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Eine Woche später:

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Udo hatte sich gerade ein neues, billiges Päckchen Tabak gekauft, als er vor der Eingangstür des großen Mietshauses, in dem er wohnte , den Briefträger hantieren sah, der den Bewohnern, wie immer, routiniert die Post einwarf. Ob heute Post von der Arge dabei war? Udo betrat das Haus und wartete. Wartete darauf, dass das Klappern der Briefkästen ein Ende hatte und der Briefträger seine Arbeit getan hatte. Dann öffnete er seinen Kasten.

Zwei Briefe waren heute dabei. Der eine war, wie befürchtet, von der Arge, der andere von den Stadtwerken.

In seiner Wohnung angekommen, riss Udo den Umschlag mit dem Arge-Brief auf. Er schluckte: Die Leistungsabteilung hatte ihn, wie schon erwartet, mit Sanktionen belegt. Dreißig Prozent seiner Bezüge sollten ihm für drei Monate gestrichen werden. Weil er seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen war, hieß es. Außerdem wurde ihm schließlich mit weiteren Kürzungen gedroht, sollte er weiterhin nicht alles tun, seine Arbeitslosigkeit zu beenden. Udo setzte sich in seine kleine Küche und stopfte sich eine Zigarette: Dreißig Prozent von 347 Euro. Das waren, 104 Euro. 347 Euro weniger 104 Euro, das machten noch 243 Euro. Davon musste er abziehen:30 Euro für seine Internet und Telefonflatrate und 90 Euro für Strom und Gas. Das machte dann:123 Euro monatlich für Essen, Trinken, Kleidung, Tabak und Sonstiges. 123 Euro geteilt durch 30 Tage: 4 Euro und genau 10 Cent täglich!

Udo rauchte bereits die zweite Zigarette, als ihm einfiel, dass im Flur noch der Brief von den Stadtwerken lag. Was wollten die schon wieder?

„Lieber Gott“, dachte er, „lass es keine Rechnung sein!“ Sein Gebet aber wurde nicht erhört. Eine Nachzahlung sollte er leisten von sage und schreibe 100 Euro! Außerdem waren ab dem nächsten Monat höhere Abschlagszahlungen fällig. Jeden Monat sollte er jetzt fast 100 Euro zahlen! Udo war verzweifelt.

Wo sollte er das Geld nur hernehmen? Er hatte keinerlei Ersparnisse und er wusste niemanden, der ihm Geld hätte leihen können. Die einzige Idee, die er hatte, war, sein Konto zu überziehen. Ja, das war die Rettung! Er würde das Geld einfach überweisen, auch wenn sein Konto nicht gedeckt war!

Das wollte Udo dann sofort in Angriff nehmen und so setzte er sich an seinen Computer und überwies per Internet die Forderungen der Stadtwerke. Alles andere würde sich finden, überlegte er; man sollte ja optimistisch denken.-

Zwei Wochen später hatte Udo 40 Bewerbungen geschrieben und in Briefumschläge gesteckt. Die Firmen hatte er sich aus dem Telefonbuch gesucht und je nach Branche hatte er sich mal als Bäcker und Konditor, mal als LKW Fahrer und sogar als Steuerfachgehilfe beworben .Und das, obwohl er noch niemals einen Kuchen gebacken , auch keinen Führerschein für Lastwagen oder die geringste Ahnung vom deutschen Steuerrecht hatte; aber was sollte er tun, Jobs für Ungelernte wie ihn waren selten ausgeschrieben. Und die Arge saß ihm im Nacken!

Tag für Tag hatte er lediglich zwei seiner zahlreichen Bewerbungen losgeschickt; er musste auf das Porto achten denn mehr als 1-Euro 10 täglich konnte er nicht mehr abzweigen.

Für die nächsten 20 Tage hatte er nun wegen des Bewerbungs-Portos statt der errechneten 4 Euro 10 nur noch 3 Euro zur Verfügung für den täglichen Bedarf und bei der Bank hatte er ein überzogenes Konto, von dem er noch nicht wusste, wie er das jemals wieder ausgleichen sollte...!-

So vegetierte Udo S. die nächsten Monate vor sich hin: Zum Frühstück gab es täglich geröstete Haferflocken, mittags gebratenen Kohl und Kartoffeln und abends Quark mit Marmelade.

