Читать книгу Circles of Fate (2). Schicksalssturm - Marion Meister - Страница 9

Оглавление

Für einen winzigen Augenblick schloss Elaine die Augen. Sie hörte Lita schluchzen und Hanna weinen. Lita vor Glück und Erleichterung, dass sie ihre Mutter wiederhatte. Hanna aus Verzweiflung, denn sie kannte die Zukunft. Elaine hatte Hanna gesagt, was geschehen würde. Hatte versucht, sich zu entschuldigen, auf Verständnis gehofft, auf Vergebung.

Sie vermied es, die beiden anzusehen. Zu gerne hätte sie Hannas Bitten entsprochen.

Das Kind hätte Hanna niemals finden dürfen! Elaine starrte auf die zerbrochene Tasse zu ihren Füßen, während sich der Tee auf dem Boden zu einer Lache ausbreitete. Als Lita in das Geheimzimmer geplatzt war, hatte Elaine die Tasse vor Schreck fallen lassen. Nun konnte sie sie nicht mehr kitten. Ihr Leben glich der Tasse. Lita war nie Teil ihres Plans gewesen. Das Mädchen war zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.

»Was tust du hier! Was tust du hier!«, wisperte Hanna immer und immer wieder und drückte ihre Tochter an sich.

Elaine versuchte, die Gefühlsleere in sich aufrechtzuerhalten. Sie wollte diesen unerbittlichen Schmerz, der Hanna gerade heimsuchte, selbst nie mehr fühlen. Den Tod des eigenen Kindes würde sie nicht noch einmal aushalten müssen. Deshalb wartete da draußen, in der Küche, der Trank des Vergessens auf sie.

»Mum, was tust du hier?« Lita löste sich von ihrer Mutter und wischte ihre Tränen der Erleichterung fort. »Du hast mich belogen! Über das alles hier! Hast du – hat sie dich entführt? Warst du die ganze Zeit hier?« Litas Stimme zitterte vor Aufregung.

»Bitte setz dich«, meinte Hanna und schob Lita einen Stuhl hin. Elaine bemerkte, wie ihre Tochter sie ansah, doch sie ignorierte Hannas Hilfe suchenden Blick.

Lita wich einen Schritt zurück. »Ich hab einen Unsterblichen aufgesucht, mich quer durch die Welt swipen lassen, nur um dich zu finden! Ich hab den Bann gelöst, um –«

»Du hast – was?!« Hannas Stimme kiekste vor Entsetzen. »Mutter! Was hast du getan? Wir hatten eine Abmachung!«, fuhr sie Elaine an. Hanna schlug auf den Tisch, sodass die Tasse klirrte, die noch unberührt neben dem Teller Muffins stand. »Du hast ihren Bann gelöst?«

Als ob das nun noch eine Rolle spielt. »Ich habe ihr nur die Möglichkeit dazu gegeben.« Als Lita sich überraschend im Turm aufhielt, hatte Elaine das Gefühl gehabt, sie sei es Lita schuldig, ihr das Leben zu zeigen, das sie hätte führen können – und wer sie hätte sein können, wenn ihr Schicksal ein anderes gewesen wäre. Doch es tat nichts mehr zur Sache. Elaine würde noch heute ihren Fehler wiedergutmachen und damit die Welt wieder ins Gleichgewicht bringen.

»Ich – ich dachte«, stotterte Lita, »ich würde dich ohne meine Weberinnenfähigkeiten nicht finden.«

Hanna presste die Lippen zusammen und schnaubte. Elaine wusste, dass sie ihr gerade Pest und Cholera an den Hals wünschte. Doch Elaine verzieh ihr. Hanna war eine Mutter. Genau wie sie selbst.

»Warum ist das so schrecklich? Mir geht es gut …« Lita sprach leise. Es war offensichtlich, wie schuldig sie sich fühlte, dass sie den Trank benutzt hatte.

Es wurde Zeit. Elaine konzentrierte sich auf ihre innere Mitte. Äon hatte ihr einen Ausweg offenbart. Sie konnte das Schicksal, die düstere Prophezeiung noch abwenden, wenn sie ihren Fehler, den sie vor siebzehn Jahren begangen hatte, ungeschehen machte.

