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Ausländer im »Dritten Reich«

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Am 14. Januar 1943 titelte der Hakenkreuzbanner für Mannheim und Nordbaden: »Gauleiter Sauckel über die Arbeitsschlacht. ›Die europäische Arbeitskameradschaft ist erreicht‹. Das erfolgreiche ›Wagnis‹ des Ausländereinsatzes.« Der Artikel beschrieb, »wie kühn der Entschluß des Führers« gewesen sei, »Europa in die innere Front einzusetzen«. Die »Millionen Sowjetrussen«, diese »russischen Menschen«, die zwanzig Jahre lang »auf die Vernichtung der europäischen Zivilisation dressiert worden waren«, würden jetzt sehr gut für Deutschland arbeiten. Sie hätten inzwischen 80 bis 100 Prozent der deutschen Arbeitsleistung erreicht, die russischen Frauen leisteten »in der mechanischen Arbeit Hervorragendes«. Es herrsche eine gute Atmosphäre in den deutschen Betrieben, die es ermögliche, »zu einer freiwilligen Arbeitsleistung der ausländischen Arbeiter zu gelangen, ohne daß strenge Kontrolle und Überwachung erforderlich« seien. Deutsche und Ausländer arbeiteten in »kameradschaftlicher Weise« nebeneinander. Die deutschen Arbeiter seien dabei für die Ausländer das Vorbild. Die Anwerbung erfolge nicht durch Privatunternehmen, sondern durch

Beamte des Reiches, denen die Parteiorganisationen zur verantwortlichen Betreuung der Angeworbenen helfend zur Seite stehen. »Nationalsozialistische Grundsätze, das heißt menschliche Grundsätze, sind herrschend«.

Während der deutsche Soldat mit den Verbündeten »an den Fronten der europäischen Kampfgemeinschaft« agiere, »steht in der deutschen Heimat die Front der europäischen Arbeitskameradschaft und verwirklicht hier schon praktisch das Europa«.1

Angesichts der Tatsache, dass Fritz Sauckels Wirken als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz seit 1942 darin bestand, die Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften zentral zu organisieren, und in Anbetracht der unvorstellbaren Grausamkeiten der Zwangsarbeit wirkt dieser Artikel wie reiner Hohn. Denn der überwiegende Teil aller Arbeitsmigrant*innen wurde zwangsrekrutiert, auch weil die Zahl derjenigen, die vor allem im Westen und Süden, aber auch im Osten Europas angeworben worden waren und die ab und an als ›Gastarbeiter‹ tituliert wurden, relativ niedrig blieb. Die polnischen Arbeiter*innen waren dagegen schon seit dem Beginn des Krieges 1939 durchgängig Zwangsarbeiter*innen.

Neben der Verklärung einer »europäischen Arbeitskameradschaft« mag an diesem Zeitungsbericht überraschen, dass er sich ebenso wie zahllose weitere positive – und völlig unwahre – Beschreibungen der Situation für ausländische Arbeiter*innen in Deutschland mit seiner Propaganda primär an die deutsche Bevölkerung richtete. Denn diese war, das wusste der Innennachrichtendienst des Sicherheitsdienstes (SD) der SS, gegenüber den ausländischen Arbeiter*innen äußerst feindselig eingestellt. Das NS-Regime war also paradoxerweise gezwungen, die »Fremdvölkischen« vor den »Volksgenossen« zumindest im medialen Diskurs in Schutz zu nehmen.

