Читать книгу Circles of Fate (2). Schicksalssturm - Marion Meister - Страница 5

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Dank Winnies Hilfe hatte Lita endlich die Treppe gefunden, die sich um den Schicksalsbaum hinaufwand. Jeder Atemzug stach ihr in die Seite, doch sie sprang die Stufen weiter hinauf. Ihre Beine fühlten sich schon taub an. Wie viele Etagen waren es noch bis zu Elaines Loft in der Spitze des Turms?

Auf ihr Bitten hin war Winnie nach unten gegangen. Sie hatte Lita versprechen müssen, den Ausgang zu bewachen und jeder Weberin Bescheid zu sagen, dass sie die Augen offen halten sollte.

Noch immer konnte Lita nicht glauben, dass die Weberinnen keine Schutzmaßnahmen gegen Eindringlinge von außen hatten. Keinen Alarm, keine Wachen, keinen Notfallplan. Anscheinend waren sie der Meinung, niemand hätte Interesse an ihnen oder den Fäden. Wie dumm konnte man sein! Sie waren die Wächter des Wertvollsten auf der Welt: dem Schicksal der Menschen!

Vor Wut und Anstrengung biss Lita die Zähne zusammen und sprintete weiter, zwei Stufen auf einmal nehmend. Ihr Kiefer schmerzte von dem Knebel, den ihr dieser Einbrecher verpasst hatte, bevor er sie wie ein verloren gegangenes Päckchen in den Baum gehängt hatte. Wie lange hatte sie dort hilflos gebaumelt, bis Winnie sie befreit hatte?

Definitiv zu lange! Wer weiß, was der Kerl inzwischen angestellt hatte. Und wenn er es auf einen Faden abgesehen hatte? Vielleicht war er ein Auftragskiller! Wer auch immer der Kerl war, er wollte sicher keine Scones aus der Küche probieren.

Lita stolperte und knallte auf eine Stufe. Schmerz zuckte durch ihr Knie. Sie kam auf die Füße und rannte weiter. So viele Gedanken rasten ihr durch den Kopf, da war kein Platz für den Schmerz eines aufgeschlagenen Knies.

Wieso passiert das alles ausgerechnet jetzt? Noch nie war eine Weberin entführt worden. Aber Mum ist von einer Lichtexplosion eingesogen worden. Gekidnappt von einem Unsterblichen. Und auch noch ausgerechnet die einzige Weberin, die jemals ihren Kontakt zur Familie komplett gekappt hat. Außerdem war es laut Winnie unmöglich, dass ein Fremder in den Turm gelangte. Doch diesem Typen war es gelungen. Er hatte sich wie eine Weberin gekleidet. Sich als Tegan maskiert, mit ihrem lila Lippenstift und der gefärbten Haarsträhne. Hat er damit den Spiegel am Zugang täuschen können?

Jeder Muskel in Litas Körper zitterte vor Erschöpfung, als sie endlich in Elaines Loft stürmte.

»E-laine?« Sie hatte kaum Luft zu sprechen. Ihr Herz hämmerte panisch und der lichtdurchflutete Raum verschwamm vor ihren Augen. Sie rang nach Atem. »Elaine?«, rief sie erneut.

Doch da war nur Stille.

Lita schloss die Augen. Wo war ihre Großmutter? Winnie war sich sicher gewesen, dass sie hier oben sein musste. Erschöpft humpelte sie zur Küche hinüber. Die Wunde brannte unter dem Stoff der Hose.

Sie durfte nicht noch mehr Zeit verlieren. Der Typ musste gefasst, Hanna gefunden werden. Das Gefühl, dass irgendetwas Übles auf die Weberinnen zurollte, krallte sich an ihr fest und trieb sie an.

Ratlos sah sich Lita in Elaines Küche um. Der Teekessel stand neben dem Spülbecken zusammen mit dem Netz, in dem Teeblätter feucht glänzten. Hatte sie sich gerade einen Tee aufgebrüht?

Auf dem Herd stand ein altmodischer Kupferkessel. Sie warf einen Blick hinein und zog sogleich angewidert die Nase kraus.

»Was wird das denn?«

Ein gummiartiger Klumpen lag darin und müffelte verbrannt. Auf der Arbeitsfläche stand ein voller Flakon und ein nasses Tuch lag daneben. Offenbar hatte Elaine das, was sie in dem Topf gekocht hatte, durch das Tuch gefiltert und in den Flakon gefüllt.

Lita nahm das Fläschchen hoch und hielt es gegen das Licht. Es funkelte wie Bernstein. Ob es magisch war? Kurz war sie versucht, es zu öffnen und daran zu riechen. Nein, das war keine gute Idee. Was immer Elaine da zusammengebraut hatte, es war sicher kein Gesundheitstee. Sie stellte es zurück und musterte nachdenklich die Küche. Es war so ordentlich bei Elaine, dass Lita es seltsam fand, dass Elaine die Küche nicht aufgeräumt hatte, bevor sie weggegangen war.

Und wenn sie nicht freiwillig weggegangen ist?, schoss es Lita durch den Kopf. Hatte der Fremde etwa auch Elaine entführt? Panik überkam sie.

»Elaine!« Hastig humpelte Lita aus der Küche. Sie lief zu dem Paravent, der Küche und Wohnraum vom Schlafzimmer abtrennte.

Der Raum dahinter war schmal und nur mit dem Nötigsten ausgestattet. Keine Bilder oder Fotos an den Wänden, keine bunten Kissen oder eine gemusterte Tagesdecke. Elaine liebte anscheinend einfarbiges Graugrün.

