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6. Überwachung und Kontrolle
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Der sechste und letzte Grundsatz ordnungsgemäßer Compliance ist der Grundsatz der Überwachung und Kontrolle. Sowohl die Rechtstreue der Mitarbeiter als solche als auch die Einhaltung der organisatorischen Vorgaben eines Compliance-Programms bedürfen der kontinuierlichen Überwachung und Verbesserung. Unternehmen sollten ihr Augenmerk in diesem Zusammenhang insbesondere auf die folgenden fünf Aspekte richten:
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Erstens empfiehlt es sich, organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, um Mitarbeitern die Anzeige von Compliance-Verstößen zu erleichtern. Im anglo-amerikanischen Bereich haben sich hierfür sog. Whistleblower Hotlines eingebürgert,[7] vom Sarbanes Oxley Act werden sie sogar für diejenigen Unternehmen, welche dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes unterliegen, zwingend verlangt.[8] Whistleblower Hotlines ermöglichen es Mitarbeitern, anonym und vertraulich Compliance-Verstöße anderer Mitarbeiter und Führungskräfte zu melden. Im kontinentaleuropäischen Rechtskreis begegnen Whistleblower Hotlines, jedenfalls soweit sie die anonyme Anzeige von Mitarbeitern und Führungskräften ermöglichen, nach wie vor grundsätzlichen Bedenken.[9] Es besteht die Befürchtung, dass das Unternehmen mit einer solchen Einrichtung einem ungehemmten Denunziantentum Vorschub leistet. Namentlich in Frankreich wird diese Sorge – auch bedingt durch historische Erfahrungen – besonders groß geschrieben. Ausgehend von Frankreich hat sich daher eine datenschutzrechtliche Diskussion entsponnen, deren Kernthese lautet, anonyme Whistleblower Hotlines könnten einen Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht des Angezeigten insoweit darstellen, als dieser sich nicht dadurch verteidigen kann, dass er den Anzeigenden unmittelbar konfrontiert.[10] Diese Bedenken erscheinen überzogen. Anonyme Anzeigemöglichkeiten sind ein besonders wichtiges Mittel zur Aufdeckung innerbetrieblicher Missstände. Statistische Erhebungen haben ergeben, dass ein erheblicher Anteil aller Compliance-Verstöße ausschließlich durch Whistleblower Hotlines und ähnliche Einrichtungen überhaupt ans Tageslicht gelangen. Ein Mitarbeiter, der seinen Vorgesetzten bei Compliance-Verstößen beobachtet, wird sich nur dann zu einer Anzeige durchringen, wenn er sicher sein kann, dadurch nicht seinen Arbeitsplatz zu gefährden. Dem zweifelsohne vorhandenen Missbrauchspotential von anonymen Whistleblower Hotlines muss anders begegnet werden als durch eine pauschale Ablehnung solcher Einrichtungen. Vielmehr ist es erforderlich, dass die mit der Bearbeitung von Whistleblower-Anzeigen betrauten Mitarbeiter oder externen Berater eine besondere Sensibilität für die Möglichkeit denunziatorischer Anzeigen aufbringen. Nichts anderes muss im Übrigen auch jeder Staatsanwalt und im weiteren Sinne jede Behörde bei anonymen Anzeigen leisten.
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Für weitere Einzelheiten zu Whistleblower Hotlines s. 5. Kap. Rn. 173.
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Zweitens gehört zur Überwachung und Kontrolle die Aufnahme von Ermittlungen bei dem Verdacht von Compliance-Verstößen. Ermittlungen müssen umfassend, rückhaltlos und ohne Rücksicht auf das Ansehen einzelner Personen durchgeführt werden. Die in erster Linie berufene Stelle für die Aufdeckung unternehmensinterner Missstände ist die interne Revision. Ggf. können auch externe Berater, bspw. Rechtsanwälte oder forensisch versierte Wirtschaftsprüfer, hinzugezogen werden. Werden Compliance-Verstöße festgestellt, stellt sich stets auch die Frage, ob Berichtspflichten gegenüber der Öffentlichkeit, insbesondere bei kapitalmarktorientierten Unternehmen, oder Selbstanzeigepflichten gegenüber Behörden bestehen. Auch wenn keine solche Rechtspflicht existiert, ist zu erwägen, ob eine proaktive Kommunikation und ggf. eine Kooperation mit Ermittlungsbehörden aus Sicht des Unternehmens zweckmäßig sein könnte. Der Trend geht in den letzten Jahren verstärkt in Richtung offener Kooperation mit Ermittlungsbehörden. Dies ist auch richtig. Das Unternehmen hat keinen Grund, sich schützend vor einen Mitarbeiter zu stellen, der durch Compliance-Verstöße, und seien sie auch im vermeintlichen Interesse des Unternehmens geschehen, den Kreis der Rechtstreuen und Rechtschaffenen verlassen hat. Compliance-Verstöße sind nie im richtig verstandenen Interesse des Unternehmens.
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Werden Compliance-Verstöße identifiziert, müssen die Rechtsverstöße in einem dritten Schritt umfassend abgestellt werden. Dies kann auch die Korrektur von Handels- und Steuerbilanzen implizieren, und zwar nicht nur der laufenden Bücher, sondern ggf. auch historischer Abschlüsse.
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Viertens müssen Compliance-Verstöße effektiv sanktioniert werden. Gegen die Verantwortlichen sind disziplinarische Maßnahmen zu ergreifen, von der Compliance-Schulung als dem mildesten Mittel über Abmahnungen, Versetzung bis hin zur ordentlichen und außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses (bzw. Beendigung des Organverhältnisses). Soweit ein Compliance-Verstoß Schäden verursacht hat, sind Schadenersatzansprüche gegen die Verantwortlichen grundsätzlich durchzusetzen.[11] Eine Pflicht zur Strafanzeige besteht allerdings nicht; zweckmäßig kann dies gleichwohl sein, wenn die offene Kooperation mit Ermittlungsbehörden Teil der Unternehmensphilosophie ist oder nur mithilfe staatsanwaltlicher Ermittlungsmaßnahmen der relevante Sachverhalt aufgedeckt und nachgewiesen werden kann.
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Fünftens ist das Compliance-Programm selbst ständig zu evaluieren und fortzuentwickeln. Sind Compliance-Verstöße vorgekommen, ist das Compliance-System anlassbezogen dahingehend zu überprüfen, ob es so verbessert werden kann, dass die eingetretenen Verstöße in Zukunft möglichst unterbunden werden. Auch ohne Compliance-Verstöße sollte die Compliance-Organisation regelmäßigen Überprüfungen unterzogen werden, bspw. um sie im Hinblick auf neu hinzugekommene Risikobereiche, etwa im Zuge einer Unternehmensakquisition, fortzuentwickeln.