Читать книгу Mitochondrien - Maria Elisabeth Druxeis - Страница 15
Ein perfektes System und seine Mitglieder
ОглавлениеWenn man sich die Erkenntnisse in Ruhe durch den Kopf gehen und wirken lässt, dass all diese Aktivitäten in der Zelle parallel und gleichzeitig ablaufen, ist die Leistung der Zellen in etwa so gigantisch, als würde die Menschheit gleichzeitig die Pyramiden und die Chinesische Mauer bauen und nebenbei mal schnell den Weltraum erobern. Wobei das Erstaunlichste ist, dass die Zelle genauso vorgeht wie ein menschlicher Bauherr. Sie erledigt all diese Aufgaben nach Plan. Wie auf einer Baustelle organisiert sie den Weg der Nährstoffe zu den verarbeitenden Stationen und transportiert die neu entstandenen Baustoffe dorthin, wo die Zelle sie für den Prozess der Zellerneuerung und ihre anderen Aufgaben benötigt.
Besonders wichtige Bausteine sind die Eiweiße (Proteine) wie Zytosin oder Thymin. Weitere wichtige Baustoffe sind Zucker (Kohlenhydrate) und Fette (Lipide). Sie alle werden vom Chef der Zelle und seinem Team planvoll und sinnvoll eingesetzt.
Was Sie schon immer über Proteine wissen wollten
»Fleisch ist ein Stück Lebenskraft«, textet die Werbung für Steaks & Co. Und rein biologisch stimmt das auch. Denn wenn Biochemiker ihre »Brille« aufsetzen, besteht so ein Stück Fleisch in erster Linie aus Eiweiß. Der Name ist Programm: Eiweiß ist der Stoff, aus dem das Weiße im Ei gemacht ist. Ebendieses Eiweiß steckt, in anderer Form, in großen Mengen im Fleisch. Und Eiweiß ist auch nicht gleich Eiweiß – es gibt eine ganze Protein-Familie mit etwa 20 Mitgliedern allein im Menschen, der zu 15 bis 17 Prozent aus Eiweiß besteht! Eiweiße (oder Proteine) sind chemisch gesehen keine einzelnen Atome, sondern größere Atomverbände (also Moleküle, genau gesagt sogar Makromoleküle) aus den Grundsubstanzen Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Schwefel. Der Schwefel im Eiweiß ist übrigens dafür verantwortlich, dass man Eier nicht mit dem Silberlöffel essen kann, ohne sich zu schütteln: Der Schwefelwasserstoff im Eiweiß reagiert mit dem Silber zu Silbersulfit, was den Löffel schwärzt und zudem scheußlich schmeckt.
Eiweißmoleküle sind also so etwas wie die in den Zellen gestapelten elementaren Legobausteine des Körpers. Die Vorstufen von Eiweißmolekülen sind Aminosäuren. Das Geheimnis, wie der Körper aus Aminosäuren genau die Eiweißmoleküle zusammentüftelt, die der Mensch braucht, kennen übrigens nur der Zellkern – und zum Teil die Mitochondrien!
Der Chef
Jede unserer Körperzellen besitzt einen Chef, den Zellkern. In gewisser Weise kann man ihn äußerlich mit jedem anderen Kern vergleichen. So wie in einem zarten Apfel-, einem harten Kirsch- oder einem wunderbar runden Avocadokern alle Erbanlagen und Wachstumsimpulse stecken, die nötig sind, um aus dem Kern unter den richtigen Bedingungen eine ganze neue Pflanze wachsen zu lassen, so hortet unser Zellkern unsere menschlichen Erbanlagen. Man kann sagen: Das Wichtigste an ihm ist die DNS in ihm. DNS ist die kurze, im deutschsprachigen Raum verwendete Form von Desoxiribonukleinsäure – im Englischen ist DNA gebräuchlich für desoxyribonucleic acid. Sie trägt die Informationen, über die der Kern als Hüter unserer Erbanlagen wacht.
Von außen sieht er aus, wie man sich einen Kern vorstellt: Ziemlich rund bis oval zeigt er sich im Elektronenmikroskop. In seinem Inneren schützt er die in einer Doppelhelix angeordneten Erbanlagen, die auf den Chromosomen gespeichert sind. Diese Erbanlagen umfassen die Baupläne und die Rezepte für das, was der Körper braucht. Und wie jeder ordentliche Chef hat der Zellkern auch das Sagen in der Zelle.
