Читать книгу Der Sommernachtsmörder - Marianne Berglund - Страница 11
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Оглавление»Hast du von dem Brand gehört?«
Rebecka schien guter Stimmung zu sein. Sie behauptete immer, sich Pillen besorgen zu können, die so reinhauten, dass man mindestens drei Nächte keinen Schlaf bräuchte, und Andrea dachte, so eine habe sie jetzt vielleicht eingeworfen.
»Was?«, fragte Andrea, die ihr gegenüber im McDonalds saß und mit einem kleinen Holzlöffel in einem Pappbecher voll scheußlichem Kaffee rührte.
Es war erst halb zehn, aber sie war schon auf, auch wenn sie nicht gerade toll in Form war. Die Ereignisse der vergangenen Nacht hatten sie zuerst nicht einschlafen lassen, und als sie gegen acht mit hämmernden Kopfschmerzen aufgewacht war, hatte sie beschlossen, lieber gleich aufzustehen.
»Was?«, fragte sie noch einmal, gleichgültig, weil sie sich nicht vorstellen konnte, Rebecka könne wirklich interessante Neuigkeiten für sie haben.
»Heute Nacht soll es in einem Friseursalon gebrannt haben, mitten in der Stadt.« Mit einer lässigen Geste strich Rebecka sich die Haare aus dem Gesicht. »Weißt du denn gar nichts? Hört ihr bei euch zu Hause kein Lokalradio?«
»Lokalradio?« Andrea schnaubte, trank einen Schluck Kaffee und zog eine Grimasse.
»Angeblich war es Brandstiftung.«
Himmel, was Rebecka alles wusste, aber vielleicht kam das von ihrer Mutter.
»In der Hamngata, mitten in der Stadt. Alles ist ausgebrannt.«
Hamngata. Andrea lief es plötzlich kalt den Rücken hinunter, es war ein unbehagliches Kitzeln, das sich dann im Nacken festsetzte. Eine Erinnerung, ein Bild. Was sie vor sich sah, machte ihr das Sprechen schwer.
»Da?«, murmelte sie. »Ich hab da heute Nacht etwas Seltsames gesehen.«
»Wirklich? Und was hast du da gemacht, mitten in der Nacht?« Rebeckas Mund öffnete sich, und blieb dann offen, so weit offen, dass das eben erst hineingestopfte Eis gut zu sehen war.
»Das war, als ich heute Nacht von Tobbe nach Hause gegangen bin, und ...«
»Was? Aber der wohnt doch in ... oder meinst du etwa den Tobbe?« Rebeckas Kinn klappte hinunter und ihr offener Mund sah noch viel blödsinniger aus.
»Aber ich bin abgehauen, es hat’s irgendwie nicht gebracht.«
»Spinnst du? Wieso denn nicht?«
Andrea zuckte mit den Schultern und schaute zum Fenster hinüber. »Weiß nicht.«
»Aber das ist doch eine ziemliche Strecke. Wohnt er nicht draußen in ...«
»Im Stenhuggeriviertel, ja. Da hat seine Mutter eine Riesenbude. Und als ich also nach Hause ging, bin ich hier vorbeigekommen, und dann war ich hinten bei der Brücke und glaubte, etwas zu hören. Also blieb ich stehen. Und dann hab ich jemanden gesehen. Das war genau da, in der Hamngata.«
»Was?«, fragte Rebecka und stopfte sich noch einen Löffel Eis in den Mund.
»Irgendein Auto, das wegfuhr«, sagte Andrea. »Total schnell. Absoluter Raketenstart. Und das war in der Hamngata, da bin ich mir sicher. Und da hat es also gebrannt? Weißt du das genau?«
»Klar weiß ich das genau.« Rebecka legte die Hand auf Andreas Arm. »Aber verdammt, Andrea, hast du das wirklich gesehen?«
Sie rückten dichter aneinander heran, wie um das kleine Geheimnis zu bewahren, das sie an diesem am Boden festgeschraubten Tisch zwischen sich gesponnen hatten, einem Tisch, auf dem frühere Gäste einige verschmierte Salatblätter hinterlassen hatten. Andrea konnte gerade noch vermeiden, dass ihr Ellbogen in der Salatsoße landete, als sie sich vorbeugte.
