Читать книгу Circles of Fate (2). Schicksalssturm - Marion Meister - Страница 10

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Tegan berührte die Backsteine des Durchgangs zu Neal’s Yard und trat durch den Schleier, der die Menschenwelt vom Kami-Viertel trennte.

Bisher war sie nur ein Mal hier gewesen, in ihrer Ausbildungszeit. Schon damals konnte sie den Geistwesen nichts abgewinnen und hatte ihre Aufgabe hastig erledigt. Auch jetzt wirkte die Gasse, die auf einen schmalen Platz innerhalb der Wohnhäuser führte, schmuddelig. Ruß tauchte die Wände in ein lichtloses Grau. Sowohl vor den Läden als auch an den kleinen hölzernen Erkern in den höheren Stockwerken flatterten Stoffe und Planen. Vielleicht um zu trocknen oder als Sonnensegel oder Sichtschutz?

Tegan mochte das Kami-Viertel nicht. Sie mochte die Kami nicht. Es fehlte ihr bei ihnen an Sauberkeit, an Grün und Frische. Egal, in welches Schaufenster sie blickte, sie sah nur Nippes, Nutzloses, Zerbrochenes, Altes, Verlorenes. Die Kami fristeten ein Leben zwischen den Welten. Sie beherrschten keine elementare Magie wie die Unsterblichen und wurden deshalb von diesen ignoriert. Und doch verfügten sie über Einfluss auf die Menschen. Sie konnten ihnen Hoffnung geben, ihren Willen stärken, Ideen und Glück schenken.

Als die Menschen noch an Götter geglaubt hatten, waren die Kami ebenfalls gut gestellt gewesen. Die Menschen hatten ihnen an Haus- und Straßenaltären Opfer gebracht und die Kami lebten in Wohlstand. Inzwischen huldigten die Menschen ihren Erfindungen. Nur noch wenige baten Kami um Hilfe. Auch die Unsterblichen waren von den Menschen vergessen worden und langweilten sich. Die Kami hingegen hatten sich auf den Handel mit magischen Hilfsmitteln, Talismanen und Heilkräutern spezialisiert. Hier in diesem Innenhof hatten sich die letzten Kami Londons zusammengefunden. Einige kümmerten sich noch immer um die Hilferufe der Menschen, die an den Straßen- und Hausaltären die Kami anriefen. Doch die meisten sammelten Zeug, um es zu verkaufen.

Das Wetter im Kami-Viertel entsprach dem Wetter Londons. Der Herbst hatte auch hier Einzug gehalten und kalter Wind strich um die Häuser. Ohne ihren Pullover fröstelte Tegan leicht. Sie zog den Mantel enger und steuerte auf den Pub zu. Ein geschnitztes Schild, das wohl einen Feuer speienden Drachen darstellen sollte, hing über der niedrigen Eingangstür. Die Front des Pubs war aus Holzfachwerk, dreckige Fensterscheiben zeigten gelbes Licht und Schemen, die sich dahinter bewegten.

Falls Rukar nicht sowieso Stammgast in der Kneipe war, würde sie hier mit Sicherheit alles über ihn erfahren. Kami sammelten nicht nur Dinge, sie sammelten auch Informationen.

Tegan holte tief Luft und zog den Kopf ein, da die Tür so niedrig war, und stellte sogleich fest, dass die Zimmerdecke kaum höher war.

Der Schankraum war spärlich gefüllt. Ein paar Gäste saßen am Tresen und kleine Grüppchen an vereinzelten Tischen. Dennoch roch die Luft abgestanden, nach Moder und kaltem Fett. Inzwischen musste es kurz vor Mittag sein. Aber dies war sicherlich kein Speiselokal.

Sämtliche Unterhaltungen erstarben und gut ein Dutzend Kami starrten sie an.

Na, wundervoll. Sie hatte auf weniger Aufmerksamkeit gehofft.

Um ihre Nervosität zu verbergen, marschierte Tegan geradewegs zum Tresen, hinter dem ein kleinwüchsiger Kami auf einem Schemel stand und Bier zapfte. Er musterte sie abweisend aus gold schimmernden Augen.

