Читать книгу Gisela und der Frauenarzt - Marie Louise Fischer - Страница 14
ОглавлениеAls Ulrike am Nachmittag erschien, hatte Gisela schon alles für die Operation vorbereitet. Dr. Burg hatte sich auch vergewissert, daß eines seiner Klinikbetten frei war, denn die Patientin mußte zwei bis vier Tage nach dem Eingriff fest liegen.
Gisela nahm Ulrike erst an die Reihe, als das Wartezimmer sich geleert hatte. Sie schloß ab und legte den Arm um die Schulter der Jüngeren. »Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat. Komm!«
Ulrike war sehr blaß. »Wird der Doktor mir helfen?« fragte sie. »Wenn nicht, bin ich verloren. Ich könnt’s nicht überleben, glaub mir. Bei dem bloßen Gedanken werde ich wahnsinnig!«
Dr. Burg hatte die Tür zum Sprechzimmer weit geöffnet und winkte den Mädchen, sich zu beeilen. »Keine Sorge, Ulrike, wir bringen die Sache in Ordnung. Hier in der Praxis.«
»Wirklich? Das wollen Sie tun? Sie ahnen ja nicht …«
»Doch. Jetzt keine künstliche Aufregung, Ulrike, Sie werden bestimmt nichts spüren.«
»Haben Sie ein Absauggerät?«
»Nein. Sie sollten schon gemerkt haben, daß wir auf solche Fälle nicht eingestellt sind. Ganz davon abgesehen, ist das Absaugen nicht so harmlos, wie es von Laien gern geschildert wird. Es besteht die Gefahr, daß die Placenta, also der Mutterkuchen, von dem das Kind im Mutterleib lebt, nicht hundertprozentig entfernt wird. Ein winziger Rest genügt aber schon, um einen sehr bösartigen Krebs entstehen zu lassen, den sogenannten Zottenkrebs.«
Die Mädchen schauderten.
»Nur keine Sorge«, sagte Dr. Burg, »das kann bei einer instrumentalen Ausschabung, wenn sie sorgfältig durchgeführt wird, nicht passieren. Mut, Ulrike!«
»Kann ich nachher gleich nach Hause?«
»Nein, Sie kommen für ein paar Tage in die Klinik.«
»Aber dann müßte ich doch noch Bescheid sagen.«
»Nein, Ulrike«, erklärte Gisela, »das mache ich. Wenn alles vorbei ist. Damit wir keine überflüssigen Schwierigkeiten haben, werden wir so tun, als ob wir unmittelbar zum Eingriff gezwungen worden wären. Solche Fälle gibt’s nämlich.«
Ulrikes helle blaue Augen standen weit aufgerissen in dem weißen Gesicht. »Was wird mein Vater dazu sagen?«
»Wenn du es ihm nicht erzählst, wird er es nie erfahren!«
»Ulrike«, sagte Dr. Burg, »Sie können es sich noch einmal überlegen. Es kann ein sehr liebenswertes Kind werden, auch wenn Sie es nicht gewollt haben. Sie sind jung, Sie sind gesund, ich würde mit Ihrem Vater reden.«
»Mit dem kann man nicht reden. Der wirft mich raus.«
»Und was ist mit Ihrer Mutter?«
»Die hat sich seit Jahren nicht um mich gekümmert. Aber das ist nicht das Entscheidende. Wenn das Kind von Fred wäre, würde ich es durchkämpfen. Aber so, von einem so brutalen Kerl. Ich könnte es nicht einmal ansehn. Bitte, vergessen Sie, wenn ich dumm dahergeredet habe, helfen Sie mir!«
Gisela führte Ulrike in das Untersuchungszimmer. Beruhigend redete sie auf sie ein, während sie ihr auf der Liege die Schamhaare sehr sorgfältig abrasierte und sie danach mit einer sterilen Lösung abwusch. Um ihr die Angst zu nehmen, versuchte sie einige kleine Witze anzubringen, aber Ulrike konnte sich kein Lächeln abringen; sie wirkte sehr verkrampft.
Gisela half ihr auf den gynäkologischen Stuhl und schnallte ihre Beine in den erhöhten Haltern fest. Der Stuhl war mit sterilen Tüchern abgedeckt.
