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Kapitel 4

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20. Juli 2011

Am folgenden Morgen konnte Kurt Manuela von der Vereinbarung überzeugen. Zwar spürte er noch ihren Groll, doch schien auch Manuela nicht weiter Benzin in das leicht lodernde Feuer gießen zu wollen.

Nachmittags stellte Kurt zufrieden fest, dass wenigstens sein Arbeitstag ohne große Aufregungen verlaufen war. Auf dem Rücksitz wartete seine gepackte Tennistasche schon freudig auf ihn und das Griffband seines Schlägers streckte sich ihm herausfordernd entgegen. Energisch drehte Kurt den Zündschlüssel. Die Vorstellung sich an diesem Nachmittag mal nicht im Familiennetz zu verstricken, sondern mit seinem Freund Achim Schellmeyer die Filzkugeln über das Netz zu jagen, beflügelte seinen Fahrstil.

Dem Wetter entsprechend lieferten sie sich hitzige Ballwechsel. Kurt gewann in drei Sätzen.

Nach dem Duschen tranken Achim und Kurt noch ein Bier auf der Terrasse des Clubs. Achim erzählte von seinem verregneten Familienurlaub in Österreich. Neidvoll verfolgte er Kurts Bericht über dessen sonnigen Segeltörn in Dänemark. Auf dem Parkplatz verabschiedeten sich gerade zwei Frauen mit Wangenküsschen voneinander. Die eine verschwand in einem schwedischen, die andere in einen bajuwarischen Geländewagen.

„Typische Panzer-Mamas“, analysierte Achim mit einem Fingerzeig in Richtung der Damen. Dann berichtete er, dass seine Redaktion kürzlich in einer Sendung diesen Typus Frau in einem leicht satirischen Beitrag beschrieben habe: dezent-elegante Kleidung, sportliches Auftreten, neumodischer Geländewagen, gediegene Selbstgefälligkeit, meist Pferdeschwanz in Kombination mit blonder Haartracht, häufige Rudelbildung vor Kindergärten und Schulen, bei der sich über die musischen und sportlichen Aktivitäten ihrer Kinder ausgetauscht wird.

„Unglaublich“ fuhr Achim fort, „anschließend kam eine Beschwerdeflut von Frauen, die sich diskriminiert fühlten. Muss wohl was dran sein an diesem Klischee.“

Kurt wechselte das Thema und erzählte von Henning.

„Ist das ein Ausprobieren bei Henning oder ein ernstes Drogenproblem?“ wollte Achim wissen.

„Ich hoffe ersteres. Allerdings hat er in der Schule nachgelassen und vor zwei Monaten wurde er ziemlich aufgekratzt frühmorgens von Freunden an unserer Haustür abgeliefert.“

„Was meint Manuela?“

„Sie hat Angst um Henning und beobachtet jeden seiner Schritte. Ich glaube, am liebsten würde sie ihn zuhause kasernieren. Es passt ihr nicht, dass sie übermorgen zu ihrer Freundin Judith nach Mallorca fliegt.“

„Hoffentlich fängt sich eurer Sohn wieder. Ansonsten werdet ihr ein richtiges Problem haben.“

„Das kannst du wohl sagen“, meinte Kurt und starrte in sein leeres Bierglas.

21. Juli 2011

An den nächsten Tagen hielt Henning sich an die Absprachen. Zwei Nächte verbrachte er bei Ina. Bis zu ihrer Abreise pflegte Manuela mit Kurt einen leicht unterkühlten Umgang. Dass er ihr sein Telefonat mit Ibiza anders als tatsächlich verlaufen, geschildert hatte, verärgerte sie weiterhin. Angesichts des latenten Misstrauens seiner Frau, verschwieg er den Brief von Susanne. Er wollte kein weiteres Benzin auf ihre emotionale Glut schütten.

Am Freitag flog Manuela nach Mallorca. Vorher mahnte sie Kurt, seine Argusaugen scharf auf Henning zu richten.

23. Juli 2011

Nachdem er frische Brötchen vom Bäcker geholt hatte, frühstückte Kurt auf der Terrasse. Gegen zehn Uhr erschien Henning mit strubbeligen Haaren und setzte sich lediglich mit einer Boxershort bekleidet zu ihm.

„Moin Henning, na ausgeschlafen?“

„Einigermaßen. Bei der Hitze wird man ja früh wach.“

„Du warst ja gestern vor Mitternacht zuhause.“

„Lothar und ich haben Playstation gespielt. Irgendwann war aber auch das langweilig.“

„Wie sieht denn die heutige Planung aus? Ich wollte in die City fahren und im ´east-west`nach CDs schauen. Lust mitzukommen?“

Das Elektronikmarkt ´east-west` vefügte über die größte Musikabteilung nördlich der Elbe und war die beliebteste Shoppingadresse der männlichen Familienmitglieder.