Der Zellkern »weiß« also nicht nur, dass Sie blond sind, wie Tante Agathe es war. Er weiß auch, dass Sie einen brüchigen Zahnschmelz wie Ihr Vater haben und dass Sie eine ganz bestimmte Menge an Kalzium brauchen, um gut beißen zu können. Genau diese Menge lässt er herstellen und versandfertig machen.
Nebenbei ist der Zellkern allerdings noch mit dem wichtigsten Vorgang beschäftigt, der innerhalb eines Zellkerns abläuft: mit der Zellteilung. Denn unsere Zellen reproduzieren sich beständig neu. Das geht natürlich nur, wenn diese neuen Zellen auch einen funkelnagelneuen Zellkern bekommen. Um diesen herzustellen, dupliziert der Zellkern das in seinen Chromosomen gespeicherte genetische Material: Wenn die Zelle sich teilt, stirbt der alte Teil samt Zellkern ab. Der neue Teil aber lebt weiter und bereitet sich auf die nächste Zellteilung vor.
Die Crew
Die Mitarbeiter des Zellkerns sind die Zellorganellen. Man kann sich den Begriff gut merken und ab sofort auf Partys nonchalant in Gespräche einwerfen – er ist sprachlich eine Verkleinerungsform von Zellorgan. Und genau das sind die Zellorganellen: die Organe der Zelle. Und wie ihre großen Geschwister, also das Herz, die Lunge, die Leber, die Niere usw., sind sie Spezialisten, haben eine klar erkennbare Form und sind wiederum von Membranen umgeben. Zellorganellen sehen aus wie eine Kreuzung aus einem Tiefseeungeheuer und einem Raumschiff der interstellaren Sternenflotte, und sie tragen auch wunderbar spacige Namen.
Am besten stellt man sich die Zellorganellen als eine Handvoll fleißiger Kerlchen vor, die im Zell-Planschbecken eine Baustelle eröffnet haben. Denn kaum dass Vitamin und Co. durch die Membran gelangt sind, krempeln die Zellorganellen angesichts der neuen Materiallieferung die Ärmel hoch und machen sich daran, sie zu verarbeiten.
Von der Crew möchte ich Ihnen als Erstes das Mitglied mit dem schwierigsten Namen vorstellen. Das endoplasmatische Retikulum (nennen wir es vertraulich einfach »ER«) hat gleich eine Überraschung parat: Es sind eigentlich zwei – das raue und das glatte.
Das glatte ER sieht aus wie der Mantel von Zorro – und das kommt nicht von ungefähr. Überlegen Sie einmal, wofür man ein solch großes Tuch im glibbrigen, von allerlei Baustoffen bevölkerten Zytoplasma brauchen könnte. Es wirkt wie ein feinporiges Netz, und tatsächlich verfangen sich im glatten ER und seinem wehenden Tuch die Giftstoffe. Eigentlich ziemlich logisch, dass wir Zellen mit glattem ER vor allem dort finden, wo unser Körper hervorragende Entgiftungsarbeit leistet: in den Nieren. Dass das glatte ER nebenbei noch eine Menge Hormone produziert, überrascht nun auch keinen mehr.
Der Bruder dieses glatten ER ist das raue endoplasmatische Retikulum. Es ist ein Spezialist, das sich vorwiegend in den Zellen von Magen, Darm und Leber sowie in unseren Drüsen befindet. Dort, also z.B. in den Brust-, Schweiß- und Speicheldrüsen, widmet es sich der Verarbeitung der Eiweißbausteine.
Ein weiterer extrem fähiger Mitarbeiter ist der Golgi-Apparat. Unter dem Elektronenmikroskop erinnert seine Form entfernt an ein fliegendes Parkhaus – wobei die übereinandergestapelten Etagen sehr clever den Raum in diesem Zellorganell ausnützen, um eine Menge Baustoffe zu »bunkern«. Das ist gut so, denn er sorgt dafür, dass Proteine, die vom endoplasmatischen Retikulum hergestellt werden, modifiziert, sortiert und dann dorthin transportiert werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden – und das ist die Membran der Zelle. Dafür werden die Proteine im Golgi-Apparat an die Transportvesikel angehängt – das sind kleine, von einer Membran umgebenen Bläschen, deren Namen man sich gut merken kann (Vehikel mit s). Diese mit Proteinen gefüllten Transportvesikel verschmelzen anschließend mit der Zellmembran. Der Golgi-Apparat erneuert also die Zellmembran.
