Читать книгу Der Verachtete - Marieke Hinterding - Страница 17
In den nächsten Wochen
Оглавлениеwirtschaftete Udo mit seinem knappen Geld mehr schlecht als recht vor sich hin. Die Bankschulden drückten schwer auf sein Gemüt und trotz vieler Entbehrungen war es ihm nicht gelungen, Geld zur Tilgung zurückzulegen. Nach wie vor kamen Monat für Monat die teuren Überziehungszinsen hinzu, doch pünktlich zu Beginn des neuen Jahres konnte auch Udo neue Hoffnung schöpfen.
Er hatte einen 1-Euro Job in einer Kita zugewiesen bekommen! Fünf Stunden täglich sollte er ab dem 01. März dem Personal ergänzend zur Seite stehen. Fünf Tage waren es noch bis zum Ersten und er stellte sich im Gedanken seinen zukünftigen Aufgabenbereich vor. Und wie immer funktionierte in seinen Tagträumen alles ganz prima und er erfüllte seine Arbeit zur vollen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten...
Allerdings:1-Euro für eine Stunde Arbeit- das war nicht mehr als eine Anerkennung! Aber auf das Wenige war er angewiesen!
Wenn er ein halbes Jahr dort arbeitete, könnte er pro Monat hundert zusätzliche Euro zurücklegen, dachte er und dadurch endlich sein Konto ausgleichen.
Ja – die Aussichten waren nicht schlecht!-
Am Montag, dem 1. März stand Udo pünktlich um 8 Uhr im Büro der Leiterin. „Guten Morgen, da bin ich!“, sagte Udo, als er das Büro betrat.
„Schön“, antworte sie, „ dann kann ich Sie ja gleich den Mitarbeiterinnen vorstellen . Gehen wir in die Küche!“
„Guten Morgen, Frau A, darf ich Ihnen Herrn S. vorstellen? Er wird Sie im nächsten halben Jahr hier unterstützen“, begrüßte die Leiterin die Küchenchefin der Kita an ihrem Wirkungskreis.
Seine unmittelbare Vorgesetzte schien freundlich zu sein, sie lächelte ihn aufmunternd an und reichte ihm eine Schürze und ein Haarnetz rüber. „Das müssen Sie immer tragen – das sind Hygienemaßnahmen.“
„Herr S., ich überlasse sie jetzt ihrem Schicksal und hoffe, dass Sie sich bald gut eingearbeitet haben werden“, sagte die Leiterin jetzt und verließ die Küche.
„Frau G. ist heute nicht da“, sagte Frau A, „deshalb müssen wir heute ranklotzen und uns sputen!“ Im Eiltempo hatte Frau A .ihm nach dem Händewaschen gezeigt, wo Töpfe, Pfannen und Geschirr und andere Küchenutensilien zu finden waren, dann fing für Udo der Ernst des Lebens an....! -
Heute sei Geburtstagsfrühstück, erklärte Frau A. dem verdutzten Udo, als sie um viertel vor neun einen Kuchen aus dem Backofen holte und ihn anwies, zwanzig Brötchen durchzuschneiden und mit Leberwurst, Salami und Käse zu belegen. Kakao musste hergestellt werden, die Brötchenplatte musste mit Gurkenstückchen, Tomatenscheiben und Paprikastreifen verziert werden und dazu musste Udo eine Unmenge an Rohkost schnippeln. Udo tat, was er konnte, doch er wurde nicht, wie vorgesehen, bis halb zehn fertig. Und so kam es, dass eine der Pädagoginnen aus der Geburtstagsgruppe die Küche aufsuchte um ungeduldig nach dem Frühstück zu fragen. Frau A . vertröstete die Erzieherin, während sie bereits den Nachtisch für das Mittagessen anrichtete und versprach das Frühstück in zehn Minuten zu servieren. „Tempo, Tempo, Herr S“, sagte sie und stellte sich direkt neben Udo. Sie sah ihm jetzt einige Minuten beim Schneiden zu und Udo wurde so nervös, dass seine Hand anfing zu zittern.
„Also zittern braucht hier keiner!“, kommentierte Frau A. seine Angst . Udo war in diesem Augenblick so abgelenkt, dass er sich mit dem scharfen Messer in den Finger schnitt. „Autsch!“ Das Blut schoss aus der Wunde und obwohl Udo die Hand sofort aus dem Umfeld der Lebensmittel nahm, geriet Blut auf einen kleinen Teil der Garnierung. Jetzt war es vollkommen aus mit seiner Konzentration!
„Ich habe einen Fehler gemacht, was soll ich jetzt tun?“, dieser Gedanke beherrschte seinen Kopf, immer wieder kreiste der Satz in ihm und ließ keinen Platz mehr für eine wohlüberlegte Lösung des Problems.
