Читать книгу "dein Gott, ist drinnen bei dir" (Zefanja 3,17) Spirituelle Profile - Markus Roentgen - Страница 13

Оглавление

Meister Eckhart

Gott-Los / Gott-Voll

Meister Eckhart lesend ins tägliche Leben nehmen

„Hier umbe bite ich got, daz er mich quit mache gotes.“

(Meister Eckhart, Predigt 52)

Lectio I

Eckhart von Hochheim · Meister Eckhart in seiner Zeit

Meister Eckhart gilt in seinen Schriften als Mystiker. Mystik kommt vom Wort „myein“ (die Augen schließen).

Diese Absicht gilt Eckhart aber nur, um, gleich dem blinden Seher, umso heller zu schauen und zu denken.

Eckhart ist Mönch, Prediger, philosophischer Theologe. Er schreibt lateinisch und deutsch. Ein „deutscher Denker“ in aller Problematik des Wortes. Auf ihn berufen sich Katholiken, Protestanten, „Gottgläubige“, Theisten und Atheisten, Linke und Deutschnationale – bis hin zur Katastrophe seiner intellektuellen Aneignung und Ausbeutung im deutschen Faschismus.

Seine Gestalt bleibt dunkel. Er lebt von ca. 1260 bis ca. 1327/1328. Sein Grab ist unbekannt.

Seine Zeit, das 13./14. Jhdt. ist eine markante Krisenzeit. Weite Teile Westeuropas und Deutschlands sind in ständigem Bürgerkrieg. Daraus erwuchsen auch Neuaufbrüche (in den Niederlanden und Frankreich, die imposante Kultur der deutschen Städte).

Eckhart ist ein Stadtdenker – die Stadt, Ort der Massen, Ort der Gegensätze auf engstem Raum (Bischöfe, Hochadel, Patrizier, Klerus, Großbürger, Zünfte, Handwerker und eine Art Proletariat), die einander aufladen wie elektrische Speicher, im Kampf um Macht über den- und Einfluss auf den inneren wie äußeren Menschen! (Er lebt, denkt, schreibt, lehrt und predigt in Paris, Straßburg und Köln). Er ist auch und nicht zuletzt Seelsorger in den Städten, die Orte doppelter Entfremdung werden:

a) zwischen vorgegebenen Autoritäten aus Kirche und Reich! b) zwischen einer Vielzahl von Menschen und diesen vorgegebenen Autoritäten. Reich und Kirche, Kaiser und Papst sind ihrerseits zerrissen in einem mörderischen zweihundertjährigen Ringen. In der Kirche toben Grabenkämpfe. Zwei Päpste, die einander verdammen, der eine in Avignon, der andere in Rom.

Politischer Widerstand organisiert sich, gerade in den rheinischen Städten (Mainz und Köln) gegen die päpstliche Steuerpolitik.

Im Desaster dieser Zustände suchen viele Menschen Zuflucht aus ihrer spirituellen Heimatlosigkeit in einem „inneren Reich“, um wenigstens dort ein eigenes und eigenständiges religiöses Leben führen zu können. Viele religiöse, spirituelle Neubewegungen, nonkonformistische oft, wuchern, in Ablehnung der Heilsmittlerschaft durch die Sakramentwaltung der Kirche. Manche dieser Bewegungen und Gruppierungen (Katharer, Waldenser, Brüder des Heiligen Geistes der Freiheit, Lollarden, Beghinen, Begarden etc.), werden verketzert; das deutsche Wort Ketzer ist von „Katharer“ = die „Reinen“ abgeleitet. Hier wie dort, bei Selbsterweckten wie bei Vertretern der überkommenen Institutionen werden die Suche nach Gott und die Rede von ihm oft zum Vorwand, eigene Interessen zu wahren.

Gottfried von Straßburgs Epos „Tristan und Isolde“ verkündet als Ausweg aus der äußeren Zerfallenheit dem Bürger ein „inneres Reich der Liebe“. („ Wen nie die Liebe leiden ließ/ dem schenkte Liebe niemals Glück.“ – heißt es in seinem Tristan).

Die Bettelorden (die frühen Dominikaner und Franziskaner) werden zu Zentren der geistigen und geistlichen Aufbruchs- und Reformeliten. (Thomas von Aquin und Meister Eckhart etwa sind Dominikanermönche).

Eckhart ist als Seelsorger auch in die groß aufbrechende deutsche monastische Frauenbewegung (in Köln allein als Prediger vor Dominikanerinnen, Zisterzienserinnen, Benediktinerinnen) hineingestellt.

Es entsteht gleichsam ein neues Paar als Topos für Jahrhunderte; der neue Mönch und die erweckte Frau in inniger Kommunikation und gegenseitig beseelendem Kontakt.

Wo soll in alledem die Grenze sein zwischen Eigenstem und gemeinsam Verfassten, zwischen äußerer Kirche, der „Mauerkirche“, und persönlichstem Erfahrungsraum, zwischen Tradiertem und dem neuen Wissen und Denken, das vielfach dieses Tradierte sprengt?

Eckhart wagt „bewusst den Gang am Abgrund“ (Otto Karrer).

Seine wichtigsten Lebensdaten: um 1260, im Thüringischen vermutlich, geboren; 1277 Studium in Paris (die artes), 1280 Studium in Köln; als Dominikaner „Meister“ benannt durch seine Professur in Paris (Meister ist die deutsche Form von „Magister“); Lehrtätigkeit in Paris 1302/3 und 1311/13; über Jahre Provinzial der Dominikaner für Nord-und Mitteldeutschland; enorme Reisetätigkeit – zu Fuß durch halb Europa!; seit 1314 wirkt er in Straßburg, seit 1322/23 Lehrstuhl am Studium generale der Dominikaner in Köln.