»Du hast nie nach einem anderen Weg gesucht, nicht wahr?«, wandte sich Hanna wieder an Elaine. »All die Jahre war dir immer klar, dass du irgendwann uns beide auslöschen würdest. In der Hoffnung, dich wieder mit Äon auszusöhnen.«

Ihre Hand zitterte, als Elaine die Scherben vorsichtig vom Boden auflas und auf das Tablett legte. »Aussöhnen? Es geht hier um weit mehr als mich. Du weißt, dass ich dich nicht verlieren wollte. Doch niemand kann das Schicksal austricksen.« Sie sammelte all ihren verbliebenen Mut und sah Hanna an. Ihr Herz zog sich zusammen, aber Elaine reckte das Kinn vor. »Es war ein Fehler, dich in deiner Wohnung abzuholen, Hanna. Aber du hast sie ja wohlweislich nicht mehr verlassen. Du hast mir keine Wahl gelassen!«

»Eine Wahl?« Hanna lachte bitter. »Ich dachte, es hat sowieso niemand eine Wahl. Offensichtlich nicht einmal die Oberste Weberin!«

»Ich hatte den Tag mit Bedacht gewählt. Lita hätte nicht in der Wohnung sein sollen. Warum warst du zu Hause?«, blaffte Elaine Lita an. »Samstag ist dein Freundinnentag!«

Lita war wie erstarrt. »Du – du weißt – und du hast … Was heißt auslöschen?«

Elaine wandte den Blick ab. »Das heißt, dass endlich das eintreten wird, was schon vor langer Zeit hätte passieren müssen.«

»Ich dreh gleich durch!« Lita sah zwischen ihrer Mutter und Elaine hin und her. »Seid ihr alle komplett durchgeknallt? Es ist schon übel genug, dass du, Mum, mich all die Jahre belogen hast. Ich bemühe mich wirklich, zu verstehen, dass die Welt anders ist, als du es mich gelehrt hast. Aber meine Großmutter ist ebenfalls eine notorische Lügnerin? Wieso entführst du deine eigene Tochter? Was soll dieses Auslöschen bedeuten? Sind wir denn nicht schon ausgelöscht aus dem Weberinnendasein?«

»Ha!« Hanna lachte auf. »Siehst du! Lita ist so klug. Sie kennt den Orakelspruch nicht und hat dennoch die Lösung erkannt.«

Elaine schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, Hanna. Ich … die Visionen. Äon warnt mich inzwischen jede Nacht. Ich muss meinen Fehler wiedergutmachen, der Preis ist zu hoch. Du weißt es!«

Hanna senkte den Blick. Bevor Lita hereingeplatzt war, hatte Elaine ihr bereits gesagt, dass Äon ihnen keine Zeit mehr ließ. »Ich denke immer noch, es gibt einen anderen Weg. Es muss ihn geben.«

Beide blickten unsicher zu Lita. Die verschränkte sauer die Arme. »Tacheles! Jetzt! Ich will endlich wissen, was hier gespielt wird!«

Elaine betrachtete ihre Enkelin. Sie war so jung. So voller Energie und Leben. Stand ihr nicht die Wahrheit zu? »Setz dich«, wies Elaine sie an, doch Lita reagierte nicht. Trotzig blieb sie stehen und sah Elaine herausfordernd an.

Elaine senkte den Blick. Vor wenigen Tagen hatte sie bereits im Weltenraum gestanden. Sie war weit in die Vergangenheit vorgedrungen und hatte Hannas Faden gefunden, doch … Hanna war ihre Tochter. Ihre einzige Liebe, ihr Leben! Sie hatte vor siebzehn Jahren den Faden nicht kappen können und auch jetzt nicht. Nicht, ohne sich zu verabschieden. Nicht, ohne mit Hanna Frieden geschlossen zu haben. Deshalb hatte sie sie entführt. Sie hatte auf Vergebung gehofft.

Elaine versuchte durchzuatmen, sich zu beruhigen. Ihr Blick fiel auf den Teller mit den Blaubeermuffins, Hannas Lieblingssorte. Den Teller hatte sie Elaine geschenkt, als sie acht gewesen war. Hanna hatte ihn mit Blaubeerzweigen bemalt.

