Читать книгу Circles of Fate (2). Schicksalssturm - Marion Meister - Страница 7

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Das leere Fläschchen fiel klirrend zu Boden. Lita rang nach Atem. Der Trank rann wie Lava durch ihren Hals. Einer Feuerwalze gleich, breitete sich die Flüssigkeit in ihr aus. Lita stützte sich auf den Tisch.

Fühlte sich so Sterben an?

Flammen explodierten in ihrem Magen, zischten die Adern entlang bis in die Fingerspitzen. Ihre Beine knickten ein und sie sackte zusammen. Schwer atmend kauerte sie auf dem Boden. Das Feuer in ihr hatte ihr Tränen in die Augen getrieben. Alles in Lita war Schmerz. Sie bekam kaum noch Luft. Der Raum verdunkelte sich und sie war überzeugt, jeden Augenblick das Bewusstsein zu verlieren.

Doch so schnell, wie das Feuer durch ihren Körper geschossen war, verpuffte es.

Lita rang nach Atem. Für einen Moment blieb sie zusammengekauert auf dem Boden, bis sie spürte, dass die Attacke vorüber war. Langsam bewegte sie sich. Die Dunkelheit zog sich zurück und sie sah wieder klar. Das Gefühl, glühende Asche eingeatmet zu haben, erlosch.

Unsicher blickte sie auf den Teppich. Hatte er sich verändert? Auf den ersten Blick sah er genau gleich aus.

Die Brille lag noch auf dem Tisch. Zögernd drückte Lita sie sich auf die Nase.

Das Grau war verschwunden! Der Teppich erstrahlte in bunten Farben. Fasziniert strich Lita mit den Fingern über das Garn. Es fühlte sich zart und weich an, an anderen Stellen rau.

Verblüfft schob sie sich die Brille von der Nase, nur um sie sofort wieder aufzusetzen. Durch die Gläser war es, als blicke sie tief in die Struktur der Webfäden. Und darin sah sie Bilder. Kleine Videoschnipsel. Nein, keine Videos natürlich. Eher Erinnerungen, unscharf an den Rändern. Die Personen oft nur als Schemen. Dann wieder nah und absolut scharf.

Fasziniert glitt Litas Blick die Fäden entlang. Das war London im Sommer. Zwei Menschen: ein Mann und eine Frau.

Entsetzt zuckte Lita zurück. Die Frau hatte sie angesehen und Lita hatte ihr Gesicht erkannt.

Plötzlich fühlte Lita sich wie ein Kind, das verbotenerweise in Mamas Sachen wühlt. Intuitiv blickte sie sich um. Doch sie war allein in diesem Raum. Nur Regale voller Teppiche und der riesige Wandbehang, der eine Seite des Raums verdeckte.

Sie rückte die Brille zurecht und beugte sich erneut über die Stelle im Teppich, die sie so erschreckt hatte. Die Szene wiederholte sich. Die Frau drehte sich lachend um. Ihr Gesicht war ganz nah und Lita erkannte sie deutlich: Hanna! Ihre Mutter. Doch sie war jung. Verdammt jung!

War dies also eine Prophezeiung, die sich erfüllt hatte? Aber warum hatte Elaine ausgerechnet diesen Teppich hier liegen? Hatte sie nach Hinweisen auf die Entführung gesucht? Konnte sie in einem Teppich Hannas Schicksal sehen, jedoch nicht auf Hannas Faden?

Litas Kehle fühlte sich staubtrocken an. Sie musste weiterlesen. Stand hier, was passiert war? Warum Hanna den Turm verlassen hatte?

Hastig suchte sie erneut die Stelle, an der Hanna lachte. Sie wirkte so ausgelassen und unbeschwert. Lita folgte dem Faden mit den Fingern. Da war ein Mann. Hanna küsste ihn, lief mit ihm Hand in Hand. War das Litas Vater? Hanna hatte keine Bilder von ihm. Sie hatte ihr auch nur wenig von ihm erzählt. Der Mann im Teppich sah gut aus, auch wenn er seltsame karierte Hemden trug.

Lita war erst in der Primary School klar geworden, dass normale Familien Fotos ihrer Angehörigen haben. An den Wänden, bei Altären oder in Fotoalben. Doch weder von ihrem Vater noch von Elaine gab es Bilder. Schließlich hatte Lita für sich akzeptiert, dass Hanna es schlicht nicht ertrug, an ihn erinnert zu werden. Der Schmerz über seinen Verlust war zu groß. Jetzt wusste sie, dass der Tod ihres Vaters Hanna doppelt verletzt hatte. Denn Elaine hatte es gewusst und es nicht verhindert.

