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Imperiale Verhältnisse

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1884/85 trat das Deutsche Kaiserreich als »verspätete Nation« direkt in die Phase des Hochimperialismus ein und wurde zum Kolonialreich. Die überseeischen Kolonien stellten in der wilhelminischen Ära einen der imperialen Grenzräume dar, in denen es um das »Schicksal des deutschen Volkes« ging, das seiner »Überlegenheit« als »Kulturvolk« weltweit Geltung verschaffen sollte. Auch im östlichen Grenzgebiet Preußens trieb man die Konsolidierung des ›Deutschtums‹ voran, indem die weitere Ansiedlung und kulturelle Dominanz von Deutschen gefördert wurden. In beiden imperialen Grenzräumen, so die Historikerin Dörte Lerp, sicherte sich das Kaiserreich die Herrschaft über die in Besitz genommenen Territorien und die dortige Bevölkerung, indem es Deutsche von Nicht-Deutschen scharf trennte und Ausbeutungsstrukturen zugunsten ersterer etablierte. Obwohl beide Kolonialismen – der überseeische und der osteuropäische – innerhalb des Kaiserreichs immer wieder kritisiert wurden, prägten sie Deutschland nachhaltig, was die Produktion von rassistischen Wissensbeständen über ›Deutsche und Ausländer‹ betrifft.

Das polnische Königreich war unter den europäischen Mächten mehrfach aufgeteilt worden und seit 1796 als eigenständiger Staat vollständig von der Karte verschwunden. Die damit verbundenen Gebietszugewinne hatten Preußen neue polnisch-sprachige Untertan*innen eingebracht, die nun preußische Staatsbürger*innen wurden. Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 wurde die polnischsprachige Bevölkerung Preußens allerdings immer mehr als Fremdkörper empfunden: Das betraf polnischstämmige Deutsche ebenso wie die sogenannten Auslandspolen, also jene, die unter der Herrschaft Russlands und der Habsburger Monarchie standen und die wie zuvor, insbesondere in den Grenzregionen, auf ›deutschem Territorium‹ mobil waren.

Mittels Germanisierungsmaßnahmen und im Kulturkampf gegen die katholische Kirche – der die polnischsprachigen Deutschen zumeist angehörten – sowie deutscher Siedlungs- und Kolonisierungstätigkeiten an den Ostgrenzen wurden sie unter der Federführung des Reichskanzlers und preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck zunehmend als zentrale Gefahr für die deutsche Nation bekämpft. Die »polnische Gefahr« wurde dabei nicht nur an politischen nationalpolnischen Aktivitäten festgemacht, sondern auch am Fortleben polnischen Sprach- und Kulturbewusstseins, sowie an den Jahrzehnte andauernden massenhaften Arbeits- und Transmigrationsbewegungen von Osten nach Westen.

Einen Höhepunkt erreichte die »polnische Abwehrpolitik« 1885, als eine große Zahl von »Russisch-Polen« aus den östlichen Provinzen Preußens ausgewiesen wurde. Personen, die teilweise seit Generationen dort lebten und sich ihres formaljuristischen Status als Ausländer nicht einmal bewusst waren, wurden binnen einiger Tage ausgewiesen oder regelrecht vertrieben. Als entscheidendes Kriterium definierte die amtliche Statistik die Abstammung – nicht aber die Sprachkenntnisse oder die nationale Selbstzuschreibung der Betroffenen. Das zeigt sich klar im Wortlaut der preußischen Ausweisungsbefehle von 1885:

[D]a festgestellt worden ist, daß Sie durch Ihre Abstammung, wenn auch der deutschen Sprache mächtig, zu der Kategorie der gedachten Ausländer gehören, werden Sie im Auftrag der Landespolizeibehörde hiermit angewiesen, Ihren gegenwärtigen Aufenthalt […] und das preußische Staatsgebiet […] mit ihren Familienangehörigen zu verlassen und sich auf dem kürzesten Wege nach Ihrem zukünftigen Aufenthaltsort im Auslande zu begeben.1

In derartigen Prozessen begann sich die binäre Vorstellung von ›Deutschen und Ausländern‹ herauszubilden, die bei der Volkszählung 1890 erstmals in die neuen statistischen und rechtlichen Kategorien des »Reichsangehörigen« und des »Reichsausländers« gegossen wurde. Diese formaljuristische Unterscheidung zwischen Deutschen und Ausländern wurde laut der Historikerin Léa Renard zwar erst nach zwei Weltkriegen »auch zu einer lebensweltlichen, alltagspraktischen Kategorisierung«.2 Doch der Definitionsprozess dessen, wer Deutsche*r war und wer nicht, trat zu jener Zeit in eine höchst dynamische Phase ein, die von vielen Faktoren beeinflusst wurde.

