Читать книгу Der Sommernachtsmörder - Marianne Berglund - Страница 13
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ОглавлениеSie versammelten sich im Besprechungszimmer, wo Eva-Britt Bixe mit gezücktem Stift vor der neuen Tafel stand. Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn, die sich heiß anfühlte, die Kopfschmerzen waren wieder stärker geworden. Vergeblich hatte sie in ihrer Tasche nach Schmerztabletten gesucht, auch wenn die so viel Wirkung hatten wie ein Mückenstich bei einem Elefanten.
Der Schmerz hatte in dem Augenblick wieder eingesetzt, als Nils Fridén hereingekommen war und an ihrem Schreibtisch Platz genommen hatte. Sie war gerade unterwegs gewesen, um sich vom Automaten auf dem Flur einen Kaffee zu holen. Auch die Automaten waren neu im Haus, und anders als die alten, bei denen auch mal Kakao in den Becher laufen konnte, wenn man auf Kaffee gedrückt hatte, funktionierten die neuen zuverlässig. Es gab viele Knöpfe und ebenso viele Kaffeesorten, mehr als in einem Haus wie diesem nötig gewesen wären, wo die meisten schwarz ohne Zucker und Milch nahmen. Außerdem trank man ja dieses Gebräu nicht, weil es gut schmeckte, sondern um sich wach zu halten.
Kaum war Fridén also hereingekommen, mit seinem schrägen Lächeln und einem zufriedenen Funkeln in den Augen, da hatte sie begriffen, dass es wohl kaum ein Tag von der ruhigeren Sorte werden würde. Im Gesicht des Technikers las sie Arbeit, massenweise Arbeit. Und das bis in die frühen Morgenstunden, wenn das Schicksal ihr wirklich übel wollte.
»Es war ein Mensch im Laden«, sagte Nils Fridén und leckte sich kurz die Lippen. »Nicht so arg verbrannt, dass er nicht mehr zu identifizieren gewesen wäre. Der Leichnam ist jetzt in Lund bei der Gerichtsmedizin. Wir haben gesagt, dass es eilt, aber einige Tage wird es wohl doch dauern. Wenn wir ganz viel Glück haben, dann hören wir schon morgen früh etwas.«
»Und wenn wir Pech haben?«
Fridén ließ sich im Stuhl zurücksinken und verschränkte die Hände vor seinem Bauch. »Irgendwann nächste Woche. Es war Glück, dass das Feuer so früh entdeckt worden ist, sonst hätte es schwierig werden können, Informationen über den Verbrannten zu erhalten. Ansonsten ist jetzt ganz klar, dass es sich um Brandstiftung handelt. Es waren Spuren von Plastikfolie vorhanden, in der nach aller Wahrscheinlichkeit Zündflüssigkeit und Kerzen transportiert worden sind. Der Brand hat also sehr langsam eingesetzt. Und das ist ja eine ziemlich übliche Methode.«
»Und effektiv, um alles Mögliche zu verstecken«, sagte Bixe.
»Zweifellos.«
»Nicht, dass wir das schon wüssten, aber es würde mich ja nicht überraschen, wenn die verbrannte Person schon tot gewesen wäre, als der Brand gelegt wurde.«
»Du behauptest also«, sagte Fridén und schaute vielsagend über seine schmale Lesebrille hinweg, »dass die Person im Laden ermordet worden ist? Und das ohne jeden richtigen Hinweis?«
»Ich habe nur gesagt, es sei nicht unvorstellbar.«
»Und wie begründest du das? Mit Intuition?«
Bixes an diesem Tag ungeschminkte Lippen teilten sich zu einem zufriedenen Lächeln. »Nicht nur. Auch mit Erfahrung.«
»Ja, natürlich«, gab Fridén zu. »Fünfundzwanzig Jahre in der Branche sind nicht zu verachten. Ich nehme an, du weißt, wovon du hier redest.«
»Wir haben den Besitzer des Salons noch nicht erreichen können«, sagte Bixe. »Er kann ja verreist sein, aber heutzutage haben die Leute doch meistens Mobiltelefon oder E-mail oder was weiß ich. Und er meldet sich einfach nicht. Also stimmt hier etwas nicht.«
»Gedanke oder Gefühl?«
»Gefühl«, gab Bixe zu. »Aber das Gefühl ist diesmal wirklich mehr als stark genug.«
Und jetzt stand sie da, vor der weißen Tafel, mit dem Stift in der Hand, und mit heftigen Kopfschmerzen, die ihre Schläfen zum Bersten zu bringen drohten. Es war zum Verzweifeln hell in diesem Raum, sie brauchte nicht nur Kopfschmerztabletten, sondern auch eine Sonnenbrille. Die Sonnenbrille an einer Schnur um den Hals – vielleicht keine so dumme Idee. Und sie tat doch immer gerne etwas zur allgemeinen Belustigung der Kollegen.
