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6. Hilde Ströbel

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Wie soll ich dir denn gnädig sein, weil mich deine Kinder verlassen, und schwören bei dem, der nicht Gott ist? Und nun ich ihnen vollauf gegeben habe, treiben sie Ehebruch und laufen ins Hurenhaus.

Jeremia 5,7

Seit zwei Tagen stand die Nachricht im Internet. Nur wer das Passwort kannte, gelangte auf die Seite mit der einschlägigen Information. Zwei Tage schon und noch keine Reaktion. Das war ungewöhnlich für den Absender in Serbien. Der Kunde hatte es meist sehr eilig, seine Ware zu bekommen, zumal sie ja schon im Voraus bezahlt wurde.

Hilde Ströbel saß vor dem Rechner in ihrer acht Millionen teuren Villa in der Feldbergstraße im Frankfurter Westend. Aus ihrem Fenster im zweiten Stock hatte sie einen wunderschönen Blick auf den Palmengarten. Dort war sie Patin einer seltenen Baumart aus Uruguay. Dafür spendete sie dem Palmengarten jedes Jahr einen stattlichen Betrag.

Hilde Ströbel, die im vergangenen Winter ihren 48. Geburtstag gefeiert hatte, hatte zwei gescheiterte Ehen hinter sich, wobei die Männer sie jedes Mal ausgenommen hatten. Sozusagen doppelt, während der Ehe und nach der Scheidung. Nicht, dass ihr das finanziell wehgetan hätte, aber ihr Ego wurde jedes Mal stark getroffen und der Ärger fraß sich immer tiefer in ihr Gehirn. Sie hatte auch keinerlei Verbindung zu ihren Exmännern. Das Thema interessierte sie nicht im Geringsten. Die Ehen blieben kinderlos, was im Nachhinein betrachtet positiv war. Als nun in Abständen von zwei Jahren auch noch drei weitere Liebschaften in die Brüche gingen, schwor sie sich, Männer ab sofort nur noch auszunutzen. Im gleichen Maße, wie ihr Hass auf Männer stieg, stieg aber auch ihr sexuelles Verlangen. Diverse Versuche mit Mietboys endeten jedoch fast immer mit dem gleichen Frust ihrerseits. Der letzte käufliche Mann namens Martin versuchte zwar, es ihr in jeder Hinsicht recht zu machen, verlangte aber von ihr, als sie ihn ans Bett gefesselt hatte, die Handschellen wieder zu öffnen. Ein Funke Angst in seinen Augen befl ügelte sie. Mit ihren Fingernägeln zerkratzte sie ihm den Rücken. Erst als er sie anschrie und mit den Füßen trat, öffnete sie die Handschellen.

Ein Schweigegeld von fünfhundert Euro besänftigte Martin und er zog von dannen. Seit dieser Zeit hatte sie eine innere Unruhe und eine nie gekannte Sehnsucht in sich. Die Sehnsucht, Männern Schmerzen zuzufügen.

Beim letzten Oktoberfest in München wurde im erlauchten Kreis der Prominenz gefeiert. Hilde Ströbel, die dem Alkohol kräftig zugesprochen hatte, wurde rabiat und pöbelte einige Männer an. Ihr Frust und ihr Hass auf das männliche Geschlecht wurden in letzter Zeit immer größer. Als es anschließend zu einer wilden privaten Feier bei einem stadtbekannten Münchner Sternekoch hoch herging, konnte Hilde kaum noch stehen. Sie ließ sich zu vor-gerückter Stunde auf einer Couch nieder, die etwas abseits stand, um sich einige Minuten auszuruhen. Ein großer, kräftiger Mann, sie taxierte ihn nach seinem Aussehen zu urteilen, auf einen Osteuropäer, setzte sich zu ihr.

»He, ich habe dich den ganzen Abend beobachtet«, sprach er sie in akzentfreiem Deutsch an.

»Ach ja, schön für dich. Und jetzt schieb ab.«

»Ich habe eventuell etwas für dich.«

»Ach ja? Und was soll das sein, du Schwanzlutscher?«

»Du willst Macht. Macht über einen Menschen. Du kannst sie haben. Wir können sie dir geben.«

Etwas in ihr ließ sie ein wenig nüchterner werden.

»Macht über wen?«

»Das kannst du dir aussuchen.«

Sie sah ihm nun genau ins Gesicht. Nein, der Mann wollte nichts von ihr. Der meinte, was er sagte.

»Macht über einen Menschen?«

»Ja«

»Mit dem ich machen kann, was ich will?«

»Ja« »Auch was … Schlimmes ?«

»Ja.«

Ruckartig stand sie auf und ging zur Bar. Ich bin nüchtern, dachte sie‚ oder auch nicht. Das ist ein Scherz. Sie deutete auf eine Flasche Martini und der Hausbutler bereitete ihr ein Glas. »Voll, du Träne!«, fuhr sie ihn an. Laut sagte sie: »Das ist ein Scherz. Fahr zur Hölle!«

Der Butler schaute sie verwundert an.

»Dich mein ich nicht, du Wurst.«

Sie drehte sich nach dem Osttyp um. Der Mann aus dem Osten Europas war nicht mehr in dem Raum. Sie fluchte ein weiteres Mal, trank noch einen Martini und ließ sich ein Taxi rufen.

