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Die deutsche »Volksgemeinschaft« formiert sich – Die Weimarer Republik

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Dem Wegfall großer Gebiete des ehemaligen Kaiserreichs nach dem Ersten Weltkrieg folgten große Migrationsbewegungen, die die Nachkriegszeit und die Anfänge der Weimarer Republik stark mitprägten.1 Unter den Neuankömmlingen waren die sogenannten »Grenzlandvertriebenen«, also Reichsbürger*innen, die aus Elsass-Lothringen ins Rheinland und nach Baden kamen, sowie preußische Staatsbürger*innen, die aus den Ostgebieten ins nun geschrumpfte Preußen einwanderten.

Hinzu kamen weitere ›Deutschstämmige‹ aus dem ehemaligen Habsburgerreich oder deutsche Kolonist*innen aus polnischen und russischen Gebieten. Letztere, die »Russlanddeutschen«, waren schon Jahre zuvor als mögliche Rücksiedler ins Visier der Politik gerückt. Man hatte erwogen, sie an den östlichsten Grenzen des Reichs anzusiedeln, um die auslandspolnischen Arbeitsmigrant*innen in der Landwirtschaft zu ersetzen, wie es auch Max Weber empfohlen hatte.

Für die Russlanddeutschen sowie all jene ›Deutschstämmigen‹, die nach der Neuordnung Europas automatisch oder auf Wunsch Staatsbürger*innen anderer Staaten wurden, kam in jener Zeit der Begriff des »Volksdeutschen fremder Staatsangehörigkeit« auf. Mit dem »Volksdeutschen« betrat eine wirkmächtige Figur die migrationshistorische Bühne, die noch bis in die 1990er Jahre bedeutsam bleiben sollte.

Neben etwa einer Million Einwanderer*innen, die als deutsch galten, hielten sich zahllose Migrant*innen oder Transmigrant*innen damals in Deutschland länger oder auch nur kurzzeitig auf. Das waren ehemalige Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen, Menschen, die nach der Russischen Revolution 1917 ins Exil gegangen waren, und zahlreiche osteuropäische Jüdinnen und Juden, die vor Pogromen in ihren Heimatorten flohen. Zudem kamen weiterhin Arbeitsmigrant*innen aus dem Osten und dem Süden Europas nach Deutschland, auch wenn ihre Zahl die Viertelmillion wegen der Nachkriegswirren und der späteren Weltwirtschaftskrise nie überschritt und sie größtenteils nur in der Landwirtschaft tätig waren.

1927 wurde dennoch das erste Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und dem neuen polnischen Staat geschlossen, das die saisonale Arbeitswanderung aus Polen regelte. Bilaterale Anwerbeabkommen lagen ganz im Trend der Zeit, zumal in Europa unter der Federführung Frankreichs seit 1919 zahlreiche derartige Abkommen geschlossen wurden und Institutionen wie die ILO, die Internationale Arbeitsorganisation, entstanden.

In Deutschland traten parallel dazu die nunmehr erstarkten Gewerkschaften auf den Plan und setzten mit dem »Inländervorrang« ein Arbeitsmarktinstrument durch, das das Arbeitsmigrationsregime bis in die Gegenwart hinein prägt: Zwar sicherte es den ausländischen Arbeitsmigrant*innen eine tarif- und arbeitsrechtliche Gleichstellung, die ihnen selbst zugutekam, doch primär sollte es die deutschen Arbeiter*innen vor billigerer Konkurrenz schützen. Deutsche hatten als Bewerber*innen stets Vorrang, und eine Stelle konnte erst dann mit einem Ausländer besetzt werden, wenn keine Deutschen dafür zur Verfügung standen.

1922 übernahm das Reichsarbeitsministerium die Steuerung der Arbeitsmigration, und seitdem wurde die Ausländerpolitik noch effizienter an der konjunkturellen Lage der Volkswirtschaft ausgerichtet. Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse wurden an den jeweiligen örtlichen Bedürfnissen oder den aktuellen politischen Vorgaben orientiert und grundsätzlich nur für ein Jahr erteilt, vor Ort oblag den Polizeibehörden die Umsetzung und Überwachung der Vorgaben. Die Arbeitsmigrant*innen wurden somit zu einer berechenbaren ökonomischen Größe, die je nach Interessenlage gezielt eingesetzt und deren Anzahl nach Belieben vergrößert oder verkleinert werden konnte, eine Variable in einem Verwertungskalkül, das ganz auf die Bedarfe der deutschen Volkswirtschaft und des deutschen Arbeitsmarktes samt ›seiner‹ Arbeiterschaft – die auch die deutsche Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie am meisten interessierte – ausgerichtet werden konnte. Die Verzahnung von prekärem Aufenthaltsrecht mit nur auf den ersten Blick egalitäreren arbeitsrechtlichen Bestimmungen schrieb die Rolle von Arbeitsmigrant*innen institutionell fest: eine stets verfügbare, zweitklassige Arbeiter*innenschicht.