Sie holte tief Luft, zeichnete einen Kreis und schrieb die Buchstaben JS hinein. »Der Besitzer. Jonas Sjögren. Fünfundvierzig Jahre. Arbeitet seit fünfzehn Jahren als Friseur. Vor ungefähr einem Jahr hat er das Klipp-it von Harald Enger gekauft. Vorher hatte er in allerlei anderen Salons gearbeitet, zuletzt ...« Sie blätterte in den Papieren, die sie in der Hand hielt. Auf einem der viel zu vielen Stühle im Raum – vielleicht hatten die Architekten unter Größenwahn gelitten, als sie den Raum geplant hatten, Halmstad war ja doch eher eine bescheidene Metropole – saß Erik Sander und kaute. In der Hand hielt er eine Tüte, die ab und zu raschelte, und das brachte ihm jedesmal einen gereizten Blick von Janne Ring ein, der seinerseits ganz still dasaß und bisweilen aus dem Fenster und dann wieder auf die Tafel schaute.
»Was zum Teufel isst du denn da?«, knurrte er endlich, als Sander mit lauterem Geraschel als bisher die jetzt offenbar leere Tüte zusammenknüllte und als kleinen Ball auf den Tisch legte.
»Nur ein paar Süßigkeiten.« Sanders Worte waren nur mit Mühe zu verstehen, da er mit vollem Mund redete.
»Süßigkeiten?« Ring schüttelte den Kopf und schaute in die andere Richtung.
»Es war Brandstiftung«, sagte Bixe jetzt mit etwas lauterer Stimme. »Vermutlich, um Spuren zu beseitigen. Was ja bekanntlich durchaus häufiger vorkommt.«
»Ich wüsste ja gern, aus welchem Krimi er die Idee hat«, sagte Ring und drehte seinen einen Manschettenknopf gerade.
»Der Brand hat heute Nacht gegen halb drei eingesetzt.« Bixe schob ihre Brille hoch und blätterte weiter in dem überraschend ausführlichen Bericht, den Fridén bereits verfasst hatte. »Um halb vier hat ein junges Paar, das gerade vorüberkam, den Rauchgeruch wahrgenommen. Sie haben das Feuer im Laden entdeckt und die Feuerwehr alarmiert.«
»Sonst haben sie nichts gesehen?« Sander hatte fertig gekaut und konnte wieder deutlich sprechen.
Bixe schüttelte vorsichtig den Kopf.
»Nichts. Das war eine gute Stunde nach Brandausbruch. Auch, wenn es langsam einsetzt, breitet so ein Feuer sich dann doch rasch aus. Und ehe die Feuerwehr eintraf, war das Lokal schon weitgehend ausgebrannt. Ihr habt es ja selbst gesehen. Du warst doch wohl vor Ort, Erik, oder?«
Sander nickte, er schien an diesem Vormittag ziemlich in seinen eigenen Gedanken versunken zu sein. »Ich bin nicht lange geblieben. Es gab nicht viel zu sehen, verrußte Räume sehe ich ja nicht zum ersten Mal. Aber als ich dort war, hat mich ein junges Mädchen angesprochen ...«
»Meinen Glückwunsch!« Rings ganzes Gesicht leuchtete auf, als er hämisch auflachte. Sander drehte sich rasch zu ihm um und wurde rot, zuerst im Gesicht, dann an den Ohrläppchen, die glühten wie die Rücklichter eines Autos.
»Das hast du falsch verstanden, Janne.«
»Was denn?«, fragte Bixe, die jetzt ebenfalls leicht gereizt wirkte. Normalweise konnte sie mit dem Gerede und den Sticheleien leben, die die Arbeit bisweilen auflockerten. Aber an diesem Tag war das anders. Sie hatte Kopfschmerzen und wollte so schnell wie möglich nach Hause.