Hier wird ab 1326 durch Erzbischof Heinrich von Virneburg ein Inquisitionsprozess gegen ihn eröffnet, der am päpstlichen Hof in Avignon fortgesetzt wird. 1327 ist Meister Eckhart in Avignon, wo er sich selbst vor dem Papst verteidigen will. Ende 1327 oder Anfang 1328 stirbt er. Nach seinem Tod werden am 27. März 1329, in der Verurteilungsbulle ‚In agro dominico“ („Auf dem Acker des Herrn“) 17 seiner Sätze als häretisch und 11 Sätze als häresieverdächtig erklärt.

Sein Werk umfasst Deutsche Predigten und Lateinische Traktate, vor allem die Paiser Quaestionen; ein riesiges dreiteiliges Werk: Philosophische Thesen, philosophisch-theologische Probleme, Bibelkommentare und Predigten.

Nur ein Teil des Werkes ist erhalten.

Das Grundproblem in der Auseinandersetzung mit seinem Werk ist stets die Spannung zwischen der ungeheuren Kühnheit seines Denkens und dem gleichzeitigen Eingebundensein in die christliche Tradition.

Erste Inhalte

Eckhart ist Platoniker, stark und nachhaltig beeinflusst von Plotin, dem letzten großen antiken Denker. Es gibt Denker, wie etwa Ernst Bloch, die Eckhart gegenüber Plotin jedwede Originalität absprechen. „Plotin und der Neuplatonismus sind so der Ursprung, ja Inhalt aller späteren christlichen Mystik; weder Dionysios Areopagita noch Meister Eckhart haben Neues zugefügt.“ (Ernst Bloch, Atheismus im Christentum, S. 93). Von Plotin her denkend und korrespondierend mit der Zentralerfahrung im eigensten Selbst, gelangt er zu zentralen Einsichten, die in ihrer höchsten Einfachheit ungeheuer komplex und schwer wiegen. Bei Plotin hieß dies „haplosis“ – die höchste Vereinfachung der vernunfthaften Seele, wenn sie sich auf ihren mit dem Ureinen wesensgleichen Grund zurückzieht. Im Grunde also die Identität des Seins mit Gott, die in dem kurzen Satz gipfelt: „Das Sein ist Gott“ („esse est deus“). Einheit, Einssein der Seele mit dem Weltgrund. Daraus aber, mit der Folge des Überspringens von Sakramentskirche und Entbunden jeglicher Obrigkeit als Mittler und Garanten von zweierlei Welten, von Oben und Unten: Aufhebung der Entfremdung von Gott und Welt und Ich und Selbst und Du als Überwindung von Selbstentfremdung – in gelassener Indifferenz (vgl. Ignatius v. Loyola; Geistliche Übungen) als Abgeschiedenheit zu allem Seienden, zu allen Seienden, zu mir selbst in meiner Bedürftigkeit, Freude, Hoffnung und Not, Trauer und Angst in Leib, Zeit und Geschichte, gleichsam als ein Daheim-Sein in der Unbehausstheit der Wüste.

Und dennoch kein Pantheismus!

Denn Gott bleibt Gott und löst sich nicht auf in Welt. „Gott ist ein Sein – es ist nicht wahr: er ist (vielmehr) ein überseiendes Sein und eine überseiende Nichtheit!“53

53 Vgl. Dw 3, 441, 1ff.

Spüren Sie die Sprengkraft?

Gott ist Nichts und Alles in Allem. Das Geschaffene ist als Geschaffenes ohne Gott Nichts und in Gott Alles in Allem – je jetzt und jetzt!

Das Geschöpf besitzt keinerlei Sein außer dem göttlichen Sein. Im göttlichen Sein aber ist das Geschöpf, als voll und ganz von Gott, durch Gott, in Gott, gottvoll Gottes selbst. Außerhalb Gottes ist dagegen alles nichts.

So übersetzt Meister Eckhart die berühmte Passage aus dem Johannesprolog (Joh 1, 3: „Omnia per ipsum facta sunt: et sine ipso factum est nihil“) in seinem Kommentar zum Johannesevangelium wie folgt: „Das Wort: alles ist durch ihn (den Logos/ das göttliche Wort) geworden bezieht sich auf die Erschaffung aller Dinge; und ohne ihn ist das Gewordene nichts auf die Erhaltung der geschaffenen Dinge im Sein.“ (Lat. Werke III)

Eine doppelte Seinslehre wird ansichtig: Reines Sein der Geschöpfe ist Gott – jedoch nur in der Weise der „Analogie“ (der Einheit der Entsprechung Wesensverschiedener darin, worin sie Wesens verschieden sind). Nur das Sein Gottes ist im strengen Sinne Gott. Wir Geschöpfe haben aus und in uns selbst soviel Sein/Göttliches wie ein Stein aus sich selbst: gar keines.

Aber sofern wir Geschöpfe als von Gott gegebene sind, ist dieses absolute und reine Sein/Göttliche ganz und ungeteilt in uns, unendlich mehr, als es außer uns je wäre.

So weist Eckhart auf Nikolaus von Kues voraus, der das „Gott ist der ganz Andere“ als Spitze Negativer Theologie, aus der Annahme und Bejahung völliger geistiger Armut und Fremde, die ebenso ganz verkostet wird in der Insistenz auf der radikal-unverfügbaren Bilder- und Namenlosigkeit Gottes, nochmals überbietet zum „Gott ist das einzige Nicht-Andere“, in dem alles Getrennte und Gegensätzliche zusammenfällt („coincidentia oppositorum“).