Nicht, dass man nicht selbst genug an ihnen auszusetzen hatte – selbst an den »volkstumsmäßig für das Deutschtum wichtigen Arbeitskräften [orig. kursiv]«.2 Die Arbeitsmoral und die Arbeitsdisziplin sowohl der Arbeiter »germanischer Volksstämme (Holländer, Dänen, Norweger, Flamen)« als auch der Arbeiter »nicht-germanischer Herkunft (Italiener, Serben usw.)« biete »das gleiche unerfreuliche Bild«, hieß es noch am 20. Oktober 1941 in einem Bericht des SD. Damals wurden noch relativ wenige Arbeiter*innen aus Polen und Russland, die als »slawische Untermenschen« fast ganz unten in der Hierarchie der Herkünfte standen, innerhalb des Reichs eingesetzt. Die Defizite bei der Arbeit der Ausländer*innen sah man schon darin, dass ihnen ein »Begriff der Ethik der Arbeit« und die »Verantwortungsfreudigkeit« fehle. Außerdem würden sie die Maschinen unverhältnismäßig stark verschleißen, hätten zu hohe Ansprüche und schreckten auch nicht vor Streiks zurück.

Als großes Problem wurden dabei die Proteste der Italiener gegen das Essen wahrgenommen. Aus Leipzig wurde berichtet, dass sie »sehr anspruchsvoll« und »in dieser Beziehung hemmungslos« seien. Beispielsweise hätten sie »nachweislich gute Wurst zum Fenster hinausgeworfen«. In Oppeln sollen sie »Schwarzbrot auf die Erde geworfen haben, mit der Bemerkung, sie seien keine Schweine«. In München hätten sie in Bäckereien Marken und Weißbrot gewaltsam an sich genommen, und in einer Gastwirtschaft in Mannheim, in der sie als Arbeiter der Firma Lanz verpflegt wurden, sollen sie »beim Auftragen eines recht guten Abendessens, bestehend aus neuen Kartoffeln, Sauerkraut und Wurst, derart randaliert« haben, dass die Polizei gerufen werden musste.3

Oftmals umgingen die anfangs noch angeworbenen Arbeiter*innen, die in den ersten Jahren oft mit unrealistischen Versprechungen nach Deutschland gelockt worden waren, durch Krankmeldungen die Arbeit oder verließen ihre Arbeitsstelle einfach.4 Beim SD kam man jedenfalls früh zu dem Schluss, dass die ausländischen Arbeitskräfte in geschlossenen Lagern kaserniert und stärker kontrollieren werden müssten. Zudem müssten »bei ungebührlichem Verhalten« strengere Strafen erfolgen.5 Auch dabei standen zunächst junge italienische Männer im Fokus.

Italiener*innen wurden angeworben, seit 1938 das erste bilaterale Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und dem befreundeten faschistischen Italien geschlossen worden war. 1942 waren etwa eine halbe Million Arbeiter*innen vermittelt.6 Kleinere italienische Gemeinden gab es ohnehin schon. So titelte die Neue Mannheimer Zeitung im Januar 1938: »Faschistische Weihnachten in Mannheim«. Die Feier, bei der 200 italienische Familien anwesend gewesen sein sollen, fand bereits im dritten Jahr in Folge in der Casa d’Italia statt, »dem Haus der hiesigen faschistischen Kolonie«. Der Vertreter der Kreisleitung der faschistischen Auslandsorganisation Spinieli bezeichnete Letzteres als ein »Stück Vaterland, wo man die Sprache der Heimat und der Väter wieder hören könne«.7 Nachdem Italien die Achsenmächte 1943 verlassen hatte, wurden aus den Arbeiter*innen der befreundeten Nation allerdings Zwangsarbeiter*innen, an deren Seite deutschlandweit auch ca. 600 000 italienische Kriegsgefangene schuften mussten.8