Diese Bilder hier, die erzählten von purem Glück. Noch nie hatte Lita ihre Mutter so strahlen sehen. Sie beugte sich näher an die Webfäden. Die Bilder wirkten wie aus einem Dokumentarfilm. Mal waren sie unscharf, dann zeigten sie Hanna ganz nah und verwackelt.

Jetzt erkannte Lita einen Picknickkorb. Der Mann stieg in ein Auto. Zusammen sangen sie albern, während sie dahinfuhren – Schwarz.

Lita runzelte die Stirn und fuhr den Faden mit dem Finger ein Stück zurück. Hanna und der Mann sangen. Cut. Schwarz. Stille.

Verwirrt tastete Lita den Faden ab und lüpfte die Brille. Wo lief der Faden weiter? Der Teppich endete erst in ein paar Zentimetern. Noch einmal besah sie sich die Szene: Sie steigen ins Auto. Die beiden singend. Cut. Wieso endete das Bild?

Mit einem Finger markierte sie die Stelle, an der das Bild abbrach, und legte die Brille beiseite. Ihre Nasenspitze berührte fast das Gewebe, als sie sich den Faden genau ansah. Er schimmerte goldgelb, tauchte unterm Kettfaden auf und … Er war abgeschnitten!

Verwirrt fuhr sie über das glatte Ende. Ein Faden musste vernäht werden. Das Gewebe würde sich lockern und auseinandergehen, wenn man das nicht ordentlich machte. Man konnte nicht einfach einen Faden mitten im Gewebe abschneiden!

Stimmen murmelten.

Lita hob den Teppich an und untersuchte die Rückseite. Eigentlich waren die Fäden alle ordentlich verarbeitet. Nur dieser eine – er war nicht vernäht worden.

Die Stimmen stritten.

Lita legte den Teppich zurück und lauschte. Kamen die Stimmen aus den Fäden? Sie schob sich erneut die Brille auf die Nase. Die lachende Hanna. Das Auto. Flackernde Bilder ohne Ton.

Etwas rumpelte.

Sie drehte sich langsam um, nahm die Brille ab und lauschte. Vorsichtig ging sie zum Durchgang und spähte in Elaines Schlafzimmer. Niemand zu sehen.

Wieder drangen gedämpfte Stimmen an ihr Ohr. Sie stritten. Doch Lita konnte die Worte nicht verstehen. Und … angestrengt lauschte sie, versuchte herauszufinden, woher sie kamen.

Leise trat sie zurück in den Teppichraum und schlich die Regale entlang. Gab es einen Teppich, der sprach? Vorsichtig legte sie ein Ohr an eine der Rollen. Nein. Die Stimmen drangen nicht aus den Stoffrollen.

Ihr Blick wanderte zu dem großen Wandteppich, der eine Wand komplett verdeckte. Sie ging darauf zu, nahm die Brille und betrachtete ihn.

Dunkelheit, Lichtblitze, Wolkenstürme, Hände, die Tonfigürchen formten. Was war das für eine Prophezeiung? Die Erschaffung der Welt?

»Das kannst du nicht tun!«, schrie jemand ganz nah neben ihr. Lita zuckte zusammen. Die Stimme! Ohne jeden Zweifel!

»Mum?« Sie konnte nur flüstern.

Ihr Herz begann zu rasen. Noch einmal musterte sie den Wandbehang. Dunkelheit. Licht … Die Geschichte, die er erzählte … »Der Ursprung!«, stieß sie hervor. Die Entstehung der Welt! Hatte Jin etwa davon gesprochen? Wieso hatte er das gewusst …?

Lita riss den Teppich zur Seite und starrte auf eine Tür. Sie stand einen Spalt offen. Eine schmale Teppichrolle lag auf dem Boden und blockierte die Tür. Ohne zu zögern oder auch nur einen Gedanken an das Wie und Warum zu verschwenden, stürmte Lita in das Zimmer.

»Lita!« Voller Entsetzen starrte Hanna sie an.

Elaine entglitt die Teetasse, sie zerscherbte.

Circles of Fate (2). Schicksalssturm

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