Während der Weimarer Republik ermöglichten diese Steuerungsinstrumente dem Reichsarbeitsministerium, die Beschäftigung bestimmter Ausländergruppen aus »wirtschaftlichen, kulturellen und bevölkerungspolitischen Gründen« abzubauen. Beispielsweise wurden feste Kontingente für Landwirtschaftsarbeiter*innen aus Polen – ca. 100 000 pro Jahr – auch gegen die Wünsche einiger Bundesländer und des Reichsernährungsministeriums eingeführt. Der Plan, der teilweise verwirklicht wurde, war, sie mit ›deutschstämmigen‹ Landarbeiter*innen (auch solchen, die nur saisonal aus dem Ausland kamen) zu ersetzen und, so der zuständige Abteilungsleiter im Reichsarbeitsministerium im Jahr 1928, »die gesamte Öffentlichkeit dahin« zu erziehen, »die Beschäftigung von Ausländern in solch hoher Zahl als etwas Unerträgliches zu betrachten«.2 Im Zuge der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren schloss sich der Arbeitsmarkt für ausländische Arbeitsmigrant*innen ohnehin weitgehend. Damals lebten in Deutschland verstreut nur noch einige tausend ausländische Facharbeiter*innen, die schon länger dort ansässig gewesen waren, meist Österreicher*innen oder Niederländer*innen sowie kleinere Kolonien von Italiener*innen.

Es gab freilich auch noch die alte polnisch-deutsche Gemeinde. Nach dem Krieg war allerdings ein beträchtlicher Teil der Ruhrpolen in den neuen Staat Polen migriert, woraufhin auch die nationalpolnischen Aktivitäten zurückgegangen waren. Andere hatten während des Ersten Weltkrieges, in dem sie als »feindliche Ausländer« gegolten hatten, schlechte Erfahrungen gemacht und waren dann nach Frankreich ausgewandert. Diejenigen, die blieben, standen zwar in den nächsten Jahren nicht mehr so stark im Fokus der Behörden. Dass sie als Gruppe aber weiterhin diskriminiert wurden, legen beispielsweise die Berichte ruhrpolnischer Schulkinder aus jener Zeit nahe.

Die Eltern hätten ihre Kinder trotz guter Leistungen nicht aufs Gymnasium geschickt, da sie sie nicht den Schikanen und dem Hass der Mitschüler*innen und der Lehrkräfte aussetzen wollten. Der Grad der Diskriminierung sei mit dem Grad des schulischen Aufstiegs gewachsen, berichteten Zeitzeug*innen in lebensgeschichtlichen Interviews Ende der 1980er Jahre. Aber auch auf der Volksschule erlebten die Kinder, die oft nur noch am Namen als polnischstämmig zu erkennen waren, Ungleichbehandlung und systematische Herabwürdigungen.

So erzählte eine Frau, im Unterricht sei gelehrt worden, dass die Polen minderwertig und die Deutschen überlegen seien, was etwa am Vergleich der deutschen Wohnkultur mit den »Erdhütten« der Polen veranschaulicht wurde. Rosalia Czerwonek erzählte weiter: »Das war der Kulturmensch und das war hier der dumme, dreckige Pole aus dem Osten.« Eine andere Frau erinnerte sich an ihren Lehrer wie folgt:

Der […] hat mich dauernd getriezt. Der hat nur: ›Du kleiner Pollack! Du Zwerg! […] also so ungefähr, daß ich ›degeneriert‹ wär. Den Ausdruck kannte ich damals nicht. Aber ich habe kapiert, was er damals meinte. Ich war eine minderwertige Rasse.3