Disputatio

In der Predigt 13 von Meister Eckhart zu Jesus Sirach 24,30 (nach heutiger Zählung Jesus Sirach 24,22): „Qui audit me...“ („Wer auf mich hört, wird nicht zuschanden werden,/ und wer sich mit mir abgibt, wird nicht sündigen.“ – so übersetzt die Einheitsübersetzung, Eckhart hält diese Predigt am 8. September 1325 in Köln) heißt der Kernsatz: „Daz hoehste und daz naehste, daz der mensche gelazen mac, daz ist, daz er got durch got laze.“ („Das Höchste und das Nächste, das den Mensch gelassen macht, das ist, dass er Gott um Gottes willen lasse.“)

Gebet:

DU, in dem alle Gegensätze zusammenfallen, alles Gedachte und Gelebte Ausgang und Eingang findet, Du, füge auch alles Dir Widersprechende, das Zerbrochene, Zerstörte und Vernichtete, alles Leiden und den täglichen Tod zusammen in Deinem ewigen Liebesgrund. (Markus Roentgen)

„Denn, wahrlich, wenn einer wähnt, in Innerlichkeit, Andacht, süßer Verzücktheit und in besonderer Begnadung Gottes mehr zu bekommen als beim Herdfeuer oder im Stalle, so tust du nicht anders, als ob du Gott nähmest, wändest ihm einen Mantel um das Haupt und schöbest ihn unter eine Bank.“

(Meister Eckhart, Predigt über 1 Joh. 4,9: „In hoc apparuit caritas die in nobis“ – „Darin ist uns Gottes Liebe erzeigt und in uns sichtbar geworden...“)

Lectio II

Eckhart – der Tröster

Im 13. Jhdt. wächst der Druck in vielen Menschen, „religiös“ leben zu wollen. Was vorab Eliten vorenthalten war, wird Massenphänomen. Das „Innere, die Tiefe der Person“ – dahinein dringt der Kern des Christlichen. Immer mehr religiöse Gemeinschaften von „Erweckten“ entstehen mit der Programmatik, ein eigenes, neues religiöses Leben herauszubilden mitten in der Welt. Es gibt wenige Bücher, wenige Lesekundige, das Zeitalter der allen zugänglichen Buchkultur steht noch auf Jahrhunderte aus.

Um 1200 bricht die Armutsbewegung sich breite Bahn, von Italien über Frankreich nach Deutschland. „Arme Christi“ leben gottinnig in der Welt so, als wäre diese ein ideales Kloster. In Gelassenheit ein Leben in äußerer und innerer Armut um Christ willen zu leben, innerlich leer, damit Christus und die Fülle Gottes in dieser Leere Wohnung nehmen können, gilt als die neue Seinweise.

Königsgedanke ist die „geistliche Armut“.

Am stärksten ergreift die Armutsbewegung die Menschen der Städte (Adel und Bürgertum, darin vor allem die Frauen!), am wenigsten die Bauern. Frauen übernehmen fortan weitestgehend die primäre Erziehung des westeuropäischen, des abendländischen Christenmenschen. Sie selbst erhalten ihre Prägung durch Geistliche, oftmals durch Ordensmänner – „erweckte Frau und neuer Mönch in innigem Kontakt“. Diese spirituelle Dimension wird, transformiert, weiterreichen bis in die bürgerlichen Salons des 19. Jhdts. Ein der Antike etwa völlig unbekannter Vorgang – dort war Erziehung Männersache.

Durch die verheerenden Kriege haben, vor allem die Städte, einen riesigen Frauenüberschuss. Klostergründungen ohne Zahl. Kloster als einziges Refugium „ehrbaren“ weiblichen Lebens für unverheiratete Frauen.

Die Predigerorden als Orte der „cura monialium“, der Seelsorge für die Frauenklöster. Dies geschieht in tiefer Ambivalenz: Noch gilt wie selbstverständlich die männliche Abwertung der Materie (der „mater“), der „Frau Welt“, welches selbst Hildegard von Bingen denunzierend aufgreifen wird, die ihr Zeitalter als „tempus muliebre“, als weiblich-weibisch verklagt. Auch Eckhart übernimmt die alte platonisch-antike Abwertung der Materie, des Weiblichen.

Dennoch wird er und sein Orden, trotz der Bitte um Entbindung von dieser Pflicht, durch eine Instruktion Klemens IV. neu verpflichtet zur Seelsorge der Nonnen. Man hat dies als „Geburtsstunde der deutschen Mystik“ bezeichnet. Ungeahnte Horizonte eröffnen sich durch dieses Aufeinandertreffen von männlicher und weiblicher Spiritualität, von transzendentem Ausgriff und irdischer Rückbindung. Es sind die Eliten der Frauen, meist aus Hochadel und Hochfürstentum, die hier prägend und inspirierend wirken (Kunigunde von Habsburg, Margarethe von Ungarn, Elisabeth von Ungarn, Gertrud von Jungholz u.a.). Eckhart verfasst etwa sein berühmtes „Buch der geistlichen Tröstung“ für Agnes von Österreich-Ungarn, eine Königswitwe (zwischen 1308 und 1311), die eine große politisch einflussreiche Friedensmittlerin in der Nachfolge des „Armen Christus“ wird.

Topos: Die Stadt als Freiheitsraum und Friedensraum, als Hort der Mystik; die „erweckte“ Frau als Friedensmittlerin.