Der vermehrte Einsatz »ausländischer Arbeitskräfte« erregte insgesamt »lebhafte Mißstimmung« und »[h]eftigsten Unwillen« in der deutschen Bevölkerung, sogar von »Arbeitsunlust« bei der deutschen Arbeiterschaft war in einer »Meldung aus dem Reich« vom Mai 1942 die Rede. Man störte sich nicht nur am »freche[n] und anmaßende[n] Benehmen« der Ausländer, auch das »unsaubere, ungepflegte und teilweise verwahrloste Äußere« der Arbeiter*innen wurde moniert. Man fühlte sich in der eigenen »Bewegungsfreiheit beeinträchtigt«, da man mit ihnen auf der »Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln, Lichtspieltheatern, Läden usw.« konfrontiert werde. Zudem würden vor allem die Italiener die deutschen Frauen wie »Freiwild« behandeln. Der häufig festgestellte Geschlechtsverkehr zwischen polnischen Kriegsgefangenen oder »Zivilarbeitern« – so der Terminus für die meist zwangsweise Angeworbenen – und deutschen Frauen wurde inzwischen mit der Todesstrafe geahndet, nachdem für die Arbeiter*innen aus Polen und später auch für jene aus der Sowjetunion jeweils ein Sonderrecht erlassen worden war. Jene Maßnahmen wurden von der »volksbewußten deutschen Bevölkerung freudig und mit Genugtuung begrüßt«; Letztere forderte allerdings, dass auch die beteiligten Frauen bestraft werden sollten.

Die »Volksgenossen« störte auch, dass sie nun gezwungen seien, mit »unsauberen Elementen« in Wartezimmern bei Ärzten sitzen zu müssen, was ja eine »Gefahr für den Gesundheitszustand der deutschen Bevölkerung« darstelle. In Graz habe gar eine deutsche Frau auf dem Korridor des Krankenhauses ihr Kind gebären müssen, da »die Anstalt von Fremdvölkischen überfüllt war [orig. kursiv]«. Ebenso große Empörung löste das Gerücht aus, dass die ausländischen Arbeiter eine bessere Lebensmittelversorgung genossen. Die Ausländer würden außerdem vor den Deutschen prahlen, dass man auf ihre Arbeit angewiesen sei, und dafür nicht nur Dankbarkeit fordern, sondern auch glauben, im Gegenzug straffrei alles tun und lassen zu können, was sie wollten. Gerade derartiges Verhalten verursache eine ungute »Stimmungsbeeinträchtigung« des deutschen Arbeiters, der dadurch seine Leistungsfähigkeit verliere.9 Auf den Straßen wurden »West- und Ostarbeiter« derweil als »schmutzige Ausländer« oder »Ausländerpack« beschimpft.10

Angesichts des Unmuts sah sich das NS-Regime gezwungen, in ganz Deutschland Schulungen zur Kriegswichtigkeit des Arbeitseinsatzes der Ausländer durchzuführen, und forderte die Bevölkerung auf, diese anständig zu behandeln. Doch wie sehr das im Widerspruch zur herrschenden Staatsideologie stand, war den Akteur*innen mehr als bewusst, wie einem SD-Bericht vom 12. November 1942 zu entnehmen ist. Bei der Betonung, wie wichtig die Anwesenheit der Ausländer sei, habe man die »mit dem Einsatz Fremdvölkischer verbundenen völkischen Gefahren [sic]« aus dem Blick verloren, was sich wiederum auf das Verhalten eines Teils der deutschen Bevölkerung auf unerwünschte Art auswirkte. Denn immer mehr Deutschen fiel nun auf, dass die »Ostarbeiter« eben doch nicht dem »Typen verkommenen tierischen Menschentums« entsprachen, als den man sie bislang dargestellt hatte. Ebenso nahm vor allem die Landbevölkerung wahr, dass etwa die russischen Frauen Kruzifixe um den Hals trugen und also genauso christlich sein mussten wie sie selbst. Der Leistung der »Ostarbeiter« bezeugten viele im ländlichen Raum Respekt und verzichteten gern auf Lebensmittel, um die schmalen Essensrationen der Zwangsarbeiter*innen aufzubessern. Die Propaganda musste also gleichzeitig dafür sorgen, dass sich kein falscher Eindruck einer »Gleichstellung der Ostarbeiter mit Deutschen [orig. kursiv]« durchsetze. Man suchte Mittel, um die »Betonung der Kriegswichtigkeit [orig. kursiv]« mit den »volkspolitischen Gefahren des Fremdvolkeinsatzes« in Einklang zu bringen und beide Botschaften zu vermitteln.11