Ihr Futonbett war unberührt. Auf dem Nachttisch lag ein Buch mit Lesezeichen. Nervosität knüllte sich in Litas Magen zusammen. Etwas stimmte nicht. Absolut nicht.

Sie wusste nicht mal ansatzweise alles über die Welt der Weberinnen, Unsterblichen und Kami, aber sie hatte genug Menschenkenntnis, um zu spüren, dass Elaine niemals den Turm verlassen hätte, ohne die Küche aufzuräumen. Hier lag noch nicht mal eine vergessene Socke herum!

Vom Schlafzimmer führte eine Tür in ein Badezimmer und eine zu einem begehbaren Kleiderschrank auf der gegenüberliegenden Seite des Raums. Als sie durch den Durchgang trat, sah sie, dass es keine Kleiderkammer war, sondern ein Teppichlager. »Das ist ein Archiv mit Prophezeiungen!«, murmelte sie fasziniert.

Ein langer Tisch füllte den Raum, auf dem ein Teppich ausgebreitet war. Regale führten die Wände entlang, in denen sich aufgerollte Teppiche stapelten. Nur die rechte Wand wurde von einem aufwendig bestickten Wandbehang geschmückt.

Aus ihrer Umhängetasche fischte Lita die Brille heraus, die sie von Luana erhalten hatte. Vielleicht konnte sie auf dem Teppich, der auf dem Tisch lag, einen Hinweis auf Elaine und ihre Mutter finden. Beim Speakers’ Corner war es ihr trotz der Brille nicht gelungen, das Schicksal der Passanten in den Fäden zu lesen. Sie hatte nur die farbigen Lichtfäden schimmern sehen. Doch vielleicht klappte es mit einem Teppich besser? Nervös klemmte sie sich die Brille auf die Nase. Das Gestell drückte und sie hatte das Gefühl, dass die Brille jeden Moment runterfallen würde. Deshalb hielt sie sie lieber mit einer Hand fest, als sie sich über den Teppich beugte.

Stirnrunzelnd musterte sie das Gewebe. Alle Fäden waren grau. Lita zog die Brille ab und trat einen Schritt zurück. Der Teppich wirkte, als sei er aus den unterschiedlichsten farbenfrohen Garnen gewebt. Sollte die Brille die Fäden nicht deutlicher machen, statt sie in grauen Matsch zu verwandeln?

Erneut setzte sie die Brille auf und betrachtete den Teppich aus der Nähe. Grau. Ungläubig streckte sie die Finger aus und strich über die Fäden. Sie fühlten sich an wie Holz. Wie eine Tischplatte …

»Ich kann die Fäden nicht berühren!« Natürlich. Auch im Weltenraum waren ihre Finger durch die Fäden hindurchgeglitten. Denn ihre Mutter hatte, aus welchen Gründen auch immer, Litas angeborene Weberinnenfähigkeit durch einen Zauber blockiert. Aber – wo war der Trank von Elaine, um diesen Bann zu lösen? Hastig suchte sie in ihrer Tasche und zog das Fläschchen hervor. Es ähnelte dem in der Küche. Nur dass der Inhalt hell und klar war.

Unsicher betrachtete Lita den Trank. Sollte sie ihn wirklich trinken? Noch immer war sie fest davon überzeugt, dass ihre Mutter sehr gute Gründe gehabt hatte, die Fähigkeiten zu blockieren. Bis gestern war sie noch der Meinung gewesen, dass von den Weberinnen eine Gefahr ausging. Doch inzwischen war sie sich nicht mehr sicher. Ihre Mum war mit ihr geflohen, weil Elaine Litas Vater nicht gerettet hatte. Vermutlich waren es Hannas Trauer und Wut auf das Schicksal, weswegen sie aus dem Turm und vor ihrer Bestimmung geflohen war.

Wie harmloses Wasser glitzerte die Flüssigkeit in dem Fläschchen. Wenn Mum das alles nur aus Wut und Enttäuschung getan hatte, dann … dann konnte sie doch einfach den Bann lösen. Was konnte passieren? Außer dass sie vielleicht einen Hinweis auf Hannas Entführer fand?

Tränen stiegen in Lita auf.

Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so allein gefühlt. So völlig verloren und hilflos. Sollte sie auf Hanna hören und weiterhin die Weberinnen von sich fernhalten? Oder sollte sie, wie Elaine es ihr anbot, Teil der Familie werden, zu der sie schon immer gehört hatte?

Vorsichtig entkorkte Lita das Fläschchen.

Sollte ihre Mum über ihr Leben bestimmen? Sie hatte ihr so viel verboten, für das Litas Herz schlug. Das war unfair gewesen. Lita spürte, dass sie eine Verbindung zu dem Baum hatte. Dass sie Teil dieser Gemeinschaft war und sein wollte.

Mum würde wahrscheinlich ausrasten, wenn sie erfuhr, dass Lita den Bann gelöst hatte.

»Aber wie soll sie je davon erfahren, wenn ich sie nicht finden kann? Nicht ohne meine eigentlichen Fähigkeiten«, murmelte Lita und hob die Flasche an ihre Lippen.

Ich muss sehen, was die Weberinnen sehen!

Ihr Herzschlag wummerte laut in ihren Ohren, als sie an dem Trank schnupperte. Er roch nach nichts. Absolut ungefährlich. »Es tut mir leid, Mum«, flüsterte Lita.

Entschlossen setzte Lita das Fläschchen an die Lippen und trank es in einem Zug aus.

Circles of Fate (2). Schicksalssturm

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