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VORSTELLUNGEN WERDEN KRÄFTE, INDEM SIE EINANDER WIDERSTEHEN

JOHANN FRIEDRICH HERBART (1776–1841)

IM KONTEXT

ANSATZ

Strukturalismus

FRÜHER

1704 Der deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz setzt sich in seinen Neuen Abhandlungen über den menschlichen Verstand mit »petites perceptions« (Bewusstseinsdifferenzialen) auseinander.

1869 Der deutsche Philosoph Eduard von Hartmann publiziert sein viel gelesenes Werk Philosophie des Unbewussten.

SPÄTER

1895 Sigmund Freud und Josef Breuer veröffentlichen mit ihren Studien über Hysterie das erste Werk der Psychoanalyse.

1912 Carl Gustav Jung entwickelt in seinem Werk Wandlungen und Symbole der Libido seine Theorie vom kollektiven Unbewussten, das er als psychisches Erbe der Menschheit betrachtet.

Der deutsche Philosoph Johann Friedrich Herbart beschäftigte sich unter anderem mit der Frage, wie der Geist arbeitet, insbesondere damit, wie er mit »Vorstellungen« umgeht. Obwohl jeder Mensch im Lauf seines Lebens unzählige Vorstellungen hat, entsteht daraus keine zunehmende Verwirrung. Wie kann das sein? Herbart kam zu dem Schluss, dass der Geist über eine Art Differenzierungs- und Speichersystem verfügen müsse. Auch wollte er zeigen, dass manche Vorstellungen jenseits des Bewusstseins existieren. Gottfried Wilhelm Leibniz hatte im 18. Jahrhundert als Erster die Existenz solcher Vorstellungen vermutet und sie »petites perceptions« genannt – wörtlich: kleine Wahrnehmungen. Unter anderem hatte er dargelegt, dass wir uns häufig an bestimmte Details eines Geschehens erinnern können, selbst wenn wir sie gar nicht bewusst wahrgenommen haben.


Gedanken und Gefühle enthalten laut Herbart Energie. Ähnliche Vorstellungen ziehen einander an, unterschiedliche stoßen einander ab.


Dynamische Vorstellungen

Vorstellungen bilden sich Herbart zufolge, indem sich Sinneswahrnehmungen verbinden. Sie umfassen Gedanken, innere Bilder und Gefühlszustände. Herbart sah sie nicht als statische, sondern als dynamische Elemente, die interagieren können. Vorstellungen, so meinte er, können wie Magnete einander anziehen und sich mit anderen Vorstellungen oder Gefühlen verbinden oder einander abstoßen. Ähnliche Vorstellungen wie etwa Farbe und Farbton ziehen einander an und verschmelzen zu einer komplexeren Vorstellung.

Unähnliche Vorstellungen können ohne Verbindung nebeneinander bestehen. Mit der Zeit verblassen sie, bis sie schließlich unter die »Schwelle des Bewusstseins« sinken. Treffen einander widersprechende Vorstellungen direkt aufeinander, entsteht ein Gegendruck, und »aus Vorstellungen werden Kräfte, indem sie einander widerstehen«. Die Abstoßungsenergie drängt eine der beiden Vorstellungen ins Unbewusste ab, wie im Lehrbuch zur Psychologie zu lesen ist: »Das heißt, das wirkliche Vorstellen verwandelt sich in ein Streben vorzustellen

Für Herbart war das Unbewusste schlicht ein Speicher für schwache oder gegenläufige Vorstellungen. Indem er das Bewusstsein in zwei Teile spaltete, getrennt durch eine »mechanische Schwelle«, beantwortete er die Frage, wie eine gesunde Psyche mit Vorstellungen umgeht, auf strukturelle Weise. Sigmund Freud erkannte in der Psyche ein viel komplexeres und aufschlussreicheres Phänomen. Er verarbeitete Herbarts Ansatz in seinen eigenen Theorien über das Unbewusste und schuf so die Basis für die wichtigste Therapieform des 20. Jahrhunderts: die Psychoanalyse.

Johann Friedrich Herbart


Johann Friedrich Herbart wurde in Oldenburg geboren. Er wurde bis zu seinem 13. Lebensjahr von seiner Mutter unterrichtet, im Anschluss daran besuchte er zunächst die Oldenburger Lateinschule und studierte dann an der Universität Jena unter anderem Philosophie. Drei Jahre lang war er als Hauslehrer tätig, anschließend promovierte er an der Göttinger Universität und lehrte Philosophie. 1809 wurde er als Professor für Philosophie und Pädagogik auf den früheren Lehrstuhl Immanuel Kants nach Königsberg berufen. Dort lernte er die Engländerin Mary Drake kennen, die er im Jahr 1811 heiratete. 1833 kehrte er nach Auseinandersetzungen mit der preußischen Regierung zurück an die Göttinger Universität. Dort wirkte er als Professor für Philosophie, bis er im Alter von 65 Jahren an einem Schlaganfall starb.

Hauptwerke

1808 Allgemeine praktische Philosophie

1816 Lehrbuch zur Psychologie

1824 Psychologie als Wissenschaft

Big Ideas. Das Psychologie-Buch

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