Doch aus diesem inneren Widerspruch des massenhaften Arbeitseinsatzes von »Fremdvölkischen« inmitten der »deutschen Volksgemeinschaft«, der der Bevölkerung durchaus bewusst war und auch offen beanstandet wurde, schaffte es das NS-Regime nicht mehr heraus, wie aus einem weiteren Bericht des SD vom Januar 1944 ersichtlich wird: Demnach äußerten zahlreiche Leser*innen Unmut über die »gefühlmäßig betonten Darstellungen« , die immer wieder in Reportagen über »Ostarbeiterinnen« in der Presse erschienen. Sie kritisierten, dass die wohlwollenden Berichte eine positive Sichtweise von »Volksgenossen« auf die »Fremdvölkischen« begünstigen würden; andere plädierten dafür, sich insgesamt nicht so stark mit den Ausländern und ihren Bedürfnissen zu befassen.12

Inwiefern das Regime jedoch alle Meldungen, auch in den Lokalblättern, kontrollieren konnte, sei dahingestellt. Denn selbst im Hakenkreuzbanner Mannheim erschienen Bemerkungen, die als Kritik an der vermeintlichen Besserstellung der Ausländer verstanden werden können. In einem Artikel vom 25. April 1944 hieß es:

So muß der deutsche Arbeiter für seine Verpflegung und Unterkunft und auch für die Verpflegung und Unterkunft seiner Familie durchweg mehr Zeit und Kosten aufwenden als der im Lager untergebrachte, der Sorge um Unterkunft und Verpflegung und um seine Familie enthobene Ostarbeiter.13

In der Realität der Arbeitslager und Werkskantinen waren vor allem die »Ostarbeiter« und die polnischen Arbeiter*innen, nach 1943 auch zunehmend die ehemaligen Verbündeten aus Italien, der Willkür ihrer deutschen Aufseher*innen ausgeliefert. Das Kantinenpersonal unterschlug immer wieder Teile der kargen Essensrationen der Zwangsarbeiter*innen, auch Gewalt und weitere Grausamkeiten der »Volksgenossen« blieben straffrei. Die Unterdrückten konnten keinerlei Rechtsmittel gegen diese Alltagsdiskriminierungen einlegen, die selbst das NS-Regime zu unterbinden suchte, um ihre Arbeitsleistung so hoch wie möglich zu halten. Wie der Historiker Mark Spoerer nachweist, versuchten die Arbeiter*innen daher, mit anderen Mitteln ihre Situation zu verbessern oder sich zumindest zu wehren, etwa durch »›Bummelei‹, Krankmeldung, Absentismus, offene Arbeitsverweigerung und Streiks, selten auch Sabotage«.14

Wie wichtig die Zwangsarbeiter*innen für die Kriegswirtschaft tatsächlich waren, zeigt der Umstand, dass gegen Ende des Krieges etwa ein Viertel der Arbeiterschaft in Deutschland aus ihnen bestand. Wie ausgesprochen schlecht ernährt sie aber kurz vor der Niederlage waren, welche massiven gesundheitlichen Folgen sie davontrugen und welches seelische Leid sie erlebt hatten, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Als Träger*innen des »P«- und des »O«-Abzeichens durften sie die Luftschutzbunker nicht betreten, und nach den Luftangriffen, bei denen zahlreiche Menschen verbrannten, mussten sie die geschmolzenen Leichen einsammeln.