Genau deshalb wartete in der Küche der Vergessenstrank auf Elaine. Sie wusste, sie konnte nicht weiterleben in dem Wissen, ihr eigenes Kind ermordet zu haben. Ihre Tochter, die sie so sehr liebte wie nichts anderes auf der Welt. Für Hanna war sie bereit gewesen, das Schicksal zu hintergehen. Doch Äon hatte ihren Frevel mit dem Ende der Welt bestraft.

»Vor siebzehn Jahren«, Elaine räusperte sich, »habe ich den Willen von Äon missachtet. Das Orakel war unmissverständlich. Doch ich habe seine Prophezeiung verheimlicht, bis heute. Nur Hanna weiß davon. Ich habe Hannas Schicksal verändert, denn ich konnte den Gedanken nicht ertragen, meine Tochter zu verlieren. Aber niemand kann das Schicksal –«

»Ja, schon klar, das ist euer Lieblingsspruch. Den kann ich langsam auswendig«, unterbrach Lita sie aufgebracht. »Aber ich verstehe nur Bahnhof. Was hast du verändert?«

»Dein Vater und ich«, sagte Hanna. »Es gab einen schrecklichen Autounfall. Wir beide sollten sterben.«

Lita sah von Hanna zu Elaine. Ihre Augen waren vor Schreck geweitet. »Du hast den Unfall verhindert?«

»Nein. Zu viele Fäden kreuzten diesen Moment. Aber ich habe die Anweisung Äons, auch Hannas Faden zu kappen, nicht weitergegeben. Ich habe mich über seinen Willen hinweggesetzt. Jedoch hatte ich keine Ahnung –«

»Elaine wusste nicht, dass ich mit dir schwanger war«, beendete Hanna den Satz.

Lita ließ sich nun doch auf den Stuhl fallen. »Also … Meine Mum ist ein Zombie? Und ich … auch?«

Hanna lachte auf. »Nein. Wir leben. Allerdings …«

Elaine schlug mit der Faust auf den Tisch, sodass Lita und Hanna zusammenzuckten. »Das führt zu nichts, Lita die Konsequenzen zu erklären. Ich werde tun, was Äon schon so lange von mir fordert.«

»Aber das ist siebzehn Jahre her«, sagte Lita. »Wie willst du –« Erschrocken sah sie von Elaine zu Hanna und wieder zu Elaine. »Du willst uns in der Vergangenheit auslöschen?«

»Versteh doch! Du bist im Weltengeflecht nicht vorgesehen, Lita. Du bist etwas, das nicht sein darf!« Elaine straffte die Schultern. »Äon ist gütig. Es liebt seine Schöpfung. Deshalb gibt es mir diese Chance, meinen Fehler ungeschehen zu machen. Denn wenn ihr beide nicht sterbt, wird die Welt dafür bezahlen müssen. Ihr stört das Gleichgewicht.«

»Elaine glaubt, der einzige Weg, die Welt zu retten und Äons Prophezeiung abzuwenden, ist, mich – und damit auch dich – bei dem Unfall sterben zu lassen. So, wie Äon es wollte.«

Elaine bemerkte, wie Lita mit den Tränen kämpfte, und ihr Herz zog sich zusammen. Warum hatte sie geglaubt, sich von Hanna verabschieden zu müssen? Nun fiel es ihr noch schwerer, ihren Faden zu kappen! Und sie hätte Lita nie mitnehmen dürfen! So viele Fehler, Elaine!

»Seit deiner Geburt, Lita, warnt mich Äon«, versuchte Elaine, sich vor sich selbst zu rechtfertigen. »Es schickt mir Visionen davon, was passieren wird, wenn ich nicht dafür sorge, dass alles wieder ins Gleichgewicht kommt.«

Lita war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Ihre Augen funkelten kämpferisch, das Kinn hatte sie trotzig vorgeschoben. Elaine musste sich abwenden. »In diesen Visionen sehe ich dich, Lita. Du berührst die Schicksalsfäden und – sie zerfallen. Die Welt liegt in Asche. Die Menschen vergehen zu Schatten. Du, Lita, bist das Ende der Welt.«

Circles of Fate (2). Schicksalssturm

Подняться наверх