Читать книгу Die Flamme von Hali - Marion Zimmer Bradley - Страница 12
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ОглавлениеDie rosige Freude auf dem Gesicht der Wirtsfrau, als sie Saravio erkannte, verblasste, kaum dass Eduin erklärte, was sie wollten.
»Das Hinterzimmer? Für ein privates Treffen?« Sie schaute von einem zum anderen. Angst zeichnete sich in ihren umschatteten Augen ab. Die Haut an ihrem Hals war schlaff, und ihre Schürze war zwar sauber, aber vollkommen verschlissen und schien viel zu groß für sie zu sein.
Eduin fing ein Fragment ihrer Gedanken auf, die Sorge, wie viel Bier getrunken und wie viel Brot gegessen würde, und wie viel sie dafür verlangen könnte, ohne die Grenzen der Dankbarkeit zu überschreiten.
»Wir können Euch nicht für das Zimmer bezahlen«, sagte Eduin, um sie zu beruhigen, »nur für das, was verzehrt und getrunken wird, aber wenn das nicht genügt...«
Saravio drängte die Frau mit seinem Geist. »Nein, nein!«, rief sie entsetzt. »Was müsst Ihr von mir halten? Wie könnte ich Bezahlung von einem Mann annehmen, der so viel für meine Nance getan hat?«
Bevor Saravio erwähnen konnte, dass er nur in Naotalbas Auftrag gehandelt hatte, zog Eduin ihn weg. Saravio konnte jederzeit alles andere vergessen und beginnen, seine Göttin zu preisen, ohne darauf zu achten, was im Augenblick wirklich erforderlich war.
»Wir müssen Pläne für heute Abend machen«, sagte Eduin auf dem Rückweg zu ihrem winzigen gemieteten Zimmer. »Diese Menschen sind frustriert und zornig. Es fehlt ihnen an Richtung und Führerschaft. Wenn man sie sich selbst überlässt, werden sie ihre Kraft nutzlos vergeuden und sich dann zerstreuen wie Spreu im Wind.«
Saravio ging zu dem kleinen Kohlebecken und suchte in der kalten Asche nach unverbrannten Holzkohlestücken. »Naotalbas Feinde sind zahlreich, und wir sind nur wenige. Aber sie wird siegen. Das hat sie mir versprochen.«
Eduin wählte seine nächsten Worte sorgfältig. »Hör mich an, mein Freund. Hier geht es nicht nur darum, Naotalba zu preisen. Sie hat uns geschickt, damit wir die Welt verändern.«
»Tatsächlich?«
»Du hast es selbst gesagt, als wir uns begegnet sind: Es sind die Türme, die die Macht der Comyn-Lords festigen. Die Türme, die sie mit schrecklichen Waffen wie dem Haftfeuer versorgen, das den Arm dieses Bauern zerstört hat. Wenn wir einen einzelnen König töten, selbst Carolin Hastur persönlich, was dann? Sie suchen sich einfach einen anderen. Aber wenn auch nur ein einziger Turm fällt...«
»Was?«, rief Saravio mit einem Aufflackern seiner alten Turmarbeiterarroganz. »Gemeine sollen sich gegen ausgebildete Leronyn erheben?«
Wenn Eduin mit seinem Plan, Saravio gegen Varzil Ridenow einzusetzen, Erfolg haben wollte, musste er eine bessere Möglichkeit finden, um ihn zu überzeugen.
»Verteidigst du sie etwa?«, fauchte er also und provozierte bewusst eine Konfrontation. »Hast du mich angelogen, als du mir erzählt hast, wie die Bewahrer dich behandelt haben, dass sie dich rausgeworfen und Naotalbas Ruf den Rücken gekehrt haben?«
Saravio fuhr mit blitzenden Augen herum. Die Luft summte, geladen und trocken. Eduin hatte eine Gänsehaut im Nacken. Seine Laran-Sinne vibrierten aufgrund der Veränderung in der Atmosphäre. Auf diese Weise nahm er wahr, wie der Himmel sich senkte, spürte die Zusammenballung von Elektrizität. Das hier war kein natürliches Unwetter, da war er sicher. Er hob den Kopf, und seine Nase zuckte, als witterte er eine weit entfernte Spur. Jeden Augenblick würde die Spannung brechen.