Nur manchmal- manchmal hielt er es einfach nicht mehr aus, dann musste es sein: Er kaufte sich eine billige Packung Bratwurst! Einmal hatte er sogar ohne Rücksicht auf Verluste 3 Kassler Stiel-Kotelett für 3,13 Euro vom Netto gekauft.-

Es war Samstagvormittag, einige Wochen später, als Udo den Anruf bekam. Zeitarbeitsfirma T. war am Telefon, der Chef höchstpersönlich. Man hätte seine Bewerbung erhalten und wolle ihn kennenlernen. Heute noch, sagte der Mann am anderen Ende der Leitung und obwohl Wochenende war und er sich gerne den preisgekrönten Film im Fernsehen angesehen hätte, der schon seit Wochen angekündigt war, verabredete sich Udo für 15 Uhr im Büro der Zeitarbeitsfirma T. Udo stiegen die Tränen in die Augen, denn die Fahrt würde ihn wiederum über 4 Euro kosten. Udo checkte via Internet bei seiner Bank ein und mit großer Besorgnis stellte er fest, das sein Konto bereits seit einigen Wochen um mehrere Hundert Euro überzogen war!

Udos Rechnung war nicht aufgegangen: Er hatte umgerechnet weit mehr als 4 Euro täglich ausgeben müssen! Immer kam etwas dazwischen!

Mal hatten sich die Sohlen seiner bereits sehr alten Schuhe gelöst, mal ging das Toilettenpapier aus oder das Waschpulver, ein andermal meldete sich seine Haftpflichtversicherung und wollte Geld sehen!

Wie lange würde seine Bank noch mitspielen? Bei dem Gedanken bekam Udo eine Panikattacke und er wagte es nicht, ihn zu Ende zu denken.-

Es war 13 Uhr, als sich Udo langsam auf das ihm bevorstehende Bewerbungsgespräch vorbereitete. Schon während er duschte, überlegte er sich, wie er dem Personalchef am besten seine langjährige Arbeitslosigkeit erklären konnte: Wenn er den Job haben wollte, durfte er keineswegs seine physisch und psychisch instabile Gesundheit erwähnen, dachte er. Seine Depressionen zu verschweigen wäre kein Kunststück, aber was war mit seinem chronischen Husten? Oft genug hatte der Arzt ihn gemahnt, endlich das Rauchen aufzugeben, aber Udo konnte es einfach nicht lassen! Zu stark war die Sucht und bisher hatten ihn weder monatelange Schlafstörungen noch Ohnmachtsanfälle, die ihn eben wegen des ständigen Dauerhustens quälten, von seinem Laster abhalten können!

Doch dieses Mal, so schwor sich Udo, würde sich alles zum Guten wenden! Wenn er den Job hätte, würde ihm sowieso die Zeit fehlen, ununterbrochen zu rauchen, dachte er und vielleicht konnte er ja sogar Anschluss finden bei seinen zukünftigen Kollegen. Während er sich nun frische Wäsche aus dem Schrank holte, malte er sich seinen nächsten Geburtstag aus: Viele Freunde wollte er dann einladen und der Arbeitsplatz wäre der ideale Ort, Menschen kennenzulernen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Seine jahrelange Armut, seine Einsamkeit im sozialen Abseits –das sollte nun ein schnelles Ende haben!

Udo war plötzlich beseelt von einem unerschütterlichen Optimismus. Alles würde sich zum Besten wenden! Seine Zukunft schien ihm mit einem Mal rosarot und er verbat sich jeden aufkommenden Zweifel, zu lange hatte er auf eine Chance wie diese gewartet...-

Ein starker Regen hatte den Tag begleitet und Udo war völlig durchnässt, als er das relativ kurze Stück Fußweg von der Bushaltestelle hin zur Zeitarbeitsfirma T. zurückgelegt hatte. Zwischen mehreren Arztpraxen, einer Immobilienfirma und einem Sonnenstudio war auch Udos Firma ausgewiesen, sie befand sich laut Hinweisschild im 3.Stockwerk rechts.

Udo zögerte. Eine Viertelstunde hatte er noch Zeit bis zum Vorstellungstermin und so nutzte er die verbliebene Zeit, sich noch eine Zigarette anzustecken. Um seine Nervosität zu bekämpfen - wie er sich Glauben machte.-

Der Verachtete

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