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Auch in den vorfestlichen Tagen

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gab es für Udo keinen Grund aufzuatmen, er empfand das Arbeitsklima zunehmend als Belastung und er hatte sich in den wenigen Tagen, die er in der Kita arbeitete, angewöhnt, immer abends einige Gläser Wein zu trinken, damit er seinen Kummer wenigstens für kurze Zeit vergessen konnte. Vor den Schlafzimmerspiegel hatte er sich in der Zeit immer gestellt, in der einen Hand hielt er dann das volle Weinglas, in der anderen eine brennende Zigarette. „Auf Dein Wohl, Du Versager!“, so prostete er täglich seinem Spiegelbild zu und während er dafür gesorgt hatte, dass sein Gegenüber im Spiegel ihm unentwegt abfällig ins Gesicht blickte, ließ er in schöner Regelmäßigkeit die Ereignisse des Tages gedanklich an sich vorüberziehen. Jeder Fehler und jede Unachtsamkeit, die er im Laufe der Tage gemacht hatte, wurde dabei gnadenlos kommentiert; immer wieder beschimpfte er sich mit wilden Gesten als Idioten und Versager, solange bis ihn die aufkommende Trunkenheit müde gemacht hatte und er erschöpft ins Bett gewankt war.-

„Wenn das jemand ahnen würde, was Du abends immer vorm Spiegel treibst, würde er Dich für verrückt erklären“, dachte Udo am Morgen des Gründonnerstages .Sein abendliches Verhalten kam ihm nicht ganz geheuer vor: Er ließ Dampf ab, überlegte er. Aber war es richtig, dass er sich selbst zu seiner eigenen Zielscheibe für Spott und Hohn machte?“

Udo rauchte um 8 Uhr dreißig bereits seine sechste Zigarette, sein Kampf gegen seine Tabakabhängigkeit und gegen den Husten war einer Gleichgültigkeit gewichen. Was nutzte es vor Gesundheit zu strotzen, wenn Frauen wie Frau A. und Frau G. ihm das Leben schwer machten?

Bislang hatte er noch nie etwas recht machen können, mal war er in ihren Augen zu langsam, mal zu unsauber, ein andermal hatte man ihm ein ungepflegtes Äußeres vorgeworfen! Und immer wieder war sein Husten der Anlass zur Kritik gewesen. Unappetitlich hatten sie ihn genannt!

Udo hatte sich die Vorwürfe stets sehr zu Herzen genommen. “Wenn a l l e sagen, dass Du langsam bist und schlampig, wird an den Anschuldigungen wohl etwas dran sein, Udo S!“ Mit diesem Satz auf den Lippen verließ er schließlich seine Wohnung und lief rauchend und mit schnellen Schritten das kurze Stück bis zur Kita.-

Leise klassische Musik drang aus den Kindergruppen in Udos Ohren, die Kleiderhaken waren voll behangen. Die Mütter und Väter der Kleinen waren heute zahlreich gekommen, um an der alljährlichen Osterfeier der Einrichtung teilzunehmen. Udo lief in Richtung Küche, als ihm das kleine Nachbarmädchen aus seinem Mietshaus begegnete. „Hallo, Kleine, warum bist Du denn nicht in Deiner Gruppe?“

„Ich musste mal, Herr S.“, antwortete sie und verschwand Richtung Löwengruppe.

Udo betrat nun seinen Arbeitsplatz, begrüßte wie jeden Morgen höflich Frau A. und Frau G., und wartete dann auf die Arbeitsanweisung von Frau A.

Frau A. und Frau G. waren eifrig damit beschäftigt, sehr dekorativ Aufschnittplatten zu belegen und Udo stand einige Minuten untätig herum.

„Also, Herr S., Sie sind doch heute nicht den ersten Tag hier“, sagte schließlich Frau A. „Allmählich müssten doch selbst Sie sehen, wo die Arbeit ist! Rühren Sie mal den Kakao an, dann haben Sie was zu tun!“

Wie gemein die Worte waren! Und dann dieser Tonfall!

Udo schüttelte sich innerlich und wieder kam, wie in letzter Zeit öfter, Zorn in ihm auf. Wie lange würde es ihm noch gelingen, all die Demütigungen, die ihm bereits seit sehr langen Jahren immer und überall widerfahren waren, zu ertragen, fragte er sich , während er widerspruchslos die Getränke bereitete.

Um halb zehn schließlich war es soweit. Die Essenswagen waren österlich angerichtet, mit allerlei süßem und herzhaftem Zeug sowie mit zahlreichen buntgefärbten Eiern, die in kleinen grünen Nestern lagen und dem Ganzen ein festliches Flair gaben. Ungeduldig wartete Udo nun auf seinen täglichen Einsatz in der Löwengruppe und endlich gab Frau A. grünes Licht. Die drei Küchenmitarbeiter schoben je einen der Wagen in die drei Kindergruppen.

Gott sei Dank - nur noch dreieinhalb Stunden bis zum Feierabend, dann würde ein viertägiger Kurzurlaub vor ihm liegen! dachte Udo. Der war auch dringend nötig, fand er: Frau A.`s bissige Bemerkungen ihm gegenüber hatten zugenommen und auch das ständige alberne Kichern von Frau G. war ihm langsam unerträglich...

Immer, wenn er etwas falsch gemacht hatte und Frau A. dann wütend oder ironisch ihren Senf dazu abgab, fing Frau G.an, zu kichern!-

Udo klopfte nun an die Tür zur Löwengruppe und trat ein.

Eltern und Kinder saßen in großem Kreis um die Tische. „Einen wunderschönen guten Morgen, wünsche ich!“ ,sagte Udo laut in die Gruppe, „ich sehe, die Eltern sind zahlreich erschienen!“

„Herr S, meine Mama und mein Papa konnten nicht kommen!“, hörte er das Mädchen aus seiner Nachbarschaft jetzt sagen.

„Das ist aber schade“, sagte Udo. „Hatte niemand heute für Dich Zeit?“

„Nein, Herr S., mein Papa hat gesagt, er hat es nicht so gut wie Du, Herr S! Papa hat gesagt, er und Mama müssen heute arbeiten.“

„Aber ich arbeite auch“, sagte Udo. „Das Frühstück macht sich auch nicht von alleine!“

„Das stimmt nicht, Herr S.! Papa hat gesagt, dass Du hier bist, weil Du noch nicht richtig arbeiten kannst! Du musst das erst noch lernen! Papa hat gesagt, Du bist ein Schmarotzer! Herr S, sag mal, was ist ein Schmarotzer?“

„Sophie, setz Dich bitte vernünftig hin, damit wir frühstücken können!“

Es war jetzt mucksmäuschenstill in der Gruppe, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Alle Augen schienen auf Udo zu ruhen, als er nervös und mit fahrigen Fingern das Frühstück auf die Tische deckte.

„Guten Appetit wünsche ich noch“, sagte er und verließ dann fluchtartig den Raum. Ihm war eiskalt und es war ihm als streue man Salz in die klaffende Wunde seiner Seele, als er die österliche Gemeinschaft von drinnen im Chor rufen hörte: „Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb, piep, piep, piep , guten Appetit.“-

Der Verachtete

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