Signore Golgi
Der Golgi-Apparat hat seinen Namen – sprich: gol-dschih – von seinem Entdecker Camillo Golgi, einem italienischen Professor der Medizin (Histologie und Pathologie). Dieser Herr mit mächtigem Schnurrbart und hoher Stirn identifizierte im Lauf seines Lebens – unter anderem – die drei Erreger der Malaria, erhielt 1906 den Nobelpreis und entdeckte bei seinen Forschungen im Gewebe ebenjenen Golgi-Apparat.
Lebenserhaltende Zellteilung
Neben dieser Hauptaufgabe ist es interessant zu sehen, wie Zellen als Team funktionieren – ein Team, zu dem, neben dem endoplasmatischen Retikulum und dem Golgi-Apparat, noch einige weitere Spezialisten gehören.
>Die Ribosomen fischen aus dem Angebot der Nahrungsbestandteile, die die Zellen erreichen, diejenigen Bausteine heraus, aus denen sie eine Vorform der Proteine bauen können, die Enzyme.
>Die Lysomen betreiben eine Art Recycling-Firma. Hier landen Fremdkörper und die Zellorganellen, wenn sie altersschwach sind und ihren Dienst quittieren: Sie werden nicht weggeworfen, sondern wieder zu Ausgangsstoffen verarbeitet.
>Die Zentriolen gehören zu den Superspezialisten in einer Zelle. Sie werden erst dann aktiv, wenn es darangeht, die neu gebildeten Chromosomen in den Stunden vor der Zellteilung richtig zu positionieren: Sie bilden einen sogenannten Spindelapparat aus, der die Chromosomen auf die beiden Enden der Zelle verteilt, damit nach der Zellteilung jede Zelle einen vollständigen Chromosomensatz aufweist.
>Die Mikrotubuli sind röhrenförmige Filamente aus Proteinen, die das Zytoskelett (ein aus Proteinen aufgebautes Netzwerk im Zytoplasma) eukaryontischer Zellen durchziehen. Starke Bedeutung kommt den Mikrotubuli bei der Bekämpfung von Krebs zu. Substanzen, die das dynamische Gleichgewicht des Auf- und Abbaus der Mikrotubuli stören, behindern die korrekte Ausbildung und Funktion des Spindelapparates und wirken dadurch als Mitosegifte, d.h. sie verhindern die korrekte Zellteilung und damit auch das Wachstum von Tumoren und Metastasen. Einige werden als Zytostatika im Rahmen der Chemotherapie genutzt.
Der Mensch – ein Chemiebaukasten?
Hier sollten wir kurz innehalten und uns eine Tatsache vor Augen führen, die man schnell vergisst: Wir Menschen bestehen zwar aus Körper, Geist und Seele und sind hochkomplexe Lebewesen, die sich ein Leben lang verändern, doch wenn man uns auf eine rein stoffliche Ebene reduziert, dann ist die Bilanz sehr nüchtern.
Wir Erwachsenen sind im Durchschnitt aus etwa 80 Prozent Wasser »gemacht«. Dazu kommen Eiweiß, Fette, Kohlenhydrate, Vitamine und andere organische Substanzen. Abgerundet wird dieser bunte Chemiebaukasten durch rund zwei Kilogramm Kalzium, ein Kilogramm Phosphor, 90 Gramm Schwefel, 120 Gramm Magnesium und Spuren von Eisen, Kupfer, Chrom, Selen, Zink, Mangan, Jod, Fluor und Molybdän. Da unser Körper diese Bausteine pausenlos für all das, was wir den lieben langen Tag so machen, verbraucht, muss er es ersetzen, damit wir vollständig »funktionieren« können. Daher der unablässige Zustrom an neuem Baumaterial, das durch unseren Körper geschwemmt wird, um in die Zellen zu gelangen, wo es benötigt und schon händeringend erwartet wird.