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2. Des Pfarrers Leid

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Danket dem Herrn; denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich.

Psalm 118,1

Gregor Herzberger hatte vor Kurzem seinen 44. Geburtstag gefeiert. Er saß in seinem kleinen Büro im Haus, welches sich direkt neben seinem Arbeitsplatz, der Kirche, befand und arbeitete an seiner Predigt für den nächsten Sonntag.

Die Familie Herzberger wohnte nun schon seit fünfzehn Jahren in dem kleinen Ort im Landkreis Gießen. Gregors zweiter Vorname war Philipp. Er benutzte ihn jedoch nicht gerne. Der Name Philipp, eine Abkürzung, die eigentlich von Philippus herrührte, einem der 12 Apostel Jesu, war ihm seit seiner Kindheit unangenehm. Daran änderte auch seine spätere Berufswahl nichts. Gregor schrieb seine Predigt nie vollständig nieder, sondern machte sich nur Notizen und redete im Allgemeinen frei. Meist hatten seine Reden im zweiten Teil der Predigt, die er immer von der Kanzel hielt, nicht nur einen Themeninhalt, sondern gleich zwei oder drei. So auch dieses Mal. Er wollte zum einen über die, wie er meinte, fortschreitende sexuelle Tabulosigkeit Jugendlicher und zum anderen über die ständige Gefahr der Atomkraftwerke reden, die seit dem Gau in Japan weiterhin präsent war. Hierbei die notwendige Aufmerksamkeit der Kirchgänger zu bekommen, stufte er als schwierig ein. Ein Gott hat das alles so nicht gewollt reichte da nicht aus. Es machte sich in letzter Zeit eine gewisse Gleichgültigkeit und eine gewisse Ohnmacht gegenüber der Situation breit, nicht wirklich genug gegen die Gefahr einer Atomkatastrophe tun zu können.

Herzberger hörte, wie in der Küche ein Teller oder eine Tasse zu Bruch ging. Er eilte zu seiner Frau in die Küche und sah, dass er richtig vermutet hatte. Seine Frau war den Tränen nahe. Sie hatte sich an den Scherben eines Tellers den Finger aufgeschnitten. Die Wunde jedoch rief nicht ihre Tränen hervor, vielmehr war die zunehmende Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes Auslöser ihrer Depressionen. Gregor Herzberger holte aus dem Badezimmer ein Pflaster und klebte es auf ihre Wunde. Ingrid Herzberger saß seit gut einem Jahr im Rollstuhl. Die Diagnose wurde schon vor fünfzehn Jahren gestellt: Multiple Sklerose.

Am Anfang waren es nur leichte Sehschwächen, mit der Zeit jedoch wurden die Schübe häufiger und stärker. Schwindelgefühle und Durchblutungsschwächen kamen hinzu. Bis ihr vor Kurzem die Beine versagten und sie nur noch im Rollstuhl sitzen konnte. Das kam relativ schnell für ihr Alter und ihr Gemütszustand wurde immer schlechter. Die Familie Herzberger hatte in der Vergangenheit weitere große Schicksalsschläge zu verkraften. Von den vier Kindern der Herzbergers verstarb eins mit sechs Monaten an dem sogenannten »plötzlichen Kindstod«. Es lag am Morgen friedlich, aber doch tot, im Bett. Ein weiteres Kind wurde im Alter von vier Jahren von einem Auto erfasst und getötet. Von den beiden verbliebenen Kindern, Melanie 13 Jahre alt und Sven 17 Jahre alt, ist nur der Junge gesund. Das Mädchen leidet an einer aggressiven Form von Leukämie. Für sie suchten die Herzbergers seit langem einen Knochenmarkspender. Tausendmal stellten sich Ingrid und Gregor Herzberger die Frage, ob diese Schicksalsschläge eine Prüfung Gottes sein sollten. Ingrid hatte schon lange ihren Glauben an Gott und die Kirche verloren. Sie wollte mit ihrem Mann auch nicht darüber reden. Sie wusste, dass er weiterhin auf seinen Glauben vertraute.

»So eine Scheiße!«, fluchte sie und warf zornig eine Kaffeetasse gegen die Wand. Beim Ausräumen der Spülmaschine fiel ihr ein Teller aus der Hand. Das ließ sie wieder einmal ihre Behinderung deutlich spüren.