Es war das Zeitalter der Biopolitik, in dem immer effizienter agierende und sich auf die neuen positivistischen Wissenschaften berufende nationale Staatsapparate die Zusammensetzung und Eigenschaften ihrer Bevölkerungen zu bestimmen, zu kontrollieren und zu manipulieren suchten: Das geschah etwa durch die Einführung von Pässen, das Führen von Statistiken, soziologische, biologische, medizinische Studien und Maßnahmen wie etwa medizinische Grenzkontrollen.3 Besonders angesichts von Migration stellte sich die Frage, wer Teil der Bevölkerung werden durfte und wer nicht – und wie dies reguliert und überwacht werden könnte.

Doch von den antipolnischen Maßnahmen waren auch immer wieder preußische und damit deutsche Staatsbürger*innen betroffen. Beispielsweise ein großer Teil der sogenannten Ruhrpolen, die vom landwirtschaftlich geprägten Osten in den Westen gezogen waren, um dort als Bergleute zu arbeiten, oder auch die polnischsprachige Bevölkerung in Posen, die dort sogar die Mehrheit stellte. Parallel dazu versuchte man stets, die polnischsprachigen Deutschen durch Germanisierungsmaßnahmen von ihrem »minderwertigen, stets zu Exzessen geneigten« Wesen zu befreien und der »Überlegenheit des Deutschtums« näherzubringen, wie es eine preußische Denkschrift von 1898 formulierte.4 Darauf reagierten die Gemaßregelten jedoch oft mit kollektivem oder individuellem Protest und Widerstand.

Besonders mit Blick auf Posen schrieb der Vorstand des Alldeutschen Verbands, Ernst Hasse, 1906: »Die harmlosen Gemüter, die uns noch immer den Rat zu geben wagen, um des lieben Friedens willen ›unsere Mitbürger polnischer Zunge‹ sänftiglich zu behandeln«, seien »mehr als kindlich«, da sie »nicht daran glauben, daß wir uns in einem von den Polen aufgedrängten Kriegszustande befinden.« Deshalb solle man die Polen zwar nicht »ausrotten«, aber »durch eine anders gestaltete Grenze […] dauernd unschädlich« machen.5 Tatsächlich schränkte das Reichsvereinsgesetz von 1908 den Gebrauch der polnischen Sprache in der Öffentlichkeit an Orten ein, an denen die Mehrheit deutschsprachig war – somit praktisch überall im Westen des Reichs.6 Das Verbot, polnisch zu sprechen, betraf stellenweise sogar religiöse Rituale wie Taufen und Beichten, da die deutschen Behörden argwöhnten, diese könnten für »politisch-polnische Agitation« genutzt werden.7

Dennoch gelang es den verschiedenen polnischen Gemeinden im Westen, im Laufe der Jahre eigene Strukturen aufzubauen. Mit der einflussreichen Zeitung Wiarus Polski (Der polnische Kämpe) schufen sie sich ein eigenes Sprachrohr, und allmählich entwickelte sich eine lokal eingebundene Identität. Polnischsprachige Deutsche nahmen zunehmend sogar über ihre eigene Gemeinde hinaus Einfluss auf politische Entwicklungen, etwa als treibende Kraft in den großen Streiks im Ruhrbergbau der Jahre 1905 und 1912. Wie einer der ersten ruhrpolnischen Akademiker in Westfalen, Jan Kaczmarek, berichtet, konnten die ehemaligen Landarbeiter und Bergleute, nachdem sie durch »geistige Ausbildung einen klaren Blick für die sozialen und politischen Verhältnisse erworben hatten, … [sic] im vollsten Sinne des Wortes ›mitreden‹«.8

Der Alldeutsche Verband unter der Leitung von Hasse war allerdings ein Vorreiter jener radikal-nationalen und völkischen Strömung, die bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts versuchte, das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht von 1871 zu verändern. Bei ihren Bemühungen, das »Deutsche« und das »Undeutsche« auch formaljuristisch klar voneinander zu trennen, dienten die polnischsprachigen Deutschen sicherlich als zentrales Feindbild, als Gruppe, deren weitere Vergrößerung und Einflussnahme man verhindern wollte.