»Was sucht eine Weberin im Roten Drachen?«

»Ich suche ein Halbblut namens Rukar. Und ich bin mir sicher, jemand von euch kann mir etwas über ihn sagen.«

Noch immer herrschte angespanntes Schweigen. Ein paar Ewigkeitslichter baumelten von der Holzdecke, doch die Laternen waren derart verstaubt, dass nur wenig Licht hindurchdrang.

Einige Kami an den Tischen hatten gewürfelt oder über ihre Pints hinweg diskutiert. Nun aber waren alle Blicke auf sie gerichtet. Nervös stricht sie sich die lila Strähne hinters Ohr.

Nicht alle Kami behielten ihre menschliche Form, wenn sie im Kami-Viertel waren. So saß ein knorriger Baum zusammen mit einer hutzeligen Schildkröte bei einem Würfelspiel. Drei Männer, gedrungen wie Felsen und mit ebenso grauer Haut, hockten weit hinten in einer Eckbank. An dem Tisch gleich neben ihr saßen drei Kami. Einer hatte etwas Katzenartiges an sich, obwohl er sich ein menschliches Aussehen gab. Seine Augen verrieten ihn. Dem Zweiten in der Runde gelang das Menschliche hervorragend. Auf der Straße hätte Tegan ihn niemals für einen Kami gehalten. Sein Haar schimmerte kupferfarben und er unterstrich die Farbe noch mit dem moosgrünen Samtsakko, das er trug. Er musterte Tegan aufmerksam. Neben ihm kauerte eine Frau. Sie verschwand fast unter ihrem grauen Poncho, der schon so zerschlissen war, dass er in Fetzen an ihr herabhing. Für einen Augenblick kam es Tegan vor, als bewegten sich die Fetzen wie Nebel über einem Moor.

»Kann mir einer von euch sagen, wo ich Rukar finde?«, sagte sie laut in die Runde.

Dumpfes Gemurmel erhob sich und verebbte jedoch sogleich. Schildkröte und Baum wandten sich ihrem Würfelspiel zu. Auch die Steinkami nahmen ihr Gespräch wieder auf. Immerhin wurde sie nun nicht mehr von allen angestarrt. Vermutlich war Rukar als Halbblut hier genauso wenig gern gesehen wie ein Unsterblicher. Denn die hatten in den letzten Jahrhunderten keine Gelegenheit ausgelassen, den Kami zu zeigen, dass sie in ihren Augen Unwürdige waren. Ein bisschen konnte Tegan das verstehen, da sie ebenfalls der Meinung war, dass Kami keinen Stolz hatten und die Anbetung der Menschen nicht wirklich verdienten.

Die Nebelfrau hatte sich erhoben. Ohne dass ihre Füße auf den Holzdielen ein Geräusch machten, kam sie auf Tegan zu. »Was willst du von ihm?« Ihre Stimme klang, als käme sie von weit her.

Kami waren freundliche Wesen. Sie waren die guten Geister der Menschen. Trotzdem fröstelte Tegan. Sie war sich nicht sicher, wie die Kami zu Weberinnen standen.

»Ich muss mit Rukar sprechen. Es ist dringend.« Tegan versuchte, selbstsicher zu klingen. In geduckter Haltung nicht ganz einfach, weil sie sich dadurch vor ihrem Gegenüber unweigerlich verneigte.

»Du bist eine Weberin. Was könntest du von einem wie Rukar wollen?«

Der Katzenkami und der Rotschopf beobachteten Tegan interessiert.

Das hatte sie sich einfacher vorgestellt. Sie hatte die Abneigung der Kami gegen Unsterbliche und damit auch gegen Halbblute unterschätzt. Und offensichtlich warfen die Kami Weberinnen in denselben Topf. »Lass das meine Sorge sein. Sag mir schlicht, wo ich ihn finde.«

Der Barmann hinter ihr knallte ein Glas auf den Tresen, sodass Tegan vor Schreck zusammenzuckte. »Bestellst du auch was?«, knurrte er sie an. Für seine geringe Körpergröße hatte er eine sehr tiefe, dröhnende Stimme.

