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9. Stephans Eltern

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Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang.

Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen.

Josua 1, 5

Der Anruf im Büro von Stephans Vater Klaus Kronberg in Hamburg ging ein, als es schon dunkel war. Seine geschiedene Frau war am anderen Ende.

»Hast du was von Stephan gehört?«

»Hallo Sigrid, schön deine Stimme zu hören. Brauchst du Geld?«

»Lass das. Stephan hat sich seit über zwei Wochen nicht gemeldet.«

Seit ihrer Scheidung vor gut fünf Jahren hatten sie sich nur noch ein paar Mal gesehen. Meist ging es um finanzielle Dinge. Stephan war das einzige Kind und wohnte zu diesem Zeitpunkt schon in einer Wohngemeinschaft.

Sigrid Kronberg hatte das Gefühl, dass ihr Mann sie bei der Scheidung über den Tisch gezogen hatte. Seither ging es ihr finanziell nicht besonders gut, was auch daran lag, dass ihr Arbeiten nicht allzu viel Spaß machte. Ab und zu, wenn sie ihn friedlich darum bat, überwies er ihr mal fünfhundert, mal tausend Euro zusätzlich zu dem normalen Unterhalt, zu dem er verpflichtet war. So hatte sie ihr leidliches Auskommen. In der Tat hatte Klaus Kronberg schon Jahre vorher eine ordentliche Summe in ein Aktienpaket einer Edelmetall fördernden Firma in Ecuador investiert. Als diese Aktien innerhalb kurzer Zeit in die Höhe schossen, zog er einen Gewinn von zweihundert Prozent heraus. Daraufhin kaufte er Staatsobligationen in Kolumbien und einen großen Satz an Aktien eines Holzwerkes in Bolivien. Die Erträge aus den Obligationen waren nicht zu seiner Zufriedenheit, er war schon etwas verwöhnt. Als Kolumbiens Regierung bekannt gab, die Zinssätze aufzustocken, rief er seine Einlagen ab. Die Holzaktien der expandierenden bolivischen Firma Cleanwood International jedoch verzeichneten Spitzenwerte. Einen kleinen Teil rief er ab, einen großen Teil davon ließ er stehen, der ihm bis heute weitere Gewinne brachte. Mit dem Aktiengewinn kaufte er sich in eine kleinere Gebrauchtwagenfi rma ein. Ein Jahr später wuchs die Firma dank seiner Einlage und seinem Engagement auf respektable Größe an. Hinzu kam die Li-zenz der Bezirksvertretung der Fahrzeuge mit dem Stern am Kühler.

Alles in allem, er hatte es geschafft. Für Aktiengeschäfte gab es keine Gelegenheit mehr, nachdem es in Europa vor drei Jahren fast zu einem »schwarzen Freitag« gekommen wäre und die meisten Anleger ihr Geld verloren. Dankbar war er für die Zeit lange vorher, als er viele Nächte nicht schlafen konnte und Börsenberichte im Fernseher ansah. Viele Anlegertipps, wie die drei von ihm genutzten, hatte er dort von einer aktienerfahrenen Journalistin bekommen. Heute besaß er einen nicht unerheblichen Schatz an Goldbarren, deren Wert immer höher stieg.

»Naja, er ist erwachsen. Du musst dich damit abfinden, dass er nicht ständig am Rockzipfel seiner Mutter hängt. Er hat sich für den Weg des Nichtstuns entschieden. Also lass ihn seinen Weg gehen.«

»Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl. Noch nie hat er so lange nichts von sich hören lassen. Sogar an meinem Geburtstag hat er nicht angerufen.«

»Ach ja, herzlichen Glückwunsch nachträglich. Ich wäre ja gerne gekommen, aber ich war ja nicht eingeladen.«

»Deinen Sarkasmus kannst du dir sparen. Es geht um unseren Sohn. Ich mache mir solche Sorgen.«

Er war nicht der Meinung, dass etwas nicht in Ordnung war, aber er war auch nicht mehr so abweisend.

»Wo war er denn, als du das letzte Mal mit ihm telefoniert hast?«

»Er ist schon lange in Rom.«

»In Rom, na schön. Möchte ich auch mal hin. Ich muss aber arbeiten, damit es meiner Frau und meinem Herrn Sohn gut geht!«

Sie legte einfach auf. Man konnte nicht mit ihm reden. In ihrer Verzweifl ung goss sie sich noch einen Rotwein ein.

Klaus Kronberg machte sich nun doch Gedanken. Er rief seine Exfrau zurück. Die Nummer war zwar gespeichert, angerufen hatte er aber noch nie. Als sie abhob, hörte er, dass sie weinte. Ein Funke Mitgefühl sagte ihm, dass er sie beruhigen sollte.

»Ok, also wann hat er das letzte Mal angerufen?«

»Das ist fast vierzehn Tage her. Sonst ruft er zweimal pro Woche an.«

»Vom Handy aus?«

»Nein, er sagte, das sei ihm kaputt gegangen.«

»Und wo in Rom lebt er?«

»Das weiß ich nicht. Immer wenn ich ihn danach fragte, hat er mir eine andere Adresse genannt.«

»Hast du ein neues Foto von ihm?«

»Er hat mir eins gemailt, aber das ist so unklar, mit Kapuze und schwarzem Mantel.«

»Also gut, ich kläre die Sache. Du hörst von mir.«

Die letzten Sätze hatte sein Kompagnon Marcus Westermann, der von einer Probefahrt mit Kunden zurückkam, mitbekommen.

