurch ausgelöscht.1
Das Ziel, das die immer stärker werdende völkische Bewegung seit Jahrzehnten auch gegen den anfänglichen Widerspruch vieler Fachjuristen und der liberalen Presse verfolgt hatte, war erreicht. Nun lag ein Gesetz vor, das ihren Vorstellungen von der Überlappung deutscher Staatsangehörigkeit mit ›deutschem Blut‹, ›Deutschstämmigkeit‹ und ›deutschem Volkstum‹ entsprach und mit dessen Hilfe ›Volksfremde‹ künftig leichter ausgeschlossen werden konnten. Die völkisch-rassische Ausrichtung war zwar nicht explizit ins neue Staatsangehörigkeitsrecht eingeschrieben worden, sprach aber aus den Reichstagsdebatten, die dazu geführt hatten, sowie aus dem Wortlaut der geheimen Verordnungen, die zu seiner konkreten Anwendung erlassen wurden.
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hatten Fragen der individuellen wirtschaftlichen und sozialen Eingliederung in die Gemeinde noch die wichtigere Rolle bei der Entscheidung der lokalen Behörde gespielt, eine Einbürgerung einzuleiten, doch seitdem waren vermeintliche Gruppenmerkmale immer bedeutsamer geworden. Das neue Gesetz sanktionierte diesen Trend, und die Einbürgerungspraxis, die seither verfolgt wurde, bekräftigte ihn noch: Die Abstammung wurde zum entscheidenden Kriterium. Das hatte zur Folge, dass die Einbürgerung für osteuropäische und jüdische Antragsteller*innen immer schwieriger wurde, bis Letztere ab 1933 bzw. 1935 gar nicht mehr ein-, sondern ausgebürgert wurden.
Das neue Gesetz betraf auch die Bevölkerung der deutschen Kolonien. »Mischehen« waren im »Schutzgebiet« ohnehin nicht gern gesehen und nur halblegal. Im Reich selbst, wo sie sehr selten vorkamen, galten sie vor allem, wenn eine weiße Frau einen Schwarzen heiratete oder heiraten wollte, als »Rassenschmach«. Welche Staatsangehörigkeit der nichtdeutsche Ehepartner oder die Ehepartnerin eigentlich hatte, war allerdings lange nicht klar geregelt, ebenso wenig wie jene ihrer Kinder, der sogenannten »Mulatten«. Eine Verordnung von 1913 schrieb fest, dass das neue Staats- und Reichsangehörigkeitsrecht auf »Mischehen und Mischlinge« keine Anwendung finde. Das bedeutete, dass in diesem Fall trotz der Patrilinearität, die im Gesetz festgeschrieben war, der ›deutschstämmige‹ Vater die deutsche Staatsangehörigkeit nicht an sein Kind vererbte. Parallel dazu wurden im Reichskolonialamt weitere Verordnungen erarbeitet, die einen regelrechten »Rassestaat« in den »Schutzgebieten« etabliert hätten. Diese Planungen vereitelte jedoch der Erste Weltkrieg, der den Verlust des Kolonialreichs nach sich zog.2
Trotz allem waren in Deutschland angesichts des regen Migrationsgeschehens vor dem Ersten Weltkrieg und dann noch in der Weimarer Republik Ermessenseinbürgerungen recht häufig. Die Einbürgerungsquote lag mit etwa zwei Prozent – das bedeutet, dass in diesem Jahr zwei Prozent aller Ausländer naturalisiert wurden – jedenfalls höher als in der späteren Bundesrepublik. Gleichzeitig aber überformte das grassierende rassistische Wissen den gesamten Einbürgerungskomplex insofern, als dass die Herkunft und deren vermeintlicher Wert zunehmend zum entscheidenden Kriterium dafür wurden, ob jemand als Deutscher anerkannt wurde. ›Deutschstämmigkeit‹, später ›deutsche Volkszugehörigkeit‹ und die völkisch-kulturell-biologische Nähe zum ›Deutschtum‹ entwickelten sich zur Norm, die für Einbürgerungen angelegt wurde – und das galt in graduellen Abstufungen noch bis 1999.
Das Gesetz von 1913 gab zwar nicht direkt den Weg zu den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 vor; doch es war das rechtliche Pendant zum Konzept der deutschen »Volksgemeinschaft«, das schon zu Beginn des Ersten Weltkrieges erstmals Konjunktur hatte. In der Weimarer Republik wurde das Konzept der »Volksgemeinschaft« weiter konkretisiert, im »Dritten Reich« erlebte es seine Hochzeit, und auch nach 1945 sollte es nicht völlig verschwinden.