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Einführung

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Spanische Hegemonie

„Spanisches Jahrhundert“, „Siglo de Oro“, „Spanisches Zeitalter“ sind heuristische Forschungsbegriffe zum besseren Verständnis der spanischen Hegemonie in der Frühen Neuzeit. Sie suggerieren, dass diese nicht nur politisch-militärisch war, sondern auch wesentliche Spuren in der Kultur und der Lebensart hinterlassen hat. Zugleich sind sie umstrittene, weil unpräzise Begriffe, wenn es darum geht, Anfang und Ende dieser Epoche zu markieren. Viele neigen dazu, den Anfang mit der Herrschaft Karls V. († 1558) zu setzen, sei es 1516 (Beginn seiner dynastischen Nachfolge in Spanien), 1519 (Kaiserwahl) oder 1525 (glanzvoller Sieg über Franz I. von Frankreich (1515–1547) bei Pavia und endgültige Brechung des Widerstandes in Kastilien und Aragón gegen die neue Monarchie). Das Ende wird zumeist mit 1648 (Westfälischer Frieden) angegeben, weil damit Spanien die Niederlande verliert und die Grenzen seiner Bedeutung in der europäischen Politik zu spüren bekommt. So befürwortet Bartolomé Bennassar (Un siècle d’or espagnol, 1982) den Zeitrahmen um 1525 bis um 1648. Antonio Domínguez Ortiz (The Golden Age of Spain, 1971) spricht hingegen von der Zeit zwischen 1516 und 1659. Und andere Forscher wiederum setzen den Anfang im Jahr 1479 (Beginn der eigentlichen Regierungszeit der Katholischen Könige mit der Thronbesteigung Ferdinands in Aragón († 1516), nachdem Isabella 1474 zur Königin von Kastilien ausgerufen worden war († 1504)) oder mit dem Jahr 1469 (Heirat von Isabella und Ferdinand) und das Ende mit dem Tod von Philipp IV. (1621–1665), dem letzten großen König aus dem Hause Habsburg, oder gar mit dem Tod seines Nachfolgers Karl II. (1665–1700).

Translatio imperii

Wenn wir hier als langes „Spanisches Jahrhundert“ die Eckdaten 1492–1659 vorschlagen, so geschieht dies einerseits im Bewusstsein dessen, dass Anfang und Ende solcher Epochen eher prozesshaft vor sich gehen und konkrete Jahresangaben nur von symbolischem Wert sind; andererseits ist diese Wahl von der Überzeugung geprägt, dass die Translatio imperii, d.h. der Führungs- bzw. Hegemonieanspruch, bei solchen Epochengrenzen das eigentlich Entscheidende ist. Der spanische Führungsanspruch entsteht nicht erst mit dem Hause Habsburg, sondern wird bereits von den Ereignissen des Jahres 1492 geprägt, die bald darauf als providenziell betrachtet wurden: Eroberung des maurischen Königreiches Granada, Vertreibung der Juden als Fanal für die intendierte religiöse Uniformierung auf dem Boden des katholischen Glaubens, Entdeckung der Neuen Welt und Beginn der transatlantischen Expansion, Drucklegung der ersten spanischen Grammatik. Dass Ferdinand und Isabella – auch für ihre Nachfolger – im Jahr 1496 von Papst Alexander VI. (1492–1503) den Titel „Reyes Católicos“ verliehen bekamen, unterstreicht ihren Aufstieg im damaligen Europa, denn „Katholische Könige“ kommt von katholikós, allumfassend, und dieser Titel steht der kaiserlichen Würde kaum nach. Der damit entstandene und mit Karls Konzept der Universalmonarchie potenzierte Führungsanspruch hatte im „Spanischen Jahrhundert“ – abgesehen vom türkischen Sultan – nur im französischen König einen wirklichen Kontrahenten. Von daher markiert der Pyrenäenfrieden von 1659 zwischen Spanien und Frankreich, eher als der Westfälische Frieden von 1648, die faktische Beerbung des spanischen Führungsanspruchs in Europa durch die Franzosen, die mit Ludwig XIV. (1643–1715) ihr eigenes „Siècle d’or“ einleiteten. Dass Baltasar Gracián, der scharfe Diagnostiker der Dekadenzerscheinungen, 1658 starb, spricht auch für eine Zäsur Ende der 1650er-Jahre – wenngleich Diego Velázquez erst 1660, Francisco de Zurbarán 1664, Pedro Calderón de la Barca 1681 und Juana Inés de la Cruz erst 1695 sterben werden.

„Spanisches Jahrhundert“ scheint uns ein besserer Begriff für den hier intendierten Zugang als „Siglo de Oro“ zu sein. Denn Letzterer wird oft eher in kultureller Hinsicht verstanden, etwa als Übergang von der Renaissance zum Barock (1550–1680). Im „Spanischen Jahrhundert“ erlebt die hispanische Kultur auch ihr „Siglo de Oro“ als global wirkende Kultur. Aber die Zeitgenossen hatten kaum das Bewusstsein in einem „Goldenen Zeitalter“ zu leben, wohl aber in einem des spanischen Führungsanspruchs – mit all seinen Errungenschaften und Krisenerscheinungen. Ein „Goldenes Zeitalter“ wurde damals nur in der für die Renaissance typischen Nostalgie der von Vergil besungenen aetas aurea beschworen. Diese wurde von Missionaren und Entdeckern oft auf die Naturvölker der Neuen Welt projiziert, was den Spott von Geistesgrößen wie Juan Luis Vives und Miguel de Cervantes auf sich zog.

Gegenüber den erwähnten Werken – und vielen anderen, die in den letzten Jahrzehnten erschienen sind – zeichnet sich dieses Buch durch die besondere Aufmerksamkeit aus, die aufgrund der Forschungen des Verfassers in den letzten Jahren darin wichtigen Kontroversen gewidmet wird (u.a. in der Kolonialfrage, der Buchzensur, der Frage der Blutsreinheit oder Limpieza de sangre, den Bibelübersetzungen, der Missionierung der Neuen Welt). Das Thema ist so umfangreich, dass verschiedene Annäherungen nicht nur erlaubt, sondern auch geboten sind.

Mariano Delgado

Das Spanische Jahrhundert

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