Zu den mehr als acht Millionen Zwangsarbeiter*innen und vier Millionen arbeitenden Kriegsgefangenen sind auch fast zwei Millionen KZ-Internierte zu rechnen, Jüdinnen und Juden sowie Sinti und Roma, die in sogenannten Außenlagern zur Sklavenarbeit eingesetzt wurden. So befand sich in Mannheim-Sandhofen auf dem Gelände einer Schule, die mitten im Wohngebiet lag, das KZ-Außenlager Natzweiler. Von dort zogen die polnisch-jüdischen Insassen unter den Augen der Nachbarschaft jeden Tag in Kolonnen zu Fuß zum einige Kilometer entfernten Benz-Werk zwecks ihrer »Vernichtung durch Arbeit«. Die Anwohner waren froh, als diese Männer kurz vor der amerikanischen Besetzung Mannheims noch »evakuiert« – also auf einen sogenannten Todesmarsch geschickt – wurden, so sehr fürchtete man ihre Rache nach ihrer Befreiung.15

Ähnliche Befürchtungen hatte man auch auf dem Land: Ein Bericht der Kreisleitung NSDAP Buchen/Odenwald vom 15. Juli 1944 ist mit Beispielen dafür gespickt, welche Ängste die deutsche Bevölkerung davor hatte, wenn sich das Machtverhältnis zwischen Unterdrückern und Unterdrückten umkehren würde. Es wurde etwa berichtet, dass ein Pole eine Bäuerin zum Sex als Gegenleistung dafür gezwungen habe, dass er überhaupt noch arbeite.16 Dabei waren zahllose Zwangsarbeiterinnen aus dem Osten Europas, auch wenn sie in den Bauernhöfen arbeiteten, ihrerseits immer wieder Opfer sexueller Gewalt geworden.17

Ost- als auch Westarbeiter, aber auch alle ausl. Zivilarbeiter benehmen sich immer mehr, als ob sie Herren im Hause seien. Sie geben offen zu verstehen, daß nun bald sie an der Reihe wären und das Regime im Dorf in die Hand nehmen würden,

berichtete man aus dem Odenwald im Sommer 1944 weiter.18 Auch der SD sammelte Meldungen über Ängste aus ganz Deutschland, vor allem vor den befreiten »Ostarbeitern«, die mit dem Herannahen der sowjetischen Armee seit dem Frühjahr 1944 immer aufsässiger und deutschenfeindlicher würden. Das entnahm man nicht nur ihren Äußerungen und ihrem Auftreten, sondern auch ihren Briefen an ihre Angehörigen, die durch die Zensur des SD gingen.19 Für die Zwangsarbeiter*innen bedeutete diese Angst der Deutschen allerdings auch, dass sie nun vermehrt Opfer von Gewalt oder gar Massenhinrichtungen wurden.20

Wie heißbegehrt der Arbeitseinsatz der »fremdvölkischen Zivilarbeiter« jedoch bis dahin tatsächlich gewesen war, lässt sich bei der Lektüre der Akten der Mannheimer Stadtverwaltung erahnen. Kontinuierlich forderten verschiedene Ämter ausländische Arbeiter*innen für alle möglichen Bereiche an, vor allem dann, wenn neue Transporte mit Zwangsarbeiter*innen oder Kriegsgefangenen erwartet wurden. Es oblag den örtlichen Arbeitsämtern, den Bedarf an Arbeitskräften zu ermitteln und sie entsprechend zu verteilen. Die anfordernde Stadtverwaltung und die Betriebe mussten dann in Zusammenarbeit mit der lokalen Kreisverwaltung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) Unterkünfte bereitstellen, was neben der Sicherung der Arbeitskraft zunehmend zum Problem wurde. Zum einen stand durch das Luftbombardement der Alliierten immer weniger Wohnraum zur Verfügung, zum anderen ging man recht bald dazu über, die Menschen in Sammelunterkünften »nach Volkstum« geordnet unterzubringen, um sie besser zu kontrollieren und ihnen je nach Stufe in der Herkunftshierarchie entsprechend einheitliche Wohn-, Lebensmittel-, medizinische und sonstige Standards zu »bieten«.