»Aber ich weiß ja nicht, was das bedeutet. Als ich da war, hat es ja nicht gebrannt.«
»Du.« Rebeckas Augen wurden noch runder. »Ich kenne einen, der bei der Polizei ist. Ich geh da oft zum Babysitten hin. Wir wohnen im selben Haus. Ich hätte gestern auf die Kinder aufpassen sollen, aber dann kam irgendwas dazwischen, und bezahlt haben sie mich trotzdem. Die sind wirklich total nett. Dem solltest du das vielleicht sagen.«
»Äh, nein ...« Andrea schaute auf die Tischplatte. Das war doch lächerlich. Sie hatte auf dem Nachhauseweg ein Auto gesehen, aber es war ja wohl noch erlaubt, mit dem Auto unterwegs zu sein, sogar mitten in der Nacht. Sicher wäre es außer ihr niemandem seltsam vorgekommen, denn seltsame Dinge, Dinge, die sonst nur in Filmen passierten, erlebte man doch niemals selbst. Nein, sie hatte sicher übertrieben reagiert, weil es in der Nacht so dunkel und so still in der Stadt gewesen war, und sie war allein gewesen. Sie hatte vielleicht gar nichts gesehen, sondern bildete sich das jetzt nur ein, wo Rebecka über diesen Brand geredet hatte. Sie hatte schließlich doch trotz allem allerlei getrunken und war wirklich müde gewesen.
»Ach, das war sicher weiter nichts«, sagte sie.
Aber als sie dann Rebeckas wachen, lebhaften Blick sah, fügte sie hinzu: »Jedenfalls nichts, worüber ich hier vor aller Ohren reden sollte.«
Sie warf einen viel sagenden Blick zum Nebentisch, wo eine Clique von jungen Männern in Lederjacken saßen, ihre Helme lagen zwischen den leeren Verpackungen ihrer Hamburger.
»Ich weiß, was wir machen«, sagte Rebecka mit einem unfreiwillig komischen, plötzlich todernsten Gesichtsausdruck.
Andrea hätte fast losgeprustet.
»Wir sehen uns die Sache mal an«, fügte Rebecka hinzu. Sie war schon aufgestanden und strich sich zum hundertsten Mal an diesem Tag die Haare zurück. Dann nahm sie eine Zigarette aus der kleinen Handtasche mit der Goldschnalle, die an ihrem Handgelenk baumelte, und schob sie zwischen ihre Lippen.
Auch Andrea stand auf, warf einen Blick in ihren Pappbecher und überlegte, ob sie die restliche Plörre noch trinken sollte, entschied sich aber dagegen. Zusammen mit Rebecka steuerte sie möglichst lässig den Ausgang an.
Erik Sander erwachte grunzend, reckte sich und berührte mit dem Arm etwas Weiches. Er öffnete die Augen und sah Fabian neben sich liegen, über einem großen nassen Flecken im Laken, unterhalb der Schlafanzugjacke.
Er atmete langsam aus, erleichtert, als ihm einfiel, dass Samstag war. Der Junge neben ihm schlief tief und ganz und gar ahnungslos über den Pisseflecken. Erik warf einen Blick zu Henrietta hinüber. Die schlief auf der Seite, mit halboffenem Mund. Er stand auf und zog vorsichtig das Laken ab, holte für den Kleinen einen neuen Schlafanzug, steckte den alten in die Waschmaschine und machte es sich dann mit dem schlafenden Kind in dessen Bett im Kinderzimmer gemütlich. So gut das eben ging. Pu der Bär saß auf der Fensterbank, unter der Decke schwebte ein Mobile. Eine gelbe Lampe an der Wand, gleich neben der Tür, warf einen gerade ausreichend hellen Schimmer auf den Boden, um Gespenster, Diebe und andere vor- und unvorstellbare Unholde am Übertreten der Türschwelle zu hindern. Es half wenig, dass Papa bei der Polizei war, diese Knirpse glaubten nicht, dass er die Bösewichter abschrecken konnte, die ihre Sparschweine ausrauben wollten. Da war die Lampe doch ein um einiges besserer Schutz.