Sie zögerte. »Nein.« So schnell würde sie in einem Pub nichts mehr trinken.

»Dann halt meine Gäste nicht vom Trinken ab.« Er fixierte sie mit seinem goldfunkelnden Blick und Tegan wandte sich hastig wieder der Nebelfrau zu.

»Wenn du in dein Unglück rennen willst«, sagte die und zuckte mit den Schultern. »Dann findest du ihn sicher bei seinem Vater.«

In mein Unglück rennen? Ich steck doch schon bis zum Hals drin! »Und wer ist sein Vater?«

Der Katzenmann lachte. »Hast du nicht in deinen Fäden nachgesehen?«

Tegan atmete durch. »Ich bin nicht hier, um euch Ärger zu machen. Ich suche nur Rukar.«

»Weil er dir Ärger gemacht hat«, sagte die Nebelfrau. Sie lächelte milde, doch ihre Stimme klang scharf.

Tegans Herzschlag stockte. War das so offensichtlich?

»Es ist Rukars Bestimmung, Ärger zu machen«, zischte die Frau. »Ich habe das zweite Gesicht. Äon hat nicht nur euch damit gestraft, die Zukunft zu kennen.«

Tegan trat einen Schritt zurück und stieß mit dem Rücken gegen den Tresen. Das zweite Gesicht? Eine Kami? Es gab Gerüchte … Doch Elaine hatte immer versichert, dass nur sie allein von Äon die Zukunft gezeigt bekäme.

Die Nebelfrau kam Tegan näher, als ihr lieb war. Der Fetzenumhang verströmte eine feuchte Kühle, die ihr unangenehm unter die Haut kroch.

»Es braut sich etwas zusammen, Weberin. Rukar ist Teil davon. Asche wird über die Welt kommen!«

Tegan runzelte die Stirn. »Asche?« Wovon sprach diese Kami? Wollte sie ihr gerade weismachen, dass sie eine Prophezeiung erhalten hatte, von der die Weberinnen nichts wussten?

Der rothaarige Kami erhob sich und legte der Nebelfrau beruhigend die Hand auf die Schulter. »Setz dich doch wieder, Unke. Ich glaube, du machst der jungen Weberin Angst.«

»Jeder sollte Angst haben, Faine«, wandte sie sich ihm zu. »Die Welt zerfällt. Asche und Schatten sind alles, was bleibt.«

Widerwillig setzte sich Unke wieder auf ihren Stuhl, ließ Tegan aber nicht aus den Augen.

Tegan selbst war zu verwirrt, um sich davon einschüchtern zu lassen. Eine Vision des Weltuntergangs? Das war lächerlich. Offensichtlich war diese Kami verrückt. Äon sprach ausschließlich mit Elaine. Und Elaine hätte schon längst Alarm geschlagen, wenn die Welt enden sollte.

»Asche ist ein hervorragender Dünger.« Dieser Rothaarige, den die Nebelfrau Faine genannt hatte, lächelte Tegan an. »Aber das tut vermutlich nichts zur Sache.«

»Mich interessieren eure Märchen nicht. Ich suche nur Rukar.«

Verständnisvoll nickte Faine. »Vielleicht findest du ihn bei seinem Ziehvater Wook. Er hat den Zutatenladen, zwei Häuser weiter.«

»Vielen Dank.« Sie deutete eine Verbeugung an, wandte sich zum Gehen. Wenigstens gab es auch vernünftige Kami, die außerdem mit Umgangsformen gesegnet waren.

Sie hörte noch, wie Faine sich an Unke wandte. »Hör auf, die Leute zu verunsichern mit dieser Aschegeschichte!«

»Du bist mein Ende«, zischte Unke zurück und Tegan stieß die Tür auf.

Wehe, wenn Rukar nicht zu Hause war!

Circles of Fate (2). Schicksalssturm

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