Die DAF sah sich für die Betreuung der ausländischen Arbeitskräfte zuständig. Vor allem angesichts »des gegenwärtig starken Einsatzes von russischen Arbeitskräften«, teilte sie in einem Schreiben vom Juli 1942 mit, sei es erforderlich, dass die Betriebe sofort mit der DAF Kontakt aufnehmen, um sich »über die Art der Behandlung, der Unterkunft, Verpflegung beraten zu lassen«. Besonders die »Russenlager« müssten einem »geeigneten Lagerleiter« unterstellt werden, der vom Betrieb gestellt werde. Er solle ein »energischer, möglichst soldatisch geschulter Mann« sein.21 Die ein Jahr später weiterhin deutschlandweit übliche »Unterbringung zahlreicher Fremdvölkischer in Einzelquartieren« führe dagegen dazu, dass »de[r] erforderliche[…] Abstand zu deutschen Volksgenossen« nicht gewährleistet werden könne, stellte der SD fest.22

Insbesondere »Ostarbeiter« sollten »möglichst nicht im Weichbild der Stadt untergebracht werden«. Ihre Arbeitsstätten sollten sich ebenfalls nicht im »geschlossenen Ortsbereich« befinden, lautete ein Schreiben des Arbeitsamtes Mannheim vom 2. Juli 1942. Der Anfrage der Stadtwerke Mannheim, die 100 »Ostarbeiter« als Gleisarbeiter an den Straßenbahnschienen einsetzen wollten, wurde aus diesem Grund nicht entsprochen. Auch die vorgesehene Wohnstätte für diese Arbeiter, die Turnhalle einer Schule in der Mannheimer Innenstadt, wurde vom Arbeitsamt nicht genehmigt, obwohl sie die örtliche DAF abgenommen hatte. Stattdessen bekamen die Stadtwerke französische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene; Erstere kamen in der Turnhalle, Letztere in einem entlegeneren Stadtteil in einem Tanzsaal unter.23

Polen und »Ostarbeiter« sollten dagegen in der Stadt bevorzugt in Betrieben eingesetzt werden und auf deren Firmengelände wohnen. So beschäftigte die Firma Lanz 1942 u. a. »einige Tausend« Russen, keine Kriegsgefangenen, sondern »internierte rassische […] Staatsangehörige«, die unter strenger Überwachung standen. Es war ihnen untersagt, einzeln und ohne Aufsicht das Lager zu verlassen, ihre Kost war grundsätzlich spärlicher sowie von schlechterer Qualität, und falls sie erkrankten, wurden sie nicht in Krankenhäuser, sondern in einen speziellen Raum für Arbeitsunfähige verlegt.24 Sie erhielten zwar einen Lohn, mussten aber die karge Verpflegung und die schlechte Unterbringung selbst bezahlen.

Gegen Ende des Krieges beschäftigten 600 Betriebe in Mannheim etwa 16 000 Zwangsarbeiter*innen, die in mehr als hundert Lagern lebten, die überall im Stadtgebiet, auch in der Innenstadt, verteilt waren.25 Mit der Zeit schien man nichts mehr dagegen zu haben, sie sichtbar mitten in der Stadt wohnen und arbeiten zu lassen. Und man lieh sie einander quasi wie Gerätschaften aus: So durfte das städtische Straßenbahnamt im Januar und im Juni 1944 vom Hochbauamt »im Lager Adolf-Hitler-Gymnasium/Pestalozzischule sofort 45 Polen, darunter 5 Frauen [sic]« bzw. in der R2-Schule »sofort 30 Polen Frauen [sic] abholen«. Auf einem Handzettel vom September 1944 hieß es: »Auf Veranlassung des Herrn Schäfer vom Arbeitsamt Mannheim ist der Überbringer dieses beauftragt, 20 Mann ostpolnische Kriegsgefangene abzuholen.«26