Bevor Saravio etwas sagen konnte, hob Eduin die Arme weit ausgebreitet zum unsichtbaren Himmel. »Naotalba!«, rief er, und seine Stimme erfüllte das kleine Zimmer. »Erhöre unsere Gebete! Komm zu uns... Führe uns... Befiehl uns! Wir gehören dir!«
Saravio wich mit großen Augen zurück. Eduin holte Luft, um seine Beschwörung zu wiederholen, aber in diesem Augenblick wurde die Luft von einem ohrenbetäubenden Donnerschlag zerrissen. Seine Ohren klirrten davon, selbst nachdem das Donnern zu Grollen verklungen war. Durch die papierbespannten Fenster war kaltes, weißes Licht zu sehen, das draußen aufblitzte.
»Naotalba! Naotalba!« Saravio fiel mit ausgestreckten Händen auf die Knie, die Handflächen nach oben, den Kopf zurückgeworfen. Er bebte so heftig, dass Eduin einen weiteren Anfall befürchtete. Saravio hatte die Augen verdreht und halb geschlossen. Wieder und wieder rief er. Jedes Mal wurden die Silben weniger verständlich, bis sie sich zu einem einzigen Heulen roher Emotion verbanden.
Eduin zog seine Laran-Barrieren hoch, damit ihn keine Spur von Saravios Toben beeinflusste. Entschlossen ging er zur Tür und öffnete sie. Zwischen den dunklen Umrissen der Gebäude war nur ein kleines Stück Himmel zu erkennen, aber dieses Stück flackerte von Blitzen. Wieder donnerte es, und Licht und Geräusch waren so vermischt, dass das Unwetter direkt über ihnen hängen musste. Die Luft schimmerte vor Macht.
Er schmeckte Ozon – und rohe Laran-Macht. Bei seiner Turmarbeit hatte er auch Wolken und Luftströmungen manipuliert, um Regen zu ausgetrockneten Regionen zu bringen oder übermäßige Wolkenbrüche zu verringern. Er war sicher, dass dieses Unwetter künstlich hervorgerufen worden war, aber die Spuren waren zu subtil, als dass er sie identifizieren konnte. Noch vor ein paar Generationen hatten die Zauberer von Aldaran die Wettermuster weit über die Macht gewöhnlicher Türme hinaus beherrscht. Einige sagten, sie hätten sich sogar des magnetischen Felds des Planeten bedienen können. Eduin hatte das nie für möglich gehalten, und er glaubte es auch jetzt nicht, aber etwas an dem Unwetter dort, der Spannung zwischen Boden und Himmel, ließ ihn an Armeen denken, die sich zum Angriff zusammenfanden, an Waffen, die zum Angriff bereitgehalten wurden.
In Hestral hatte Eduin eine künstliche Matrix entworfen und errichtet, die die natürliche Wetterbegabung eines jungen Laranzu konzentrieren und ausrichten sollte. Er hatte nie erfahren, was aus dem Jungen geworden war, denn kurz darauf hatte Rakhals Armee angegriffen, und alles war im Chaos versunken. Nun tastete er mit dem Geist nach dem Unwetter, suchte und kehrte verwirrter als zuvor zurück. Es hatte nichts von dem persönlichen Abdruck des jungen Turmarbeiters an sich und auch nichts von einem anderen Individuum.