Zugleich fließen in das Denken des Meister Eckhart und seiner Zeit jüdische, arabische, muslimische und fernöstliche Quellen ein (Nähe Eckharts zu Laotse, zum Taoismus, zum Zen-Buddhismus).

Die Kühnheit dieses Denkens ist ständig angefochten und bedroht. Am Rhein werden Ketzer ertränkt; vom Kölner Erzbischof Heinrich von Virneburg gehen Hauptwellen der Verfolgung aus. 1317 werden in Köln Begharden und Brüder vom Freien Geist verbrannt und ertränkt. Er attackiert dabei auch direkt die Dominikaner und Franziskaner. Im Dominikanerorden ist Eckhart ein Gipfel revolutionärer Intelligenz.

In den Anfechtungen innerer wie äußerer Art suchen die, die als „Arme Christi“ ein gottseliges Leben führen wollen bei Eckhart Trost im Leiden und in der Verfolgung, Trost im Gemüt, Trost im Geist. Der Geist dieser Menschen ist unbefriedigt durch die Formelhaftigkeit der überkommenen Theologie, ihrer Statik in der Gott-Rede, die der veränderten Wirklichkeit keinen Ausdruck mehr zu verleihen vermag. Gott („Got“ im mhd.) übersteigt dieses Denken, das ihn fassen wollte, um unendliche Geistes- und Wirklichkeits-Weite. Damit und darin weitet sich auch der Geist des Menschen ins Weite.

Dies kommt beides in Eckhart auf den Punkt: Reines Denken und die Trostspendung für die Bedürftigkeit des Menschen.

Weitere Inhalte

Eckharts Denken bricht, im Ausgang vom scholastischen Denken seiner Zeit, das ganz durcharbeitet wird vor allem in seinen lateinischen Werken, in seinen deutschen Predigten markant durch die Sprache des überkommenen Denkens hindurch.

Dieser Durchbruch zeitigt Entscheidendes. Er kann als Überwindung von Metaphysik als eines Systems objektivierenden Denkens gefasst werden.

In der Denkerfahrung des reinen Lichtes und der absolut unverfügbaren Weiselosigkeit und Gestaltlosigkeit Gottes, die alles Denken und Sprechen übersteigt und dennoch darin allem inniger und gegenwärtiger ist vor aller Erfahrung, vor aller Erfassung durch Geist und Leben, Sprache, Wort und Wahrheit, in dieser Denkerfahrung zergehen die metaphysischen Konstruktionen, die der Verobjektivierung Gottes in Denken und Sprache nicht entgehen können.

Eckhart dagegen bleibt nicht nur in der Negierung aller Gegenständlichkeit von Gottrede, sondern spricht davon, dass der abgeschiedene, gelassene, selbst-entwerdende Mensch im Schweigen der Anwesenheit Gottes als Nichts der Abgeschiedenheit begegnen kann.

Das Durchbrechen durch alle Begriffe in Begriffen ist das immer und immer wieder variierte, mitunter paradoxale, Mühen. Davon sind die „Deutschen Predigten“ voll – und es ist nicht verwunderlich, dass Martin Heideggers Denken des Seins (im Haus der Sprache, vorzüglich der Sprache der Dichtung) als Überwindung und Zerstörung jeglicher Metaphysik, im Versuch der Ausweisung der unendlich größeren Differenz von Sein zu Seiendem, in solcher Nähe zu Eckhart wurzelt.

Wie sehen Eckharts Sprachmühen im Horizont des in seinem Leben Erfassten und Erkannten aus, gleichsam als Rückführung des Lebemeisters zum Lesemeister, der um die Not und Grenze der Sprache weiß – ohne sie lassen zu können? (Vgl. Nietzsches großes Wort: „Wir werden Gott nicht los, solange wir die Grammatik nicht los werden.“54)

54 Vgl. hierzu: Eugen Biser, Die glaubensgeschichtliche Wende. Graz u.a. 1986.

Eckhart schreibt: „Ich habe von einer Kraft in der Seele gesprochen; in ihrem ersten Ausbruche erfasst sie Gott nicht, sofern er gut ist, sie erfasst Gott auch nicht, sofern er die Wahrheit ist; sie dringt bis auf den Grund und sucht weiter und erfasst Gott in seiner Einheit und in seiner Einöde; sie erfasst Gott in seiner Wüste und in seinem eigenen Grund.“55

55 Dw I, 171,12 ff.

Hier wird also fortschreitend aufgelöst – selbst die Einheit und Einung wird ins Bildwort von Einöde und Wüste überformt, Bildwort, das zum Einen offener ist als der klassische philosophische Begriff, offener und radikaler in der existenziellen Aneignung – zum anderen aber auch schillernder ob der vorstellbaren Bildhaftigkeit hinter dem gefundenen Wort.

Unendliche Weite, begriff- und namenlos – aber eine Art sichtbares Nichts, sichtbare Finsternis. Vgl. Psalm 139, 11 f.: „Dächt‘ ich: Stockfinsternis wird mich bedecken/ und Nacht mich rings umhüllen:/ Auch die Finsternis macht dir nicht finster,/ dir leuchtet die Nacht wie der Tag (Finsternis ist dir wie Licht).“ (Übersetzt von Friedrich Nötscher)

Eckhart treibt diese Begriffe und Bilder weiter, bis er ans Abgrund-Wort gelangt, das er lange vermeidet, bis es dann doch fällt als einziges, das der Denk-Erfahrung im Seelengrund Genüge gibt: Nichts.