Er hatte etwas geträumt, wusste aber nicht mehr, was. Doch das Gefühl des Traums steckte ihm noch in den Knochen, und als er die Augen zusammenkniff, schienen die Bilder wieder Kontur anzunehmen. Ein alter Schrank auf dem Dachboden seiner Kindheit. Seine Mutter mit kurzen Schritten und blaugeblümter Kittelschürze aus Nylon. Ihre düstere Miene, als sie ihn ansah.
»Zur Polizei gehen, wozu denn das? Begreifst du nicht, dass ich mir jeden Tag Sorgen machen müsste? So etwas kann ein Sohn seiner Mutter nicht antun.«
Was war Traum und was war Wirklichkeit? Bilder und Worte gingen ineinander über.
Fabians dünne Beine pressten sich an ihn. Der süß duftende Kopf ruhte auf Sanders Arm. Durch die leicht geöffneten Lippen kamen ruhige Atemzüge. Sander schlief auf einem Bettzeug ein, das Bilder von Baumeister Bob verzierten, Bagger und Zementmischmaschinen und alle möglichen anderen Geräte. Es war halb fünf, normalerweise würde in zwei Stunden der Wecker klingeln.
Aber an diesem Morgen schlief er wieder ein, so tief sogar, dass er zwei Stunden später das Telefon nicht hörte. Erst um neun wurde er davon geweckt, dass die beiden Jungen ins Zimmer gestürzt kamen und zu ihm ins Bett sprangen.
»Warum schläfst du hier, Papa?«, fragte Fabian.
»Seid ihr schon wach«, murmelte Erik Sander mit schlaftrunkener Stimme. In der auch ein wenig Enttäuschung lag. Er hätte nichts dagegen gehabt, noch ein wenig schlafen zu dürfen.
»Wir haben Bolibompa gesehen, aber jetzt kommt was anderes im Fernsehen.«
»Wo ist Mama?«, fragte Sander.
»Die schläft«, sagte Anton und ließ sich dann wie ein Affe auf den Boden fallen. »Heute gab’s Tarzan«, brüllte er dann.
Nein, dachte Sander. Nicht Tarzan. Wenn es im Fernsehen Tarzan gegeben hatte, dann wollten die Jungen immer rumtoben, hüpfen und klettern.
»Und dann hat es andauernd geklingelt«, sagte der Junge jetzt.
»Wieso denn geklingelt?«, fragte Erik, der glaubte, es gehe immer noch um Tarzan.
»Das Telefon«, erklärte Fabian geduldig. »Warum bist du nicht rangegangen, Papa? Und warum schläfst du in meinem Bett?«
Ja, gute Frage, dachte Sander und stand auf. Er fuhr sich mehrere Male mit der flachen Hand über den Kopf.
»Es hat geklingelt?«, fragte er.
Er verspürte eine leise grummelnde Unruhe. Schließlich hatte er an diesem Wochenende Bereitschaftsdienst. Aber mein Gott, er hatte einfach nur geschlafen. Dann verdrängte er diese Überlegungen. Sie wollten an diesem Tag für die Kinder einen Schreibtisch kaufen. Und eigentlich war es ja auch egal, wer vielleicht angerufen hatte.
Er gähnte und ging in die Küche. Henrietta saß am Küchentisch, mit Zeitung und Kaffee.
»Guten Morgen«, sagte er. »Die Kinder haben behauptet, du schläfst.«
Sie drehte sich um, die Haare waren ungekämmt, ihr Gesicht bleich, als habe sie schlecht geschlafen.
»Ich war seit sieben Uhr wach«, sagte sie. »Ich bin vom Telefon geweckt worden.«
»Wer war es denn?« Sander nahm sich eine saubere Tasse aus dem Regal über dem Spülbecken.