Zu dieser Strömung gehörte auch die antisemitische Bewegung, die ihrerseits die rechtliche Emanzipation der jüdischen Deutschen wieder rückgängig machen wollte. Der stärker werdende Antisemitismus verwob sich dabei mit dem entstehenden antislawischen Rassismus. Der Historiker Heinrich von Treitschke hatte schon 1879 in seiner vielzitierten Schrift Unsere Aussichten behauptet, dass der »Instinkt der Massen« tatsächlich eine »schwere Gefahr«, einen »hochbedenklichen Schaden des neuen deutschen Lebens« erkenne und darauf berechtigterweise mit Antisemitismus reagiere. Das könnten Engländer und Franzosen, die mit einer »gewissen Geringschätzung« über das »Vorurtheil der Deutschen gegen die Juden« redeten, nicht nachvollziehen, da sie in »glücklicheren Verhältnissen« lebten. Denn sie hätten in ihren Ländern nur mit den sephardischen Juden aus Spanien, nicht aber mit den Juden zu tun, die beständig über »unsere Ostgrenze aus der unerschöpflichen polnischen Wiege« kämen. Treitschke beschrieb Letztere als »Schaar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge«, deren Nachkommen

dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen sollen; die Einwanderung wächst zusehends, und immer ernster wird die Frage, wie wir dieses fremde Volksthum mit dem unseren verschmelzen können.

Denn das »osteuropäische Judentum« stehe dem »germanischen Wesen ungleich fremder gegenüber«.9 Damit meinte Treitschke jedoch auch die deutschen Juden, die bereits Immanuel Kant nicht nur als Osteuropäer, sondern auch als zwar zur »weißen Rasse« gehörig, aber doch minderwertige »Orientale« kategorisiert hatte.10

Ein weiterer heute noch hoch angesehener Pionier seines Fachs, der Soziologe Max Weber, spielte eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung der These von der Gefahr aus dem Osten. Seine Studie Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland erschien 1892 und löste ein großes politisches, wissenschaftliches und publizistisches Echo aus. Darin vertrat Weber die These, dass deutsche von polnischen Arbeiter*innen kontinuierlich aus den östlichen Provinzen des Kaiserreichs verdrängt würden, was er nicht nur als ökonomische, sondern auch als essentielle kulturelle Gefahr wertete. Die polnischen Arbeiter*innen seien wegen ihres minderen Wesens bereit, unter schwierigeren Umständen für weniger Lohn zu arbeiten. Der »Zuzug vom Osten« habe damit nicht nur Nachteile für den Arbeitsmarkt, sondern sei vielmehr eine »Existenzfrage« des »Deutschtums«, da die deutsche Kultur im Osten zurückgedrängt und die deutsche Kolonisation dort zunichte gemacht würden. Bei der Diskussion seiner Thesen kam auch der Begriff der »Überfremdung« auf, der noch eine lange Geschichte in der Debatte um Migration in Deutschland haben sollte.

Dementsprechend richteten sich die Bestrebungen national-radikaler, völkischer und antisemitischer Kreise primär gegen die osteuropäischen, insbesondere die jüdischen Migrant*innen, deren Naturalisierung, den formaljuristischen Endpunkt des Einwanderungsprozesses, sie verhindern wollten. Im deutschen Kaiserreich handhabten die einzelnen Bundesstaaten die Einbürgerung allerdings noch sehr unterschiedlich. Hasse forderte als nationalliberaler Abgeordneter in einer Reichstagsrede im März 1895, die »Rasse- und Sprachfremden […] slawischer und semitischer Abstammung« sollten »grundsätzlich überhaupt nicht oder nur so wenig als möglich naturalisiert« werden.11 Insgesamt sollten keine Ausländer »fremden Stammes«, zu denen er auch Italiener und Tschechen rechnete und die »minderwertiges Menschenmaterial« seien, eingebürgert werden.12 Dieses Privileg wollte er nur noch ›Deutschstämmigen‹ zugestehen, etwa Ausgewanderten, die nach Deutschland zurückkehrten. Sie sollten ihre Staatsbürgerschaft nach zehn Jahren der Abwesenheit künftig nicht mehr automatisch verlieren. Das gleiche sollte für die deutschen Siedler*innen in den Kolonien gelten, die Reichsdeutsche bleiben sollten.