Hören Sie sich ein, wie er dahin kommt: „Ist das Sein (Gottes) die Wahrheit? Wenn man darüber manchen Meister fragte, der würde sagen: ‚Ja!‘ Wenn man mich selber gefragt hätte, ich hätte gesagt: ‚Ja!‘, nun aber sage ich: ‚Nein!“ Denn auch die Wahrheit ist hinzugelegt.“56

56 Dw I, 401, 3 ff.

Also ist auch die Rede von Wahrheit in der Gottrede sekundär (der Rede von der Liebe wird es nicht anders ergehen).

So geht es in dieser Predigt (Predigt 23) dann folgerichtig weiter: „ Wenn er nun weder Güte noch Sein noch Wahrheit noch Eins ist, was ist er dann? Er ist gar nichts, er ist weder dies noch das.“ (Dw I, 402, 1ff.)

Reine Negativität – „nichtes Nichts“ (Bernhard Welte).

Verlassen aller Begriffe, kein Denken von oder an oder durch „etwas“. Der abgeschiedene, gelassene, selbst-entwordene Mensch versinkt in der Weite und Stille und Leere und Offenheit des Nichts.

Metaphysik wird gesprengt durch diese Nichtserfahrung, die zugleich als Höchsterfahrung unbegrenzter reiner Weite sich erweist.

Selbst der Name „Gott“ verschwindet ins Namenlose. Und dennoch ist diese Reinerfahrung des Namenlosen im Abgeschiedenen die je größere Anwesenheitserfahrung dessen, was mit dem Wort und Namen „Gott“ genannt wird seit je.

Die Predigt 52 „Beati pauperes“ tritt auf den Plan.

Disputatio

Predigt 13 von Meister Eckhart „Qui audit me...“ und Impuls zu Predigt 52: „Beati pauperes spiritu“ zu Mt 5,3: „Beati pauperes spiritu, quia ipsorum est regnum coelorum“ – „Selig sind die Armen im Geiste, das Himmelreich ist ihrer.“

Eckhart hält diese Predigt um 1320 in Köln, der damals reichsten deutschen Stadt. Zugleich gab es ein ungeheures Armutsproblem dort mitten in der Stadt. Das Jahrhundert der „Mystik“ ist auch das Jahrhundert der Pest – eine ungeheure Verelendung von Menschen wird sichtbar. Damit einher ging die erste große soziale und ökonomische Ausweitung, die Europa vor dem Zeitalter der Industrialisierung erlebt hat. Armut wird als Normalzustand für viele Menschen, die nicht mitkommen, alltäglich sichtbar. Sie wird als ethisch-religiöses Problem empfunden. Franziskus entdeckt Jesus Christus als diesen Armen.

Eckhart wertet die äußere, die freiwillig und solidarisch gewählte Armut deshalb (als Mitglied des Bettelordens der Dominikaner) hoch. Das betont er auch nochmals zu Beginn seiner berühmtesten Predigt.

Dennoch: Hier geht es ihm um einen anderen, einen höheren Begriff von Armut:

„Nichts wollen/Nichts wissen/Nichts haben“

Höhepunkt dessen: Keinen Gott haben.

„Ein geflickter Strumpf besser als ein zerissener; nicht so das Selbstbewusstsein“.

( Georg Wilhelm Friedrich Hegel)

„Dieses Zerissene ist durch seinen Riss offen für den Einlass des Absoluten.“

(Martin Heidegger zu Hegels Aphorismus : Ders., Was heißt denken?)

Lectio III

Eckhart der Seelsorger und Sprachschöpfer

Gottes Einwohnen in der Seele, der Seele Einwohnen und Mitwohnen in Gott ist überall und stets gegeben und angeboten zugleich. Jede und jeder ist Gottes Tochter und Gottes Sohn und kann dies, in der Dynamik dieses Erfahrungsdenkens, jederzeit werden. „Sohn ist, wer liebt.“ (Eckhart leitet „filius“, das lateinische Wort für „Sohn“ vom griechischen Wort „philia“ „filia“, d.h. „Liebe“ ab!)

Hier zeigt sich, dass es ihm nicht nur um Intellektualität geht. Er will ins Leben lehren. Leben ist alles.

Leben ist aber nur in Gott und aus und durch Gott. Gott ist also keine Idee und erst recht keine Ideologie. Die meisten Menschen, so sieht es Eckhart, haben nur ihren gedachten Gott, den Gott frommer Einbildungen und Wünsche. Werden diese Einbildungen und Wünsche enttäuscht, löst dieser Gott sich auf wie ein Nebel.

Eckhart will die Allgegenwart Gottes verdeutlichen. Wie Ignatius von Loyola lebt er aus der Erfahrung, Gott in allen Dingen und Zuständen, in allen Erfahrungen finden zu können, vor allem jedoch in dir selbst, in der eigenen Seele.

Seine primäre Seelsorge besteht darin, Menschen Angst und Ängste vor Gott zu nehmen; Zeitgebundene, infiltrierte, kirchlich-, politisch-, ideologisch gesteuerte Ängste – vor Tod, Hölle, Entbehrungen, Mächten und Gewalten etc.

Deshalb der ungeheure Zuspruch: Alles, was ist, ist gut! „Esse est Deus“; das Sein ist Gott, das Sein ist gut; „alle Dinge sind gut“.

