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Die ersten Ausländer der Bundesrepublik

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Die ersten Ausländer der Bundesrepublik waren (anders, als es im historischen Bewusstsein verankert ist) nicht die ›Gastarbeiter‹ aus Italien, die seit dem vermeintlich ersten Anwerbeabkommen zwischen den beiden Ländern 1955 zum Arbeiten nach Deutschland kamen. Die ersten Ausländer der Bundesrepublik waren die »heimatlosen Ausländer«, die in ihrer Mehrheit Zwangsarbeiter*innen und in der direkten Nachkriegszeit Displaced Persons (DPs) gewesen waren.

Liegt es an ihrer geringen Zahl, dass sie in Vergessenheit gerieten? Sicherlich bildeten die ca. 200 000 »heimatlosen Ausländer«, die dauerhaft in Deutschland blieben, eine sehr kleine Minderheit unter den zwölf Millionen Menschen, die von den Alliierten nach der Befreiung den Status der Displaced Persons (DPs) zuerkannt bekommen hatten und deren Löwenanteil Deutschland verließ. Größtenteils waren sie bereits Ausländer im »Dritten Reich« gewesen und damit eine Gruppe, die die beiden scheinbar nur lose zusammenhängenden Migrationsgeschichten Deutschlands vor und nach 1945 historiographisch sehr konkret miteinander verbindet. Folglich kommt den »heimatlosen Ausländern« für die Zeit zwischen 1945 und 1955 – dem Jahr, das gemeinhin als Beginn der neueren deutschen Migrationsgeschichte gilt – eine Scharnierfunktion zu, die nicht einfach ignoriert werden kann.

Denn der genaue Blick auf diese Zeit zeigt in fast verstörender, doch eigentlich wenig überraschender Deutlichkeit, wie nahtlos rassistische Denk- und Wahrnehmungsweisen nach 1945 fortbestanden, wobei sie nun anders begründet und neu kontextualisiert wurden. Die Nachkriegsjahre waren eine Zeit, in der zwar gesetzliche Grundlagen für einen anderen Umgang mit Migrant*innen entstanden, aber gleichzeitig die althergebrachten Herkunftshierarchien rechtlich und administrativ wiederhergestellt wurden. Sicherlich waren die Lebensbedingungen für Migrant*innen, seit die Bundesrepublik 1951 wieder die Hoheit über ihre Ausländerpolitik erlangt hatte, grundlegend andere als in der NS-Zeit. Aber schließlich hatte sich der gesamte politische und gesellschaftliche Kontext radikal verändert – Deutschland hatte sich vom autoritären »Rassenstaat« in eine westliche Demokratie bzw. in einen egalitären »Arbeiterstaat« im Osten verwandelt. Doch das implizierte per se weder die Auslöschung des rassistischen Wissens noch das Ende seiner systemischen Wirkung.

Seit Jahrzehnten war dieses (vermeintliche) Wissen über die unterschiedliche Wertigkeit von Abstammung, Völkern und »Rassen« und deren Kultur in den Status einer offiziellen Politik erhoben und ›wissenschaftlich‹ zusammengetragen worden. Bis in den Alltag hinein hatte es die Binarität ›Deutscher und Ausländer‹ verfestigt. In der ›Stunde Null‹ wurde dieses Wissen genauso wenig begraben wie die Vorstellung einer deutschen »Volksgemeinschaft«. Es wurde vielmehr direkt in die Nachkriegszeit sowie in die frühe Bundesrepublik transferiert, um auf die DPs angewendet zu werden, genau wie die Idee der »Volksgemeinschaft« in der Opfer- und Leidensgemeinschaft weiterlebte, in der diese ›Migrationsanderen‹ weiterhin keinerlei Platz hatten.

Der Historiker Lutz Niethammer hat von der »Volkskontinuität« nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gesprochen; im gleichen Sinne hat es damals auch eine Ausländerkontinuität gegeben. Die Form der Vergesellschaftung blieb ebenfalls gleich: das Othering, dass also Ausländer als ›Andere‹ verstanden und durch die damit verbundene Ausgrenzung zu solchen gemacht und als solche fixiert wurden. Das Beachtliche daran ist – und ich zitiere bzw. paraphrasiere dafür Ernst Bloch –, dass »nach allem Ungeheuerlichen«, das die Nazis für die »Endlösung« getan hatten und das dazu führte, dass das Feld von Juden [beinahe] »rein war«,1 die Ausländer seit 1945 in wechselnden Besetzungen in den jeweiligen Stufen der Herkunftshierarchie die Anderen der Deutschen wurden.

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