Eduin trat von der Tür zurück, plötzlich müde geworden. In den vergangenen Zehntagen hatte er sein Laran öfter und intensiver eingesetzt als in den vergangenen zehn Jahren. Seine Muskeln bebten, und er wusste, dass er etwas essen sollte, ob er nun Appetit hatte oder nicht. Das Gleiche galt für Saravio, der selten an solche Dinge dachte. Laran-Arbeit verschlang riesige Mengen von Energie, die ersetzt werden mussten. Eduins Gedanken wandten sich seinen frühen Tagen in Arilinn zu, wo Lunilla, die für alle Novizen eine Art Pflegemutter gewesen war, ihn immer gedrängt hatte, bis er schließlich so viel gegessen hatte, dass sie zufrieden war. Sie hatte stets ein freundliches Wort für ihn gehabt und nie die Geheimnisse hinter seinem Lächeln erraten. Was würde sie denken, wenn sie ihn jetzt sehen könnte?
Nutzlose Gedanken, sagte er sich. Wo immer sie war, wenn sie tatsächlich noch lebte, sie würden einander nie wieder begegnen.
Saravio, immer noch auf dem Boden, war nach vorn gesackt, das Gesicht unter dem Haar verborgen. Er wiegte sich vor und zurück und summte leise vor sich hin. Die Muskeln seiner Schultern und Beine zitterten. Selbst durch das Hemd konnte Eduin seine vorstehenden Rippen sehen. Du brauchst Essen und Ruhe, mein Freund, dachte er mit einem unerwarteten Anflug von Mitgefühl. Er legte dem Mann die Hand auf den Rücken...
Wieder stieg das Bild der Frau mit dem Gesicht aus Eis und dem Gewand in mondlosem Schwarz vor seinem geistigen Auge auf, ein Bild aus Saravios Geist.
Naotalba... Naotalba... Saravios Gedanken droschen auf Eduin ein wie der gnadenlose Rhythmus einer Trommel.
Diesmal jedoch überraschte die Vision Eduin nicht. Sein Vertrauen in seine eigenen geistigen Fähigkeiten war mit den Erinnerungen zurückgekehrt – Erinnerungen daran, was er in Arilinn, in Hali und besonders in Hestral gewesen war, wo er Rakhals Armee zurückgeschlagen hatte.
Warum sollte er Saravios Visionen nicht benutzen, um sich der Mitarbeit seines Freundes zu versichern? Saravio brauchte eine Sache, der er sich hingeben konnte. Warum sollte nicht Naotalba selbst ihm eine liefern?
Er würde vorsichtig vorgehen müssen, wenn er seine eigenen Absichten in Saravios Halluzinationen flechten wollte. Er schloss die Augen, sank auf den Boden und holte seinen Sternenstein heraus.
So vorsichtig er konnte, begann Eduin, die Bilder zu formen. Saravio war so in der Leidenschaft seines Glaubens gefangen, dass er die Veränderungen ohne Frage akzeptierte. Eduin stellte sich vor, dass die Frau – Naotalba – ihre Arme hob. Er zeigte sie an der Spitze einer Armee von Männern und Frauen, die sie alle begeistert und ehrfürchtig anschauten und bereit waren, auf ihren Befehl hin zu sterben – oder zu töten. Sie zeigte auf Saravio, und aus ihrem Mund kamen die Worte, die Eduin dort platzierte.
»Du wirst mein Streiter sein. Du wirst meine Armee anführen. Du wirst meine Feinde niederwerfen und den Morgen eines neuen Zeitalters vorbereiten!«
»Naotalba! Naotalba!« Saravio duckte sich noch tiefer. In der Vision warf er sich vor ihr nieder.
»Ich bin ganz dein!«
Langsam begann die bleiche Frau zu lächeln. Eduin verlängerte den Augenblick, um Saravios leidenschaftliche Loyalität noch zu vergrößern.
»Sag es mir, ich flehe dich an! Wie kann ich dir dienen?«
Eduin zeichnete eine Landschaft aus geistiger Energie. Naotalba und ihre Lumpenarmee standen auf einer verwüsteten Ebene. Dampf stieg aus Rissen in der vertrockneten Erde auf. Der Himmel hing tief, rot und geschwollen über ihnen. Ein Wind mit einer Spur von Eis aus Zandrus kältester Hölle zerrte an ihrem Haar und an ihrer Kleidung. Der Saravio der Vision stöhnte und drückte sein Gesicht an Naotalbas Fuß.