Das wird Hegel in seiner Dialektik aufgreifen: „Das Ganze ist das Wahre!“ Adorno wird dem, als geschichtsverhafteter Denker, im Ausgang von derselben Frage nach der Wahrheit am entschiedensten widersprechen in seiner Negativen Dialektik, der, in nuce, das Bilderverbot der Heiligen Schrift zugrunde liegt: „Das Ganze ist das Unwahre!“

Eckharts Denken umgreift beides. Er wird Hegel im voraus bestätigen – und er wird im Fortlauf der Reduktionen ins Negative des Unsagbaren und Unsäglichen durch die Sprachauflösungen Hegel auch im voraus überbieten in eine geschichtslose Negativität, ohne Adornos (Hiobs) materiebehafteten, geschichts- und gesellschaftserlittenen Einspruch aus jüdischem Erbe ( Erlösung ist material, leibhaftig, sichtbar, spürbar – oder sie ist nicht) so recht ernstzunehmen.

Das gute Sein schließt bei Eckhart als das Ganze auch das Böse und die Sünde und damit auch das Leiden ein. So ist ihm die Sünde (vgl. das „felix culpa“ der Osternachtliturgie) Dienerin des Seins, Dienerin Gottes, notwendiger Schatten, ohne den das Licht nicht strahlen kann.

So lehrt der Seelsorger den Gleichmut allem gegenüber außer Gott, ja selbst in und mit Gott bis ins gott-los werden: „Nichts begehren“; „Um nichts bitten“; „Vom Himmel nichts begehren und die Hölle nicht fürchten“.

Im lateinischen Johanneskommentar heißt es dazu: „Gott gibt auch dann, wenn er nicht gibt, etwa wenn ein Mensch um Gottes willen auf das zu verzichten weiß, was er zu empfangen wünscht, gemäß jenem Wort: ich möchte selbst von Christus verbannt sein für meine Brüder.“ (Lat. Werke III, 67, unter Einbeziehung von Röm 9,3).

Es ist Seelsorge, den Menschen zu sagen: Greift nicht so gierig nach Gott! Solches übt fundamentale Kritik an jeglichem (also auch religiös-kirchlichen) Sicherheitsdenken der Menschen bis in unsere Tage, wo ein krankmachendes Sicherheitsbedürfnis im modernen Menschen wahrnehmbar ist.

Gott ist nicht zu haben und nicht zu gebrauchen, Gott lässt sich nicht gängeln oder am Seil führen (wie Eckhart an einer schönen Parabel verdeutlicht).

Zugleich kannst Du Mensch Gott überall haben, allerorten (Kirche, Straße, Markt und Einöde) – das Geringste, was Du in Gott schaust (etwa ein Wurm) ist edler als das größte aller Welt (ohne Gott).

So geht Eckhartsche Dialektik.

Und sie verbindet auf der Naht den Mystiker mit dem in der scheinbar banalsten Banalität lebenden Alltagsmenschen (Stichwort: Nazareth in der Tradition des Charles de Foucauld als Annahme der restlosen Kenose Gottes in der gott-losen, gott-unbewussten d.h. gott-unthematischen Annahme „profaner“ Alltäglichkeit, wobei die Trennung von sakral und profan nochmals aufgehoben ist in der je größeren Einheit des Einen ohne Trennendes; s. Lk 2,51: „Und er (der menschgewordene Gott) stieg hinab mit ihnen und kam nach Nazareth“; „Et descendit cum eis, et venit Nazareth“. Indem Gott hier in das selbstentäußernde nicht Gottes, als Abwesenheit in der Anwesenheit geht, wird darin zugleich jedes Nicht Gottes im Menschen als anwesende Abwesenheit geradezu gefeiert; es ist ein heiliger Tausch: Gott ist im Nicht-Gottes bar der Bewusstwerdung, der Besonderung, des Gottesdienstes, der konkreten Erfahrung, anwesend immer schon vor uns da! Vgl. hierzu auch Karl Rahner, Artikel: „Existential, übernatürliches“ im alten Lexikon für Theologie und Kirche = Lthk). Denn die Erfahrung Gottes als anwesend in der „Dunklen Nacht“ der Abwesenheit entspricht der Alltagserfahrung des Menschen im Dickicht der Städte: Dass Gott nicht da ist und nicht erfahren wird.

Den deutlichsten Ausdruck hierzu findet der Seelsorger Eckhart nun in der mittelhochdeutschen Sprache seiner deutschen Predigten.

Er kämpft als Mystiker (Karl Rahner definiert den Mystiker als einen, der etwas erfahren hat – und zwar nicht im besonderen, vielmehr im alltäglich gelebten Durchhalten) mit der Sprache gegen die Sprache. Er ist Sprachgegner und Sprachschöpfer.

Seine Mittel treiben die Sprache ins Extrem: Paradoxie, Hyperbel (= Darüberhinauswerfen; Überziehen des Ausdrucks), Häufung, antithetische Verknüpfungen, Zusammenklingen der Gegensätze, Auflösung fester begrifflicher oder bildlicher Ebenen: Poesie, Anarchie, Nihilismus der Sprache durch Sprache.

Zerstörung der Formen. Sprachlos-Sprachvoll.

Das Deutsche ist hierin beweglicher und zugleich schillernder als das klarere Lateinische; etwa die doppelbödige Doppeldeutigkeit des mittelhochdeutschen „Niht“ als „nichts“ und „das Nichts“ gibt Eckhart in seiner Denkerfahrung größeren Sprachraum; oder das mittelhochdeutsche Wort „eigenschaft“, indem „Eigentum“ mitschwingt, das als Wort schillert zwischen dem lateinischen „proprietas“ und „qualitas“ sowie zwischen dem neuhochdeutschen „Eigentum“, „Eigenheit“, „Eigenschaft“ und „Eigentümlichkeit“.