Selbstverständlich ist die Geschichte der Zwangsarbeit im »Dritten Reich« kaum in ein kurzes Unterkapitel zu pressen. Und auch die zahllosen Biographien der Zwangsarbeiter*innen lassen sich auf so engem Raum kaum adäquat abbilden. Das Selbstzeugnis einer einzelnen Mannheimerin, Toni U., einer Russin, die als junge Frau von den Deutschen verschleppt wurde und die später einen ihrer deutschen Wächter heiratete, soll stellvertretend für viele Schicksale stehen. Ihre Erinnerungen, die Toni U. 1983 für den Mannheimer Soziologen Stanislaus Stepień offenbar selbst abtippte, geben dennoch einen guten Einblick in das, was es hieß, zu jener Zeit Ausländer in Deutschland zu sein, und zwar auf einer der untersten Hierarchiestufen: als »Ostarbeiterin«. Das Folgende, das als Abschluss des vorliegenden Kapitels dienen soll, ist den Assoziationen und Sprüngen in ihrem Bericht getreu nacherzählt.

Toni U. lebte in Staraja Russa (hier »Stare Rusa«), wo sie auch zwangsrekrutiert wurde. Bei ihr sei das »noch human« abgelaufen, ihre Schwester hingegen wurde »einfach von der Straße abgeschleppt«. Eine andere Taktik der »Anwerbung«, von der sie gehörte hatte, bestand darin, dass die Deutschen mit Plakaten ankündigten, dass in der Kirche ein Film für junge Frauen ab 15 Jahren gezeigt werde. Dort wurden die Frauen dann eingesperrt und ohne Warnung in Lastwagen verladen. Die meisten hatten etwas Deutsch in der Schule gelernt.

Ihre erste Station war eine nahegelegene Stadt, die bereits zerstört war. Dort wurden sie und andere Frauen ins Gefängnis gesteckt und mussten fünf Tage hungernd warten, bevor sie in einem Viehwaggon, in dem sich so viele Menschen befanden, »wie hineingegangen sind«, nach Stuttgart transportiert wurden. Sie bekamen erst nach zwei Tagen vom Roten Kreuz in einem Wald etwas zu essen. Es war Juni und heiß, die Waggons waren nicht einmal vom vorherigen Transport gesäubert worden. Sie kamen dann in ein Lager in Bietigheim, das Essen war ungenießbar und zu wenig. Die Menschen seien gestorben »wie die Fliegen: Typhus«, berichtete Toni U. Auch ihre Tante, die dabei war, starb schließlich daran.

Die Frauen wurden auf einen Viehmarkt gebracht, woraufhin Bauern und Firmenvertreter kamen, die sich Arbeiterinnen aussuchten. Die Kräftigen wurden von Bauern mitgenommen – sie schubsten die Frauen zu Boden, um zu testen, wie kräftig sie waren. Toni U. kam mit 80 weiteren Frauen zu den Motorenwerken Mannheim (MWM), und zwar am 25. Juni 1943. Zunächst wurden alle Frauen in einem kleinen Raum untergebracht, später wurden für sie zwei bis drei Baracken errichtet. Sie bekamen einen Arbeitsanzug und Holzschuhe. »Ach wie habe ich mich geniert! Holzschuhe!«, erinnerte sich Toni U.

Die Arbeitszeit betrug zwölf Stunden, es war schmutzige Arbeit bei schlechtem Essen, wie es auch die Kriegsgefangenen bekamen. Es seien noch Polen, Italiener und Franzosen dort gewesen. Letztere zwei Gruppen hätten es »vergleichsweise schön« gehabt, da sie Pakete vom Roten Kreuz erhalten hätten. Auch die Frauen aus Frankreich und Italien bekamen mehr zu essen und mussten nur acht Stunden arbeiten; einige polnische Mädchen waren erst 13 Jahre alt.

Die Arbeiter*innen wurden mehrmals ausgebombt, zum Schluss wohnten sie in einer Wirtschaft in der Neckarstadt. Das Essen war ein großes Problem. »In der ersten Zeit habe ich immer geweint, wenn Pause war und die Deutschen ihr Vesper ausgepackt haben und zwischendurch gegessen haben. Ich konnte nicht hingucken …«, erzählte Toni U.