»Erhebe dich, mein General! Erhebe dich, und sieh!«
Sie drehte sich um und zeigte auf etwas. Eduin formte einen hoch aufragenden Felsen und auf seinem Gipfel einen Turm. Er stellte ihn sich so weiß und glatt wie den Turm von Hali vor. Er zeigte die Menschen, die verzweifelt aufschrien. Dann zuckten Blitze aus Naotalbas Hand, zerrissen die Luft. Als sie die Seiten des Turms berührten, blieben nach der Explosion gezackte Risse zurück. Mauerfragmente fielen nieder, und der Turm bebte bis in die Grundmauern. Die Menschen jubelten laut. Sie drohten dem Turm mit den Fäusten und stampften begeistert. Ekstase ließ sie strahlen.
»Führe uns! Saravio, führe uns zum Sieg!«
Eduin hielt die Szene weiter aufrecht und zeigte, wie die Menschen nach vorn drängten, aber er achtete sorgfältig darauf, der Gestalt des Saravio kein Handeln aufzuzwingen. Dies geschah nicht, weil er Bedenken dagegen gehabt hätte, einem anderen seinen Willen aufzunötigen. Er hatte ohne Skrupel Saravios Visionen belauscht und zu seinem eigenen Zweck verändert. Nein, damit Eduins Plan Erfolg haben konnte, musste Saravios Engagement sich aus seinen eigenen Wünschen entwickeln. Er würde die sichtbare Speerspitze der Bewegung sein. Eduin konnte es sich nicht leisten, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Saravio würde auch alle Strafen hinnehmen müssen, falls ihre Pläne misslingen sollten, denn in einem solchen Fall musste er, Eduin, frei sein, um es noch einmal versuchen zu können, und das bedeutete, dass er sich selbst nicht als Anführer zeigen konnte.
In der Vision hob Saravio nun den Kopf. Eduin sah das Glitzern von Tränen auf seinen Wangen. Saravio sah nicht aus wie ein Wahnsinniger, sondern wie ein vollkommen gebannter Mensch. Seine Miene war ehrfürchtig, dann sah man ihm an, dass er sein Schicksal akzeptierte, und dann folgte ein Ausdruck unbändiger Freude. Ein Licht strahlte in seinen Augen – kein physisches Licht, sondern etwas Größeres. Neid regte sich in Eduin, aber er erkannte es kaum.
Eduin ließ Naotalba näher herankommen. Sie streckte die geisterhaften Arme aus und zog Saravio hoch. Dann beugte sie sich vor und flüsterte ihm ins Ohr: »Sei treu, mein Kämpfer. Sei treu und stark. Meine Feinde lauern überall, und die, die mich schon einmal verraten haben, sind bereit, sich abermals zu erheben. Wirst du mir dienen?«
Saravio ließ den Blick nicht von ihr weichen, aber er stand sofort auf, als wäre kein Widerspruch denkbar – in vollkommenem Gehorsam.
»Dann geh. Geh, und rette mein Volk! Führe es auf den Weg der Rechtschaffenheit und der Wahrheit! Reißt die Türme nieder, und stürzt alle Missetäter, die sich dort auf halten!«
Als Eduin wieder in seinen eigenen Geist zurückkehrte, saß er auf dem Boden, die Rückenmuskeln vollkommen verkrampft, die Hände zu Fäusten geballt, die Zähne zusammengebissen. Saravio lag auf der Pritsche, atmete mühsam und stöhnte leise.
Eduin kam ungeschickt auf die Beine. Sein ganzer Körper schrie nach Essen. Er ging zu dem Regal, auf dem die Überreste ihres letzten Abendessens eingepackt waren – altes Brot und Käse, ein paar verschrumpelte Äpfel und ein halbvoller Schlauch mit saurem, verwässertem Bier. Er aß die Äpfel und ein Stück Käse, dann zwang er sich, den Rest für Saravio übrig zu lassen. Er würde wieder mit seinen Turmübungen beginnen müssen, wenn er weitere Laran-Arbeit leisten wollte.