Zur gleichen Zeit wurden die masurischen Ruhrpolen Ernst Kuzorra und Fritz Szepan deutsche Fußballidole und der in den Anfängen als »Polacken- und Proletenverein« geltende FC Schalke 04 zum Inbegriff des Reviers. Szepan und Kuzorra traten als Masuren, die als ›deutschstämmig‹ galten, später sogar der NSDAP bei, während politisch oder kulturpolitisch aktive »polnische« Ruhrpolen im »Dritten Reich« verhaftet, interniert und vielfach ermordet wurden. Dank ihrer jahrzehntelangen Anwesenheit war diese Einwanderer*innengruppe, die freilich recht heterogen war und sich im Laufe ihrer Existenz auch stetig transformierte, schon längst zu einem integralen Bestandteil des Ruhrgebiets geworden. Gleichwohl schützte sie das, solange sie noch als Pol*innen erkennbar blieben, weder vor Diskriminierungen noch vor Verfolgung.

Die polnischen Jüdinnen und Juden, von denen 1925 etwa 90 000 in Deutschland lebten, bildeten gewissermaßen eine Randgruppe in der polnischen Einwanderer*innen-Gemeinde. Erst während des Ersten Weltkrieges wurden sie unter der Bezeichnung »Ostjude« zum Inbegriff des Ausländers. Dass man besonderes Augenmerk auf diese Gruppe legte, hatte viele Ursachen: die deutsche Besatzung Polens im Krieg, den massenhaften Einsatz von osteuropäischen Jüdinnen und Juden als Zwangsarbeiter*innen während dieser Zeit und die Tatsache, dass viele sozialistische Revolutionär*innen in Deutschland wie Rosa Luxemburg als »Ostjüdinnen« dargestellt wurden.4 Die meisten osteuropäischen Juden und Jüdinnen hielten sich als unerwünschte Flüchtlinge oder Einwanderer*innen auf einer »gestoppten Durchwanderung« in Berlin auf und trugen dort zum modernen, transkulturellen Flair der Stadt bei, das bis heute als Atmosphäre der »Goldenen Zwanziger« bisweilen überhöht wird.5

Unter dem Deckmantel der Feindschaft gegen »Ostjuden« ließ sich auch der gegen deutsche Jüdinnen und Juden gerichtete Antisemitismus gut verbergen. Die Frühphase der Weimarer Republik hatte »eine Verstärkung des Antisemitismus in nicht gekanntem Ausmaß« gebracht, der letztlich alle Jüdinnen und Juden traf.6 Das Ende der Weimarer Republik war dann vollends von Hass und Ausgrenzung geprägt.

Gerade Jüdinnen und Juden hatten nur noch sehr geringe Chancen, sich naturalisieren zu lassen. In Mannheim wurden zwar noch Menschen jüdischer Religion eingebürgert, doch der überwiegende Teil der Anträge wurde abgelehnt. Eingebürgert wurden in jenen Jahren in Mannheim wie im gesamten Reich neben den ›Deutschstämmigen‹ aus der alten Habsburgermonarchie ohnehin zumeist nur »Volksdeutsche«, selbst wenn deren Einwanderung nicht gern gesehen war. Angesichts der ökonomischen und wirtschaftlichen Verwerfungen nach den Verlusten des Krieges stellte die soziale Integration größerer Einwanderer*innengruppen eine Herausforderung dar.

Schwerer wog allerdings, dass die Abwanderung der »Volksdeutschen« aus dem Osten und Südosten der deutschen Außenpolitik ein Druckmittel nahm. Ihre Anwesenheit vor Ort war notwendig, um den Forderungen nach einer Revision des Versailler Vertrags, insbesondere nach der Rückgabe ehemals zum Kaiserreich gehörender Gebiete im Osten, Gewicht zu verleihen. Statt der Einwanderung wurde eine »Deutschtumspolitik« gefördert, die den Minderheitenschutz sichern und damit die eigenen Ansprüche auf das Territorium lebendig halten sollte. Anders als im »Dritten Reich« formulierte man während der Weimarer Republik keine »Heim-ins-Reich«-Politik; Deutschland holte erst unter den Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg den Raum und die »Volksdeutschen« heim, während man die Anderen vertrieb oder genozidal ermordete.