Eh Frau A. etwas sagen konnte, putzte sich Udo das Blut an der Hose ab und fingerte nun mit der offenen Wunde an der Garnierung herum, wollte sie entfernen und infizierte nun auch noch eine Brötchenhälfte mit dem Blut!
Frau A. packte ihn hart am Arm und zog ihn aus dem Lebensmittelbereich weg, hinüber zum Erste-Hilfe Kasten.
„Also, Herr S., so geht das nicht!“, sagte sie wütend, während sie seine Wunde versorgte. „Sie beflecken die ganze Platte mit ihrem Blut, das ist eine der größten Hygienesünden, die Sie da begangen haben. Das nächste Mal denken Sie besser nach!“
Udo wurde wieder puterrot, er schämte sich und zu allem Unglück kam schon wieder die Erzieherin um nach dem Frühstück zu fragen.
„Herrn S. ist ein kleines Malheur passiert, Frühstück kommt in zwei Minuten“, antwortete Frau A. und wusch sich die Hände. Dann beseitigte sie alle Unreinheiten auf der Geburtstagsplatte großzügig, warf neben der Garnierung auch gleich drei Brötchen in den Abfall und beauftragte Udo dann, das Frühstück in die Löwengruppe zu bringen. „Den Gang entlang, die dritte Tür rechts, da ist die Löwengruppe“, befahl sie ihn dorthin...-
„Guten Morgen, hier kommt das Geburtstagsfrühstück!“, sagte Udo laut, als er die Tür zur Gruppe öffnete.
Die Kinder und ihre beiden Betreuerinnen hatten sich schon am Tisch versammelt und ungeduldig auf die Brötchen und den Kuchen gewartet.
„Oh, ein neues Gesicht bringt uns heute das Essen. Dürfen wir erfahren, wie Sie heißen, damit wir Sie beim Namen nennen können“, fragte die ihm noch nicht bekannte Erzieherin.
„Ich bin Herr S.“, antwortete Udo in die Runde, „und ich werde im nächsten halben Jahr die Küchenmitarbeiter unterstützen!“
„Das freut uns“, antwortete die Frau, „Ich bin Frau R. und die Leiterin der Löwengruppe.“
„Ich kenn `Dich, Herr S.“, rief ein Mädchen plötzlich. „Du wohnst bei uns.“ Tatsächlich. Udo erkannte den kleinen Blondschopf wieder. Sie wohnte mit ihren Eltern und ihrem älteren Bruder ganz oben in der 6. Etage.
Das schien ja mal ein guter Start ins Arbeitsleben zu sein! Es würde sich doch sicher blitzschnell herumsprechen, dass er nun einer Beschäftigung nachging und wahrscheinlich würde diese Tatsache ihn endlich im Ansehen seiner Nachbarn steigen lassen! Udo dachte nun besonders an seine Etagenmitbewohnerin Frau K.
Die würde sich wundern...! Wenn er sich Mühe gab, konnte er sich vielleicht hier Fertigkeiten aneignen und später irgendwo ganz normal als Küchenhilfe arbeiten...- Was wohl aus seiner Bewerbung als Hausmeister in Düsseldorf geworden war?, überlegte er jetzt. Die Neubert GMBH war ihm bis heute eine Antwort schuldig geblieben und Udo machte sich keine großen Hoffnungen mehr.
Aber: Dass er heute hier war - das schien ihm wie ein Sprungbrett ins Glück und er sah sich schon als zukünftigen Mitarbeiter in einer Betriebskantine routiniert und schnell dem Koch zuarbeiten...-
Udo war ganz im Gedanken als er den Kindern das Frühstück auftischte und so vergaß er sogar, dem Geburtstagsständchen beizuwohnen, obwohl Frau A. ihn ausdrücklich ermahnt hatte, darauf zu achten, dem Ehrentag des Kindes genügend Aufmerksamkeit zu schenken! Nur der säuerliche Gesichtsausdruck von Frau R. ließ Udo beim Hinausgehen vermuten, dass er etwas falsch gemacht hatte, doch erst als er die Küche wieder betrat und Frau A. ihn mit den Worten: „Sie sind ja schon wieder da!“ empfing, fiel ihm siedend heiß ein, dass er dem Geburtstagskind nicht einmal gratuliert hatte!
Wieder überzog Schamesröte sein Gesicht und er hatte Angst, dass ihn die Mitarbeiter und die Kinder nun für genauso gemein und herzlos halten würden, wie er sich jetzt fühlte. -
„Wir machen jetzt zwanzig Minuten Pause“, sagte Frau A. „wenn Sie frühstücken wollen, können Sie sich in den Mitarbeiterraum nebenan setzten.“
„Darf man da auch rauchen?“, fragte Udo.