„Okay, ich brauche sowieso noch ein Geschenk für Inas Mutter. Sie hat heute Geburtstag und ich bin um 18.00 Uhr zum Barbeque eingeladen. Krass, als ob ich schon ihr Schwiegersohn sei. Hast du eine Idee, was ich schenken kann?“

„Wenn du ihren Musikgeschmack kennst, wäre eine CD in Ordnung. Als Alternative könnte ich mir auch ein Buch vorstellen.“

Während Kurt ein paar Jazz-Scheiben kaufte, gönnte Henning sich drei CDs aus der Rubrik Techno, die – so wie er es erhofft hatte – auch über Kurts Kreditkarte abgerechnet wurden. Nach telefonischer Rücksprache mit Ina kauften sie noch einen historischen Roman und einen kleinen Blumenstrauß. Letzteren fand Henning oberspießig. Da aber Ina betonte, wie sehr Blumen ihre Mutter erfreuten, ließ sich Henning überreden und ging wie ein Tanzschüler vorm Abschlussball mit dem Strauß in der Hand zum Auto. Die Peinlichkeit des Straußes zerrte an seiner jugendlich coolen Aura. Als Kurt vorschlug, dass er mit seinem Handy ein Foto von Henning mit dem Strauß machen könne und dieses dann an Manuela und Ina, senden könnt, fluchte sein Sohn. Lachend unterließ Kurt das Shooting und sie fuhren nach Hause.

24. Juli 2011

Als Kurt am nächsten Morgen seine Aufmerksamkeit gerade den Sportseiten der Sonntagszeitung widmete, erschien Ina mit leicht verschlafenem Blick auf der Terrasse und begrüßte ihn mit ihrer hellen und freundlichen Stimme.

„Hallo Ina, welch Überraschung.“

„Bei uns zuhause waren viele Gäste und einige Verwandte übernachten bei uns, daher sind Henning und ich in der Nacht hierher gekommen, in der Hoffnung etwas länger schlafen zu können. Darf ich mir ein Brötchen und Kaffee nehmen?“

„Selbstverständlich. Schläft Henning noch?“

Kopfnickend bejahte Ina. Kurt reichte ihr einen Becher Kaffee. Vorsichtig versuchte er Näheres über den Ibiza-Urlaub zu erfahren. Ina schwärmte vom Faulenzen am Strand und dem Baden im Meer. Am Rande erwähnte sie die harmlosen Poolpartys und umschiffte die weiteren Erkundungsversuche von Kurt elegant. Schließlich stand sie auf, um zu duschen. Sie agiert vorsichtig wie eine Katze und hat nichts zugegeben, aber auch nichts dementiert, dachte Kurt, während Henning durch die Terrassentür schlich und sich hinsetzte. Er nahm sich Inas Tasse und füllte Kaffee ein.

„Na gut geschlafen?“ fragte Kurt.

„Ich kann nicht klagen“, nuschelte Henning, während er in eine Brötchenhälfte biss. Kurt spürte, wie der Tisch vibrierte und sah, dass Henning mit den Beinen nervös wackelte. Bereits gestern hatte er dieses Phänomen wahrgenommen. Dezent betrachtete er die Hände seines Sohnes, als diese erneut nach der Kaffeetasse griffen. Täuschte er sich oder zitterten die Fingerspitzen?

„Hat die Feier Spaß gemacht?“

„Ging so. Halt viele alte Leute.“

„Wahrscheinlich in meinem Alter.“

Henning schaute kurz auf und grinste.

„Kamen denn deine Geschenke gut an.“

Henning verdrehte die Augen: „Fürchterlich. Ihre Mutter freute sich so über den Blumenstrauß, dass sie mich fast zwischen ihren Titten zerquetscht hätte.“

„Ich glaube, sie wäre nicht begeistert, wenn sie dich so über ihren Vorbau reden hören würde.“

„Welche Worte benutzt du denn für Muttis“ fragte Henning und formte mit seinen Händen virtuelle Brüste vor seinem Oberkörper, „Vorbau wird es ja nicht sein, oder? Vielleicht Dekolletee, Brüste, Bälle, Euter, Möpse.“

Der provozierende Ton missfiel Kurt und erzeugte eine schnelle Gegenreaktion.

„Wie titulierst du denn die Brüste deiner Freundin?“

„Titten oder Fummelbälle“, sagte Henning mit einem süffisanten Grinsen.

„Und gefällt diese Wortwahl Ina?“

„Was soll mir gefallen?“ vernahm Kurt die Stimme von Ina in seinem Rücken. Bevor er antworten konnte, übernahm Henning das Kommando.

„Mein Vater wollte nur wissen, welche Begriffe ich für deine Brüste verwende.“

Ina schaute Kurt erschrocken an und er spürte wie ihm das Blut die Röte ins Gesicht trieb. Bevor er die Situation klären konnte, meinte Ina: „Ich muss jetzt los, meiner Mutter beim Aufräumen helfen.“

„Ich komme mit“, sprach Henning und sprang auf.

Kurt blieb wie ein begossener Pudel sitzen. Nicht nur die Dreistigkeit mit der sein Sohn ihn bloßstellte, erschreckte ihn. Bedeutend schlimmer empfand Kurt seine Unfähigkeit, die Situation souverän zu meistern. Er benahm sich wie ein Kaninchen, das vor einer Blindschleiche hilflos erstarrte.

Als abends Manuela anrief, erzählte Kurt vom gemeinsamen Einkauf am Samstag mit Henning und dass Ina die Nacht bei Ihnen übernachtet hatte. Die zittrige Unruhe und die Respektlosigkeit des jüngsten Familienmitglieds unterschlug er.

Die zweite Postkarte

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