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Wenn Teddybären Nationen bedrohen

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Der Teddybär ist eng mit deutscher Wirtschaftsgeschichte verbunden. Margarete Steiff, eine ihr Leben lang an Kinderlähmung leidende Schwäbin, hatte damals für eine Frau – noch dazu für eine behinderte Frau – etwas Ungewöhnliches getan: Sie wurde Unternehmerin und schenkte den Kindern der Welt den Teddybären. Im Jahr 1902 hatte ihr Neffe Richard den ersten Teddybären entwickelt, bereits im Jahr 1907 wurden fast eine Million davon gekauft. Speziell in den USA war das Plüschtier, das seinen Namen dem amerikanischen Präsidenten Theodore „Teddy“ Roosevelt, einem leidenschaftlichen Bärenjäger, verdankte, ein Riesenerfolg.

Die Zeitungen berichteten ausführlich darüber. Eine ganze Seite des The San Francisco Sunday Call vom 18. November 1906 widmete sich reich illustriert dem Teddybärphänomen. Viel öffentliche Aufmerksamkeit erhielt die Omnipräsenz von Teddybären in Kinderhänden. Vor allem überraschen uns aber Berichte, dass Teddybären offenbar bei erwachsenen Frauen der letzte Schrei waren.

Sommerbesucher in einem bestimmten Pariser Hotel waren es gewohnt, ein oder zwei besonders schöne Französinnen mit Teddybären als Begleiter ins Restaurant kommen zu sehen, die an den Seiten der Damen platziert waren, während der einstige Lieblingshund, die französische Bulldogge, mit Fledermausohren oben allein seine Gefühle pflegte. Seine arme kleine Nase – oder was es davon noch gibt – ist ziemlich beleidigt, und er fragt sich, wie lange sein lächerlicher Rivale noch regieren wird.

Auch über eine der neuesten Mode nach elegant gekleidete junge Dame wird berichtet, die von einem Knuddelbären als Kompagnon begleitet wurde, der mit ernster Miene auf dem Beifahrersitz ihres elektrisch angetriebenen Columbia Victoria saß, während sie mit „äußerster Unbekümmertheit“ durch den Central Park in New York preschte.

Das Mädchen sah völlig ahnungslos aus, dass sie irgendetwas Ungewöhnliches oder Erstaunliches tat, als sie an den Scharen von Fußgängern vorbeirollte und sich ihren Weg durch das Gewirr von Fahrzeugen bahnte, die sich in einer langen Prozession bewegten. Sie wurde augenblicklich zum Mittelpunkt für jedes Augenpaar, und der Gedanke, der in den Köpfen derer aufblitzte, für die dieser Anblick eine Neuheit war – hat der Teddybär nun sowohl den Platz des Pudels als auch den der Puppe eingenommen?

Was uns die offizielle Geschichtsschreibung des Steiff’schen Plüschtierimperiums verheimlicht, ist die Kontroverse, die Teddybären in den USA auslösten. So erschien in den Zeitungen des Landes ein Abdruck einer Predigt, die Pfarrer Michael G. Esper am Sonntag, dem 7. Juli 1907 in der katholischen Pfarrei St. Joseph in Michigan gehalten hatte:23

Rassenselbstmord, die größte Gefahr, der sich diese Nation heute gegenübersieht, wird von der Marotte gefördert und ermutigt, die guten alten Puppen unserer Kindheit durch das schreckliche Ungeheuer namens Teddybär zu ersetzen. Die eigentlichen Mutterinstinkte eines heranwachsenden Mädchens werden abgestumpft und oft zerstört, wenn dem Kind erlaubt wird, ein unnatürliches Spielzeug dieser Art mit der liebevollen Zuwendung zu überhäufen, die so schön ist, wenn sie einer Puppe zuteilwird, die ein hilfloses Kind darstellt. Mir bot sich noch nie ein ekelhafterer Anblick als das Schauspiel eines kleinen Mädchens, das diese Pseudo-Tiere streichelt, liebkost und sogar küsst. Es ist eine Schande für das amerikanische Volk, das unter der Verkümmerung des Mutterinstinkts der zukünftigen Frauen leiden wird, durch diesen Ausbund an Abscheulichkeiten, die schädlichste und abstoßendste Naturfälschung, die je begangen wurde.