Darüber, dass die »Eingeborenen« überseeischer Besitzungen keine Reichsdeutschen sein konnten, waren sich die Politik und Fachjuristen weitgehend einig, zumal die Kolonien nur »Schutzgebiete« und damit kein vollwertiger Teil des Reichs waren. Manche erklärten die dort ansässige Bevölkerung zu »Reichsausländern«, die aber vielfach schlechter gestellt waren als andere weiße Ausländer, die im jeweiligen Gebiet lebten, etwa Buren oder Briten. Auch die Frage nach dem formaljuristischen Status von »Mischehen« und »Mischlingen« kam sehr bald auf, so dass eine Änderung bzw. diesbezügliche Präzisierung des Staatsbürgerschaftsrechts aus Sicht der Mehrheit der Parteien und Abgeordneten im Reichstag notwendig schien.13

Antisemitischer, antislawischer und gegen die kolonisierten Bevölkerungen in Afrika und Asien gerichteter Rassismus sowie deren binäres Gegenstück, nämlich die völkisch-rassisch-kulturelle Überhöhung der Deutschen und die daraus abgeleiteten Rechte auf eine expansionistische, gewalttätige und unterdrückende imperiale Politik verflochten sich also in jener Zeit zu einem Bündel an rassistischen Überzeugungen. Dieses Geflecht, das in Deutschland in kommunistischen, sozialistischen, teilweise sozialdemokratischen und einigen liberalen Kreisen noch bekämpft wurde, wurde zudem mit vermeintlich wissenschaftlichen Argumenten unterfüttert, wodurch sich allmählich ein rassistisches Wissen herausbildete.

Die Jahrhundertwende war die Hochzeit der wissenschaftlichen Rassentheorien, in denen Biologie und Medizin, aber auch die »Völkerkunde«, nicht nur die »unterentwickelten Kolonialvölker« taxierten, sondern auch innerhalb Europas Hierarchien zwischen den nordischen, den slawischen, den südlichen und sonstigen »Völkern« herstellten. Darüber hinaus vollzog sich in jener Zeit die »Verwissenschaftlichung des Sozialen« (Lutz Raphael): Der Sozialdarwinismus setzte sich als dominantes Deutungsmuster durch, demzufolge das Soziale als Ausdruck biologischer Verhältnisse und Entwicklungen zu verstehen ist. »Rasse« war dabei ein Begriff, der zwischen Biologie und Kultur changierte und deren vermeintlich engen Zusammenhang postulierte.

Diese neuen rassistischen Wissensbestände verbreiteten sich nicht nur in akademischen Kreisen und in allen politischen Milieus, sondern auch in der breiteren Öffentlichkeit. Das lässt sich daran ablesen, wie über den Kampf der deutschen Kolonialtruppen gegen den Widerstand der Herero und der Nama – Letztere wurden als »Hottentotten« bezeichnet – diskutiert wurde. Das Thema war äußerst präsent in den Medien, besonders im Rahmen der Reichstagswahl von 1907, die als »Hottentottenwahl« in die Geschichte einging.

In ihrem Zusammenhang wurde auch das Für und Wider der Kolonialpolitik breit diskutiert. Reichskanzler Bülow erklärte dem Reichstag, dass Kolonialpolitik keine Entscheidungsfrage sei – man könne sich nicht dagegen entscheiden, sondern man müsse kolonisieren, da der »Trieb zur Kolonisation zur Ausbreitung des eigenen Volktums« in jedem vitalen Volk angelegt sei. Der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger stimmte dem Prinzip zu, plädierte aber dafür, die Kolonialvölker nicht als Feinde, sondern als »Mündel« zu betrachten; denn der »Eingeborene ist das schwarze Kind mit seinen Vorzügen und all seinen großen, großen Schattenseiten«. Und selbst August Bebel, Abgeordneter der SPD, die sich bislang gegen die Kolonialpolitik ausgesprochen hatte, bezeichnete die Kolonisation als »Kulturtat«, welche den »fremden Völkern« die »Errungenschaften der Kultur und der Zivilisation« bringe.14

