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I. Sendungsbewusstsein

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Man hat Italiener, Franzosen und Deutsche die drei Hauptvölker des mittelalterlichen Abendlands genannt. Denn sie teilten sich das Papsttum, die Wissenschaft und das Kaisertum (sacerdotium, studium, imperium). Im Sinne der Ost-West-Wanderungstheorie des Otto von Freising, wonach die Religion, die Wissenschaft und die politische Führung von Osten nach Westen gewandert seien, bis sie in Europa den Höhepunkt erreichten und das Ende der Geschichte damit eingeleitet war, lag es nahe, dass gerade in diesen Völkern das Sendungsbewusstsein groß war. Zu Beginn der Neuzeit aber fand das Land, das an der südwestlichen Peripherie des christlichen Europas dieses gegen die Muslime verteidigte, seine historische Stunde.

Das spanische „Sendungsbewusstsein“ speiste sich aus verschiedenen Quellen:

Bibel und Nationalgeschichte

(1) Die Bibel hat in allen christlichen Ländern ein Verständnis der Nationalgeschichte anhand der Kategorien „Erwählung-Bund-Gericht“ hervorgerufen. Alle Völker der Christenheit fühlen sich analog zum jüdischen Volk „erwählt“, verstehen ihren Eintritt in die Kirche als eine Art „Bund“ mit ihrem neuen Gott und deuten ihre historischen Niederlagen und Katastrophen als Gericht Gottes ob ihrer Untreue gegenüber ihrer Erwählung und Bundesverpflichtung. In Spanien markiert die Bekehrung des Westgotenkönigs Rekared vom Arianismus zum katholischen Glauben beim III. Konzil von Toledo 589 die entscheidende Wende. In der Geschichte der Goten des Isidor von Sevilla († 636) finden wir ein überschwängliches Lob Spaniens als „die heilige und immer glückliche Mutter von Fürsten und Völkern, das schönste aller Länder, die sich vom Westen bis Indien ausdehnen“, als die „Ehre und die Zierde des Erdkreises und der erhabenste Teil der Welt“. Diese Sicht ist in die Nationalchronik eingegangen, die im 13. Jahrhundert am Hof des kastilischen Königs Alfons X., genannt der Weise, (1252–1284) redigiert wurde. Darin wird Spanien als „Paradies Gottes“ bezeichnet, als „das scharfsinnigste, kühnste und tapferste aller Länder, wo alles im Überfluss zu finden sei“, es überrage „alle anderen Länder“ und werde „mehr als sie wegen seiner Treue“ geschätzt.

Als das Reich der Westgoten nach der muslimischen Invasion 711 abrupt zugrunde ging, war dies erklärungsbedürftig. Die erwähnte Nationalchronik weiß es als Ausgießung des göttlichen Zornes ob der Sünden in den letzten Jahren der Westgotenherrschaft (Spaltungen, Verrat, wieder aufkeimender Arianismus) biblisch zu interpretieren. Daher entzog Gott den Westgoten seinen Schutz „und entfernte von ihnen seine Gnade“. Dazu wird der bereits im Alten Testament geschichtstheologisch konnotierte Begriff „Zerstörung“ verwendet, eine Zerstörung, die schlimmer sei als die Zerstörung Babels durch die Perser, die Roms durch Goten und Vandalen oder die Jerusalems und Karthagos durch die Römer: „Die Säuglinge wurden gegen die Mauer geschleudert, die Knaben von Wunden zerfetzt, die Erwachsenen durch das Schwert getötet, die Alten starben auf dem Schlachtfeld, und alle verendeten im Krieg […]. In den Kirchen und Türmen, wo man früher Gott zu loben pflegte, bekannte man sich und rief man nun nach Muhammad.“

Endzeitkaiser/König

(2) Die joachimitische Tradition eines messianischen Endzeitkaisers ist spätestens seit den Schriften des Arnaldo de Vilanova um 1300 auch in Spanien präsent. Dieser prophezeite die Ankunft eines eschatologischen Königs, der den Antichrist besiegen, die Muslime aus Spanien vertreiben, Nordafrika und Jerusalem zurückerobern und die Universalmonarchie führen werde. Vilanovas Voraussagen wurden 1316 in Tarragona verurteilt, aber die Erwartung des genannten Königs war nicht aus der Welt zu schaffen, zumal die vielen zwangsbekehrten Juden im 15. Jahrhundert die Sehnsüchte ihres Messianismus auf die Könige von Kastilien und Aragón übertrugen.