Als sie auf der Straße stand und zum Taxi gehen wollte, blinkten weiter hinten die Scheinwerfer eines Mercedes 350 SL auf. Zunächst ignorierte sie das Blinken. Der Fahrer gab jedoch nicht auf und sie erkannte den Mann aus dem Osten am Steuer. sitzen. Sie wollte zu dem Mercedes, der Taxifahrer beschwerte sich und so gab sie ihm einen Zwanzig-Euro-Schein. Dann ging sie zu dem Mercedes und nahm wie selbstverständlich auf dem Beifahrersitz Platz. Sie schwiegen sich eine Weile an. Nach ungefähr zwei Minuten hielt sie es nicht mehr aus.

»Wirklich alles machen? Mit Verletzen?«

»Alles.«

»Aber derjenige sieht mich doch? Was ist, wenn der mich wieder erkennt? Man kann nicht alles mit Geld bezahlen.«

Trotz des enormen Alkoholspiegels im Blut waren ihre Gedanken klar.

»Dann musst du eine endgültige Lösung finden.«

Sie wusste genau, was der Fremde meinte. Sie schlug die Hände vor den Mund. Tief in ihr hatte sie sich aber schon mit dem Gedanken angefreundet. Eine innere Stimme sagte ihr:

Tu es!

»Du sagst ›derjenige‹, also soll es ein Junge sein?«

»Mann – Mann. Kein Junge.«

»Ok. Ein junger Mann.«

»Was kostet das und wie und wo geschieht es?«

»Es geht nicht in Deutschland. Zu gefährlich. Kannst du nach Serbien kommen?«

»Ja.«

»Ok. Dreißigtausend Euro. Auf dieses Konto.«

Er gab ihr einen Zettel mit den Bankdaten.

»Wenn das Geld überwiesen ist, schaust du jeden Tag unter dieser Internet adresse im Netz nach.«

Auch hierfür überreichte er ihr einen Zettel mit Adresse und zwei Passwörtern.

»Dort wird dir der Termin mitgeteilt. Dann fliegst du nach Zagreb. Vom Flughafen wirst du abgeholt und zu einem einsamen Ort gefahren. Alles Weitere ist deine Sache. Ach ja, die Entsorgung ist im Preis inbegriffen.«

Sie wurde nun doch blass im Gesicht. Hilde Ströbel steckte die Zettel in ihre Handtasche.

»Wirf sie weg, wenn du sie auswendig kannst. Nur heute nicht.«

Dabei spielte er auf ihren Alkoholspiegel an, obwohl sie ihm mittlerweile relativ nüchtern vorkam.

»Wer sagt mir, dass du kein falsches Spiel spielst und es auf mein Geld abgesehen hast?«

»Dreißigtausend sind für dich Peanuts. Wenn wir dich ausnehmen wollten, könnten wir mit einfacheren Mitteln mehr einnehmen.«

Er zog eine Pistole und richtete sie auf ihr Gesicht.

Sie zuckte zurück, hatte aber keine richtige Angst. Etwas sagte ihr, dass er recht hatte.

»Wir könnten dich jetzt sofort dazu bringen, deinen Tresor zu öffnen und alle Scheine herauszugeben, die dort ruhen.«

Nun war sie total verwirrt. Woher wusste er von dem Tresor? Das könnte ein Schuss ins Blaue gewesen sein, kam ihr dann in den Sinn.

Er steckte die Pistole wieder ein.

»Wir sind daran interessiert, Stammkunden zu bekommen. Das verringert das Risiko. Deswegen ist der Preis auch entsprechend niedrig. Es ergeben sich meistens Folgegeschäfte.«

Sie nickte unmerklich. Sie dachte, er wollte ihr Kokain anbieten. Mit Rauschgift hatte sie aber nicht viel am Hut. Sie rauchte lediglich ab und zu mal einen Joint und ganz selten, höchstens zwei- oder dreimal im Monat, zog sie sich ein Gramm Koks in die Nase. Dass er mit Folgegeschäften wirklich Stammkunden meinte, kam ihr nicht in den Sinn. Jetzt brauchte sie frische Luft. Sie stieg ohne weitere Worte aus. Sie rief vom Handy aus ein weiteres Taxi und ließ sich in ihre Münchner Wohnung am Marienplatz fahren.

Hilde Ströbel las die Nachricht nun schon zum zehnten Mal. Aber immer noch konnte sie sich nicht entscheiden, das zweite Passwort einzugeben um in den Chatroom zu kommen. Die Buchstaben-Zahlenkombination kannte sie auswendig. Noch in der gleichen Nacht, als sie diese bekam, hatte sie sie trotz hohen Blutalkoholgehalts auswendig gelernt. Hilde Ströbel kam aus einer reichen und traditionsreichen Hamburger Kaufmannsfamilie. Ihr gehörten unter anderem einige Boutiquen von Hamburg bis München. Sie hatte weiterhin Anteile an zwei Unternehmen der Metall-industrie sowie einer großen Werft im Hamburger Hafen und hielt die Aktienmehrheit einer großen europäischen Elektronikfirma. Die dreißigtausend Euro hatte sie aus einer ihrer Handtaschen hervorgeholt und als Bareinzahlung bei der Postbank überwiesen. Das Geld war schon vor drei Wochen auf ein Konto auf den Niederländischen Antillen eingegangen. Ihre Hände zitterten, als sie das zweite Passwort eingab.

Hexen gibt es nicht

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