In der medialen Berichterstattung über den Guerillakrieg der Nama gegen die deutschen Kolonisatoren vollzog sich in Deutschland, so der Historiker Frank Oliver Sobich, parallel dazu ein Wandel des vorherrschenden Bilds »des Negers« vom faulen, kindergleichen Wilden zur gefährlichen »schwarzen Bestie«.15 Als Träger des Siedlungsimperiums in Afrika – und im Osten des Reichs, wo seit 1908 auch eine Kolonisationskommission tätig war – verstand man jedenfalls in der Regel nicht die Nation, den Staat oder bestimmte Klassen, sondern das »deutsche Volk«.16

Die weniger politisch Interessierten erreichte das sich ausbreitende rassistische Wissen auch auf anderen Wegen. So war auf der 300-Jahr-Feier der Stadt Mannheim 1907 der »Vergnügungspark Abessinisches Dorf« eine der Hauptattraktionen. Dort wurden in täglichen Schauen, wie eine Postkartensammlung aus der Zeit verrät, nicht nur Themen wie »Schule«, »Töpfer«, »Mutterfreude« und »Moschee« präsentiert, sondern auch Krieger gezeigt und Lanzengefechte vorgeführt. Diese »Attraktionen« bekamen nicht nur die Besucher*innen der »Internationalen Kunstausstellung und der Großen Gartenbauausstellung« zu Gesicht, die von Mai bis Oktober 1907 andauerte, sondern auch die Empfänger der Postkarten oder die Zeitungsleser der nahegelegenen Gemeinde Sandhofen. In einer Ankündigung zur »muhamedanische[n]« Taufzeremonie »im abessinischen Dorfe« konnten sie lesen:

Die Zeremonien, die diese Fremden aus einem fernen Weltteile dabei gewißenhaft ausführen, muten jeden Europäer seltsam an, und da zuletzt noch durch Speerwerfen, Freudentänze, Fußringkämpfe, einen Umzug sowie einen sehr ergiebigen Schmaus die Schaulust befriedigt wird, so dürfte dieses eigenartige Fest auch von Europäern viel besucht werden.17

»Völkerschauen« hatten sich in den europäischen Städten zu einem rentablen Geschäft entwickelt und brachten einen Hauch von »Afrika« in zahlreiche Metropolen. Das »deutsche Volk« konnte somit am sprichwörtlichen »Platz an der Sonne« teilhaben. Schließlich kamen alle Gesellschaftsschichten in gewissem Maße im Alltag mit den Kolonien in Verbindung, sei es, dass sie im Kolonialladen exotische Waren erwarben, sich bei den Schauen in wohligem Grusel über die »Eingeborenen« ergingen oder sich bei der Zeitungslektüre selbst mittelbar als Kolonialherr*innen fühlen konnten.

Andererseits gehörten die Teilnehmer*innen solcher Schauen zu den wenigen »Farbigen«, die neben der persönlichen Dienerschaft von deutschen Militärs oder Siedlern aus den Schutzgebieten überhaupt als Migrant*innen nach Deutschland kommen durften. Einigen wenigen unter ihnen gelang es auch, in Deutschland zu bleiben, was einer der Gründe war, weshalb die Deutsche Kolonialgesellschaft derartige Schauen ablehnte.

Der Kameruner Ekwe Bruno Ngando beispielsweise hatte 1896 mit einer Truppe an der Berliner Gewerbeausstellung teilgenommen. Wie er in einem Schreiben an die Behörden berichtete, mit dem er sich 1912 um die Reichsangehörigkeit bewarb, verspürte er daraufhin »keine Lust« mehr, »mit meiner Truppe weiter zu reisen«. Stattdessen war er bei einem Berliner Schneidermeister in die Lehre gegangen, arbeitete nun in Hannover als Kellner und wollte dort die »Büffetdame Ida Kleinfeld« heiraten. Sein Einbürgerungsantrag wurde abgelehnt, wie wohl in den meisten dieser ohnehin wenigen Fälle im Deutschen Reich.18

Die »Eingeborenen« sollten in Übersee, oftmals unter Zwang bzw. in regelrechten Arbeitslagern, für die deutschen Siedler*innen vor Ort arbeiten, was zudem im Zuge ihrer »Zivilisierungsmission« als »Erziehung zur Arbeit« verklärt wurde.19 Zuhause im Reich erledigten derweil andere »minderwertige Völker« jene Arbeit, die man als Deutscher nicht mehr machen wollte.

Deutschland und die Migration

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