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Der Großvater

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Überhaupt, mein Großvater. Er redete nicht viel, und wenn er mal fluchte, dann auf Tschechisch, das verstand dann keiner. Er sagte zum Beispiel: „Dostanesch par facek“, was soviel heißt wie: „Ich geb Dir ein paar Watschen“. Ich habe von ihm nie welche bekommen. Ob seine eigenen sechs Kinder davon betroffen waren, weiß ich nicht. Ich könnte mir vorstellen: ja.

Meine Mutter erzähle mir später ein Vorkommnis, das sie selbst auch nur vom Hörensagen kannte, das aber zum Kennenlernen meiner Eltern führte.

Ein heftiger Streit in der Schmiede wurde so schlimm, dass Großvater Großmutter schlagen wollte und mein Vater sich gegen seinen Vater stellte. Vielleicht sogar handgreiflich, ich weiß es nicht; mein Vater hat nie darüber gesprochen. Jedenfalls richtete sich jetzt Großvaters Zorn gegen meinen Vater. Dieser verließ das Haus und wagte sich nicht mehr heim. Er nahm in Techlowitz, das nächste Dorf westlich von Mies, eine Stelle als Knecht an.

In Techlowitz war Katharina Deimling gerade achtzehn Jahre alt geworden und durfte zum Feuerwehrball gehen. So begann es mit den beiden. Ein und ein halbes Jahr später kam ich zur Welt. Der Streit war längst vergessen.

Großvater war der einzige im Dorf, der ein paar Bücher hatte und sie auch las. Einige davon waren religiösen Inhalts, aber mit der Kirche hatte er es nicht unbedingt. Er ging auch nicht ins Wirtshaus. Nach dem Tod seiner Frau wurde er immer menschenscheuer. Er arbeitete viel, obwohl ihm sein Rheuma zu schaffen machte. Dann rieb er die schmerzenden Stellen mit selbsterzeugten Mitteln ein und schwitzte im Bett. Ich sah ihm oft zu, wie er mit einer halbgefüllten Weingeistflasche in den Wald ging. Er legte sie schräg in einen Ameisenhaufen, so lange, bis ganz viele Ameisen hinein gekrabbelt und ertrunken waren. Da hinein steckte er noch frischgrüne Maifichtenspitzen und Arnikablüten. Das musste eine Zeit lang ziehen. Dann wurde das Ganze abgeseiht. Dieses Gemisch war das Jahr über seine Rheumamedizin.

Zwinger, so klein das Dorf auch war, hatte zwei Wirtshäuser. Eines am Dorfende zur Stadt hin, eines am Dorfende gegen Vranoa. Im „oberen“ Wirtshaus gab es sogar einen Tanzsaal mit einer Bank entlang an allen vier Wänden und einer Musikanten-Empore. Ich sah den Tanzenden manchmal zu – natürlich nur am Nachmittag. Großvater ging nie ins Wirtshaus. Er holte sich, oder ließ sich holen, selten genug, eine Flasche Bier nach Hause. Aber an Peter und Paul, wenn die Verwandtschaft zum Festbesuch kam und Tante Anna, Tante Marie und Mama alle Hände voll zu tun hatten, ging Großvater schon früh in den Wald. Um mit niemanden „dischkerieren“ zu müssen, wie er es nannte. Erst bei Dunkelheit fand er sich wieder ein. Da waren dann die Besucher schon fort.

Großvater war schon über sechzig, als er, wie alle Sudetendeutschen aus der böhmischen Heimat, vertrieben wurde. Er lebte sehr still und unauffällig mit meiner Tante Anna bei deren Familie in Allersberg bei Nürnberg. Tante Marie und Tante Emmi fanden in diesem Ort auch ihre neue Heimat. Heimat? Heimat wohl nicht. Halt ein Zuhause, wie alle Vertriebenen. Eine Aufgabe hatte Großvater nicht mehr, kein Vieh, keine Felder. Aber, solange er konnte, ging er „in die Zelch“ (über die Felder), um zu sehen, wie das Getreide stand im Jahreslauf. So hatte er es in Zwinger auch gehalten. Dieses Beobachten der Natur im Wachsen und Reifen verband ihn wohl innerlich mit seinem Zuhause – auch wenn es nicht mehr seine eigenen Felder waren, über die er schritt. Er ist sechsundachtzig Jahre alt geworden und so still gestorben, wie er seine letzten Jahre gelebt hat.

Holzpantoffel und blutige Zehen

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