„Nee, wenn Sie rauchen wollen, müssen Sie das Gebäude verlassen, hier herrscht absolutes Rauchverbot.“
Udo lief zur Garderobe und holte seinen Tabak hervor. Den ganzen Vormittag über hatte er gegen das Rauchverlangen angekämpft, jetzt durfte er sich endlich eine anstecken! Noch während er zur Tür hinauslief, drehte er sich eine Zigarette um sie dann sofort gierig draußen vor der Tür anzuzünden und den giftigen Rauch des Glimmstängels einzuatmen.
Aah, das tat gut! Udo hüstelte etwas. Ob er nochmal in die Löwengruppe gehen sollte, um dem Kind zu gratulieren?, fragte er sich. Nein – Udo hatte jetzt eine bessere Idee: Morgen früh wollte er mit einer kleinen Überraschung aufwarten - als kleine Wiedergutmachung für vergessene Geburtstagsglückwünsche. Ja, das war eine Idee! Udo klopfte sich innerlich auf die Schulter und rauchte gedankenverloren eine Zigarette nach der anderen...-
„Herr S., Sie sind pünktlich wie die Maurer“, empfing ihn Frau A., als er seinen Arbeitsplatz wieder betrat, „aber riechen tun Sie wie ein voller Firmenaschenbecher!“ Udo war es peinlich, dass Frau A. ihn auf seinen Zigarettenkonsum ansprach. Kein Mensch sollte erfahren, wie sehr Udo sein Umgang mit dem Tabak innerlich beschäftigte und so versuchte er seiner Stimme einen gleichmütigen Klang zu geben als er sagte: „Ja, ja, ein blödes Laster, dem ich verfallen bin!“, doch kaum hatte er den Satz ausgesprochen, spürte er den gefürchteten Hustenreiz in sich aufsteigen. Er schluckte, nahm sich ein Glas Wasser und trank, doch nichts half – unbarmherzig war er jetzt einer minutenlangen Attacke ausgesetzt, gekrümmt und nach Luft schnappend schleppte er sich nun ausgerechnet vor die Anrichte, auf die Frau A. schon den Nachtisch für das Mittagessen gestellt hatte.
„Herr S., husten Sie nicht das Essen voll! Gehen Sie da weg!“, rief ihm nun Frau A .zu. Udo drehte sich um und versuchte noch einen Schluck zu trinken, doch kaum hatte er das Wasser im Mund, überkam ihn wieder der Husten. Damit er das Wasser nicht ausspucken musste, versuchte er nun mit geschlossenem Mund dem Reiz im Hals Herr zu werden, vergeblich!
Udo hustete jetzt wieder so stark, dass sich sein Mund ohne sein Zutun öffnete und die Flüssigkeit in hohem Bogen hinaus schoss...
Aus den Augenwinkeln sah er nun Frau A. auf sich zukommen. „Herr S.!“, sagte sie aufgebracht, „Sie haben eine Gesundheitsbelehrung mitgemacht, bevor Sie hier angefangen haben! Man hat Sie außerdem über alle notwendigen Hygienevorschriften informiert!
Was soll das? Haben Sie alles vergessen? Wenn Sie eine ansteckende Krankheit haben, müssen Sie sich gefälligst krankschreiben lassen! Und husten Sie nicht noch einmal auf das Essen, sonst werde ich ungemütlich! Oder glauben Sie vielleicht, wir wollen alle nächste Woche das Bett hüten, weil Sie uns angesteckt haben?“-
„Was muss ich heute für einen Eindruck hinterlassen haben?“, dachte Udo, als er an diesem Tag nach Hause gekommen war und vor seinem inneren Auge liefen noch einmal die langen Arbeitsstunden des Tages ab: Unfreundlich bis zum Schluss war Frau A. nach dem gnadenlosen Hustenanfall geblieben und kühl und distanziert hatte sie ihn schließlich in den Feierabend geschickt.
Udo zog an seiner Zigarette und lief hinüber ins Badezimmer. Er betrachtete sein Gesicht und fletschte die Zähne. „Idiot! Idiot! Idiot! Musstest Du wieder rauchen? Und nachgedacht hast Du auch mal wieder nicht! Stellt man sich vielleicht direkt vors Essen, wenn man hustet? Idiot! Idiot! Idiot!“, presste er die fast unbezwingbare Wut auf sich selbst durch die fest zusammengebissenen Zähne und schaute dabei unentwegt sein Spiegelbild an, das ihm abgrundtief hässlich erschien und ihn an eine schmerzverzerrte Fratze erinnerte.-