»Wir haben eine junge Babysitterin. Sie wohnt im selben Haus wie wir. Sie und ihre Freundin waren also da. Und diese Freundin ist offenbar nachts am Salon vorbeigekommen und hat gesehen, wie davor ein Auto losfuhr.«
»Und stimmt der Zeitpunkt so ungefähr?«
»Ja, sie sagt, es sei so gegen drei gewesen. Der Wagen hat rasch beschleunigt und ist dann in der Kaptensgata verschwunden. Das muss ja nichts bedeuten, aber wir sollten es uns doch merken.«
»Hat sie noch mehr gesagt?«
»Nur, dass es ein helles und nicht sehr großes Auto war.«
»Sie hat niemanden gesehen?«
»Das hat sie jedenfalls behauptet.«
»Was macht denn ein junges Mädchen um drei Uhr nachts in der Stadt?«, seufzte Ring hinten in seiner Ecke. »Wie alt ist sie?«
»Tja, vierzehn vielleicht.«
»Die Wurzel allen Übels«, sagte Ring. »Dieses ganze Rumgerenne in der Stadt, wo sie kaum aus den Windeln raus sind.«
Sander spielte an seiner zerknüllten Süßigkeitentüte herum, als sei darin noch etwas zu finden, ein vergessenes Himbeerbonbon oder eine letzte Geleebanane.
»Wenn sich in der Stadt keine Kinder herumtrieben, dann wäre die Feuerwehr nicht rechtzeitig alarmiert worden«, sagte Bixe. »Die, die um halb vier vorbeigekommen sind, waren auch noch keine Greise. Wir sollten dieses eine Mal also dankbar sein.«
»Noch zehn Jahre«, seufzte Sander.
»Wie meinst du das?« Rings Blick bohrte sich wie ein Pfeil in ihn hinein.
»In zehn Jahren muss man nachts auf sie warten. Meine Kinder sind vier und sechs.«
»Dann weißt du immerhin, was dir bevorsteht«, sagte Ring grinsend. »Du hast es ja aus nächster Nähe gesehen.«
»Ja, das ist es ja gerade.« Sander schaute die Tischplatte an. »Ich habe ihren Namen und ihre Adresse notiert, falls ihre Beobachtung von Bedeutung sein sollte.«
Bixe schrieb weitere Stichwörter an die Tafel. Große, auslaufende Buchstaben, die nach und nach immer unleserlicher wurden. Krähenfüße wäre eine überaus harmlose Beschreibung gewesen. Reiner, purer Irrsinn, schwarz auf weiß, hätte eher gepasst.
Auto um drei, stand jetzt dort in dieser schlampigen Schrift.
»Phantastisch«, murmelte Ring. »Da sind wir ja schon weit gekommen.«
Bixe überhörte diesen spitzen Kommentar. »Wir wenden uns zuerst an Jonas Sjögrens Angehörige«, sagte sie. »Seine Familie, seinen Freundeskreis.«
»Ja, und wer soll das machen?«, fragte Sander.
Bixe verspürte einen bitteren Geschmack im Hals, als sie daran dachte, was immer von Neuem getan werden musste. Jemand musste vor die Angehörigen treten und ihnen in die Augen schauen und das sagen, was gesagt werden musste. Ein Donnerschlag. Nein, sie freute sich wirklich nicht auf diese Aufgabe. Auch wenn sie nur über den Brand sprechen und fragen mussten, wo Sjögren sich aufhalten könnte. Das war schon unangenehm genug.
»Wer?«, wiederholte Ring, vermutlich in der Hoffnung, der Kelch möge an ihm vorbeigehen.
»Erik, kannst du die Angehörigen ermitteln?«, fragte Bixe. »Es ist ja auch möglich, dass Sjögren bei irgendwelchen Verwandten zu Besuch ist.«
Ihr Kollege nickte müde.
»Und du, Janne, du kommst mit mir in seine Wohnung. Wir brechen so bald wie möglich auf. Die Technik ist sicher jetzt fertig.«
Sie schaute wieder in ihre Papiere, überflog sie mit halb geschlossenen Augen.
»Du, Erik«, sagte sie danach zögernd.
»Ja?«
»Du wohnst doch im Andersbergsring 94?«
»Stimmt. Wieso?«
»Ich sehe hier, dass Jonas Sjögren im Andersbergsring 102 gemeldet ist. Das ist doch sicher in deiner Nähe.«
»Das ist schräg gegenüber.«
»Dann kennst du ihn doch sicher?«
»Die Häuser bei uns haben jeweils sechs Stockwerke und acht Eingänge. Ist das Antwort genug?«