Dennoch hatten jene »Volksdeutschen« und ›Deutschstämmigen‹, die nach dem Ersten Weltkrieg ins Reich migrierten, Anspruch darauf, als deutsche Staatsbürger*innen anerkannt zu werden. Die Einbürgerungspraxis richtete sich somit hauptsächlich auf sie aus. Im Zuge dessen wurden in den entsprechenden Institutionen – den Innenministerien und den lokalen Polizeibehörden, die die Einbürgerungen bearbeiteten – auch immer konkretere Wissensbestände über das »Deutsche« sowie über den vermeintlichen Wert anderer Herkünfte produziert. Die ›Deutschstämmigkeit‹ und »Volkszugehörigkeit« wurden immer mehr zur Folie, vor der auch Anträge anderer Staatsangehöriger betrachtet wurden, wobei sich deren Chancen auf eine Einbürgerung stetig verschlechterten. Was man unter einem Deutschen zunehmend verstand, fasst eine Verordnung des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt 1927 treffend zusammen:

Unter dem Wort ›deutschstämmig‹ sind Personen deutscher Nationalität und deutschen Geblüts [sic], also Personen, die politisch dem deutschen Reich und stammesmäßig dem deutschen Volkstum zugehören, zu verstehen.7

Es war also nicht einfach damit getan, von einem Vater (eine deutsche Mutter genügte ohnehin nicht) abzustammen, der die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, sondern er musste die vermeintlich biologische Eigenschaft »Deutschsein« in seinem Blut haben, das »stammesmäßig« dem deutschen Volk entsprang. Diese völkisch-biologistischen Wissensbestände gewannen einen immer stärkeren Einfluss innerhalb der Behörden und Institutionen, die sich mit der Thematik befassten. Aber auch im ›Volk‹ selbst verbreiteten sie sich.

Wie ein Brandbeschleuniger für vollends ideologisierte und radikale Rassist*innen wirkte die Existenz der »Rheinlandbastarde« als extremes Gegenteil zu diesem »Deutschsein«. So wurden jene Kinder genannt, die während der Besatzung des Rheinlandes durch französische Kolonialtruppen gezeugt worden waren, bei Vergewaltigungen oder auch Liebesaffären von nord- bzw. westafrikanischen Soldaten und deutschen Frauen – eine »Schmach«, die Frankreich dem »Erbfeind« Deutschland nach dessen Niederlage im Ersten Weltkrieg antat. Das Geschehen, das Karikaturen über Affenmenschen in französischen Uniformen auch visuell zu einem Akt der höchsten Bestialität stilisierten, empörte jahrelang die deutsche Politik und Öffentlichkeit zutiefst.

Adolf Hitler stellte in Mein Kampf (1925/26) anhand der Ereignisse um diese »Negerhorden« eine phantasmagorische Verbindung zwischen kolonialem Rassismus und Antisemitismus her: Die Juden, die Frankreich in Wahrheit regierten, hätten diese Bastardisierung der Deutschen als bewusste Strategie eingesetzt, um die weiße Rasse zu zerstören.8 Diese Kinder Schwarzer Väter und weißer Mütter sollten später unter seiner Herrschaft zwangssterilisiert werden. Sie gefährdeten neben den jüdischen Deutschen, den Sinti und Roma sowie den »Fremdvölkischen« ebenso wie Homosexuelle, psychisch Kranke, Menschen mit einer angeborenen Beeinträchtigung sowie politisch und sozial Unangepasste die deutsche »Volksgemeinschaft«.

Bereits bei Kriegsausbruch hatte Kaiser Wilhelm im August 1913 das Ideal der »Volksgemeinschaft« beschworen. Lang und breit waren zuvor die Konzepte, die der Soziologe Ferdinand Tönnies in seinem Grundlagenwerk Gemeinschaft und Gesellschaft 1887 ausdifferenziert hatte, in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit besprochen und gegenübergestellt worden: Tönnies unterschied die individualistische, utilitaristische, westliche »Gesellschaft« von der authentischen, organischen, emotional verbundenen »Gemeinschaft«. Nach dem Krieg führten dann alle Parteien außer der radikalen Linken und den Kommunisten das Wort »Volksgemeinschaft« im Mund. Schließlich wurde dieses Konzept zur Modelliermasse für Radikalnationale, Völkische und militante Rassisten. Gemeinsam kreierten sie ein schier undurchdringliches Gemenge an Theoremen und Ideologemen, mittels derer sie alle Menschen taxierten und in rassische bzw. Volks-Hierarchien kategorisierten. Der Traum einer von »fremdvölkischen« und »-rassischen« sowie »artfremden« und »entarteten« Elementen befreiten deutschen »Volksgemeinschaft« schälte sich dabei als Utopie heraus, die die Nationalsozialistische Partei Deutschlands nach dem Willen einer Mehrheit des deutschen Wahlvolkes ab 1933 verwirklichen wollte.9

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