»Gleich spürst du gar nichts mehr«, sagte Gisela, während sie die Spritze mit einem Kurznärkotikum aufzog.
»Soll ich?« fragte sie Dr. Burg, der hereinkam.
»Nein, ich mache das schon selber.«
Gisela band Ulrikes rechten Arm ab, bis die Vene in der Ellenbogenbeuge sichtbar hervortrat, sterilisierte die Stelle, und Dr. Burg führte die Spritze ein. Ulrike zuckte beim Stich leicht zusammen, schlief aber schon ein, während das Mittel noch einlief.
Er zog die sterilen Handschuhe an, die Gisela ihm reichte, und führte ein sogenanntes Schnabelspektrum ein, einen Spiegel, mit dem er die Scheide leicht spreizen und nun die Scheide, den äußeren Muttermund und auch den Gebärmutterhalskanal, den Zervikalkanal, gut einsehen konnte.
»Halten Sie!«
Gisela übernahm den Spiegel.
Mit der Kornzange fuhr Dr. Burg in die Gebärmutter hinein und zog Stücke des Eihautsackes, zottiges, faseriges Material und schließlich das winzige Embryo heraus.
Unwillkürlich wandte Gisela das Gesicht ab.
Dr. Burg nahm ihr den Spiegel ab und zog ihn vorsichtig heraus. Dann fuhr er mit Zeige- und Mittelfinger in die Scheide ein. Da der Gebärmutterhalskanal fingerdurchlässig ist, ging er mit dem Zeigefinger in die Uterushöhle und bemühte sich, die Plazenta abzulösen. Das war ungefährlicher, als hätte er es mit einem Instrument versucht, und gelang in wenigen Minuten.
Es blutete jetzt sehr stark.
Er setzte noch einmal den Spiegel ein, den Gisela wieder halten mußte. Mit zwei Kugelzangen hakte er den äußeren Muttermund an und zog ihn etwas vor. Jetzt ging er mit der großen stumpfen Kürette hinein und entfernte die schon mit dem Finger gelösten Placentateile. Größere Gewebestücke, die er nicht durch den Zervikalkanal ziehen konnte, ergriff er mit der Abortzange, um sie zu entfernen. Dann ging er wieder mit der Kürette hinein und räumte systematisch die ganze Gebärmutterhöhle aus.
Dr. Burg preßte die Lippen zusammen. Dies war der gefährlichste Teil seiner Arbeit, und Gisela wußte es auch. Es konnte passieren, daß die Kürette durch die weiche Wand der Gebärmutter brach, und dann würde die Patientin verbluten.
Sorgfältig entfernte Dr. Burg die letzten Reste der Placenta.
»Das wär’s«, sagte er mit einem tiefen Seufzer und nahm Gisela den Spiegel ab, »ziehen Sie, bitte, eine Spritze Megerthin auf!«
Er injizierte das Kontrastmittel in die Gebärmutter, die sich jetzt schnell zusammenzog. Auch die Blutung hörte auf.
»Krankenwagen!« befahl er.
Während Gisela telefonierte, nahm er die Kugelzange ab und entfernte den Spiegel.
»Kommt sofort«, sagte sie.
Dr. Burg hatte sich aufgerichtet. »Verstehen Sie jetzt, warum ich das hasse? Dabei war es noch ein Glück, daß das Mädchen so früh gekommen ist … schon im dritten Monat zeigt das Ungeborene deutlich menschliche Züge.«
Gisela stand der kalte Schweiß auf der Stirn.
Es war schrecklich gewesen, und doch – es war ihr, als hätte der Schrecken, den sie gemeinsam durchgestanden hatten, sie und den Doktor enger miteinander verbunden.
»Ich danke Ihnen, daß Sie es getan haben«, sagte sie, »für Ulrike gab es keine andere Lösung.«
Eilig machte sie sich daran, das Blut fortzuwischen, säuberte die Patientin und reichte Dr. Burg einen frischen Kittel. Sie hatte gerade Ulrikes Beine aus der Halterung gelöst, als sie die Augen aufschlug. Ihr Blick, der zuerst aus weiter Ferne zu kommen schien, wurde angstvoll, als sie sich erinnerte.
»Es ist ausgestanden«, sagte Gisela, »du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen.«
Das junge Mädchen brach in Tränen aus.