»Ich hab’s nicht rechtzeitig geschafft«, murmelte Henrietta und schaute wieder in ihre Zeitung.
»Du hast es nicht rechtzeitig geschafft? Aber es hätte doch ...«
»Du weißt, was wir heute vorhaben«, sagte sie. »Die Jungen wären schrecklich enttäuscht, wenn wir nicht fahren könnten.«
»Ich weiß, ich weiß. Und wir werden ja auch fahren.«
»Aber es hat jemand angerufen.«
»Ich habe gesagt, dass wir fahren werden.«
Aus irgendeinem Grund ärgerte er sich jetzt.
»Ich habe vorhin die Nachrichten gehört«, sagte Henrietta.
Er goss einen dünnen Strahl Kaffee in die weiße Tasse. Gemütlicher Dampf stieg auf.
»Ein Friseursalon in der Stadt ist ausgebrannt«, sagte sie dann. »Ich bin sicher, dass sie dich auf die Wache bestellen werden. Und danach heißt es Arbeit, Arbeit, Arbeit. Jeden Tag. Und jedes Wochenende. Wie immer.«
Sie seufzte. Erik Sander setzte sich an den Küchentisch und lachte leise. »Meine Güte. Die holen mich doch nicht, bloß, weil es irgendwo gebrannt hat.«
Sie schaute aus dem Fenster. Graue Wolken am Himmel. Ein leichter Dunst über dem Hof. »Angeblich ist bei dem Brand jemand ums Leben gekommen.«
»Ach. Und was noch?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Mehr haben sie nicht gesagt. Aber du wirst das sicher alles noch erfahren.«
»Am Liebsten nicht heute.« Er trank einen großen Schluck Kaffee. Schaute auf die Uhr. Viertel nach neun. »Wenn wir uns beeilen, können wir in einer halben Stunde losfahren. Haben die Kinder schon gefrühstückt?«
Als Henrietta nickte, klingelte wieder ein Telefon, diesmal Sanders Handy. Sie sah ihn an, mit einer Mischung aus Besorgnis und Wut im Blick.
»Wir fahren auf jeden Fall«, sagte er und stand auf. »Das verspreche ich dir.«
Er hörte selber einen falschen Unterton. Und als er auf den Knopf drückte und Janne Rings Stimme hörte, wurden seine bangen Ahnungen bestätigt. Nachdem er das Gespräch beendet hatte, ging er zurück in die Küche; sie starrte immer noch die Zeitung an. Ihre dunklen Haare hingen ihr in die Stirn.
»Ich muss ...«
»Ich weiß«, fiel Henrietta ihm ins Wort.
»Kannst du nicht ...«, setzte Sander an, merkte aber, dass ihm das Weiterreden schwer fiel. Er wusste nicht so recht, was er sagen sollte.
»Kann ich nicht allein fahren?«, vollendete Henrietta seine Frage.
»Ja, genau. Geht das nicht? Nur dieses eine Mal?«
Sie gab keine Antwort. Seufzte nur laut, blätterte ihre Zeitung um und sah ihn auch weiterhin nicht an.
Um zehn Uhr standen sie vor dem ausgebrannten Friseursalon. Rebecka versuchte, durch die Wand aus Polizisten und die im leichten Wind flatternden Plastikbänder hineinzusehen.
»Viel sieht man ja nicht«, sagte sie.
Es wimmelte nur so von Leuten, vor allem von Neugierigen, die sich unbedingt erkundigen mussten, was hier passiert sei. Aber jeder Idiot konnte doch sehen, dass es gebrannt hatte. Es stank nach Rauch, und auf dem Boden glitzerten Glasscherben. Ein Stück weiter entfernt stand mitten auf der Straße ein Löschzug mit flackerndem Blaulicht, obwohl das Feuer bereits gelöscht war. Vielleicht hatten sie Angst, es könne irgendwo noch einmal auflodern.