Eduin legte sich auf den Strohsack und rollte sich in der leeren Ecke zusammen. Saravio hatte angefangen, leise zu schnarchen, aber Eduin war so erschöpft, dass er dennoch sofort einschlief.
Sein letzter Gedanke war, dass das Unwetter offenbar nachgelassen hatte.
Sie schlichen durch die Schatten in der Straße, die zum Gasthaus führte. Das letzte trübe Licht war aus dem Himmel gesickert, und es gab in diesem Stadtviertel nur wenige Lampen. Selbst die Gasthäuser und Läden, die nach Einbruch der Dunkelheit noch offen hatten, warteten so lange wie möglich, um Brennstoff zu sparen. Eduin drückte sich dicht an die Gebäude. Saravio bewegte sich ungeschickter, aber er lernte rasch.
Selbst ein Gemeiner hätte noch die Angst auf den Straßen nach dem seltsamen Unwetter spüren können. An mehreren Stellen in der Stadt brannte es; in den reicheren Vierteln der Stadt waren die Feuer jedoch längst gelöscht. Rauch und Ozon hingen in der Luft.
Sie waren nicht die Einzigen, die um diese Zeit draußen waren. Auf dem Weg kamen sie an mehreren anderen vorbei, die einzeln oder in Gruppen zu zweit oder zu dritt unterwegs waren.
»Sie sind verängstigt«, murmelte Eduin Saravio zu, »selbst wenn sie nicht wissen, warum.« Er hob die Stimme und ahmte einen ländlichen Dialekt nach: »Ja, das muss einfach Zauberei sein. Der Vetter meiner Frau hat mir erzählt, dass es auch drunten in Arilinn solche Unwetter gibt, und sogar noch schlimmere.«
Er spürte das aufsteigende Interesse in der Gruppe von Männern, die sich näherte. Dann waren sie an ihnen vorbei, und die Saat war ausgebracht. Wie sie es abgesprochen hatten, berührte Saravio die Männer im Geist. Angst verschärfte sich zu Schmerz.
Eduin lächelte.
... der Winter so lang... unnatürlich... Zandrus Fluch...
Ja, sollten sie das ruhig denken. Sollten sie flüstern. Und das Flüstern würde sich ausbreiten und aus sich selbst heraus nähren.
...Turmhexerei... kann keinem von ihnen trauen...
Im Gasthaus fanden sie Licht und Wärme und angespannte Fröhlichkeit, die nur als dünner Firnis über dem Groll lag.
Die Frau des Wirts brachte wässriges Bier und einen fleischlosen Eintopf, denn das war alles, was die Flüchtlinge sich leisten konnten. Sie sammelte ihr Geld ein, bevor sie das Bier ausschenkte, aber sie blieb direkt vor der Tür, um zu lauschen.
Von dem Augenblick an, als er die Kapuze seines Umhangs zurückstrich, glühte Saravio von einer Inbrunst, die alle Blicke anzog. Die etwa zehn Männer, die bereits warteten, schwiegen ebenso wie die paar anderen, die nach ihnen hereinkamen.
Saravios erste Worte fingen sie so leicht ein, als wären sie Fische in einem Bach. Begreifen zeichnete sich auf ihren Zügen ab, zusammen mit wachsendem Zorn. In seiner Ansprache fanden sie das Muster und den Grund für alles, nicht nur die offensichtlichen Schrecken von Haftfeuer und Knochenwasserstaub, von Steuern und den Verwüstungen des Krieges, sondern sogar die Gründe dafür, dass selbst der Himmel sich gegen sie gewandt hatte. Die mörderische Kälte dieses letzten Winters, die Missernte, die tot geborenen Kinder und nun diese seltsame Unruhe am Himmel, all dies hatte einen einzigen Grund, einen Ursprung.
Es war, wie Saravio entsprechend Eduins Anweisung verkündete, die Arbeit der verfluchten Leronyn in ihren Türmen. Zorn brannte heiß und klar, ohne Zögern, ohne Zweifel. Und die ganze Zeit weckte Saravios geschickte geistige Berührung weiterhin Adrenalin, trübte das Denken, vergrößerte die Verzweiflung.