Das Wort „ein“ besagt bei Eckhart sowohl das Innerste der Gottheit wie das Innerste des Menschen als „Einicheit“.

Die Einheit der göttlichen Natur als Einheit von Gott und Seele; in Gott werden alle geschaffenen Dinge zu Gott verwandelt, alles ungleiche und mannigfaltig geschaffene wird in Gott gleich: „diu einicheit ist der unterscheid und der unterscheid ist diu einicheit“57

57 Vgl. Nikolaus von Kues, De docta ignorantia..

Eckharts Sprachdenken ist ein unermüdliches Sichauflehnen gegen die Grenzen der Sprache durch Sprengen ihrer gebundenen Verfasstheit im Seienden, um dieser je größeren Einheit von Gott, Welt und Mensch im Lebensvollzug des göttlichen Samens im Seelengrund des Menschen Ausdruck zu geben.

Alles fließt da-hin: Vergottet und vernichtet zugleich!

Weitere Inhalte

Die Analogie dieses Sprechens in dieser Sprache, schwebend zwischen dem reinen Nichts aller geschaffenen Kreatur und dem reinen All-Einen der durchgotteten Kreatur (ob Mücke oder Mensch ist in beidem gleich und eins) dynamisiert das In-Gegeneinander von absolutem und relativem Sein.

Bei Eckhart heißt es, diesmal wieder im affektiven Bildwort gepaart mit philosophischer Terminologie: „Gott ist allen Dingen zuinnerst als das Sein, und so zehrt alles Seiende von ihm: er ist auch zuäußerst, weil über allem und so außer allem. Also zehrt alles von ihm, weil er zuinnerst, hungert (alles nach ihm), weil er zuäußerst ist; alles zehrt von ihm, weil er ganz drinnen, (alles) hungert (nach ihm), weil er ganz draußen ist. So ist die Seele ganz in der Hand und ganz außer ihr (denn die Seele vergeht nicht, wenn dem Menschen eine Hand abgehackt wird. Das ist also der Sinn des Wortes: Wer von mir zehrt, hungert weiter (Eccl. 24, 29; nach heutiger Zählung Jesus Sirach 24, 21: „Wer mich genießt, den hungert noch,/ wer mich trinkt, den dürstet noch“).“ (Lw 2, 143,5ff., n. 163; Lw 2,282, 13ff., n. 54).

Eckhart berührt hier die Quintessenz des großen Werkes von Erich Przywara, der „Anlalogia entis“, das im Aufweis des „Gott-in-über-uns“ gipfelt.

Eckhart findet als Realsymbol hierfür das Spiegelbild: In dem, von dem das Bild ausgeht, ist das Sein real; im Bild ist das Sein jedoch bloß geliehen, abkünftig; das Bild existiert nur, solange es zur Sicht gebracht wird, fällt der Spiegel, so ist auch das Bild dahin.58

58 Dw 1, 154, 1ff..

Was aber geschieht dann, wenn Eckhart diese Rede vorantreibt ins Nicht und nichts von Etwas, in Bildwort und Begriff.

Was ist die Quintessenz von: Keinen Gott/ nichts wissen, keinen Gott/nichts wollen, keinen Gott nichts haben, also keine Gottesbeziehung, kein Gottverhältnis haben, wohin die Predigt 52 treibt?

Disputatio

Die unendliche Gegenwärtigkeit Gottes in meinem Seelengrund als der Wirklichkeit schlechthin, die mir innwendiger, inniger ist als ich mir selber, führt in der Predigt 52 „Beati pauperes“ zu einem Durchbruch, der allem, selbst der Gnade und der Liebe enthoben ist. Es ist vollständige Re-Creation in gänzlicher geistlicher Armut, nackt und bloß wie im ersten Nu meiner ewigen Zeugung in Gott, zeit- und welt- und schöpfungsentbundenes All-eins in/über nichts – nichts in/über All-eins.

Die mögliche Gottesgeburt in jeder Seele – Eckharts eigenste Urerfahrung

Lectio IV

In seinem Kommentar zum Buch Exodus (Lat. Werke II, 21 ff.) gibt Eckhart ein Selbstporträt des schöpferischen Menschen in Auslegung des Wortes „Ich bin, der ich bin“, als Rückwendung des Seins zu sich und auf sich selbst, als „ein Verharren oder Feststehen in sich, ferner aber gleichsam ein Aufwallen oder Sichselbstgebären – (das Sein ist) in sich brausend und in sich und auf sich fließend und wallend, Licht, das in Licht und zu (neuem) Licht (erstrahlt), das sich selbst ganz durchdringt, das von allen Seiten ganz auf sich selbst zurückfließt und –strahlt, nach dem Wort des Weisen: ‚die Einheit zeugt – oder zeugte – die Einheit, und auf sich selbst strahlte sie ihre Liebe – oder ihre Glut – zurück.‘ Daher heißt es: ‚in ihm war das Leben‘ (Joh 1,4). ... So zeigt ich bin, der ich bin die Unvermischtheit des Seins und seine Fülle an...“ (Lat. Werke II).

Diese je größere Einheitserfahrung (Eins mit dem Sein selbst in Abgeschiedenheit), die Eckhart zunehmend, durch Dynamisierung der Sprache, aus den Fängen der Subjekt-Objekt-Gegenüberstellung des vor-stellenden Denkens, also aus der klassischen Metapysik, herausschälen, ja befreien will, ist darin der affirmative Spiegel der „Nicht und Nichts-Erfahrung“, wie sie die Armutspredigt „Beati pauperis“ hervortreibt.