Rebecka versetzte Andrea einen Rippenstoß und murmelte: »Das ist er. Der, der über uns wohnt.«
Andrea schaute sich den Polizisten an, bei dem Rebecka auf die Kinder aufpasste. Ein Mann mittleren Alters in trutschiger Kleidung und mit kurzgeschnittenen schütteren Haaren. Dünn war er auch, gar nicht so muskulös wie die Bullen im Film. Das hier war wirklich nicht sonderlich spannend. Nicht einmal, dass es gebrannt hatte, brachte etwas. Nur ein verrußter Laden. Und diese Typen in Uniformen, die hinter dem Absperrband hin- und herliefen.
»Wir gehen«, sagte Andrea. »Hier gibt’s nichts zu sehen.«
»Willst du nicht mit ihm reden?«, fragte Rebecka erstaunt und sah sie vorwurfsvoll an.
»Ich?«, fragte Andrea. »Spinnst du? Was sollte ich dem denn sagen?«
»Tja. Das mit dem Auto und so.«
»Hör doch auf. Ich hab nichts gesehen. Ich bin nur vorbeigegangen.«
»Du hast gesagt, dass du jemanden gesehen hast.«
»Ich hab einfach nur ein Auto gesehen.« Andrea zuckte so gleichgültig mit den Schultern, wie sie nur konnte. Sie hatte keine Lust, mit irgendeinem Bullen zu reden.
Aber Rebecka wollte offenbar nicht locker lassen. »Jetzt komm schon, Drea.«
Sie zog Andrea so energisch am Jackenärmel, dass der ihr ein gutes Stück über die Finger rutschte. Diese blöde Rebecka, dachte Andrea und ließ sich widerwillig in das Gewimmel zerren. Bei dem Plastikband, das zwischen einem Laternenpfahl und der Türklinke des benachbarten Ladens aufgespannt war, wurden sie von einem jungen Polizisten aufgehalten. Er trug eine lange schwarze Jacke, deren Kragen er bis zu seinen Ohren hochgeschlagen hatte.
»Hier dürft ihr nicht rein«, sagte er so schroff, dass sogar Rebecka zurückwich.
Andrea fand, dass er so aussah wie die Türsteher in Diskos, die immer behaupteten, sie sei zu jung, um hineinzudürfen. Arroganter Arsch, dachte sie.
»Wir möchten gern mit dem da hinten sprechen«, sagte Rebecka und zeigte auf den Polizisten, den sie angeblich kannte.
Der Mann drehte sich um, um zu sehen, wen sie gemeint hatte.
»Was wollt ihr von ihm?«, fragte er, noch immer im selben abweisenden Tonfall.
»Es geht um meine Freundin. Sie hat etwas Seltsames gesehen.« Rebecka schob Andrea vor, und die fluchte und schüttelte ihre Hand ab.
»Was hast du gesehen?«, fragte der Polizist und starrte Andrea gereizt an. Seine Augen waren braun und sogar noch schöner als die von Tobbe.
»Äh«, murmelte Andrea, dann fiel ihr auf, dass sie das an diesem Tag nun ungefähr schon zehnmal gesagt hatte. »Ich glaube, das war nichts Wichtiges.«
»Was denn?«, fragte der Polizist und Andrea glaubte, einen Seufzer mitschwingen zu hören.
Nur um nicht auszusehen wie eine Vollidiotin, beschloss sie, doch alles zu erzählen. »Ich bin heute Nacht hier vorbeigekommen, und dabei habe ich ein Auto wegfahren sehen.« Sie sprach hastig und leise.
»Du hast ein Auto gesehen? Wo? Und wann?«
»Heute Nacht. Gegen drei.«
»Warte, ich hole eben Sander.«
Er machte auf dem Absatz kehrt, und gleich darauf stand Rebeckas Nachbar vor ihnen. Seine Blicke wanderten zwischen ihnen hin und her, und er hatte den Mund halb geöffnet. Dass ein Polizist so verwirrt aussehen kann, dachte Andrea. Das war fast komisch. Endlich blieb sein Blick an Rebecka hängen.