»Dein Sohn ist untergetaucht?«

»Na, ich weiß nicht. Da stimmt etwas nicht. Meine Ex ist normaler weise nicht so ängstlich.«

»Was willst du unternehmen?«

»Ich werde wohl nach Rom fliegen müssen.«

»Quatsch, ruf erst mal bei der Botschaft an und frag, was man in einem solchen Fall tun kann.«

»Vielleicht hast du recht, mach ich gleich morgen früh.«

Der freundliche Mitarbeiter in der Telefonzentrale der deutschen Botschaft in Rom versuchte am nächsten Tag, Klaus Kronberg klarzumachen, dass der Botschafter für diesen Fall keine Zeit aufbringen könne. Er machte ihm den Vorschlag, ihn zum Sekretär der Abteilung für Sicherheit durchzustellen. Hier hatte man zu Kronbergs Erstaunen großes Verständnis für sein Problem. Der Sekretär, dessen Namen er vergessen hatte, erklärte ihm, dass nach UN-Schätzungen weltweit 50000 Menschen verschwunden seien.

»Da sind Länder, die unter Bürgerkriegen und Gewaltregimes stehen ebenso betroffen wie zivilisierte europäische Staaten«, wurde er aufgeklärt.

»Es geht mir aber nur um meinen Sohn. Die anderen Fälle lösen Sie bitte später.«

Als er es ausgesprochen hatte, war ihm bewusst, dass es ein Fehler gewesen war. Seinen Gesprächspartner schien seine überhebliche Art doch nicht zu stören. Er war es gewohnt, von genervten Touristen beleidigt zu werden.

»Wir werden bei den Kommissariaten Informationen einholen und Ihnen Bescheid geben, Herr Kronberg.«

Nachdem er die Frage nach einem aktuellen Foto verneint hatte, gab er eine Beschreibung Stephans durch. Bei der Bemerkung »schwarzer Mantel« wurde ihm gesagt, das dies eventuell ein wichtiger Hinweis sei.

Zwei Tage später erhielt Kronberg einen Anruf eines Mitarbeiters aus dem Auswärtigen Amt. »Herr Kronberg, wir sind von der deutschen Botschaft in Rom über Ihre Anfrage informiert worden. Dort ist ein Anruf eines Mannes eingegangen, der der Botschaft mitteilte, dass ein junger Mann namens Stephan Kronberg entführt worden sei.«

Klaus Kronberg wurde schlagartig bleich im Gesicht und er musste sich setzten.

»Was genau ist geschehen? Gibt es Zeugen, die etwas gesehen haben? Es ist bei mir keine Lösegeldforderung eingegangen. Wie auch. Ich habe keine Reichtümer.«

»Nein, es gibt keine Zeugen. Wir vermuten, dass dort eine Gruppe involviert ist, die eventuell politisch motiviert ist, junge Menschen anderer Gesinnung zu verschleppen …«

»Moment, Moment, heißt das, dass es noch mehr Entführungen gibt?«

»Davon müssen wir ausgehen. Leider wissen wir noch nicht mehr. Allerdings haben wir weder von Berlin aus noch von unserer Botschaft in Rom große Möglichkeiten, der Sache auf Grund zu gehen.«

»Was meinten Sie mit anderer Gesinnung? Mein Sohn gehört keiner radikal-politischer Partei an!«

»Nein, das wohl nicht. Aber er scheint sich einer, nun ja, Sekte ist zu viel gesagt, einer schwarzen, christlichen

Bewegung angeschlossen zu haben, die eventuell Extremgläubigen des Christentums im Wege stehen. Unser Informant könnte aus dem Vatikan kommen. Jedenfalls ließ sich der Anruf dahin zurückverfolgen. Im Moment können wir leider nichts mehr für Sie tun. Wir halten Sie auf dem Laufenden, Herr Kronberg.«

Klaus Kronberg nahm ein großes Glas und goss es halb voll mit dem Cognac, der für gute Kunden und Geschäftspartner immer bereitstand.

Auch nachdem das Glas leer war, konnte er noch immer nicht klar denken. Nach und nach setzte er die Puzzleteile zusammen: Sein Sohn war in einer extrem, antichristlichen Bewegung. Entführt. Kein Lösegeld, was ihn etwas beruhigte. Aber was war dann der Grund der Entführung? Und, es waren mehrere junge Leute. Alle der gleichen, schwarzen Gesinnung angehörend? Vermutlich.

Nun war Klaus Kronberg sehr beunruhigt. Was konnte er tun? Er musste mehr erfahren, gleich morgen musste er in Berlin anrufen. Dann rief er seine Exfrau an.

»Ich habe Nachricht von der Botschaft in Rom. Die wissen nicht, wo Stephan ist. Die wissen nur, dass er entführt wurde.«

Dass Sigrid der Hörer aus der Hand fiel, bekam Klaus Kronberg nicht mit. Sie konnte ihn auch nicht hören. Sie war ohnmächtig zu Boden gesunken.

Hexen gibt es nicht

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