Beidem ist die Überwindung der Metapysik und die Lösung vom konkret-geschichtlich Verhafteten eigen.

So spielt auch der geschichtliche Christus eine ganz untergeordnete Rolle, ja, Eckhart geht so weit, Leben und Leiden Jesu Christi ganz aufzulösen in das je größere Erleben der Gottgeburt in der eigenen Seele, wozu der Sohn keine wesentliche Mittlerschaft mehr hinzufügt.

Eine hochbedeutende Passage aus den lateinischen Werken weist dies aus. Nikolaus von Kues hat in seinem Eckhartkodex hierzu die Randnotiz: „Achtung! (nota!)“ vermerkt. Eckhart schreibt dort (Lat. Werke III, 241): „ich beneide Christus nicht, weil er Gott geworden ist; denn auch ich kann, wenn ich will, nach seinem Vorbild dasselbe werden.“

Auch wenn er als Seelsorger um das konkrete Leiden weiß, auch wenn er das Leiden Christi in der Sohnesgeburt aus dem Vater sieht, Eckhart drängt über das Leiden, Eckhart drängt über Christus hinaus in das Eine der namenlosen Gottheit, weil er deren innergöttlichen Schöpfungsprozess in sich selbst als den einen und eigensten schöpferischen Prozess erfährt als göttliches Leben.

Dies aber, so sehr es durch Geist-Spekulation, Intellekt und reines Denken aufgeladen ist, diese erste und letzte Anliegen, wirklich die Gottheit, wirklich Gott zu denken, es hat einen Lebensgrund und ein Lebensziel, die Befreiung zum Leben selbst bar jeglicher Mittlerschaft. Intellekt und Mystik durchdringen einander zur Lebensmeisterschaft (vgl. Eckharts berühmtestes Wort).

Dieses Leben aber ist zutiefst wiederum Leben des Geistes, Erkennen, Intellekt. Gegen jede Volksfrömmigkeit, die an Ritualen, Dingen, Bildern, Vollzügen und Symbolisierungen irdischen Lebens hängen steht Eckhart als Anwalt des reinen Intellekts, des immanenten wie transzendenten Himmels, da Gottes Einheit rein, entkleidet, bloß, nackt ist von allen Zusätzen (sei es Güte und Liebe) als reiner Geist, reiner Intellekt, unvermischt und ungesondert. Außerhalb dessen dagegen ist Verschiedenheit, Verhaftung, Vorstellung und so die Verdinglichung des be-greifenden, des verfügenden, des ob-jectum als gedachtes Etwas (also die verlorene Einheit und Einichheit reinen Geistes) in Distanz zu dem es begreifenden, es verfügenden sub-jectum.

Der Kerker des Subjekt-Objekt-Gegensatzes wird sichtbar, der unser Weltverständnis bis heute, in der ungeheuren Macht sog. wissenschaftlicher Objektivität, beherrscht.

Verloren geht dadurch der lebendige Beziehungszusammenhang – bis hin in die Gott-rede, die Gott durch Aussagesätze und Attribute in diesen Subjekt-Objekt-Spaltraum einfügt.

Das attackiert Eckhart in seinem reinen Einheitsdenken, das zunehmend jeglicher Trennungserfahrung, jeglicher Verschiedenheit, jeglicher Zufügung in der oscillierenden Dynamik zwischen Eins-Nichts-Gottes-im-Seelengrund-des-Abgeschiedenen zu entspringen sucht.

Eckhart korrespondiert diese vollständige Entkleidung Gottes als dessen reinste Fülle mit dem Wesen des Menschen, mit dem Wesen der Kreaturen, die aus sich selbst „reines Nichts“ sind, nicht ein Geringes oder ein kleines Etwas, sondern ein „reines Nichts“(vgl. den Johanneskommentar Meister Eckharts; s. hierzu auch die Eckhart-Kritik, wo der tiefen Nachtseite und Verheerung dieser „Säuberung“ des Menschen und Gottes gedacht wird).

Dieser Versuch der Aufhebung der Metaphysik geht aber durch die Sprache und Terminologie der Metaphysik hindurch.

Weitere Inhalte

Der vollständigen Entkleidung Gottes von jeglichem Zusatz und Attribut folgt entsprechend das „Enthöhen Gottes“. Diese Enthöhung Gottes (die Kenose Gottes könnte anklingen) ist aber nicht primär als Geschichtsereignis gesehen, vielmehr als Gott-Mensch-inwendiges Einen. Josef Quint erläutert dies wie folgt: „Das Enthöhen Gottes ist nicht zu verstehen als ein absolutes Herunterziehen und Erniedrigen oder Herabsetzen, sondern als Überwindung der Distanz und Transzendenz Gottes durch seine ‚verinnung‘, durch seine Immanenz in der Seele, wodurch sie selbst erhöht wird und zur Einswerdung mit dem immanenten Gott gelangt.“

Die mystische Erfahrung der vollständigen Hereinbergung Gottes in den Schoß des Menschen hat hier ihren Grund.

Es ist allerdings nicht der persönliche Gott („der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“, wie Pascal ihn erfuhr in seiner Gottdurchdrungenheit wie Feuer, im berühmten Memorial aufgezeichnet); bei Eckhart begegnet vielmehr die „weiselose“, über- und unpersönliche Gottheit.

„Denn auch Finsternis nicht finster ist bey dir/

Und die nacht leuchtet wie der tag/

Finsternis ist wie das Liecht.“

(Psalm 139, 12 in der Lutherübersetzung/

Wittenberg 1545)



Подняться наверх