Die ersten sechs Monate durften die Arbeiter*innen Betrieb und Lager gar nicht verlassen; später schon, aber sie durften keine Straßenbahn fahren, durften nicht ins Kino, durften nichts einkaufen. »Wir trugen ja ein Abzeichen.« Als »Ostarbeiterin« bekam Toni U. wie alle anderen Russinnen keine Strümpfe, sie war immer barfuß und besaß nur noch ein einziges Kleid, nachdem sie ausgebombt worden waren und ihre restliche Kleidung zerstört worden war.

Mit den Deutschen durften sie nicht reden, das war streng verboten. Wenn man erwischt wurde, gab es Schläge, aber nicht für die Deutschen.

Dabei arbeiteten wir Seite an Seite mit den Deutschen, es gab keine räumliche Trennung. Die gleiche Arbeit wie die Deutschen, bloß kaum Geld. Für Geld konnte man sich eh nichts kaufen, weil wir ja keine Marken hatten.

Trotzdem versuchte Toni U. einmal, ins Kino zu gehen. Die Karte bekam sie, aber die Kontrolleurin bemerkte es:

»Bitte abgehen! Sie dürfen hier nicht hinein!« Das war schlimmer für mich, als von jemand geschlagen werden. Die haben uns an der Kleidung erkannt, so armselig angezogen, wie wir waren!

Das Lager bei MWM sei klein gewesen, das von Benz nicht, und dort ging es den »Fremdarbeitern«, wie Toni U. sie nennt, auch besser. Die Frauen, die dort arbeiteten, waren besser angezogen; ebenso bei der französischen Firma Huchinson.

Sie verliebte sich in einen deutschen Wachsoldaten, den sie später heiratete und mit dem sie in Mannheim lebte. Sie arbeitete nach dem Krieg sogar wieder bei MWM, mit denselben deutschen Kollegen wie zuvor.

Manche deutsche Arbeitskollegen waren böse, oh ja. Wenn man an einem Spiegel vorbeigegangen ist und hat ein wenig hineingeschaut, schon haben sie einem Tritte gegeben. Die haben uns so gehaßt – und wie die Amerikaner gekommen sind, dann sind sie die ersten gewesen, die mit Amerikanern gegangen sind. Und vorher solche Rassisten!

Ein, zwei deutsche Kolleginnen hatten ihr mal ein Stückchen Brot gegeben, was auch für sie gefährlich war. Ein anderer deutscher Kollege, der nicht einmal Aufseher war, schlug mit einem Gummiknüppel die Ausländer, wenn sie etwas falsch machten.

So viele böse Leute! Und nach dem Krieg, als ich wieder zu arbeiten begann in den Motorenwerken, waren alle auf einmal so gut. Da habe ich gesagt: ›Seien Sie so gut und machen Sie den Mund zu!‹ Es gab da einen, auf den hatte ich eine solche Wut, jahrelang habe ich ihn nicht gegrüßt. Nach der Befreiung haben Russen auch tatsächlich einen Nazi totgeschlagen. Das war ein brutaler Mensch, der während des Krieges zwei oder drei gefangene Arbeiter auf dem Werkgelände totgeschlagen hatte.

Auch er war kein Wächter, sondern ein überzeugter Nazi, der unter den Kolleg*innen für »Ordnung« sorgte. In den letzten Wochen des Krieges wurden sie noch mit den wertvollen Maschinen in ein Salzbergwerk »evakuiert«, da gab es auch ein KZ – sie sahen die KZ-Insassen, denen es viel schlechter als ihnen ging, mit denen sie wiederum nicht reden und denen sie auch nichts zu essen abgeben durften. Ihr späterer Mann kam schließlich auf eigene Faust auch ins Bergwerk. Sie vergruben seine Uniform, die anderen russischen Frauen besorgten ihm Zivilkleidung, und sie bat ihn: »Sei anständig zu den Frauen.«27

Deutschland und die Migration

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