Diese Predigt wurde in den nächsten Wochen in sämtlichen US-Zeitungen abgedruckt, sie ging viral.

In der Washington Post vom 8. Juli 1907 wurde von einem weiteren Zwischenfall mit einem Teddybären berichtet. Ein vierjähriger Knabe namens Edward N. Hackett war aus einem Fenster im dritten Stock in Brooklyn gekippt und auf eine darunterliegende Markise gefallen. Von der war er abgerollt. Weil er sich dabei die ganze Zeit an seinen Teddybären festgeklammert hatte, hielt er diesen auch noch, als er am Boden ankam. Beim Aufprall bremste das Plüschtier seinen Sturz und der kleine Edward kam unversehrt davon. Während diese gute Teddybärennachricht im Blattinneren versteckt war, befand sich auf der Titelseite derselben Ausgabe aber Espers Predigt unter der Schlagzeile: „Die Teddybär-Modeerscheinung zerstört den mütterlichen Instinkt und führt zum Rassenselbstmord!“ Schon damals galt das Motto „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“.

Und das war der Auftakt zu einer großen Kontroverse um die knuddeligen Teddybären, die als so gefährlich angesehen wurden, dass sie eine ganze Zivilisation ins Verderben stürzen können. Nur, woher kam dieser Widerstand?

Dazu muss man wissen, dass Kinder als Miniaturversionen von Erwachsenen betrachtet wurden. Es war selbstverständlich, dass man sie zur Arbeit heranzog und Spielzeug und Kinderbücher einen moralischen und erzieherischen Unterton hatten. Wir bemerken das, wenn wir alte Kinderbücher und Märchen lesen. Alles war darauf ausgelegt, Kinder auf ihre zukünftige Rolle in der Gesellschaft und Arbeitswelt vorzubereiten. Mädchen erhielten Spielzeug, das Fähigkeiten vom Bügeln, Nähen bis zum Aufziehen von Kindern vermittelte. Knaben machten sich mit dem Schießgewehr vertraut. Kinderbücher sollten erwünschte und „richtige“ Verhalten aufzeigen.

Genau deshalb war ein Teddybär so kontrovers. Während Puppen Mädchen auf ihre Rolle als Mutter vorbereiteten – also somit erzieherisch „wertvoll“ waren –, stellten Teddybären ein abstraktes, unnatürliches Wesen dar, das gemäß den Moralaposteln dieser Zeit auf keine gesellschaftlich nützliche Aufgabe vorbereitete. Und die jungen Damen, die in Teddybärenbegleitung Pariser Restaurants besuchten oder einen als Beifahrer in ihren Elektroautos in New York ausführten, bestätigten nur die Befürchtungen. Gebärfähige Frauen, von denen erwartet wurde, dass sie den Fortbestand der Zivilisation sicherten, indem sie endlich heirateten und Kinder gebaren, widmeten sich lieber einem monströsen Plüschtier. Und das kam noch dazu aus Deutschland.

Wir als moderne Menschen sind selbstverständlich darüber erhaben, dank des Fortschritts schmunzeln wir nur mehr über die Rückständigkeit und den Eifer dieser Frömmler. Wer sieht heute noch Teddybären als Gefahr für den Erhalt der Rasse und Symbol des Niedergangs unserer Zivilisation?

Aber die Dämlichkeit der Teletubbies, die Gewaltorgien bei „Tom und Jerry“, die Spinnereien von Pippi Langstrumpf, die einen Aufstand gegen die Erwachsenenwelt macht, Videospiele, die Kinder einsam und gewaltbereit machen, das sind heute selbstverständlich absolut berechtigte Sorgen vor dem Zusammenbruch unserer Zivilisation. Das ist etwas ganz anderes!

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