»Ach, hallo. Jetzt hab ich dich erkannt.« Er lächelte, ein rasches, gestresstes Lächeln, während er gleichzeitig versuchte, mitzubekommen, was hinter ihm passierte, in dem Laden, in dem es von Bullen nur so wimmelte. »Mein Kollege hat gesagt, du willst mich sprechen.«
»Nein, nicht ich, meine Freundin«, sagte Andrea. »Sie hat etwas gesehen.«
Sein Blick irrte zu Andrea weiter, und die wäre am liebsten im Erdboden versunken. Das wäre am wenigsten peinlich gewesen.
»Ach«, sagte er und seufzte ebenso resigniert wie vorher sein Kollege. »Und was hast du also auf dem Herzen?«
»Ich bin heute Nacht hier vorbeigekommen«, sagte Andrea. Und fügte rasch hinzu: »Aber ich glaube nicht, dass ich wirklich etwas Wichtiges gesehen habe.«
»Aber was hast du denn nun gesehen?« Plötzlich sah der Mann ein wenig interessiert aus.
»Ein Auto.«
»Hier?«
Andrea nickte. »Ich stand oben auf der Brücke, und da habe ich es gesehen. Es fuhr weg von hier, wo wir jetzt stehen, und es schien es ziemlich eilig zu haben.«
»Ach.« Sander kratzte sich am Kinn. »Weißt du, um welche Zeit das war?«
»Drei Uhr. Das weiß ich, weil gerade die Kirchturmuhr geschlagen hat.«
»Weißt du, wie das Auto ausgesehen hat?«
»Das Autokennzeichen habe ich nicht gesehen.«
»Aber du kannst vielleicht sagen, welche Farbe es hatte. Und ob es groß oder klein war.«
Andrea dachte nach. Sie kam sich blöd vor. »Es war hell. Und ich glaube, es war ziemlich klein.«
»Hast du gesehen, wo es hingefahren ist?«
»Es ist in die Kaptensgata abgebogen.«
»Und sonst?«
»Sonst?«
»Ja, hast du noch mehr gesehen? Einen Menschen oder so?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.« Sie glaubte zwar, einen Menschen gesehen zu haben, war sich aber nicht so sicher. »Nein, nur das mit dem Auto.«
Der Polizist richtete sich auf, als habe er sich bücken müssen, um mit ihnen sprechen zu können. »›Nur‹ ist wirklich übertrieben. Danke, dass du gekommen bist. Solche kleinen Einzelheiten können sehr wichtig sein.«
Die leichte Andeutung eines Lächelns auf den bleichen Lippen. Sie konnte nicht entscheiden, ob es ironisch sein sollte oder nicht.
»Wie heißt du übrigens?«
»Andrea Nilsson.«
Er erkundigte sich nach ihrer Adresse und Telefonnummer und bat sie dann, sich bei der Polizei zu melden, falls ihr noch mehr einfiel.
Andrea nickte. Aber sie hatte nicht vor, das zu tun. Es war jetzt schon viel zu peinlich. Dieser Polizist hielt sie einwandfrei für eine Rotzgöre, die so spät nichts auf der Straße zu suchen hatte, und bestimmt glaubte er auch, sie habe sich die Sache mit dem Auto aus den Fingern gesaugt, um mit gutem Grund herkommen und sich den Gaffern anschließen zu können.
Sie packte Rebecka am Arm. »Komm, wir hauen ab.«
»Saugut, dass du das gesagt hast«, sagte Rebecka, als sie sich dem Teil der Straße näherten, der nicht von schnüffelnden Idioten versperrt war. »Das hilft ihnen bestimmt ein ganzes Stück weiter.«
»Hmm«, murmelte Andrea geistesabwesend. Etwas störte sie plötzlich, aber sie wusste nicht, was es war, vielleicht machte die Gegend sie einfach nervös, der Brandgeruch und das viele Verkohlte, Schwarze.
»Ist da wirklich jemand umgekommen?«, fragte sie.
Rebecka zuckte mit den Schultern und bohrte ihre frierenden Hände in die winzigen Jackentaschen. »Keine Ahnung. Mehr haben sie im Radio nicht gesagt.«