»Jetzt verzweifle nicht. Es ist doch nur Porzellan«, sagte Gregor Herzberger.

»Geh mir nicht auf den Geist. Du hast doch keine Ahnung, wie ich mich fühle. Du kannst hingehen, wohin du willst. Dein Gott zeigt dir schon deinen Weg. Aber mir nicht. Mein Gott hat mir alles genommen.«

»Red nicht so. Glaubst du, mir fällt das alles leicht? Aber ich finde im Gebet meinen inneren Frieden. Verzag nicht. Denk auch an Melanie und Sven.«

Sie war müde und wollte nicht weiter streiten. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, fuhr sie mit dem Rollstuhl ins Badezimmer. Hier zog sie ihren Pulli und den BH aus, warf beides wütend in die Ecke und streifte ihre Hose und den Slip herunter, indem sie ihr Gewicht erst auf die rechte Pobacke und dann auf die linke verlagerte. Beide Teile, Socken und die Schuhe, ließ sie ebenfalls achtlos auf den Boden fallen. Nachdem im Badezimmer vor einem Jahr einige Umbauten gemacht wurden, kam sie hier ganz gut zurecht. Sie zog sich an einem der Griffe an der Wand hoch, klappte den Behindertensitz in der Dusche herunter, zog sich in die Kabine hinein, drehte sich und setzte sich auf den Sitz.

Sie wollte das Wasser andrehen, stellte aber fest, dass die Handbrause ganz oben hing. Zu oft schon hatte sie ihrem Mann gesagt, er sollte doch das Ding nach dem Duschen immer wieder herunterziehen. So zog sie sich wieder am Griff hoch, hielt sich mit einer Hand fest und zog mit der anderen den Schlauch mit der Brause herunter. Als sie sich wieder hingesetzt hatte und das warme Wasser sprudelte, beruhigte sie sich.

Dann stellte sie fest, dass es kein Duschgel gab.

»Gregor!«

Sie schrie es zur Tür. Gregor, der in der Küche inzwischen die Scherben beseitigt hatte, war sofort zur Stelle.

»Es ist kein Duschgel da! Kannst du welches holen und mir den Rücken einseifen?!«

»Ja, natürlich.«

Er trug Duschgel auf seine Hände und streichelte zärtlich über ihren Rücken.

»Die Haare auch?«

»Ja, die müssen auch gewaschen werden.«

Ihre Stimme hörte sich etwas sanfter an. Er nahm Shampoo und massierte ihren Kopf. Sie ließ den Wasserstrahl über ihre Haare laufen und wusch die Seife wieder aus. Sie ist immer noch und trotz Behinderung eine schöne Frau, schoss es ihm durch den Kopf. Er gab nochmals Duschgel in die Hände, welches er auf ihren Schultern verteilte. Dann berührten seine Hände ihre Brüste und streichelten sie.

Sofort stieß sie seine Hände weg und sagte in einem drohenden Ton: »Lass das!«

Mit Tränen in den Augen verließ er das Badezimmer. Er ging nach draußen. Frische Luft tat ihm jetzt gut. Hinter der Garage wurde irgendwann einmal Holz für den Kamin angeliefert. Die Scheite waren jedoch zu dick und mussten noch mal gespalten werden. Gregor nahm das Beil und begann, wild auf die Holzscheite einzuhauen. Seine Gedanken waren jedoch nicht beim Holz.

Er stellte sich vor, Menschen den Kopf zu spalten. Gesunden erwachsenen Menschen. Er erschrak über seine Gedanken. Nach einer knappen halben Stunde wurde er ruhiger. Körperlich ausgepowert, doch noch etwas verwirrt, ging auch er unter die Dusche. Er wusste mit seinen Gedanken nicht so recht umzugehen. Niemals vorher hatte er solche Eingebungen. Und er wollte sie auch nie wieder haben.

Gregor Herzberger zog sich an und ging hinüber zur Kirche. Jetzt wollte er seinem Herrn nahe sein. Vor dem Altar kniete er nieder und sprach lange im Gebet.

Hexen gibt es nicht

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