»Aber was können wir tun?« Der verkrüppelte Bauer war der Erste, der das Wort ergriff. »Wir haben keine magischen Kräfte, wir haben nicht einmal Schwerter, und wenn, dann wüssten wir nicht, wie wir sie benutzen sollten. Wir sind Männer der Scholle – Bauern, Hirten, schlichte, einfache Leute.«
»Es ist leicht für dich, all diese Dinge zu sagen.« Ein schwarzhaariger Mann mit riesigen schwieligen Händen schaute Saravio zornig an. »Du wirst beim ersten Anzeichen von Ärger davonrennen. Warum sollte dich interessieren, was aus uns wird?«
Gekränkt setzte Saravio zu einer Antwort an, aber Eduin bedeutete ihm mit einer Geste zu schweigen.
»Wenn mein Freund nicht glauben würde, was er sagt, warum sollte er dann hier bei euch sein?«, fragte er.
»Wenn wir uns gegen sie wenden würden«, murmelte ein anderer Mann, »welche Chance hätten wir dann schon? Nicht mehr als die Tiere auf dem Feld.«
»Woher wissen wir, ob ihr nicht, ihre Spione seid?« Der schwarzhaarige Mann stand auf.
Eduin spürte die explosive Stimmung der Gruppe und wusste, wie rasch sich ihr Zorn einem zugänglicheren, einfacheren Ziel zuwenden konnte. Er hob die Hand zu dem verborgenen Sternenstein an seiner Kehle, obwohl er fürchtete, nicht so viele beherrschen zu können. Aber er musste Saravio um jeden Preis schützen.
»Weil ich es sage.« Die Frau des Wirts kam herein, die Hände in die Hüften gestützt. »Und ihr kennt mich alle. Ich würde nie einen der Meinen verraten. Ich sage euch, ihr könnt diesem Mann vertrauen. Die ganze Zeit, als Nance im Sterben lag... Hat auch nur ein einziger dieser reichen Adligen einen Finger für sie gerührt? Nein, es war dieser Mann, der hier vor euch steht, dieser Saravio, der jeden Tag kam, um ihr Dahinscheiden zu erleichtern, obwohl er kein bisschen dazu verpflichtet war. Ich sage euch, wenn ihr ihn jetzt nicht anhört, werft ihr das Beste weg, das dem arbeitenden Volk von Thendara je begegnet ist.«
Der schwarzhaarige Mann setzte sich wieder hin.
»Ihr wollt wissen, was wir gegen die Türme ausrichten können?«, fragte Saravio. Aus seinem Geist fing Eduin das Bild von Naotalba auf, die hinter ihm stand und jedem seiner Worte mehr Sicherheit verlieh. »Wenn wir geduldig sind und Zusammenhalten, dann können wir nicht versagen. Aber die Zeit ist noch nicht reif. Ihr müsst meine Herolde sein. Ihr müsst meine Botschaft zu allen bringen, die immer noch leiden.«
Die Männer sahen einander zweifelnd an. Eduin nutzte die Stille. »Wie er schon gesagt hat, wir sind zu wenige, um gegen die Macht eines Turms anzukommen. Es wäre, als würde man versuchen, eine Festung mit einem Küchenmesser zu stürmen. Wir müssen abwarten, bis noch viel mehr Menschen sich unserer Sache angeschlossen haben. Wir werden abwarten und beobachten. Früher oder später müssen sich die verfluchten Zauberer von Hali hinter ihren Mauern vorwagen. Dann werden wir schon sehen, dass selbst ein Magier niedergestreckt werden kann.«
Und dann wird Varzil von unserem Angriff hören. Carolin wird ihn rufen, selbst wenn die Bewahrer es nicht tun. Das bringt ihn in meine Reichweite... Und dann wird sich Naotalbas Armee auf ihn stürzen. Keine Macht auf Darkover kann ihn gegen Menschen schützen, die bereit sind, für ihre Sache zu sterben.