Translationslehre

(3) Dazu kommt die Rezeption politischer Leitbegriffe der mittelalterlichen Christenheit wie „Translations-/Weltreichelehre“ und „Universalmonarchie“. Beide haben antike Wurzeln, sind aber auch biblisch geprägt. Gemäß der Translationslehre ist Gott derjenige, der „den Wechsel der Zeiten und Fristen“ bestimmt: „er setzt Könige ab und setzt Könige ein“ (Dan 2,21) und er lässt die Herrschaft von einem Volk zum anderen „wegen Gewalttat und Übermut“ (Sir 10,8) wandern. Diese Translationslehre wurde verbunden mit der Weltreichelehre aus dem Danielbuch (u.a. Dan 2,1–49), die eine Ost-West-Wanderung der Universalherrschaft nahelegt sowie die Ankunft eines fünften Weltreiches ankündigt, das nicht mehr untergehen werde. Der Stein, der im Traum Nebukadnezzars „ohne Zutun von Menschenhand“ (Dan 2,34) sich von einem Berg löste und das Standbild aus Gold, Silber, Bronze, Eisen und Ton (die vier Weltreiche) zermalmte und das fünfte Reich einleitete, wird mit der Hand Gottes identifziert. Das Römische Reich und seine christlichen Rechtsnachfolger im östlichen und westlichen Kaisertum galten als das vierte Reich, während das fünfte Reich, das Reich Gottes oder des Messias, das mit Jesus Christus angefangen habe, eigentlich ein jenseitiges sei, wenn auch bereits hier in der Kirche versinnbildlicht werde. Die Vollendung werde aber erst nach Erscheinen des Antichrists und dessen Depotenzierung eintreffen.

Universalmonarchie

Ähnlich verhält es sich mit der „Universalmonarchie“. Dieser Begriff, der biblisch auf die Zwei-Schwerter-Theorie zurückgeht, ist vor allem im Schatten der Auseinandersetzungen zwischen Papsttum und Kaisertum als Universalmächte entstanden. Kuriale Theologen und Juristen haben im 13., 14. und 15. Jahrhundert den päpstlichen Führungsanspruch begründet, während die auf der kaiserlichen Seite anders dachten; am Hof mächtiger, selbstbewusster Könige außerhalb des Reiches (Frankreich, Kastilien und England) entstand der Gedanke, dass der König ein Kaiser in seinem Reich sei, zumindest im Zeitlichen also keiner Universalmacht unterstellt sei.

Das „Spanische Jahrhundert“ konvergiert mit dem Höhepunkt und der Krise der genannten Leitbegriffe und der politischen Rezeption des Danielbuches. Es ist eine Zeit der Bestreitung von universalen Führungsansprüchen und der Suche nach einem Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Nationen und Königreichen der Christenheit. Letzteres wird sich beim Westfälischen Frieden (1648) durchsetzen.

Spanien, das spätestens seit den Katholischen Königen angefangen hatte, seine Ziele mit denen der Christenheit zu identifizieren, wird dies unter Karl V. und seinen Nachfolgern aus dem Hause Habsburg noch selbstbewusster tun. Im Deckenfresko, das Luca Giordano 1692 für das große Treppenhaus in El Escorial fertigstellte und das eine Apotheose (Gloria) der Habsburger darstellt, ist dieses Selbstverständnis plastisch ausgedrückt: Im offenen Himmel auf einer Wolke vor der Dreifaltigkeit kniend bietet Karl V. dieser in der linken Hand die Kaiserkrone und in der rechten die spanische Königskrone als Zeichen seiner Universalmonarchie dar, während sein Sohn Philipp II. (1527–1598), der keine Kaiserkrone mehr hatte, der Trinität einen katholisch gewordenen „Globus“ als Zeichen seiner weltweit missionierenden Monarchia Hispanica darbietet.

Das Spanische Jahrhundert

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